Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 27. August 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Markus P***** wegen des Vergehens nach § 27 Abs 1 SMG aF, AZ 3 U 159/07g des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg, über den Antrag der Generalprokuratur gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Antrag der Generalprokuratur auf Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens im außerordentlichen Weg wird Folge gegeben, demzufolge das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 22. August 2008, AZ 43 Bl 134/08f, aufgehoben und die Sache an das Rechtsmittelgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 31. Jänner 2008 verwiesen.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 31. Jänner 2008, GZ 3 U 159/07g-12, wurde Markus P***** der Vergehen nach § 27 Abs 1 SMG (idF BGBl I 2002/134) schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen á 10 Euro, im Nichteinbringungsfall zu 40 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.
Der gegen diese Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft Salzburg erhobenen Berufung wegen Strafe (ON 13) gab das Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht mit Urteil vom 22. August 2008, AZ 43 Bl 134/08f (ON 18), Folge und erhöhte die Anzahl der Tagessätze auf 120 (im Nichteinbringungsfall 60 Tage Ersatzfreiheitsstrafe).
Die Ladung zur Berufungsverhandlung hatte Markus P***** am 16. Juli 2008 eigenhändig übernommen (Rückschein im Akt AZ 43 Bl 134/08f des Landesgerichts Salzburg). Zum Gerichtstag zur öffentlichen Verhandlung erschien der Angeklagte jedoch nicht. Erst im Mai 2009 wurde aufgrund einer Eingabe des Verurteilten bekannt, dass sich dieser (seit 20. August 2008) am Tag der Berufungsverhandlung zum AZ 25 HR 209/08s des Landesgerichts Salzburg in Haft befunden hatte (nicht journalisierte Vollzugsinformation vom 14. Mai 2009).
Auf seine Vorführung zur Berufungsverhandlung hatte der Angeklagte nicht verzichtet, das Landesgericht Salzburg aber auch nicht rechtzeitig vor Durchführung der Verhandlung von seiner Inhaftierung informiert.
In offenkundiger - nicht vorwerfbarer - Unkenntnis dieses Umstands führte das Berufungsgericht - auf der Grundlage der diesem zum Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Aktenlage rechtsrichtig - in seinen Entscheidungsgründen (US 5) mit Bezugnahme auf § 471 StPO unter Hinweis auf §§ 286 Abs 1 und 287 Abs 3 StPO aus, dass die Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt werden konnte, weil dieser trotz gehöriger Zustellung der Ladung unentschuldigt nicht zu diesem Termin erschienen war.
Rechtliche Beurteilung
Ob die Voraussetzungen für die Durchführung der Berufungsverhandlung in Abwesenheit des Angeklagten vorlagen, ist eine Frage tatsächlicher Natur, die das Landesgericht Salzburg als Berufungsgericht zu entscheiden hatte. Ist eine nicht vom Obersten Gerichtshof selbst getroffene letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts auf einer in tatsächlicher Hinsicht objektiv bedenklichen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem Gericht ein Rechtsfehler anzulasten ist, kommt die analoge Anwendung der Bestimmungen über die außerordentliche Wiederaufnahme nach § 362 StPO in Betracht (vgl Ratz, WK-StPO § 292 Rz 16 und § 362 Rz 4; Fabrizy StPO10 § 362 Rz 3; RIS-Justiz RS0117312).
Gemäß § 471 StPO gelten für die Anberaumung und Durchführung des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung über Berufungen gegen Urteile der Bezirksgerichte ua - soweit hier von Relevanz - die §§ 286 Abs 1, 294 StPO sinngemäß. Nach Abs 5 zweiter Satz des § 294 StPO sind die Bestimmungen der §§ 286 und 287 StPO dem Sinne nach mit der Maßgabe anzuwenden, dass der nicht verhaftete Angeklagte vorzuladen (wobei im Falle unentschuldigten Fernbleibens in seiner Abwesenheit verhandelt werden kann; § 286 Abs 1 letzter Satz StPO) und die Vorführung des verhafteten Angeklagten zu veranlassen ist, es sei denn, dieser hätte durch seinen Verteidiger ausdrücklich darauf verzichtet (vgl RIS-Justiz RS0124107). Für den Angeklagten gilt unabhängig vom Gegenstand der Berufung stets § 294 Abs 5 zweiter Satz StPO, nicht aber der (in § 471 StPO ohnehin nicht angeführte) § 286 Abs 2 StPO (vgl Ratz, WK-StPO § 471 Rz 2 und § 294 Rz 14). Im Hinblick darauf, dass sich der Angeklagte am Tag der Berufungsverhandlung - wenn auch zu einem anderen Verfahren - in Haft befand und keinen ausdrücklichen Vorführungsverzicht durch einen Verteidiger erklärt hatte, bestehen daher - wie die Generalprokuratur in ihrem Antrag zutreffend aufzeigt - gegen die Richtigkeit der der Berufungsentscheidung des Landesgerichts Salzburg zu Grunde gelegten Annahme, wonach die Voraussetzungen für eine Verhandlung und Urteilsfällung in Abwesenheit des Angeklagten vorlagen, erhebliche Bedenken im Sinne des hier analog heranzuziehenden § 362 Abs 1 Z 2 StPO.
Es war daher im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens zu verfügen. Das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 22. August 2008, AZ 43 Bl 134/08f (GZ 3 U 159/07g-18 des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg) war aufzuheben und die Sache an das Rechtsmittelgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichts Neumarkt bei Salzburg vom 31. Jänner 2008 zu verweisen.
Textnummer
E91769European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00116.09I.0827.000Im RIS seit
26.09.2009Zuletzt aktualisiert am
20.10.2011