Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann T*****, vertreten durch Holter-Wildfellner Rechtsanwälte GmbH in Grieskirchen, gegen die beklagte Partei G***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Peter Lindinger, Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in Linz, wegen 7.790 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 9. Dezember 2008, GZ 21 R 349/08k-29, womit das Urteil des Bezirksgerichts Eferding vom 8. Juli 2008, GZ 6 C 455/06i-21, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass das Urteil lautet:
Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 7.790 EUR samt 4 % Zinsen seit 26. Jänner 2005 zu bezahlen, wird abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 10.832,49 EUR (darin enthalten 1.008,83 EUR an USt und 4.779,50 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kaskoversicherungsvertrag zwischen den Parteien endete aufgrund der Kündigung des Klägers mit Beginn des 1. 12. 2004. Ihm lagen die AFIB/***** 96 und die AKB/***** 2000 zugrunde.
Auf der letzten Seite der Versicherungspolizze steht unter der Überschrift „Wichtige Hinweise" unter anderem Folgendes:
„Denken Sie an die Hilfeleistungspflicht und Pflicht zur unverzüglichen Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle bei Personenverletzung, Brand, ... sowie bei Kollisionsschäden mit Tieren und unbekannten Fahrzeugen."
Auch in den Vorbemerkungen zu den oben genannten Bedingungen findet sich ein solcher Hinweis.
Die AFIB/***** 96 lauten auszugsweise:
„Artikel 5
Obliegenheiten
...
3. Als Obliegenheiten, deren Verletzung nach Eintritt des Versicherungsfalles den Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung befreit (§ 6 Abs 3 VersVG 1958) werden bestimmt,
3.1 nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beizutragen;
3.2 dem Versicherer innerhalb einer Woche den Versicherungsfall unter möglichst genauer Angabe des Sachverhaltes sowie die Einleitung eines damit im Zusammenhang stehenden verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Verfahrens schriftlich mitzuteilen."
Die AKB/***** 2000 lauten auszugsweise:
„Artikel 1
Umfang der Versicherung
1. Versichert sind das Fahrzeug und seine Teile, die im versperrten Fahrzeug verwahrt oder an ihm befestigt sind, gegen Schädigung, Zerstörung und Verlust:
...
1.2 In der Vollkasko-Versicherung
...
1.2.4 Durch Berührung des in Bewegung befindlichen Fahrzeuges mit Haarwild auf Straßen mit öffentlichem Verkehr;
...
Artikel 5
Obliegenheiten
1. Es gelten die Allgemeinen Obliegenheiten im Sinn des Artikel 5 AFIB/***** 96.
2. Darüber hinaus werden als Obliegenheiten im Sinne des § 6 Abs 3 VersVG 1958 bestimmt,
...
2.2 dass ein Schaden, der durch Diebstahl, Raub, ... Wild oder durch mut- oder böswillige Handlung betriebsfremder Personen entsteht, vom Versicherungsnehmer oder Lenker bei der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle unverzüglich anzuzeigen ist."
Johannes B***** wohnte bis Herbst 2004 im Mehrparteienhaus des Klägers. Er wollte Ende 2004 aus der gemieteten Wohnung ausziehen. Am Abend des 30. 11. 2004 half der Kläger Johannes B***** beim Beladen seines Autos. Johannes B***** fuhr mit seinem PKW von der Wohnung in ***** Richtung G***** und hielt eine Geschwindigkeit von ca 30 km/h ein. Der Kläger fuhr „quasi zeitgleich" weg und hinter Johannes B***** nach. Nach etwa 300 oder 400 m Fahrt auf der H*****straße überquerten Rehe die Fahrbahn, weshalb Johannes B***** seinen PKW abbremste. Der mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h nachkommende Kläger bremste ebenfalls und lenkte sein Fahrzeug nach rechts. Er kollidierte mit der linken vorderen Front seines Fahrzeugs noch knapp mit dem rechten hinteren Eck des vor ihm fahrenden PKWs, wobei seine Kollisionsgeschwindigkeit ca 40 km/h betrug. Es kann nicht festgestellt werden, ob Johannes B***** zum Zeitpunkt der Kollision stehen geblieben war oder ob sich sein Auto noch mit einer geringen Bremsverzögerung nach vorne bewegte. Das Fahrzeug des Klägers kam rechts von der Fahrbahn ab und prallte mit einer Geschwindigkeit von 25 km/h gegen einen am Rand stehenden Baum. Der Unfall ereignete sich zwischen 20 und 22 Uhr. Am Fahrzeug des Klägers trat durch die Kollision ein Totalschaden ein. Der Restwert beträgt 13.600 EUR. Der beschädigte PKW konnte über die Restwertbörse um 5.400 EUR verkauft werden.
