Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Roch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der außerstreitigen Mietrechtssache der Antragstellerin (zu 9 Msch 22/08k und Antragsgegnerin zu 9 Msch 21/08p) Beate S*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Reinold, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegnerin (zu 9 Msch 22/08k und Antragstellerin zu 9 Msch 21/08p) F*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Johannes Patzak, Rechtsanwalt in Wien, wegen §§ 8 Abs 2, 37 Abs 1 Z 5 MRG, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragsgegnerin F*****gesellschaft mbH gegen den Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 12. Mai 2009, GZ 40 R 280/08k-19, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 37 Abs 3 Z 16 MRG iVm § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Text
Begründung:
Das Erstgericht hat mit seinem Sachbeschluss dem - inhaltlich auf § 8 Abs 2 Z 2 MRG gestützten - Antrag der Antragstellerin stattgegeben und die Antragsgegnerin verpflichtet, jede Bauführung auf der von der Antragstellerin im 1. Stock des Hauses zusammen mit der Wohnung 2 als Dachterrasse gemieteten, über dem ebenerdigen Geschäftslokal und Magazin gelegenen Flachdachfläche zu unterlassen. Dem Antrag der Antragsgegnerin, die Antragstellerin zur Duldung der im Einreichplan vom 28. 11. 2004 beschriebenen Bauführung zu verpflichten, hat das Erstgericht abgewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung; es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 10.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil für die Beurteilung einer vorliegenden Beeinträchtigung der Mieterin die Umstände des Einzelfalls maßgeblich gewesen seien. Die Antragsgegnerin macht in ihrem gegen den Sachbeschluss des Rekursgerichts erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs keine erhebliche Rechtsfrage geltend:
1. Nach Ansicht der Antragsgegnerin gehe die erstgerichtliche Feststellung, wonach die Antragstellerin durch die von der Antragsgegnerin angestrebte Bauführung in ihrem Nutzungsrecht an etwa der Hälfte der Terrasse dauernd beeinträchtigt würde, über die Behauptungen der Antragstellerin weit hinaus und sei daher überschießend sowie inhaltlich unzutreffend. Mit diesem Einwand habe sich das Rekursgericht nicht befasst; außerdem wäre zur Klärung dieser Tatfrage auf der Grundlage des Bauplans ein Sachverständiger erforderlich gewesen. Die Vorinstanzen hätten auch nicht auf das vermeintliche Vorliegen der Voraussetzungen des § 364 ZPO aufmerksam gemacht und die Parteien nicht zur Zustimmung eingeladen. Bei Klärung dieser Tatfrage hätte sich ergeben, dass der Zubau außerhalb der mitgemieteten Terrassenfläche aufzogen werde. Rechtlich folge daraus, dass die Antragstellerin die bloße Einschränkung ihres Sichtfeldes hinnehmen müsse. Im Übrigen ergebe sich die Duldungspflicht der Antragstellerin selbst auf der Grundlage der erstgerichtlichen Feststellungen, schaffe doch die Antragsgegnerin neuen Wohnraum, wofür die Antragstellerin einen Teil ihrer Terrasse opfern müsse.
1.1. Die von der Antragsgegnerin bekämpfte erstgerichtliche Feststellung zur Beeinträchtigung der Antragstellerin durch die geplante Bauführung hält sich im Rahmen des von dieser geltend gemachten Rechtsgrundes (vgl dazu RIS-Justiz RS0040318; RS0037972 [insb T10]; RS0037964) und ist daher beachtlich.
1.2. Die Verwertung eigener Fachkenntnisse des Gerichts, so solche im gegebenen Zusammenhang überhaupt erforderlich sein sollten, bedarf im Außerstreitverfahren zufolge § 31 Abs 3 Satz 2 AußStrG nicht der Zustimmung der Parteien (Fucik/Kloiber, § 31 AußStrG Rz 3).
1.3. Bei Geltendmachung eines Verfahrensmangels ist dessen Relevanz für die Sachentscheidung darzustellen (§ 57 Z 4 AußStrG; 6 Ob 249/08y; vgl auch RIS-Justiz RS0120213), was der Antragsgegnerin nicht nachvollziehbar gelingt; die von ihr angestrebte Annahme, wonach zur Errichtung des geplanten Zubaues die Mauer nicht innerhalb, sondern außerhalb der mitgemieteten Terrassenfläche aufgezogen werde, ist nämlich keine Sachverständigenfrage, und sie widerspricht überdies nicht mehr aufgegriffenen erstgerichtlichen Feststellungen.
