TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/14 2000/20/0412

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Veröffentlicht am 14.12.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Hinterwirth, Dr. Strohmayer und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde der SI in Wien, geboren am 18. November 1979, vertreten durch Dr. Claudine Vartian, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Parkring 2, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Juli 2000, Zl. 216.941/0-V/15/00, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundeskanzleramt) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, ihren Angaben zufolge Staatsangehörige von Nigeria, betrat am 20. Mai 1999 unter Umgehung der Grenzkontrolle das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Asylantrag.

Bei ihrer Vernehmung durch das Bundesasylamt am 30. Juli 1999 gab sie auf die Frage, warum sie ihr Heimatland verlassen und in Österreich um Asyl angesucht habe, Folgendes an:

"Ich bin aus dem Heimatland geflüchtet, da mein Leben nicht mehr sicher war. Dies sind die Gründe meiner Flucht.

Frage: Wodurch war Ihr Leben nicht mehr sicher?

Antwort: Ich war im Palast des traditionellen Königs als Hilfe für die Gattin des Königs zuständig. Ich war für die Kinder dieser Gattin zuständig.

Frage: Welchen Namen hat dieser König gehabt?

Antwort: Dieser hatte den Namen 'Edonojie Aslem' und war der

traditionelle König von Uromi.

Frage: Warum sollten Sie getötet werden?

Antwort: Der älteste Sohn des Königs ist gestorben. Dieser sollte die Nachfolge des König antreten. Es ist bisher noch nicht vorgekommen, dass der Nachfolger des Königs zuerst gestorben ist. Aus diesem Grunde wurde das 'Orakel' befragt und ich sollte getötet werden, damit der Gott des Landes besänftigt wird.

Frage: Wann ist der Königsohn gestorben?

Antwort: Im November 1998.

Frage: Wann sollten Sie geopfert werden?

Antwort: Ich sollte Ende April 1999 geopfert werden. Ich muss

mich korrigieren. Ich sollte am 5.5.1999 geopfert werden.

(...)

Frage: Wie konnten Sie den Palast verlassen?

Antwort: Zwei Diener des Königs haben mir über den Zaun des Palastes geholfen und ich habe auf diesem Weg den Palast verlassen. Ich haben den Palast gegen Abend verlassen.

Frage: Haben Sie weitere Gründe für Ihre Flucht?

Antwort: Nein.

Frage: Hätten Sie nicht in einem anderen Teil des Heimatlandes außerhalb des Machtbereiches des Königs wohnen können?

Antwort: Ich habe von meinem Onkel in Cotonou gehört, dass nach mir gesucht werden würde.

Vorhalt: Sie hätten bei den staatlichen Organen Schutz suchen können.

Antwort: Ich nehme an, dass die staatlichen Organe nicht gegen die traditionellen Sitten vorgehen würden.

Frage: Wurden Sie von staatlichen Organen verfolgt?

Antwort: Nein."

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin als unbegründet ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei. Es schenkte den Angaben der Beschwerdeführerin, dass sie aus Angst davor, geopfert zu werden, um den Gott des Landes zu besänftigen, und dass sie in keinem anderen Teil ihres Heimatlandes Verfolgungssicherheit vor dem König hätte erlangen können, keinen Glauben und führte aus, dass es in Nigeria viele Könige gebe, deren Macht gebietsmäßig beschränkt sei. Die Tötung eines Menschen sei in Nigeria "per Gesetz verboten". Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass einer der Könige es riskiert hätte, die Beschwerdeführerin im gesamten Heimatland und damit auch im Machtbereich anderer König zu verfolgen und zu töten. Nigeria sei ein Großstaat und es gebe kein Meldewesen nach europäischem Standard. Es sei nicht wahrscheinlich, dass der erwähnte König die Beschwerdeführerin in anderen Teilen des Heimatlandes finden hätte können.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung, in der sie hervorhob, dass sie in Nigeria aus religiösen Gründen verfolgt werde. Sie hätte geopfert werden sollen, um die Götter zu besänftigen. Sie glaube nicht an diese Geister bzw. Götter und wolle am Leben bleiben. In Nigeria gebe es ein Telekommunikationssystem und Könige bzw. ihre Untergebenen würden miteinander telefonieren, wenn ein zukünftiges Opfer plötzlich geflohen sei. In den großen Städten lebten viele Menschen aus der Region der Beschwerdeführerin, die natürlich mittels Schneeballsystem informiert würden. Die Beschwerdeführerin könne sich nicht an die nigerianischen Behörden wenden, weil diese unter dem Einfluss der Könige stünden.

Die belangte Behörde führte eine mündliche Berufungsverhandlung durch, zu der die Beschwerdeführerin zwar ordnungsgemäß geladen wurde, jedoch nicht erschien.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und sprach gemäß § 8 AsylG (neuerlich) aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Nigeria zulässig sei.