Der Kläger begehrt Deckung aus der Kaskoversicherung. Er habe alles zur Klärung des Sachverhalts getan und den Unfall bereits am nächsten Tag seinem Versicherungsvertreter gemeldet, der die Schadensmeldung erstattet habe. Es habe keine Verletzungen gegeben, die diesbezügliche Angabe in der Schadensmeldung beruhe auf einem Missverständnis. Der Unfall sei nicht auf eine Berührung mit Wild zurückzuführen. Der Baum sei nicht beschädigt worden. Er habe keine Verpflichtung zur Verständigung der Polizei gehabt.
Die Beklagte beantragt die Klagsabweisung. Im Hinblick auf die Behauptung, dass sich der angebliche Unfall nur einige Stunden vor dem Ende der Versicherungszeit ereignet habe, habe die Beklagte Nachforschungen angestellt und erfahren, dass eine Versteigerung des versicherten Fahrzeugs unmittelbar bevorgestanden sei. Weiters habe die Beklagte ein anonymes Schreiben erhalten, wonach sich der Unfall nicht in der angegebenen Weise ereignet habe. Es sei ein Zeuge ausfindig gemacht worden, der angegeben habe, dass er erst rund drei Stunden nach dem behaupteten Unfallzeitpunkt Geräusche von der angeblichen Unfallstelle gehört habe. Im Zuge eines vom Zeugen B***** gegen den Beklagten angestrengten Verfahrens habe sich herausgestellt, dass die von den beteiligten Personen abgegebene Unfallschilderung nicht mit den objektiv vorhandenen Spuren in Einklang zu bringen gewesen sei. Es werde daher bestritten, dass sich der in der Klage behauptete Verkehrsunfall ereignet habe. Der Kläger sei verpflichtet gewesen, die nächste Polizeidienststelle unverzüglich aufzusuchen, weil ein Schaden durch Wild entstanden und dabei eine Verletzung einer Person und eine Beschädigung eines Baums verursacht worden seien. Wäre die gesetzlich vorgesehene Meldung des Unfalls erfolgt, so wären sowohl der Unfallzeitpunkt als auch der Unfallhergang sowie eine allfällige Beeinträchtigung der beteiligten Lenker (etwa durch Alkohol) ohne weiteres objektivierbar gewesen. Mangels einer derartigen Meldung seien nur mehr die Angaben der am Unfall beteiligten Lenker, die noch dazu befreundet seien, verfügbar. Dazu komme, dass im Hinblick auf die unrichtige Angabe in der Schadensmeldung, dass ohnedies eine behördliche Aufnahme des Unfalls erfolgt sei, weitergehende unverzügliche Maßnahmen zur Schadensfeststellung begreiflicherweise unterblieben seien. Hätte der Kläger seine Obliegenheit nicht verletzt, wäre die Feststellung der Leistungspflicht durch die Beklagte ohne weiteres möglich gewesen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat die Ansicht, es habe sich kein Hinweis gefunden, der die vom Kläger behauptete Variante des Unfalls mit Sicherheit ausschließe. Der Kaskoversicherungsvertrag sei zum Unfallzeitpunkt noch aufrecht gewesen. Es liege kein Wildschaden vor. Es habe sich nicht ergeben, dass der Kläger nicht nach Möglichkeit zur Feststellung des Sachverhalts beigetragen habe.
