Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek und Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krajina als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ildar Ach***** und andere Beschuldigte wegen des Verbrechens der Überlieferung an eine ausländische Macht nach §§ 15, 103 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 321 HR 277/09f des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Anton D***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 26. Juni 2009, AZ 21 Bs 255/09t (ON 499 des HR-Akts) nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Anton D***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Gegen Anton D***** und weitere Beschuldigte ist ein Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens der Überlieferung an eine ausländische Macht nach §§ 15, 103 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen anhängig. Mit Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 3. April 2009 wurde über Anton D***** - nach Vernehmung zur Sache und zu den Haftgründen - gemäß § 173 Abs 6 StPO die Untersuchungshaft verhängt (ON 418, 421) und mit Beschlüssen vom 16. April (ON 435) und 18. Mai 2009 (ON 478, 480) fortgesetzt. Gegen den zuletzt genannten Beschluss erhob Anton D***** Beschwerde, der das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 26. Juni 2009 nicht Folge gab und seinerseits die (bedingt-obligatorische) Untersuchungshaft aus dem Haftgrund des § 173 Abs 6 StPO (§ 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO) fortsetzte.
Rechtliche Beurteilung
Gegen diesen Beschluss (ON 499) richtet sich die fristgerechte Grundrechtsbeschwerde des Anton D*****, die sowohl die Annahme des dringenden Tatverdachts als auch die angenommene Nichtausschließbarkeit des Haftgrunds der Fluchtgefahr bekämpft; sie schlägt fehl.
Nach den Annahmen des angefochtenen Beschlusses ist der Beschwerdeführer dringend verdächtig, im September 2008 im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit seinem slowenischen Landsmann Bekim H*****, nachdem sie selbst von Nurlan A***** und Viktor S***** durch Zahlung von 1.000 Euro dazu bestimmt worden waren, Damijan B***** und zwei weitere noch unbekannte unmittelbare Täter dazu angestiftet zu haben, Alnur M***** am 22. September 2008 in Wien durch gefährliche Drohung mit dem Tod, indem einer der unbekannten Täter in dessen Auto stieg und mit einer Pistole auf ihn zielte, dazu zu nötigen, mit seinem Fahrzeug einem von dem flüchtigen kasachischen Staatsangehörigen Nurlan A***** gelenkten Fahrzeug zu der in rund vier Kilometer Entfernung gelegenen kasachischen Botschaft zu folgen und ihn auf diese Weise einer ausländischen Macht, nämlich den kasachischen Strafverfolgungsbehörden zu überliefern, nachdem frühere Auslieferungsersuchen kasachischer Behörden erfolglos geblieben waren. Die Tat blieb beim Versuch, weil einerseits das Opfer Gegenwehr leistete, andererseits Passanten aufmerksam wurden, weshalb die Täter letztlich die Flucht ergriffen.
Nach ständiger Rechtsprechung kann die Begründung des dringenden Tatverdachts im Grundrechtsbeschwerdeverfahren nur nach den Kriterien des § 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO in Frage gestellt werden (vgl RIS-Justiz RS0110146).
Diesem Gebot wird die Beschwerde nicht gerecht, die weder Begründungsmängel, die der angefochtenen Entscheidung anhaften sollen noch Aktenbestandteile benennt, die erhebliche Bedenken an jenen Tatsachen, die dem dringenden Verdacht zu Grunde liegen, beim Obersten Gerichtshof erwecken sollen.