Diese Entscheidung begründete die belangte Behörde - ausgehend davon, dass die Beschwerdeführerin, wie von ihr behauptet, zur Besänftigung von Göttern geopfert werden sollte - u. a. damit, dass die Beschwerdeführerin nicht einmal versucht habe, sich zwecks Abhilfe an die staatlichen Behörden zu wenden. Daraus ergebe sich kein Anhaltspunkt für eine mangelnde staatliche Schutzfähigkeit oder einen fehlenden staatlichen Willen zur Schutzgewährung in Bezug auf die geltend gemachte Befürchtung der Beschwerdeführerin, "von den Menschen ihrer Heimatregion in Befolgung eines Orakelspruches geopfert zu werden". Festzuhalten sei weiters, dass der Beschwerdeführerin angesichts der Größe ihres Heimatlandes wohl die Möglichkeit offen gestanden wäre, in einem anderen Teil Nigerias Zuflucht zu finden. Den gegenteiligen Ausführungen der Beschwerdeführerin werde keine Glaubwürdigkeit beigemessen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, in der Fassung BGBl. I Nr. 4/1999, (im Folgenden: AsylG) hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, (im Folgenden: FlKonv) ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

In der Beschwerde wird zu der Frage, ob es sich bei der von der Beschwerdeführerin behaupteten Bedrohung um eine private oder eine vom Staat ausgehende Bedrohung handelte, ausgeführt, die Bedrohung sei von einem "König" ausgegangen. Ein "König" verfüge auch im heutigen Nigeria über eine erhebliche Macht, die sich auf das im Heimatland der Beschwerdeführerin geltende Recht gründe. Es handle sich daher um eine Situation, die einem staatlichen Machtgefüge durchaus nahe komme, möge sie auch auf einen territorial eingegrenzten Bereich beschränkt sein. Zur Annahme der belangten Behörde, die Beschwerdeführerin hätte in einem anderen Teil Nigerias Zuflucht finden können, verweist die Beschwerde auf das Berufungsvorbringen der Beschwerdeführerin, wonach ein "gutes informelles System" bestehe und die Beschwerdeführerin gesucht und mit Sicherheit gefunden würde. In einem anderen Teil Nigerias wäre die Beschwerdeführerin durch ihren Dialekt aufgefallen und es wäre ihr auf Dauer nicht möglich gewesen, sich in einem anderen Teil Nigerias aufzuhalten, ohne befürchten zu müssen, gefunden zu werden.

Unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften durch die belangte Behörde wird ausgeführt, die belangte Behörde habe in Bezug auf die entscheidungswesentliche Frage, inwieweit das einem "König" unterstehende Machtgefüge einer staatlichen Ordnungsmacht gleichzusetzen sei und inwiefern es mit der offiziellen Staatsmacht verzahnt sei, jede Ermittlungstätigkeit unterlassen.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer erstinstanzlichen Einvernahme zur Frage ihrer Bedrohung in anderen Landesteilen nur angab, sie habe von einem Onkel "gehört", dass nach ihr "gesucht" werden würde, und den Vorhalt, sie hätte bei staatlichen Organen Schutz suchen können, damit beantwortete, sie "nehme an", dass die staatlichen Organe "nicht gegen die traditionellen Sitten vorgehen" würden. Einer Einvernahme zu ihren darüber hinausgehenden Behauptungen in der Berufung entzog sich die Beschwerdeführerin dadurch, dass sie der Berufungsverhandlung trotz rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Ladung fernblieb.

Die belangte Behörde war unter den vorliegenden Umständen im Gegensatz zu der in der Beschwerde vertretenen Auffassung über eine Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens nicht gemäß § 28 AsylG verpflichtet, das Berufungsvorbringen zum Anlass für amtswegige Ermittlungen - etwa in Form der Einholung eines Sachverständigengutachtens - darüber zu nehmen, ob die von ihrem "König" mit dem Tode bedrohte Beschwerdeführerin in anderen Landesteilen Nigerias vor dieser Verfolgung sicher sein würde und ob nicht auf Grund des mit einer staatlichen Macht vergleichbaren "Machtgefüges" des "Königs" zu befürchten sei, dass die Beschwerdeführerin auch in anderen Landesteilen Nigerias gefunden werden könnte.

Wenn die belangte Behörde den zusätzlichen Behauptungen der Beschwerdeführerin unter diesen Umständen keinen Glauben schenkte und ihr die Angaben der Beschwerdeführerin bei deren erstinstanzlicher Einvernahme nicht ausreichten, um die Gefahr einer landesweiten Verweigerung ausreichenden staatlichen Schutzes vor der geltend gemachten Bedrohung als glaubhaft anzusehen, so kann der Verwaltungsgerichtshof dieser Beweiswürdigung im Rahmen der von ihm wahrzunehmenden Kontrolle (vgl. zu deren Grenzen etwa die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 262 ff zu § 45 AVG, zitierten Entscheidungen) nicht entgegentreten.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes

nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 14. Dezember 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000200412.X00

Im RIS seit

29.01.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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