TE OGH 2009/9/24 12Os61/09a (12Os62/09y, 12Os63/09w, 12Os142/09a)

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Veröffentlicht am 24.09.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24. September 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Hofer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen A***** S***** wegen des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB, AZ 5 U 315/05s des Bezirksgerichts Villach, über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil vom 4. April 2006, GZ 5 U 315/05s-5 des Bezirksgerichts Villach, und einen weiteren Vorgang nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Holzleitner, zu Recht erkannt:

Spruch

Es verletzen das Gesetz:

1./ die am 13. März 2006 verfügte Anberaumung der Hauptverhandlung, die Ladung des Beschuldigten sowie die Durchführung der Hauptverhandlung vom 4. April 2006 § 2 Abs 1 und Abs 2 erster Satz, § 451 Abs 1 zweiter Satz, 451 Abs 4, 454 und 457 StPO aF, 2./ der unterbliebene Ausspruch der Unzuständigkeit im Urteil vom 4. April 2006 § 10 Z 2 (§ 13 Abs 2 letzter Halbsatz) iVm §§ 458 Abs 5, § 261 Abs 1 StPO aF und § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB, 3./ die Ausfertigung des Urteils in gekürzter Form und die unterlassene Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Beschuldigten § 459 letzter Satz StPO aF sowie

4./ die Verständigung des Strafregisteramts mittels Endverfügung vom 27. April 2006 § 3 Abs 1 StRegG und § 93 Abs 2 Geo. Das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 4. April 2006, GZ 5 U 315/05s-5, wird aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:

Das Bezirksgericht Villach ist zur Führung des Strafverfahrens gegen A***** S***** aufgrund der in der Hauptverhandlung vom 4. April 2006 zu Protokoll gebrachten Privatanklage unzuständig.

Text

Gründe:

Im Strafverfahren AZ 5 U 315/05s des Bezirksgerichts Villach wurde der rumänische Staatsangehörige A***** S***** - bloß aufgrund einer „Privatanzeige" des Anzeigers A***** Sch***** und nach Durchführung der Hauptverhandlung teilweise in Abwesenheit des Beschuldigten - mit (gekürzt ausgefertigtem) Urteil vom 4. April 2006 (ON 5) des Vergehens der üblen Nachrede nach § 111 Abs 1 StGB schuldig erkannt und (gemäß §§ 31, 40 StGB als Zusatzstrafe zu der mit Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 27. März 2006, AZ 19 U 419/05x, verhängten Strafe) zu einer Geldstrafe verurteilt.

Dem Schuldspruch zufolge hat A***** S***** „am 16. September 2005 gegenüber der Österreichischen Botschaft in Rumänien und am 11. November 2005 gegenüber der API Villach in einem Schreiben, mithin in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise, durch die Äußerung, der Privatankläger [gemeint: A***** Sch*****] habe ihn mit einer Pistole bedroht, ihn rücksichtslos und erniedrigend behandelt, Güter ohne Bestätigung beschlagnahmt, unbeteiligte Reisende bedroht, sich standeswidrig benommen, den Beschuldigten widerrechtlich verhaftet und den Beschuldigten bedroht und brüskiert, einer verächtlichen Eigenschaft geziehen".

Mit Endverfügung vom 27. April 2006 (ON 6) wurde infolge der mit 7. April 2006 angenommenen Rechtskraft des Urteils die Verständigung des Strafregisteramts veranlasst.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, stehen die Anberaumung und Durchführung der Hauptverhandlung am 4. April 2006, das am selben Tag verkündete Urteil, dessen gekürzte Ausfertigung sowie die Verständigung des Strafregisteramts mit dem Gesetz nicht im Einklang. Gemäß dem im gerichtlichen Strafverfahren geltenden Anklageprinzip (Art 90 Abs 2 B-VG) bestimmte § 2 Abs 1 StPO aF (siehe nunmehr insbesondere § 4 Abs 2 StPO), dass die gerichtliche Verfolgung einer strafbaren Handlung nur auf Antrag eines (berechtigten) Anklägers eingeleitet (und fortgesetzt) werden darf (vgl Markel, WK-StPO Altes Vorverfahren § 2 Rz 12). Dem Anklagegrundsatz entsprechend setzte im bezirksgerichtlichen Verfahren die Anberaumung einer Hauptverhandlung (§ 451 Abs 4 StPO aF), die Ladung des Beschuldigten zu dieser (§ 454 StPO aF) sowie deren Durchführung (§ 457 StPO aF) stets einen schriftlichen Antrag auf Bestrafung voraus, der die im § 207 Abs 2 Z 1 bis 4 StPO aF angeführten Angaben zu enthalten hatte (§ 451 Abs 1 zweiter Satz StPO aF).

