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19/05 Menschenrechte;Norm
MRKZP 07te Art4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Sauberer und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des D in Seekirchen am Wallersee, vertreten durch Dr. Leopold Hirsch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Nonntaler Hauptstraße 1a, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 14. Juni 2000, Zl. UVS- 3/11032/9-2000, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Das Land Salzburg hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer wegen der Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 2 2. Satz StVO 1960 mit einer Geldstrafe von S 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden) bestraft, weil er am 14. Oktober 1998 um ca. 17.20 Uhr als Lenker eines nach dem Kennzeichen bestimmten Kraftwagens in Salzburg "in der Linzer Bundesstraße auf Höhe 18a in Richtung stadtauswärts fahrend" nach einem Verkehrsunfall mit Personenschaden, an dem er durch sein Verhalten am Unfallsort in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, die nächste Polizeidienststelle nicht unverzüglich verständigt habe. In der Begründung ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer bei dem Verkehrsunfall mit seinem Pkw auf das Heck des stehenden Pkw's der G.E. aufgefahren sei. Diese habe dem Beschwerdeführer über sein Befragen mitgeteilt, dass sie Schmerzen im Nackenbereich verspüre. Den vom Beschwerdeführer ausgefüllten Unfallsbericht, in welchem die Rubrik "Verletzte" mit "Nein" angekreuzt gewesen sei, habe sie unterfertigt, ohne die Eintragungen zu lesen bzw. zu überprüfen. In den Verwaltungsstrafakten erliegt eine Verletzungsanzeige des Unfallkrankenhauses Salzburg vom 23. Oktober 1998, aus der sich ergibt, dass sich G.E. am 14. Oktober 1998 in die ambulante Behandlung dieses Krankenhauses begab (Behandlungsbeginn um 21.39 Uhr). Die Diagnose lautete:
"Dist.column.vertebr.cervicalis
Cont.sterni et column.vertebr.thoracalis",
die Verletzung wurde dem Grade nach als leicht beurteilt.
Der Beschwerdeführer hat über die gegen den angefochtenen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsstrafverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 4 Abs. 2 2. Satz StVO 1960 haben die im Abs. 1 genannten Personen - das sind alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, - die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen, wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden sind.
Der Beschwerdeführer wendet unter Hinweis darauf, "dass der gegenständliche Sachverhalt auch schon Gegenstand der Verfolgung durch den Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Salzburg war, was durch die in Kopie vorgelegte Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 StPO nachgewiesen wurde," ein, es liege "ein Fall der unzulässigen Doppelbestrafung bzw. Doppelverfolgung vor". Damit ist er nicht im Recht:
Dem in Art. 4 des 7. ZPEMRK verankerten Doppelbestrafungsverbot widerspricht eine gesetzliche Strafdrohung nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 5. Dezember 1996, G 9/96 und andere) dann, wenn sie den wesentlichen Gesichtspunkt ("aspect") eines Straftatbestandes, der bereits Teil eines von den Strafgerichten zu ahndenden Straftatbestandes ist, neuerlich einer Beurteilung und Bestrafung durch die Verwaltungsbehörde unterwirft. Im Falle des Beschwerdeführers bezog sich die strafgerichtliche Verfolgung - wie aus der vom Beschwerdeführer vorgelegten Mitteilung des Bezirksgerichtes Salzburg vom 18. Dezember 1998 hervorgeht - auf die fahrlässige Körperverletzung gemäß § 88 Abs. 1 StGB; dem gegenüber betrifft der Tatbestand der dem Beschwerdeführer im Verwaltungsstrafverfahren angelasteten Übertretung die Verletzung der Verpflichtung zur sofortigen Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle. Dieser Straftatbestand bildet kein Element des strafgerichtlich zu ahndenden Straftatbestandes und unterliegt daher auch nicht dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art. 4 des 7. ZPEMRK.
Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer, dass die belangte Behörde seine Beweisanträge auf Einholung der Gutachten eines medizinischen Sachverständigen darüber, dass G.E. unmittelbar nach dem Verkehrsunfall keine Schmerzen habe verspüren können, und eines Kfz-technischen Sachverständigen darüber, "dass die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung und die geringe auf die Zeugin E wirkende Oberkörperbeschleunigung eine Verletzung ausschließen bzw. nicht verursacht haben können", abgewiesen habe. Dem Beschwerdeführer ist beizupflichten, dass diesen Beweisanträgen vor dem Hintergrund der maßgebenden Rechtslage Relevanz nicht abgesprochen werden kann.
Nach der hg. Rechtsprechung (vgl. das Erkenntnis vom 15. Dezember 1999, Zl. 99/03/0406) ist aus § 4 Abs. 2 StVO 1960 für die im Abs. 1 dieser Gesetzesstelle genannten Personen die Verpflichtung abzuleiten, sich bei einem Verkehrsunfall, der zwar keine äußerlich feststellbaren Verletzungen zur Folge hat, dessen Verlauf aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung den Eintritt äußerlich nicht erkennbarer Verletzungen erwarten lässt, durch Befragung der in Betracht kommenden Personen nach einer allfälligen Verletzung eine diesbezügliche Gewissheit zu verschaffen. Sind keine Verletzungen erkennbar und wird die Frage nach Verletzungen verneinend beantwortet, so besteht keine Verständigungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 2 StVO 1960, sofern die Frage nicht an Personen gerichtet wird, von denen schon nach dem äußeren Anschein angenommen werden muss, dass sie nicht in der Lage sind, den Inhalt oder die Tragweite ihrer Erklärung zu erkennen (z.B. Betrunkene oder Kinder).
Sollte sich aus dem vom Beschwerdeführer beantragten Kfztechnischen Sachverständigengutachten ergeben, dass die Kollisionsgeschwindigkeit beim gegenständlichen Verkehrsunfall tatsächlich derart gering war, dass eine Verletzungsmöglichkeit als Folge von stoßbedingten Trägheitskräften im Allgemeinen auszuschließen ist (vgl. dazu etwa Wielke-Wielke, Strittige HWS-Verletzungen nach Auffahrunfällen, ZVR 2000, 152 ff), bedürfte die Annahme, es sei im Beschwerdefall zu einer unfallskausalen Verletzung der G.E. gekommen, jedenfalls einer näheren Begründung.
Sollte das Kfz-Sachverständigengutachten nicht zum Ausschluss unfallskausaler Verletzungen der G.E. führen, kommt der durch das beantragte medizinische Sachverständigengutachten zu klärenden Frage, ob G.E. auf Grund der durch den Verkehrsunfall verursachten Verletzungen bereits unmittelbar nach dem Unfall oder erst einige Zeit später Schmerzen verspürt haben konnte, entgegen der Ansicht der belangten Behörde für die Schlüssigkeitsprüfung in Ansehung der vom Beschwerdeführer bekämpften Feststellung Bedeutung zu, dass G.E. dem Beschwerdeführer unmittelbar nach dem Unfall gesagt habe, sie verspüre Schmerzen im Nackenbereich. Die in der Begründung des angefochtenen Bescheides geäußerte Meinung der belangten Behörde, "dass Schmerzen von Patienten bei objektiv gleichen Krankheitsbildern subjektiv durchaus unterschiedlich empfunden werden können und selbst eine in der medizinischen Literatur beschriebene schmerzfreie Latenzzeit nach Halswirbelzerrungen kein sicherer Hinweis darauf wäre, dass im gegenständlichen Fall die Zeugin E. am Unfallort gar keine Schmerzen verspürt haben könne," findet in dieser allgemeinen Form in der Lebenserfahrung keine Deckung und entbehrt der somit erforderlichen fachlichen Untermauerung.
Schon aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Von der vom Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 13. Dezember 2000
Schlagworte
Allgemein Andere Einzelfragen in besonderen Rechtsgebieten Straßenpolizei Kraftfahrwesen MeldepflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:2000030270.X00Im RIS seit
12.06.2001