TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/14 98/20/0560

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Veröffentlicht am 14.12.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des CE (alias VO) in H, geboren am 14. August 1958, vertreten durch Dr. Peter Weidisch, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Erzabt Klotz-Straße 8, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Oktober 1998, Zl. 201.982/0-V/13/98 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Liberias, reiste am 16. September 1992 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 18. September 1992 die Gewährung von Asyl. Als Fluchtgründe gab der Beschwerdeführer an, er habe sein Leben retten wollen; dieses sei sowohl in Liberia wegen der dortigen Bürgerkriegssituation als auch in Nigeria, wo er zuletzt zwei Jahre gearbeitet habe, wegen der häufigen Ausschreitungen und Morde und des bevorstehenden Ausbruches eines Bürgerkrieges in Gefahr.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. Oktober 1992 wurde der Antrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er die politische (Bürgerkriegs)situation in den beiden Staaten erneut schilderte und darüber hinaus geltend machte, er habe in Liberia im Bürgerkrieg auf keiner Seite gekämpft, sei aber einer Zwangsrekrutierung der Truppen Taylors nur mit Hilfe der ECOMOG-Truppen, deren Anhänger er sei, entkommen. Er sei kein Anhänger Taylors und daher im Falle seiner Rückkehr auf Grund seiner politischen Gesinnung mit dem Tode bedroht.

Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 29. Juli 1998 einen Bericht der österreichischen Botschaft vom April 1998 über die Situation in Liberia vor, wonach sich die Lage soweit entspannt habe, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers nicht mehr vorlägen.

In einer Stellungnahme vom 31. August 1998 brachte der Beschwerdeführer erstmals vor, er habe sich in Liberia politisch als Jugendsekretär der GNPFL (einer Abspaltung der NPFL Taylors), die sich wegen ihres gemäßigteren Kurses auch die Feindschaft Taylors zugezogen habe, betätigt und er müsse aus diesem Grund mit politischer Verfolgung von Seiten Taylors rechnen, selbst wenn zwischenzeitig einigermaßen demokratische Wahlen möglich sein sollten. Im innenpolitischen Bereich sei noch keinesfalls Frieden eingetreten, sondern sei dringend zu befürchten, dass Anhänger anderer Parteien (erg.: als der NPFL), insbesondere die der GNPFL, weiterhin politisch verfolgt würden. Dies sei auch der Grund für seine übrigen Familienmitglieder, die ebenfalls ins Ausland geflüchtet seien, nicht nach Liberia zurückzukehren. Auf Grund seiner politischen Tätigkeit für die GNPFL bestünden Ressentiments gegen ihn und er befürchte Verfolgung aus politischen Gründen, weshalb er eine neuerliche Anfrage über die von ihm genannten "Punkte" (im Sinne einer Bestätigung oder Klarstellung) bei der österreichischen Botschaft anrege.

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76 (AsylG), abgewiesen. Die belangte Behörde sprach dem Vorbringen des Beschwerdeführers im Berufungsverfahren über seine politische Betätigung die Glaubwürdigkeit ab und beurteilte die übrigen Fluchtgründe des Beschwerdeführers dahingehend, dass die Angst des Beschwerdeführers im Rahmen des Bürgerkrieges zwangsrekrutiert zu werden, ohne Hinzutreten weiterer konkreter Gefährdungselemente nicht zur Asylgewährung führen könne. Darüber hinaus habe sich die Situation in Liberia mittlerweile grundlegend geändert, sodass es dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr jedenfalls möglich sei, sich unter den Schutz der ECOMOG-Friedenstruppen zu begeben und er eine Behelligung durch Angehörige der ehemaligen Rebellenarmee nicht zu befürchten habe. Die Stellungnahme der österreichischen Botschaft, der im Übrigen eine höhere Beweiskraft im Verfahren beizumessen sei, habe der Beschwerdeführer nicht substantiiert bestritten. Es sei dem Beschwerdeführer die Glaubhaftmachung einer konkret gegen ihn gerichteten Verfolgungshandlung daher nicht gelungen, zumal auf Grund der grundlegend geänderten Verhältnisse im Heimatstaat die Gründe, die den Antragsteller angeblich zum Verlassen seines Heimatlandes bewogen hätten, jedenfalls nicht mehr vorlägen.

Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG habe die mündliche Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat entfallen können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage unter zentraler Berücksichtigung des Vorbringens des Beschwerdeführers in Verbindung mit der Berufung und dem Länderbericht geklärt gewesen sei; aus diesem Grund erübrige sich auch die Einholung eines weiteres Situationsberichtes.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Im hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Verweis auf die Begründung im hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, die rechtlichen Voraussetzungen für das Absehen von einer Verhandlung durch die belangte Behörde dargestellt und ausgeführt, die auch im vorliegenden Fall gewählte Begründung für ein solches Vorgehen treffe zu, wenn der Sachverhalt "nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt" und in der Berufung "kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet" werde. Der Verwaltungsgerichtshof fügte in dem bezogenen Vorerkenntnis hinzu, dies ergebe sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers.

Die belangte Behörde hätte daher im vorliegenden Fall schon deshalb eine mündliche Verhandlung durchführen müssen, weil sie selbst ein Ermittlungsverfahren führte und gestützt auf dessen Ergebnisse zusätzliche, neue Sachverhaltsfeststellungen traf (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zl. 99/20/0156). Darüber hinaus ergibt sich die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung im vorliegenden Fall auch daraus, dass die belangte Behörde den Angaben des Beschwerdeführers im Schriftsatz vom 31. August 1998 die Glaubwürdigkeit aberkannte; die belangte Behörde hätte aber ohne persönliche Einvernahme des Beschwerdeführers dieses - wegen Fehlens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise erstattete - Vorbringen nicht deshalb als unglaubwürdig einstufen dürfen, weil der Beschwerdeführer Angaben zu seiner politischen Betätigung erst in diesem Verfahrensstadium erstattet habe (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 23. März 2000, Zl. 98/20/0520, und vom 8. Juni 2000, Zl. 98/20/0398).

Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Dies ist im vorliegenden Fall aber nicht auszuschließen.

Wäre die belangte Behörde nämlich auf Grund des vom Beschwerdeführer anlässlich der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks zur Auffassung gelangt, auch das Vorbringen über seine politische Betätigung in Liberia (als Jugendsekretär einer Partei, die sich die Feindschaft der an der Regierung befindlichen Partei zugezogen habe) und über die politische Lage in Liberia sei glaubwürdig, so ist nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer als Gegner der Regierungspartei Taylors mit einer aus politischen Gründen gezielt gegen ihn gerichteten Verfolgung, die über die allgemeine Gefahrensituation eines Bürgerkriegs hinausginge, hätte rechnen müssen.

Daran vermag auch die von der belangten Behörde ergänzend ins Treffen geführte Änderung der politischen Verhältnisse im Heimatland des Beschwerdeführers nichts zu ändern, zumal dem von der belangten Behörde herangezogenen Bericht der österreichischen Botschaft - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt - nicht entnommen werden kann, wie sich die Situation von zurückkehrenden Personen darstellt, die sich politisch gegen die nunmehrige Regierungspartei betätigt hatten und während des Bürgerkrieges einem Zwangsrekrutierungsversuch der dieser Partei zuzurechnenden Rebellentruppen nur mit Hilfe der ECOMOG-Truppen entziehen konnten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Februar 1999, Zl. 98/20/0423).

Es ist daher nicht auszuschließen, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des ihr unterlaufenen Verfahrensmangels zu einem anderen Verfahrensergebnis gelangt wäre; der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert werden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 14. Dezember 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1998200560.X00

Im RIS seit

14.02.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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