Vorerst gibt sie - überdies leicht sinnentstellt - die Erwägungen des Oberlandesgerichts wieder und behauptet, der Schluss aus den „Kontaktgesprächen" zwischen Nurlan A***** und Anton D***** am 10. September 2008 in Wien auf dessen Informiertheit über „die Hintergründe" bewege sich auf dem „Niveau einer unstatthaften Vermutung zu Lasten des Beschwerdeführers". Diese Kritik an der auf Schlussfolgerungen aus den dem Tatgeschehen vorangegangenen umfangreichen Observierungen und Vorgängen (Ausstattung mit Funkgeräten, Verschleierung des Aufenthalts in einem Hotel, Verwendung einer Faustfeuerwaffe) gestützten Begründung der Annahmen des bekämpften Beschlusses zur subjektiven Tatseite des Beschwerdeführers geht fehl. Einerseits ist nämlich ein solcher Schluss von einem gezeigten Verhalten auf ein zugrundeliegendes Wollen oder Wissen ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar, bei leugnenden Verdächtigen in aller Regel auch nicht zu ersetzen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 281, 452; RIS-Justiz RS0098671), andererseits lässt das Vorbringen Beweisergebnisse außer Acht, auf die sich das Oberlandesgericht ausdrücklich stützte (ON 499 S 4, 5 und 8). Dass kein formaler Begründungsmangel aufgezeigt wird, sondern vielmehr eigene Beweiswerterwägungen angestellt werden, wird schon durch die mehrmaligen Hinweise auf die „Lebenserfahrung" und die Bezeichnung der Annahmen des Oberlandesgerichts als „völlig lebensfremd" ersichtlich. Auf die allgemeinen Überlegungen der Grundrechtsbeschwerde zum angeblich üblichen Verhalten von Geheimdiensten braucht nicht eingegangen werden.
Auch mit der Verantwortung des Viktor S*****, der seinerseits die subjektive Tatseite bestreitet, hat sich das Oberlandesgericht auseinandergesetzt und die Verantwortung des Beschwerdeführers, er habe an eine „Geldeintreibung" gedacht, durch den erheblichen organisatorischen Aufwand und durch das Ziel der Entführung, eben die kasachische Botschaft, als widerlegt erachtet.
Insgesamt hat das Beschwerdegericht ohne Verstoß gegen die Kriterien logischen Denkens und grundlegende Erfahrungen in einer sorgfältigen Gesamtschau, somit mängelfrei, den dringenden Tatverdacht, auch und vor allem in Hinblick auf das Wissen des Beschwerdeführers und die subjektive Tatseite (ON 499 S 3 bis 10) begründet.
Die rechtliche Annahme einer der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens dahin geprüft, ob sie aus den in der angefochtenen Entscheidung angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin erliegende Ermessensentscheidung als unvertretbar (willkürlich) angesehen werden müsste (RIS-Justiz RS0117806). Voranzustellen ist weiters, dass im Zusammenhang mit bedingt-obligatorischer Untersuchungshaft (§ 173 Abs 6 StPO) Umstände, die einen Haftgrund nicht annehmen lassen (§ 173 Abs 2 StPO), nicht gleichzusetzen sind mit solchen, die im Sinn des Abs 6 leg cit sein Vorliegen ausschließen (RIS-Justiz RS0113413). Die Annahme des Oberlandesgerichts, die Haftgründe des § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO nicht ausschließen zu können, ist ebenso rechtsfehlerfrei, weil sich das vorangehende Verhalten des Anton D*****, nämlich einer monatelangen Flucht und das anschließende Absetzen in sein Heimatland Slowenien, aber auch der Umstand der Flucht anderer Verdächtiger in diesem Verfahren als tragfähige Gründe erweisen. Die nur den Haftgrund der Fluchtgefahr betreffende Behauptung der Beschwerde, die durch das Beschwerdegericht ersehene Gefahr, er werde sich trotz der in Slowenien zur Anwendung gebrachten gelinderen Mittel der dreimal wöchentlichen Meldung bei der örtlichen Polizei, ungeachtet derer er „auf Urlaub" nach Wien gekommen sei, erneut absetzen, sei „unerfindlich" , vermag jedenfalls keine Willkür der angefochtenen Entscheidung erkennen lassen.
Eine Prüfung des - ohnehin unbekämpft gebliebenen - weiteren Haftgrunds erübrigt sich somit.
Der Beschwerdeführer wurde demnach durch die Entscheidung des Oberlandesgerichts im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.
Anmerkung
E9164515Os112.09yEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0150OS00112.09Y.0819.000Zuletzt aktualisiert am
05.10.2009