Das Berufungsgericht bestätigte das angefochtene Urteil und ergänzte es um folgende Feststellungen:
Die am 6. 12. 2004 bei der Landesdirektion der Beklagten eingelangte Schadensanzeige wurde vom in der Versicherungspolizze als Betreuer des Klägers angeführten Ernst B***** unterfertigt, wobei er vor seiner Unterschrift den Vermerk „lt. Tel. iV" anbrachte. In der Schadensmeldung scheint als Datum des Unfalls „30. 11. 2004", als Unfallzeit „19:30 Uhr" auf. Unter der Rubrik „Behördliche Aufnahme" wurde „ja" angekreuzt. Zum Schadenshergang wurde ausgeführt: „PKW B***** bremste wegen einem Reh ab, T***** verriss seinen PKW und beschädigte hinten den PKW des B*****. PKW des T***** schleuderte gegen einen Baum". Es wurde angeführt, dass sich der Kläger am Fuß verletzt habe, und unter der Rubrik „Beschädigte Sachen" wurde „Baum" eingetragen sowie angeführt, dass am PKW des Klägers vermutlich Totalschaden eingetreten sei. Die Schadensanzeige enthielt auch die Ermächtigung der Beklagten, in alle den Vorfall betreffenden Akten bei Behörden und Gericht Einsicht zu nehmen. Die Fahrzeuge wurden von einem Angestellten der Beklagten am 2. 12. 2004 besichtigt. Am 10. 12. 2004 fanden die ersten Ermittlungen des zuständigen Mitarbeiters der Beklagten wegen des Verdachts eines fingierten Unfalls statt. In den folgenden Tagen führte er weitere Ermittlungen und Vernehmungen der Beteiligten durch, unter anderem fotografierte er am 12. 12. 2004 und am 17. 12. 2004 auch die Anstoßstelle am Baum, gegen den der PKW des Klägers gestoßen war. Am Baum war nur eine ganz geringfügige und kaum sichtbare Abschürfung der Rinde vorhanden, wobei die Rinde in keinem Bereich entfernt war. Außerdem gab es ganz geringfügige und kaum sichtbare Lackabsplitterungen am Baum, die dem Mitarbeiter der Beklagten bei der ersten Besichtigung nicht aufgefallen waren.
Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsansicht, dass der Kläger nach Artikel 5.2.2 AKB/***** 2000 nicht zur Anzeige verpflichtet gewesen sei, weil die am Unfall Beteiligten einander gekannt hätten und der Schaden nicht durch Berührung mit einem Wild verursacht worden sei. Der Kläger habe die Obliegenheit nach Artikel 5.3.1 AFIB/***** 96 nicht verletzt. Er sei weder wegen einer allfälligen Verletzung am eigenem Bein noch wegen der geringfügigen Spuren am Baum, deren Folgen ohne Kostenaufwand zu beseitigen gewesen seien oder vom Betroffenen gar nicht als Beschädigung aufgefasst worden wären, zur Verständigung der nächsten Polizeidienststelle gemäß § 4 Abs 5 StVO verpflichtet gewesen. Der Kläger habe jedoch in der Schadensmeldung unrichtig bejaht, dass eine behördliche Unfallaufnahme erfolgt sei. Es liege daher der objektive Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung gemäß Artikel 5.3.2 AFIB/***** 96 vor. Der Kläger habe zwar kein ausdrückliches Vorbringen zum Fehlen des Schädigungs- bzw Täuschungsvorsatzes erstattet, das Gericht könne aber den Mangel am Verschulden oder an der Kausalität auch ohne formellen Beweisantritt berücksichtigen, wenn die Sachlage dazu Anlass biete. Aus dem Sachverhalt ergäben sich keine Anhaltspunkte für einen Schädigungs- oder Täuschungsvorsatz des Klägers, weil jedem Versicherungsnehmer klar sein müsse, dass die Versicherung im Fall der Behauptung einer behördlichen Unfallaufnahme sofort versuchen werde, in den Behördenakt Einsicht zu nehmen und sich dabei die Unrichtigkeit einer solchen Behauptung erkennen lasse. Eine solche unrichtige Behauptung sei somit nicht geeignet, die Versicherungsleistung schneller und problemloser zu erhalten oder den Versicherer in die Irre zu führen. Es könne daher nicht angenommen werden, dass eine Irreführung vom Kläger beabsichtigt worden sei oder dass er eine solche auch nur ernstlich für möglich gehalten habe. Dem Kläger sei daher die Erbringung des Kausalitätsgegenbeweises offen gestanden. Die Beklagte habe nicht dargetan, welche für die Aufklärung des Versicherungsfalls notwendigen Feststellungen durch die Obliegenheitsverletzung verhindert worden seien. Sie habe bereits wenige Tage nach Einlangen der Schadensmeldung mit Nachforschungen angefangen. Es sei nicht erkennbar, welche über die ohnedies angestellten Erhebungen hinausgehende Ermittlungen noch unternommen worden wären, wenn in der Schadensmeldung nicht die behördliche Unfallaufnahme behauptet worden wäre. In einem solchen Fall, in dem nach menschlichem Ermessen durch die Obliegenheitsverletzung eine Beeinträchtigung der Beklagten nicht eingetreten sein könne, erübrige sich sogar der Antritt des Kausalitätsgegenbeweises.
