Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Vanessa C*****, und des mj Dennis C*****, infolge Revisionsrekurses der durch die Bezirkshauptmannschaft Bregenz vertretenen Kinder gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 9. Juni 2009, GZ 3 R 163/09g-U27, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Bregenz vom 6. Mai 2009, GZ 14 P 83/07x-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über den Antrag des Obersten Gerichtshofs vom 17. Dezember 2008, AZ 7 Ob 223/08g, eine Wortfolge in § 42 sowie § 43 Abs 1 KBGG idF BGBl I 2007/76, als verfassungswidrig aufzuheben, unterbrochen.
Die Fortsetzung des Verfahrens findet von Amts wegen statt.
Text
Begründung:
Der Vater wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Erstgerichts vom 29. 4. 2008 ab 1. 7. 2007 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von 358 EUR bzw von 302 EUR verpflichtet. Mittlerweile hat er wieder geheiratet und ist für ein weiteres Kind aus der neuen Ehe sorgepflichtig. Seine Ehefrau bezieht Kinderbetreuungsgeld. Der Vater erhält ein monatliches Nettoeinkommen von durchschnittlich 2.005 EUR. Dieses steht ihm wegen eines gerichtlichen Abschöpfungsverfahrens jedoch nur zu einem Teil zur Verfügung.
Unter Berufung auf die geänderten Umstände beantragte der Vater die Herabsetzung seiner Unterhaltspflicht auf monatlich 241 EUR bzw 193 EUR.
Die Vorinstanzen gaben diesem Herabsetzungsbegehren statt. Das Rekursgericht führte unter anderem aus, die nunmehrige Ehegattin des Vaters sei als einkommenslos zu betrachten, weil das von ihr bezogene Kinderbetreuungsgeld nicht als Einkommen zu behandeln sei. Die Unterhaltspflicht gegenüber der Gattin sei auch bei der Bemessung der Unterhaltsansprüche der Kinder zu berücksichtigen.
Rechtliche Beurteilung
Tatsächlich sieht § 42 KBGG explizit vor, dass das Kinderbetreuungsgeld (und der Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld) weder als eigenes Einkommen des Kindes noch des beziehenden Elternteils gelten und deren Unterhaltsansprüche nicht mindern.
Da gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung Bedenken bestehen, ist das Verfahren über den Revisionsrekurs von Amts wegen zu unterbrechen.
Der 7. Senat des Obersten Gerichtshofs beantragte mit Beschluss vom 17. 12. 2008, AZ 7 Ob 223/08g, beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art 89 Abs 2 B-VG (Art 140 Abs 1 B-VG), in § 42 KBGG idF BGBl I 2007/76 die Wortfolge „noch des beziehenden Elternteils" und § 43 Abs 1 KBGG idF BGBl I 2007/76 als verfassungswidrig aufzuheben, hilfsweise in § 42 KBGG idF BGBl I 2007/76 die Wortfolge „noch des beziehenden Elternteils" als verfassungswidrig aufzuheben. Nach ständiger Rechtsprechung seien auch öffentlich-rechtliche Leistungen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Demgemäß habe der Oberste Gerichtshof auch ausgesprochen, dass das nach dem KBGG idF BGBl I 2001/103 bezogene Kinderbetreuungsgeld, das an die Stelle des Karenzgelds getreten sei, ebenso als Einkommen zu gelten habe und nicht zu einer Verkürzung der gesetzlichen Unterhaltspflichten des beziehenden Elternteils führe. Weiters vertrete der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass jener Elternteil, der seine Unterhaltsverpflichtung Kindern aus zweiter Ehe durch deren vollständige Betreuung im Haushalt erbringt, seine Lebensverhältnisse derart gestalten müsse, dass er sowohl seiner Geldalimentationspflicht als auch seiner Betreuungspflicht angemessen nachkommen könne. Die Unterhaltsansprüche von Kindern seien grundsätzlich gleichrangig. Es laufe dem Gleichheitsgrundsatz zuwider, wenn der Unterhaltspflichtige seinen Kindern aus zweiter Ehe volle Unterhaltsleistung in Form häuslicher Betreuung zuteil werden lasse, während er den Kindern aus erster Ehe den Geldunterhalt unter Berufung auf seine Einkommenslosigkeit verwehre.
Der Bestand der angefochtenen Wortfolge in § 42 KBGG ist auch im vorliegenden Fall präjudiziell, wäre doch im Fall der Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof das von der nunmehrigen Ehefrau des Vaters bezogene Kinderbetreuungsgeld als deren Einkommen zu betrachten, was auch auf seine Unterhaltspflicht gegenüber den bei seiner ersten (geschiedenen) Ehefrau befindlichen Minderjährigen Auswirkungen entfaltete.
Gemäß § 25 Abs 2 Z 1 AußStrG kann das Verfahren ganz oder zum Teil von Amts wegen oder auf Antrag unterbrochen werden, wenn eine Vorfrage über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses den Gegenstand eines anderen anhängigen oder eines von Amts wegen einzuleitenden Verfahrens vor einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde bildet, die Lösung der Vorfrage im anhängigen Verfahren nicht ohne einen erheblichen Verfahrensaufwand möglich und mit der Unterbrechung keine unzumutbare Verzögerung verbunden ist.
Der Zweck dieser Bestimmung - widersprechende Entscheidungen im Sinne der Einheit der Rechtsordnung zu verhindern - trifft im vorliegenden Fall zu (vgl 4 Ob 42/02h; 1 Ob 224/08k), wenngleich eine Unterbrechung wegen eines vor dem Verfassungsgerichtshof anhängigen präjudiziellen Verfahrens nicht ausdrücklich vorgesehen ist. Mit der Unterbrechung ist auch keine unzumutbare Verfahrensverzögerung verbunden, zumal amtsbekanntermaßen der Verfassungsgerichtshof den vom Obersten Gerichtshof gestellten Aufhebungsantrag vordringlich zu erledigen beabsichtigt. Nachdem es eine unsachliche Verschiedenbehandlung darstellte, würde der Verfassungsgerichtshof im Fall der Aufhebung der angefochtenen Bestimmungen die Wirkung der Aufhebung nicht über den Anlassfall hinaus erstrecken (vgl 4 Ob 42/02h), ist das Verfahren bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über die Anfechtung durch den Senat 7 des Obersten Gerichtshofs zu unterbrechen (vgl nur RIS-Justiz RS0124409, zuletzt 7 Ob 66/09w).
Textnummer
E92057European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00160.09Z.0908.000Im RIS seit
08.10.2009Zuletzt aktualisiert am
02.03.2012