Die von A***** Sch***** am 5. Dezember 2005 (per Telefax) eingebrachte „Privatanzeige" (ON 2), die zwar ausdrücklich auf einen nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgenden Tatbestand (nämlich auf das Vergehen der Kreditschädigung nach § 152 StGB) Bezug nimmt und die Personalien des Verdächtigen und des Opfers, den zur Anzeige gebrachten Sachverhalt sowie Angaben zu den angebotenen Beweismitteln enthält, im Übrigen aber nicht zum Ausdruck bringt, der Anzeiger sei willens, die Rechte und Pflichten eines Privatanklägers auf sich zu nehmen (vgl Fabrizy StPO9 § 46 Rz 6), stellt keinen solchen Antrag auf Bestrafung im Sinn des § 451 Abs 1 StPO aF dar. Auch die Erklärung des Anzeigers, sich „einem eventuellen Strafverfahren als Privatbeteiligter" anzuschließen (S 9), kann - ebenso wie etwa eine Ermächtigung zur Strafverfolgung (Fabrizy aaO § 2 Rz 14, § 46 Rz 6, jeweils unter Hinweis auf LSK 1979/149 = 13 Os 7/79) - eine Privatanklage nicht ersetzen.

Die am 13. März 2006 verfügte Anberaumung der Hauptverhandlung, die Ladung des Beschuldigten (AV-Bogen Seite 1) und die Durchführung der Hauptverhandlung verletzen daher das Gesetz in § 2 Abs 1 und Abs 2 erster Satz, § 451 Abs 1 zweiter Satz, 451 Abs 4, 454 und 457 StPO aF.

Da der Beschuldigte (dem Protokoll zufolge) am 4. April 2006 erst nach Beginn der Hauptverhandlung, nämlich knapp vor Schluss des Beweisverfahrens (S 18), erschienen ist, das Gericht also zeitweilig in seiner Abwesenheit verhandelt hatte, liegt ein - wenngleich in seiner Anwesenheit verkündetes - Abwesenheitsurteil vor (vgl Jerabek, WK-StPO § 427 [aF] Rz 2; ebenso Rainer, WK-StPO § 459 [aF] Rz 12 und Ratz, WK-StPO § 478 Rz 1), das nach § 459 letzter Satz StPO aF auszufertigen und dem Beschuldigten persönlich zuzustellen gewesen wäre (Rainer, WK-StPO § 459 [aF] Rz 18).

Der angezeigte und dem Schuldspruch zugrundeliegende Sachverhalt ist - im Hinblick auf den Verdacht des Vorwurfs einerseits einer gefährlichen Drohung mit einer Schusswaffe und andererseits der Vornahme widerrechtlicher (und solcherart amtsmissbräuchlicher) Amtshandlungen - geeignet, (auch) den objektiven Tatbestand des die Zuständigkeit des Landesgerichts begründenden Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB zu erfüllen (siehe auch den von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt am 29. September 2006 wegen desselben Sachverhalts eingebrachten Strafantrag gegen A***** S***** wegen des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB; ON 14 im [offenen] Strafverfahren AZ 12 Hv 183/06k des Landesgerichts Klagenfurt). Das Bezirksgericht wäre daher verpflichtet gewesen, nachdem es aufgrund der (verfehlt als Privatanklage behandelten) „Privatanzeige" am 4. April 2006 eine Hauptverhandlung durchführte, in welcher der Anzeiger erstmals durch mündlichen Antrag auf Bestrafung - wenngleich nicht innerhalb der gemäß § 46 Abs 1 StPO aF dafür offenstehenden Frist von sechs Wochen (siehe S 7) - einen Verfolgungsantrag stellte (S 17), mit Blick auf das indizierte und in die Zuständigkeit des Landesgerichts fallende Offizialdelikt durch Urteil (§ 458 Abs 5 iVm § 261 Abs 1 StPO aF) seine sachliche Unzuständigkeit auszusprechen (RIS-Justiz RS0098835, RS0106263).

Im Übrigen ist das (Abwesenheits-)Urteil vom 4. April 2006 mangels persönlicher Zustellung einer Urteilsausfertigung an den Angeklagten noch nicht in Rechtskraft erwachsen (Jerabek, WK-StPO Rz 16 f), weshalb letztlich auch die am 27. April 2006 mittels Endverfügung (ON 6) veranlasste Verständigung des Strafregisteramts rechtlich verfehlt ist (§ 3 Abs 1 StRegG, § 93 Abs 2 Geo; siehe auch Kert, WK-StPO StRegG § 3 Rz 3).

Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen dem Verurteilten zum Nachteil gereichen, sah sich der Oberste Gerichtshof gemäß § 292 letzter Satz StPO veranlasst, das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 4. April 2006 aufzuheben und die Unzuständigkeit des Bezirksgerichts auszusprechen.

Anmerkung

E9221312Os61.09a

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0120OS00061.09A.0924.000

Zuletzt aktualisiert am

10.12.2009
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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