Das Berufungsgericht sprach auf Antrag der Beklagten nach § 508 Abs 1 ZPO aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es im erstinstanzlichen Urteil keine Feststellungen dazu gebe, warum in der Schadensmeldung unrichtige Angaben, insbesondere betreffend behördliche Unfallaufnahmen, enthalten seien. Das Fehlen eines Schädigungs- oder Täuschungsvorsatzes müsse nach der Judikatur vom Versicherungsnehmer nachgewiesen werden. Da dazu keine Feststellungen vorlägen, könnte in der Unterstellung des Fehlens eines derartigen Vorsatzes ein Abgehen von der Judikatur des Obersten Gerichtshofs erblickt werden.
Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beteiligte sich am Revisionsverfahren nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist auch berechtigt.
Eine Anzeigeobliegenheit nach Art 5.2.2 AKB/***** 2000 bestand für den Kläger nicht. Aus Art 1.1.2.4 AKB/***** 2000 ergibt sich, dass Deckung nur für Schäden besteht, die durch Berührung mit Haarwild entstehen. Die Anzeigeobliegenheit nach Art 5.2.2 AKB/***** 2000 kann sich daher nur auf solche Schadensfälle beziehen. Diese Bestimmungen setzten eine Berührung mit Haarwild voraus. Hier hatte aber keiner der unfallbeteiligten Fahrzeuge einen direkten Kontakt mit Wild. Der Unfall war ein Auffahrunfall. Aus welchen Gründen das vor dem Kläger fahrende Fahrzeug abgebremst wurde, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Nach ständiger Rechtsprechung verletzt der Versicherungsnehmer seine Aufklärungspflicht dann, wenn er einen von ihm verursachten Verkehrsunfall der nächsten Polizeidienststelle nicht meldet, sofern er zur sofortigen Anzeigeerstattung nach § 4 StVO verpflichtet ist und im konkreten Fall etwas verabsäumt wurde, das zur Aufklärung des Sachverhalts dienlich gewesen wäre. Die Übertretung des § 4 Abs 5 StVO ist für sich allein nicht schon einer Verletzung der Aufklärungspflicht gleichzuhalten. Es ist vielmehr notwendig, dass ein konkreter Verdacht in bestimmte Richtung durch objektives „Unbenützbarwerden" (objektive Beseitigung) eines Beweismittels infolge Unterlassung der Anzeige im Nachhinein nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Der konkrete Verdacht und die Unbenützbarkeit des Beweismittels infolge Unterlassung der Anzeige muss vom Versicherer behauptet und bewiesen werden (RIS-Justiz RS0043520). Vom Versicherungsnehmer ist in Entsprechung der Allgemeinen Bedingungen und § 4 Abs 5 StVO zu verlangen, nach einem Unfall in jedem Fall einer wahrgenommenen Verletzung einer Person oder Beschädigung von fremden Sachgütern ohne jede Rücksicht auf die anscheinende Geringfügigkeit dieses Schadens eine Polizeianzeige zu erstatten (RIS-Justiz RS0074495). Die Höhe des Schadens selbst ist ohne Bedeutung. Selbst geringfügige Beschädigungen wie Kratzer im Lack oder eine Deformierung der Stoßstange sind tatbildlich (VwGH 12. 11. 1987, 87/02/0134, VwGH 12. 10. 1984, 84/02/0114). Auch das Abschürfen der Rinde eines Baums löst die Meldepflicht aus (VwGH 25. 9. 1991, 90/02/0217). Eine Unfallmeldung kann nur unterlassen werden, wenn ausschließlich der den Unfall verursachende Lenker, der zugleich Versicherungsnehmer ist, verletzt oder sein eigenes Fahrzeug beschädigt wurde (RIS-Justiz RS0074483).
Ob schon wegen der festgestellten Abschürfung am Baum eine Anzeigeobliegenheit bestand, kann allerdings hier dahin gestellt bleiben. Der Kläger hat nämlich jedenfalls seine Aufklärungsobliegenheit verletzt, und zwar insofern, als wahrheitswidrig von seinem (unstrittig ihm zuzurechnenden) Vertreter in der Schadensmeldung behauptet wurde, dass eine Unfallanzeige bei der nächstgelegenen Polizeidienststelle erfolgt sei und (nach dem eigenen Vorbringen des Klägers) der Kläger am Bein durch den Unfall verletzt worden sei.
