Kopf
Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte hat am 29. September 2009 durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Griß als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Danek, Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Jensik und Dr. Höllwerth als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Annerl als Schriftführer in der Dienststrafsache gegen Dr. *****, Richter des Bezirksgerichts *****, über die Beschwerde des Leiters der Oberstaatsanwaltschaft ***** als Disziplinaranwalt gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts ***** als Disziplinargericht für Richter und Staatsanwälte vom 16. Oktober 2008, GZ Ds 6/08-22, nach Anhörung des Generalprokurators und des Disziplinarbeschuldigten in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Gründe:
Der Disziplinarbeschuldigte ist 1949 geboren, wurde am 1. Mai 1978 zum Richter ernannt und ist seit 1. März 1980 Richter des Bezirksgerichts *****, wo er als Leiter der Gerichtsabteilung 11 zu 100 % mit bürgerlichen Rechtssachen betraut ist.
Laut Regelrevisionsbericht 2003 für das Bezirksgericht ***** kommt es trotz Bemühens und eines entsprechenden Arbeitseinsatzes des Disziplinarbeschuldigten in der Gerichtsabteilung 11 seit Jahren zu erheblichen Ausfertigungsrückständen und dazu, dass sich einzelne Akten sehr lange beim Disziplinarbeschuldigten befinden, bis weitere Verfahrensschritte gesetzt werden. In der Gerichtsabteilung 11 waren laut Prüfanforderungen vom 31. Oktober 2002 in insgesamt 9 Verfahren die Urteile länger als 6 Monate und in 14 Verfahren die Urteile länger als 2 Monate nicht ausgefertigt. Laut Prüfanforderungen vom 3. Jänner 2003 hat sich diese Zahl bei den über 6 Monate nicht ausgefertigten Urteilen auf 12 erhöht und bei den über 2 Monate nicht ausgefertigten Urteilen auf 9 verringert. Die Gründe hierfür liegen laut Regelrevisionsbericht einerseits an der besonders im Jahr 2002 um rund 10 % über dem Durchschnitt gelegenen Auslastung und persönlichen Belastungen des Disziplinarbeschuldigten durch die seit Jahren gegebene schwere Erkrankung der Mutter, andererseits aber auch in der Arbeitsweise des Disziplinarbeschuldigten, dem es offenbar nicht gelingt, trotz ständiger Berichtspflicht und persönlichen Bemühens die - in wenig konzentrierter Verhandlungsführung und fehlendem Zeitmanagement liegenden - Probleme in den Griff zu bekommen. Dem Disziplinarbeschuldigten wird Fleiß und die Fähigkeit attestiert, bei einer rationelleren Arbeitsweise seine Leistungen zu steigern.
In der Folgezeit kam es weiter zu Verfahrensverzögerungen und Rückständen bei den Urteilsausfertigungen, woran auch die Zuteilung eines Sprengelrichters im Jahr 2006 nichts änderte. Der Präsident des Oberlandesgerichts ***** erstattete beim Oberlandesgericht ***** als Disziplinargericht am 22. Februar 2008 einlangend Disziplinaranzeige, in welcher zu näher bezeichneten, in der Gerichtsabteilung 11 des Bezirksgerichts ***** anhängigen Verfahren Verzögerungen bei Urteilsausfertigungen und bestimmten Verfahrensabläufen dargestellt sind. Dazu gehört (ua) das Verfahren zu ***** mit einer letzten Protokollübertragung am 12. Juni 2007 und einem erst am 30. November 2007 an die Geschäftsabteilung abgegebenen Urteil sowie das Verfahren ***** mit einem am 8. Juni 2007 erfassten und erst am 29. Oktober 2007 „bewilligten" Einspruch gegen eine Mahnklage.
In die genannten Zeiträume fällt (teilweise) eine Pflegebedürftigkeit des Vaters des Disziplinarbeschuldigten vor dessen Ableben am 2. August 2007 und eine Erkrankung des Disziplinarbeschuldigten am 7. Juli 2007, die einen stationären Krankenhausaufenthalt bis 11. Juli 2007 erforderte.
Der Disziplinaranwalt beantragte die Einleitung der Disziplinaruntersuchung gemäß § 123 Abs 1 RStDG. Der Disziplinarbeschuldigte stehe aufgrund der von ihm zu vertretenden, in der Disziplinaranzeige des Präsidenten des Oberlandesgerichts ***** genannten Pflichtverletzungen im Verdacht, ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG begangen zu haben.
Nach Abschluss der Disziplinaruntersuchung beantragte der Disziplinaranwalt hinsichtlich 25 näher bezeichneter, in der Gerichtsabteilung 11 des Bezirksgerichts ***** anhängiger bzw anhängig gewesener Verfahren - darunter auch jene zu ***** und ***** - wegen bis dahin nicht oder verzögert erfolgter Entscheidungsausfertigungen bzw Verfahrensschritte die Verweisung der Sache zur mündlichen Verhandlung.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht ***** als Disziplinargericht für Richter - insoweit unbekämpft - die Disziplinarsache hinsichtlich 23 näher angeführter Verfahren wegen des Verdachts eines Dienstvergehens nach § 101 Abs 1 iVm § 57 Abs 1 RStDG - insoweit dem Antrag des Disziplinaranwalts entsprechend - zur mündlichen Verhandlung verwiesen (§ 123 Abs 4 RStDG). Den Antrag auf Verweisung zur mündlichen Verhandlung in Ansehung des Vorwurfs, der Disziplinarbeschuldigte habe (auch) durch unangemessen verzögerte Urteilsausfertigung im Verfahren zu ***** und durch unbegründete Verzögerung von Verfahrensschritten im Verfahren zu ***** je des Bezirksgerichts ***** ein Dienstvergehen nach § 101 Abs 1 RStDG begangen, wies das Disziplinargericht erster Instanz ab. Im Verfahren ***** habe die Verzögerung bei der Urteilsausfertigung noch nicht einen Zeitraum von 6 Monaten erreicht und im Verfahren zu ***** habe der Disziplinarbeschuldigte im Abstand von zwei bis drei Monaten immer wieder Verfahrenshandlungen gesetzt, sodass in diesen Fällen im Zweifel nicht von ungerechtfertigten Verfahrensverzögerungen ausgegangen werden könne.
