TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/14 2000/20/0186

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Veröffentlicht am 14.12.2000
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §6 Z3;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des S S in Wien, geboren am 30. Dezember 1982, vertreten durch Dr. Michael Hiller, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 5. Jänner 2000, Zl. 213.114/0- V/14/99, betreffend Abweisung eines Asylantrages gemäß § 6 Z 3 AsylG und Feststellung gemäß § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundeskanzleramt) Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, nach seinen Angaben ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, betrat am 24. Mai 1999 unter Umgehung der Grenzkontrolle das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Antrag auf Asyl.

Bei seiner Befragung am 14. Juli 1999 durch das Bundesasylamt gab der Beschwerdeführer an, er habe von 1988 bis 1992 in Freetown die Grundschule besucht und spreche Englisch. Sein Vater und seine Mutter seien 1998 verstorben. Er habe einen Zwillingsbruder, der unter demselben Vornamen in den USA lebe. Von 1993 bis 1997 habe er sich bei seinem Bruder in Nassau (Bahamas) aufgehalten. Sein Bruder habe ihn unterstützt. Er selbst habe nur Fußball gespielt. Im Jahre 1997 sei er über Kuba und Paris wieder zurück nach Freetown geflogen. Sierra Leone habe er dann im März 1999 wieder verlassen. Bis dahin habe er bei seinen Eltern in Freetown gelebt. Da er nicht alles habe mitnehmen können, habe er nur seine Geburtsurkunde (ausgestellt 10 Monate vor dem angeführten Tag seiner Geburt) mitnehmen können. Er gehöre der Volksgruppe der Krio an, spreche aber nicht diese Sprache, sondern nur Englisch, weil er lange nicht in seiner Heimat gewesen sei.

Mit Bescheid vom 8. September 1999 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag gemäß § 6 Z 3 AsylG ab und sprach aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone zulässig sei. Begründend führte das Bundesasylamt aus, der Beschwerdeführer sei unglaubwürdig und keinesfalls aus Sierra Leone. Er habe auf Befragung unter anderem angegeben, dass Sierra Leone nicht an ein Meer grenze und dass sich Freetown im Süden von Sierra Leone befinde. Die vom Beschwerdeführer vorgewiesene Geburtsurkunde sei bereits 10 Monate vor seiner Geburt ausgestellt worden.

In der dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Aussagen zum Teil unvollständig oder sogar falsch protokolliert worden seien. Seine Muttersprache sei nicht Englisch, sondern Krio. Die belangte Behörde habe es unterlassen, auch nur eine einzige Frage zu seinen Fluchtgründen zu stellen. Auf Grund der Tätigkeit seines Vaters für die Rebellen in seinem Land werde er nunmehr von der Regierung aus politischen Beweggründen verfolgt. Auch die Rebellen trachteten nach seinem Leben, weil er sich weigere, sich diesen anzuschließen und an ihren blutigen Plünderungen und Morden teilzunehmen. Die belangte Behörde übersehe die zahlreichen Übergriffe der Ecomog-Truppen in seinem Heimatland. Plünderungen und Morde dieser Gruppen seien an der Tagesordnung. Die Sicherheitsbehörden seien nicht in der Lage und nicht willens, ihn wirksam vor Übergriffen zu schützen.

Die belangte Behörde führte am 16. Dezember 1999 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der beigezogene Dolmetscher zur Auffassung gelangte, in der Konversation mit dem Beschwerdeführer habe sich gezeigt, dass der Beschwerdeführer zwar Krio verstehen, nicht aber sprechen könne.

Der Beschwerdeführer gab an, sein Vater, von Beruf Mediziner, habe die "ABC" als Mitglied unterstützt und habe eine Einladung der "SLPP", ihr beizutreten, abgelehnt. Er führte weiter aus:

"VL: Was bedeutet RUF?

BW: Das heißt Revolutionary United Front.

VL: Wie heißt der jetzige Präsident?

BW: Kabbah.

VL: Hat man versucht, Sie zu zwangsrekrutieren?

BW: Entweder tot oder lebendig haben sie gesagt. Am 6. Jänner 1999 kamen die Rebellen in die Stadt, es wurden Bomben geworfen, es gab Feuer. Mein Vater hat die Leute mit Markierungen versehen, das war ein Zauber, der sie vor Gefahren schützte.