Das Vorliegen des objektiven Tatbestands der Obliegenheitsverletzung ist also erwiesen. In diesem Fall ist es Sache des Versicherungsnehmers, zu behaupten und zu beweisen, dass er die ihm angelasteten Obliegenheitsverletzungen weder vorsätzlich noch grob fahrlässig begangen hat (RIS-Justiz RS0081313). Eine nur leichte Fahrlässigkeit bleibt ohne Sanktion (RIS-Justiz RS0043728). Gelingt dem Versicherungsnehmer der Beweis der leichten Fahrlässigkeit nicht, so steht ihm nach § 6 Abs 1 VersVG auch bei (schlicht) vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzung der Kausalitätsgegenbeweis offen (RIS-Justiz RS0086335). Unter Kausalitätsgegenbeweis ist der Nachweis zu verstehen, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers einen Einfluss gehabt hat (RIS-Justiz RS0116979). Der Kausalitätsgegenbeweis ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit mit Schädigungs- oder Täuschungsvorsatz verletzt, also mit dem Vorsatz handelt, die Leistungspflicht des Versicherers zu beeinflussen oder die Feststellung solcher Umstände zu beeinträchtigen, die erkennbar für die Leistungspflicht des Versicherers bedeutsam sind (RIS-Justiz RS0109766). Der Versicherungsnehmer muss in diesem Fall nachweisen, dass es ihm bei der Obliegenheitsverletzung am Täuschungsvorsatz mangelt (vgl RIS-Justiz RS0081253). Der Kausalitätsgegenbeweis ist strikt zu führen. Ein wirksamer Gegenbeweis setzt voraus, dass ihm eine Beweislage zugrunde liegt, die jener gleichwertig ist, die der Versicherte durch seine Obliegenheitsverletzung zerstört oder eingeschränkt hat (RIS-Justiz RS0081225). Für die Annahme eines dolus coloratus würde schon genügen, wenn die Obliegenheitsverletzung in der Absicht erfolgt, die Versicherungsleistung schneller und problemloser zu erhalten oder wenn feststeht, dass der Versicherer in die Irre geführt werden soll (7 Ob 222/02a, 7 Ob 105/02w, 7 Ob 102/01b).
Die Frage, ob der Versicherungsnehmer mit dolus coloratus gehandelt hat, ist eine Tatfrage. Feststellungen zu den Handlungsmotiven des Klägers fehlen. Der Kläger hat es sogar unterlassen, darzulegen, warum wahrheitswidrig das Vorliegen einer Unfallanzeige behauptet wurde. Es ist unter diesen Umständen dem Berufungsgericht verwehrt, im Rahmen der rechtlichen Beurteilung das Vorliegen des dolus coloratus ohne jegliches Tatsachensubstrat zu verneinen. Seine Argumentation ist überdies auch in sich nicht schlüssig. Der Umstand allein, dass eine Angabe relativ leicht bei Nachforschungen als falsch erkannt werden kann, lässt noch nicht den Schluss auf das Fehlen eines Täuschungsvorsatzes zu, kann doch - sei es zu Recht oder zu Unrecht - vom Versicherungsnehmer damit gerechnet werden, die Angaben würden im Einzelfall nicht überprüft werden. Nicht einmal der insoweit behauptungs- und beweispflichtige Kläger hat das Vorliegen eines Täuschungsvorsatzes ausdrücklich bestritten. Das Berufungsgericht hätte daher nicht ohne entsprechende Feststellungen vom Fehlen eines dolus coloratus ausgehen dürfen. Eine Ergänzung des Verfahrens konnte aber aus folgenden Erwägungen unterbleiben:
Für die Annahme eines Vorsatzes genügt das allgemeine Bewusstsein, dass ein Haftpflichtversicherter bei der Aufklärung des Sachverhalts nach besten Kräften aktiv mitwirken muss. Dieses Bewusstsein ist heute bei einem Versicherten in der Regel vorauszusetzen (RIS-Justiz RS0080477). Der Kläger hat das Vorliegen nur leichter Fahrlässigkeit nicht bewiesen. Den Kausalitätsgegenbeweis, dass die falsche Angabe über die Unfallanzeige keinen Einfluss auf die Feststellung der Leistungspflicht des Versicherers gehabt hätte, hat der Kläger weder angetreten noch erbracht. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Beklagte bei einer noch früheren Untersuchung (abgesehen von der Besichtigung der Fahrzeuge) noch mehr verwertbare objektive Spuren hätte auffinden können.
Die Beklagte ist somit leistungsfrei.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die USt für die Revision beträgt nur 123,71 EUR.
Textnummer
E91874European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00097.09D.0902.000Im RIS seit
02.10.2009Zuletzt aktualisiert am
07.05.2013