Gegen den abweis1ichen Teil dieser Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Disziplinaranwalts mit dem sinngemäßen Antrag auf Abänderung dahin, dass die Verweisung zur mündlichen Verhandlung auch betreffend die Verfahren zu ***** und ***** je des Bezirksgerichts ***** erfolgt. Da das Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz die Abweisung eines Antrags auf Verweisung zur mündlichen Verhandlung nicht kenne, sei vom Vorliegen eines Einstellungsbeschlusses im Umfang der Verfahren ***** und ***** des Bezirksgerichts ***** auszugehen und die Rechtsmittellegitimation des Disziplinaranwalts anzunehmen. Die vierwöchige Ausfertigungsfrist des § 415 ZPO sei im Regelfall einzuhalten, sofern nicht völlig außergewöhnliche Umstände deren Wahrung verhinderten. Überdies seien gerade im Rahmen von Disziplinarverfahren wegen schuldhafter Verfahrensverzögerungen die betreffenden Verfahren in ihrer Gesamtheit zu sehen, damit nicht im Zweifel lediglich eine Ordnungswidrigkeit angenommen werde. In seiner Äußerung erachtet der Generalprokurator die Beschwerde des Disziplinaranwalts für nicht berechtigt.
Der Disziplinarbeschuldigte äußerte sich nicht.
Rechtliche Beurteilung
Die Beschwerde ist nicht berechtigt.
1. Der Disziplinaranwalt hat zutreffend erkannt, dass der bekämpfte Beschlussteil inhaltlich eine Teileinstellung darstellt. Wenn auch das Disziplinarrecht nach dem Richter- und Staatsanwaltschaftsdienstgesetz kein dem Strafgesetzbuch entsprechendes Typenstrafrecht enthält, sondern vielmehr nur einen einzigen und einheitlichen Tatkomplex, nämlich die Pflichtverletzung schlechthin kennt, so ist doch nach der Judikatur des Obersten Gerichtshofs als Disziplinargericht - wie dies auch der ausdrücklichen Anordnung des § 137 Abs 1 erster Satz RStDG entspricht - mit einem formellen Teilfreispruch (hier: mit einer formellen Teileinstellung) vorzugehen, wenn zu einzelnen Fakten kein Schuldspruch zu erfolgen hat (dazu jüngst Ds 10/07).
2. § 57 Abs 1 RStDG verpflichtet Richter zur unverbrüchlichen Beachtung der österreichischen Rechtsordnung und fordert, sich mit voller Kraft und Eifer dem Dienst zu widmen sowie die Amtspflichten unparteiisch und uneigennützig zu erfüllen. Nicht jede Verletzung des materiellen Rechts oder der Verfahrensbestimmungen ist aber Gegenstand des Dienststrafrechts, sondern nur eine solche, die mit Rücksicht auf Art und Schwere der Verfehlung aus general- und spezialpräventiven Gründen einer dienststrafrechtlichen Ahndung bedarf (Ds 3/08).
3. Dem Disziplinaranwalt ist einzuräumen, dass es sich bei der Frist des § 415 ZPO um eine solche handelt, die ein Richter grundsätzlich einzuhalten in der Lage sein muss (vgl RIS-Justiz RS0072515) und eine allgemeine Tolerierung der Überschreitung von Ausfertigungsfristen dem Gesetz widersprechen würde (vgl RIS-Justiz RS0084456 [T6]); im Einzelfall können aber doch besondere Umstände vorliegen, die bei einer solchen Fristüberschreitung den Verschuldensvorwurf als so gering erscheinen lassen, dass auch keine mit einer Ordnungsstrafe zu ahndende Ordnungswidrigkeit anzunehmen ist (vgl RIS-Justiz RS0072472).
4. Vorliegend hat der Disziplinarbeschuldigte im Verfahren zu ***** des Bezirksgerichts ***** von der letzten Protokollübertragung bis zur Urteilsausfertigung eine Zeit von rund 5 ½ Monaten benötigt und damit die Frist des § 415 ZPO ganz beträchtlich überschritten. Es gilt hier jedoch zu berücksichtigen, dass der Disziplinarbeschuldigte eine überdurchschnittlich belastete Abteilung zu leiten hatte und der fragliche Zeitraum in eine Phase fiel, in der der Disziplinarbeschuldigte ungewöhnliche und schwere familiäre sowie eigene gesundheitliche Belastungen zu tragen hatte, die sich naturgemäß insbesondere auf konzeptive Arbeiten beträchtlich auswirken können. Unter den besonderen Umständen dieses Einzelfalls erscheint es daher im Sinn des Teileinstellungsbeschlusses des Disziplinargerichts erster Instanz vertretbar, in besagter Verzögerung auch keine Ordungswidrigkeit zu erkennen. Ähnliches muss dann auch für das Verfahren zu ***** des Bezirksgerichts ***** gelten.
Der Beschwerde muss daher ein Erfolg versagt bleiben.
Anmerkung
E92301Ds12.08European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0000DS00012.08.0929.000Zuletzt aktualisiert am
18.12.2009