VL: Wann wollte man Sie zwangsrekrutieren?

BW: Mein Vater hat durch seine gute Arbeit viele Leute angezogen und deshalb versuchte die andere Partei ihn zu holen. Am 6. Jänner haben die Kamajore das Haus umstellt, diese Leute waren unsere Feinde. Ich war im Haus mit meinem Vater, sie riefen, ich solle hinunter kommen. Wir haben uns durch die Hintertür hinaus gestohlen und einer sah mich und meinen Vater, dieser rief den anderen zu, dass er uns gesehen hätte. Als das geschah, nahm mich mein Vater und stieß mich weg und sagte, ich sollte weg laufen. Dann lief ich zur Freundin meiner Mutter. Ich wohnte dann bei meiner Freundin meiner Mutter, die mir zu essen gab und mich nicht hinaus ließ. Eines Tages kam die Freundin meiner Mutter zurück und sagte, dass draußen ein Gerücht umgehe, dass ich bei den Rebellen sei und dass sie Angst um ihr Leben hätte. Ich habe ihr erklärt, dass ich kein Mitglied der Rebellen sei und dann sagte sie, dass es ein Gerücht unter den Kamajore gab, dass ich dort bei ihr wohnte und dass sie deshalb Angst um ihr Leben hätte. Während sie mir das erzählte, kamen sie wieder und riefen wieder, dass ich hinunterkommen sollte. Sie haben das Haus angezündet und ich habe der Frau geholfen, weil sie alt ist. Ich habe alles Mögliche getan, um ihr zu helfen, ich konnte nicht mehr tun und bin dann von dort geflüchtet. Ich bin ca. 400 Meter weit gegangen und bin dort auf eine alte Frau gestoßen, die mir erzählte, dass sie gehört hätte, dass meine Eltern tot seien und dass sie wüsste, dass mein Leben in Gefahr ist. Dann habe ich zu ihr gesagt, dass ich gehört hätte, dass die Ecomog Truppen in die Stadt gekommen wären und die Rebellen vertrieben hätten. Ich habe sie gefragt, ob das wahr wäre und sie sagte Ja. Sie wusste, dass die Kamajore und die SLPP keine große Freude mit uns hatten und sie nahm mich mit nach Goderich-Wharf. Das was das erste Mal, dass ich dort an diesem Ort war. Wir gingen zu einem Boot und der Bootsmann nahm mich mit nach Conakry.

VL: Warum glauben Sie, wenn Sie jetzt nach Sierra Leone zurückkommen, dass sie weiter verfolgt sind?

BW: Weil ich mich weigerte, ihnen beizutreten. Die Kamajore und die SLPP wird mich umbringen."

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 6 Z 3 AsylG ab und sprach (neuerlich) aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführer nach Sierra Leone zulässig sei. Auch die belangte Behörde stellte die vom Beschwerdeführer berichteten Ereignisse nicht fest, weil sie seinen Aussagen die Glaubwürdigkeit absprach. Die belangte Behörde hob hervor, dass in Schwarzafrika die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stamm bzw. die Beherrschung der Regionalsprachen von zentraler Bedeutung seien. Bei der mündlichen Verhandlung habe sich ergeben, dass der Beschwerdeführer seine angebliche Muttersprache Krio nicht sprechen, sondern nur verstehen konnte. Dem Beschwerdeführer sei es nicht möglich gewesen, bei Vorlage eines Stadtplanes von Freetown im Zusammenhang mit seiner Aussage, in der "Kissy Street 5" aufgewachsen zu sein, in der engsten Umgebung dieser Straße liegende markante Bauwerke sowie den großen Friedhof topographisch zu lokalisieren. Der Asylantrag entbehre sohin eindeutig jeder Grundlage, sodass er gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen sei.

