TE OGH 2009/9/2 7Ob75/09v

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Veröffentlicht am 02.09.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Versicherungs-Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Raits Bleiziffer Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, gegen die beklagte Partei Gebhard S*****, vertreten durch Altenweisl Wallnöfer Watschinger Zimmermann Rechtsanwälte GmbH in Innsbruck, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei V***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Helmut Gruber, Rechtsanwalt in St. Jakob in Haus, wegen 4.592 EUR sA, über die Revisionen der klagenden und beklagten Partei und der Nebenintervenientin gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 10. Dezember 2008, GZ 53 R 249/08m-36, womit das Urteil des Bezirksgerichts Saalfelden vom 25. April 2008, GZ 2 C 203/08k-26, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionen aller Parteien werden zurückgewiesen.

Die Parteien haben jeweils die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen selbst zu tragen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es an oberstgerichtlicher Rechtsprechung dazu fehle, wie eine schiedsgerichtliche Kostenentscheidung (gemeint: Vereinbarung über die Tragung der Kosten der Ärztekommission in der Unfallversicherung) nach Treu und Glauben und redlicher Verkehrsanschauung gestaltet sein solle, wenn im Vertrag eine nichtige, betraglich unbeschränkte Kostenersatzpflicht vereinbart worden sei.

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts sind die Revisionen mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage unzulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Kostenersatztragungsklausel in Art B.18.7 der UVB 2002 U102 (in der Folge UVB 2002) lautet:

„Die Kosten der Ärztekommission werden von ihr festgesetzt und sind im Verhältnis des Obsiegens vom Versicherer und Versicherungsnehmer zu tragen. ..."

Im ersten Rechtsgang hat der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung vom 12. 12. 2007, 7 Ob 202/07t ausgesprochen, dass die Kostentragungsklausel im fakultativ vereinbarten Schiedsgutachterverfahren wegen der unbegrenzten Kostentragungspflicht für den Versicherungsnehmer gröblich benachteiligend nach § 879 Abs 3 ABGB und nichtig sei, weil sie seine Rechtsposition zu seinem Nachteil gegenüber der gerichtlichen Durchsetzung ohne sachlichen Grund verschlechtere. Es sei eine Vertragsanpassung nach den allgemeinen Regeln der Vertragsinterpretation und der Vertragsergänzung vorzunehmen.

Im zweiten Rechtsgang möchte es die Klägerin bei der unbeschränkten Kostenersatzpflicht des Beklagten belassen und die Kosten der Mitglieder der Ärztekommission durch die Gebührensätze des Gebührenanspruchsgesetzes (GebAG) nach oben hin deckeln. Zu einer allgemeinen Verkehrssitte oder dazu, wie die Kostentragung sonst von den beteiligten Verkehrskreisen gehandhabt wird, erstattet die Klägerin kein Vorbringen.

Der Beklagte und die Nebenintervenientin beharren darauf, dass der Beklagte überhaupt nicht zum Kostenersatz verpflichtet sei. Treu und Glauben könnten sich höchstens an § 43 Abs 1 und Abs 3 ZPO orientieren, sodass Fehleinschätzungen des Versicherungsnehmers in der Höhe seiner Forderungen nie zu seinem Nachteil ausschlagen könnten und das außergerichtliche Leistungsverfahren „als Gesamtheit" zu sehen sei, sodass bereits erfolgte Zahlungen des Versicherers nicht bei einer Obsiegens- und Unterliegensquote zu berücksichtigen seien.

Aufgrund lediglich eines vom Beklagten angebotenen Zeugenbeweises stellte das Erstgericht im zweiten Rechtsgang fest, dass in den Bedingungen der allermeisten Unfallversicherer ein Ärztekommissionsverfahren vorgesehen sei, jedoch Beschränkungen der Kostenersatzpflicht des Versicherungsnehmers bestünden, und zwar „nach unterschiedlichen Kriterien, manche mit einem bestimmten Prozentsatz der Versicherungssumme, andere wiederum mit einem bestimmten Teil des strittigen Betrags oder ähnlich".

Aufgrund der vom Beklagten vorgelegten, von der Klägerin nicht substanziiert bestrittenen Urkunden steht weiters unbestritten fest (worauf das Berufungsgericht seine Entscheidung stützt):

In den unverbindlichen Musterbedingungen des Verbandes der Versicherungsunternehmen Österreichs (AUVB 2002) ist zu Art 16.7 vorgesehen:

„Die Kosten der Ärztekommission werden von ihr festgesetzt und sind im Verhältnis des Obsiegens der Parteien zu tragen. ... Der Anteil der Kosten, den der Anspruchsberechtigte zu tragen hat, ist mit ... % der für Tod und Invalidität zusammen versicherten Summe, höchstens jedoch mit ... % des strittigen Betrages, begrenzt."