1.4. Die grundsätzliche Subsumtion des Begehrens der Antragstellerin unter § 8 Abs 2 MRG bezweifelt die Antragsgegnerin nicht (s dazu jüngst 5 Ob 61/09w mwN). Ob der Mieter eine Beeinträchtigung seiner Mietrechte im Sinn des § 8 Abs 2 Z 2 MRG unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit zu dulden hat, ist im Hinblick auf die dabei vorzunehmende Interessenabwägung solange eine vom Obersten Gerichtshof nicht aufzugreifende Einzelfallbeurteilung, als der den Vorinstanzen dabei einzuräumende Wertungsspielraum nicht verlassen wird (vgl RIS-Justiz RS0069506; RS0042771; RS0107167). Eine solche Verkennung der Rechtslage durch die Vorinstanzen liegt hier aber nicht vor:
Dem Interesse der Antragsgegnerin auf Schaffung von zwei weiteren Wohnungen steht das Interesse der Antragstellerin gegenüber, die durch diese Maßnahme die Möglichkeit der Nutzung von etwa der Hälfte der mitgemieteten, rund 180 m² großen Terrasse dauerhaft verlieren und aus den Terrassenfenstern keinen ungehinderten Ausblick mehr haben, sondern auf eine zwei Meter hohe, fensterlose Wand blicken würde. Wenn die Vorinstanzen unter diesen Umständen eine Duldungspflicht der antragstellenden Mieterin verneinten, kann darin keine unvertretbare Einzelfallbeurteilung erkannt werden.
Die von der Antragsgegnerin für die reklamierte Duldungspflicht (Verkleinerung des Mietgegenstands) herangezogene Entscheidung 5 Ob 26/89 (= wobl 1989/41, 91 = ImmZ 1989, 253 = MietSlg 41.208) ist nicht einschlägig, betrifft diese doch einen Fall des § 8 Abs 2 Z 1 MRG, während hier § 8 Abs 2 Z 2 MRG maßgeblich ist.
2. Die Antragsgegnerin ist weiters der Ansicht, die Antragstellerin habe rechtsmissbräuchlich durch Erhebung eines - nicht ausreichend begründeten - Sicherungsantrags die Zuständigkeit der Schlichtungsstelle umgehen wollen. Schließlich sei dem Unterlassungsbegehren der Antragstellerin das - das spiegelbildliche Gegenteil anstrebende und zuvor bei der Schlichtungsstelle eingebrachte - Duldungsbegehren der Antragsgegnerin gegenübergestanden, was den Einwand der Streitanhängigkeit begründet habe.
2.1. Die - für den vermeintlichen Rechtsmissbrauch beweispflichtige (RIS-Justiz RS0026205) - Antragsgegnerin zeigt keine Umstände auf, warum bei der von der Antragstellerin begehrten - und vom Erstgericht auch erlassenen - einstweiligen Verfügungen unlautere Motive der Rechtsausübung augenscheinlich im Vordergrund gestanden und zwischen den von der Antragstellerin verfolgten Interessen einerseits und den beeinträchtigten Interessen der Antragsgegnerin andererseits ein krasses Missverhältnis bestanden haben soll (vgl RIS-Justiz RS0026205). Die Antragsgegnerin stellt auch nicht dar, warum die von der Antragstellerin vermeintlich zu Unrecht sofort in Anspruch genommene gerichtliche Zuständigkeit (§ 37 Abs 3 Z 20 MRG) zu einer Unrichtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts führen habe können.
2.2. Soweit die Antragsgegnerin den Einwand der Streitanhängigkeit geltend macht, ist sie auf § 12 Abs 2 AußStrG zu verweisen, der eine spezifische Art des Umgangs mit dieser Verfahrenskonstellation normiert und - im Gegensatz zum Zivilprozess - kein Prozesshindernis, sondern die - hier durch Verfahrensverbindung erfolgte - „Vereinigung" aller Anträge vorsieht (vgl ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 31). Im Übrigen stellt die Antragsgegnerin auch zu dieser Verfahrensfrage deren zumindest abstrakte Relevanz für die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts nicht dar.
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist wegen Fehlens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG (iVm § 37 Abs 3 MRG) unzulässig und zurückzuweisen.
Textnummer
E91855European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0050OB00154.09X.0901.000Im RIS seit
01.10.2009Zuletzt aktualisiert am
26.09.2012