Die Refoulement-Entscheidung begründete die belangte Behörde damit, dass sich weder aus den Vorbringen des Beschwerdeführers noch sonst irgendwelche Anhaltspunkte dafür ergäben, dass der Heimatstaat die Bedrohung des Beschwerdeführers durch Handlungen von Rebellentruppen billigen würde oder dass die Behörden im Lichte der derzeitigen politischen Lage in Sierra Leone außer Stande wären, dem Beschwerdeführer Schutz zu gewähren.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben. Es sei bekannt, dass in Sierra Leone ein Bürgerkrieg tobe, Bewohner ganzer Ortschaften massakriert würden, zahllosen Menschen die Hände abgeschnitten würden, bewaffnete starke UNO-Truppen entführt würden, ohne dass die Regierungsgewalt irgendwie schützen könnte. Eine zwanghafte Verbringung des Beschwerdeführers in diesen Staat gefährde jedenfalls seine Sicherheit. Überdies widerspreche die Begründung für die Abweisung des Asylantrages, dass der Beschwerdeführer nicht aus Sierra Leone stamme, der Refoulement-Entscheidung, wonach er in dieses Land abgeschoben oder zurückgeschoben werden könne.

Der angefochtene Bescheid widerspreche sich auch insofern selbst, als eine Person, deren Identität und Herkunft nicht festgestellt werden könne, als Bescheidadressat aufscheine. Die belangte Behörde hätte die wahre Identität des Beschwerdeführers feststellen müssen.

Mit diesen Ausführungen wird zunächst die Schlüssigkeit der Beweiswürdigung der belangten Behörde nicht in Frage gestellt. Ausgehend von den Feststellungen der belangten Behörde entsprach das Vorbringen des Beschwerdeführers zu einer Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen, sodass die Abweisung des Asylantrages gemäß § 6 Z 3 AsylG der Rechtslage entspricht. Die belangte Behörde hat die Ergebnisse des erstinstanzlichen Verfahrens sowie das weitere Vorbringen des Beschwerdeführers in der Berufung und in der mündlichen Berufungsverhandlung einer beweiswürdigenden Gesamtbetrachtung unterzogen und ist so zur Überzeugung gelangt, dass die im zu überprüfenden Bescheid des Bundesasylamtes festgestellte offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrages vorliege (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0446).

Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat nach § 57 FrG zulässig ist; diese Entscheidung ist mit der Abweisung des Asylantrages zu verbinden (§ 8 AsylG). Wird ein Bescheid, mit dem ein Asylantrag als offensichtlich unbegründet abgewiesen wurde, von der Berufungsbehörde bestätigt, so hat sie ihrerseits jedenfalls eine Feststellung gemäß § 8 AsylG zu treffen (§ 32 Abs. 2 letzter Satz AsylG). Gemäß § 57 Abs. 1 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass sie Gefahr liefen, dort einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Gemäß § 57 Abs. 2 und 4 FrG ist die Zurückweisung, Zurückschiebung oder - mit einer für den vorliegenden Fall nicht in Betracht kommenden Einschränkung - Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 FlKonv).

Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers hat die belangte Behörde zutreffend auf den behaupteten Herkunftsstaat Bezug genommen, der auch der Asylprüfung zu Grunde gelegt wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. März 1999, Zl. 98/20/0324). Bei einer solchen Prüfung spielen Fragen der Identität und der tatsächlichen Herkunft des Beschwerdeführers nur dort eine Rolle, wo Zweifel an den diesbezüglichen Angaben des Fremden zu dem Ergebnis führen, die den Abschiebeschutz begründende Bedrohung sei nicht glaubhaft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465 mwN).

Im Verfahren sind keine Anhaltspunkte für eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG hervorgekommen. Zwar stünde eine extreme Gefahrenlage in einem Staat nach dem ebenfalls Sierra Leone betreffenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0465, - auch ohne Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei - einer Abschiebung des Fremden in diesen Staat entgegen. Zu einer amtswegigen Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine solche Gefahrenlage im Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung (5. Jänner 2000) in Sierra Leone bestand, hatte die belangte Behörde jedoch keine Veranlassung, weil den allgemein zugänglichen Informationsquellen nur zu entnehmen war, dass eine Phase besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung im Bürgerkrieg im Jänner 1999 spätestens mit dem Friedensabkommen von Lome vom 7. Juli 1999 zu Ende gegangen ist. Der bloße Umstand, dass in Sierra Leone im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides weiterhin Bürgerkrieg herrschte, macht aber die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in diesen Staat noch nicht unzulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Mai 2000, Zl. 99/20/0599).

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen. Eine Entscheidung über den nachträglich eingebrachten Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ist daher nicht erforderlich.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert wurden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 und 7 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.

Wien, am 14. Dezember 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:2000200186.X00

Im RIS seit

14.02.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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