Dem folgend haben drei (von der Klägerin verschiedene) Versicherer (Allgemeine Bedingungen aus 2004, 1982 und mit unbekanntem Datum) den Anteil des Versicherungsnehmers an der Kostentragung begrenzt mit 1 % der Versicherungssumme für Tod und Invalidität zusammen, höchstens jedoch mit 25 % des strittigen Betrags. Die Klägerin hatte dieselbe Begrenzung in ihren früheren Bedingungen (1981) vorgesehen.

Als Mittel der ergänzenden Vertragsauslegung kommen der hypothetische Parteiwille, die Übung des redlichen Verkehrs, der Grundsatz von Treu und Glauben sowie die Verkehrsauffassung in Betracht, wobei unter diesen Aspekten keine feste Rangfolge besteht, sondern unter Berücksichtigung aller Möglichkeiten die Lücke so zu schließen ist, wie es der Gesamtregelung des Vertrags gemessen an der Parteienabsicht am besten entspricht (RIS-Justiz RS0017832). Die Vertragsauslegung ist nach ständiger Judikatur grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042936, RS0044358, RS0112106). Dies muss auch für den vorliegenden Fall gelten. Die ergänzende Vertragsauslegung hat sich am hypothetischen Willen der konkreten Vertragsparteien zu orientieren, und es ist ihr durch das Vorbringen der Parteien und durch den unstrittigen und festgestellten Sachverhalt ein Rahmen gesteckt.

Im vorliegenden Fall ist ein hypothetischer gemeinsamer Parteienwille nicht feststellbar. Dies hat nicht Dissens zur Folge, wie der Beklagte nunmehr vermeint, weil der Vertragsabschluss durch übereinstimmende Willenserklärungen, die die nichtige Klausel umfassten, erfolgte und sich der Beklagte mit einer Kostentragung bereits einverstanden erklärt hatte.

Der Oberste Gerichtshof hat bereits im ersten Rechtsgang dargelegt, dass das Fehlen von objektiven Kriterien für die Bemessung und die fehlende Überprüfungsmöglichkeit um so schwerer wiegt, wenn die zu ersetzenden Kosten keiner Begrenzung unterliegen. Den in 7 Ob 202/97t dargelegten Grundsätzen, auf die verwiesen wird, entspricht die analoge Anwendung der Bestimmungen des GebAG mangels objektiver Überprüfung und nicht vorweg absehbarer (unbegrenzter) Kosten nicht. Gleiches gilt für die analoge Anwendung des § 43 ZPO. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Argument des Beklagten, das Verfahren sei als „Gesamtheit" zu sehen, sodass die erfolgte Zahlung nicht zu berücksichtigen sei, unverständlich ist und auch nicht § 43 ZPO entspricht. Der Beklagte ist in jedem Verfahren als zu 100 % unterlegen anzusehen, weil die Klägerin entsprechend ihrer Einschätzung der Unfallsfolgen bereits vor Einleitung des Ärztekommissionsverfahrens Zahlung leistete und die Ärztekommission ihre Einschätzung zur Gänze bestätigte, der Beklagte also nicht mehr erhielt als vor Befassung der Kommission.

Das Verfahren vor der Ärztekommission ist ein Schiedsgutachterverfahren im Sinn des § 64 VersVG (RIS-Justiz RS0081371). Eine analoge Anwendung der Kostenregeln über das Schiedsverfahren nach der ZPO scheidet schon deshalb aus.

Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass sich die Vertragsergänzung nach Treu und Glauben hier im Einzelfall am besten an den bewiesenen, im Verkehr gepflogenen Beschränkungen der Kostenersatzpflicht der Höhe nach mit 1 % der Versicherungssumme für Tod und Invalidität zusammen, höchstens jedoch 25 % des strittigen Betrags zu orientieren hat, hält sich im Hinblick auf die Höhe des strittigen Betrags und die Art der Untersuchungen im Rahmen der Judikatur und ist im Einzelfall nicht zu beanstanden. Die Klägerin selbst hatte die gleichlautende Beschränkung ihren AUVB 1981 zugrundegelegt.

Die Zahlung des Beklagten von 1.575 EUR wurde vom Berufungsgericht ohnedies berücksichtigt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 40 ZPO. Die Rechtsmittelbeantwortungen dienten nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, sie wiesen nicht auf die Unzulässigkeit der Rechtsmittel hin.

Textnummer

E91910

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00075.09V.0902.000

Im RIS seit

02.10.2009

Zuletzt aktualisiert am

13.01.2014
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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