Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Lukas K*, vertreten durch Dr. Matthias Lüth und Mag. Michael Mikuz, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei T* GmbH, *, vertreten durch Dr. Michael Wukoschitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen 8.398 EUR sA (Revisionsinteresse 3.050 EUR sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 5. März 2009, GZ 4 R 63/09g-64, womit das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 18. November 2008, GZ 31 C 262/06b-54, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 373,68 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 62,28 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger und seine Lebensgefährtin buchten im September 2005 über Vermittlung eines Reisebüros für die Zeit vom 16. bis 30. Oktober 2005 eine von der Beklagten veranstaltete Pauschalreise nach Yucatan (Mexiko). Der Preis betrug jeweils 2.224 EUR; sicheres Badewetter war ein ausschlaggebendes Kriterium für die Wahl des Reiseziels.
Die Halbinsel Yucatan liegt nördlich von Honduras und westlich von Kuba am nordwestlichen Rand des karibischen Meers. Sie ist ein hurrikangefährdetes Gebiet. Die Hurrikansaison dauert von Anfang Juni bis Ende November, die überwiegende Zahl tropischer Stürme fällt in die Zeit von August bis Oktober. Über diese klimatischen Umstände wurden der Kläger und seine Lebensgefährtin im Reisebüro nicht informiert.
Am 15. Oktober bildete sich in der Karibik ein Tiefdruckgebiet. Ein um 21:00 Uhr UTC (23:00 Uhr MESZ, 17:00 Uhr Ortszeit) herausgegebenes Wetterbulletin des „National Hurricane Center“ in Miami enthielt verschiedene Modelle für die weitere Entwicklung, wobei einige auf einen sehr intensiven Hurrikan im Nordwesten der Karibik, andere auf eine nicht so aggressive Verstärkung hinwiesen. Die genaue Zugbahn des Sturms war noch sehr unsicher. Eine erste Sturmwarnung für die Cayman-Inseln erfolgte am 16. Oktober um 9:00 Uhr UTC, für Nicaragua und Honduras am 17. Oktober um 15:00 UTC. Eine Hurrikan-Vorwarnung („Hurricane Watch“) für Mexiko gab es am 18. Oktober um 21:00 Uhr UTC.
Der Kläger und seine Lebensgefährtin traten ihre Reise am Sonntag, dem 16. Oktober, um 7:00 Uhr MESZ am Flughafen München an. Über die Wetterentwicklung wurden sie dabei nicht informiert. Am Sonntagabend bezogen sie die Unterkunft; der Montag war ein schöner Badetag. Am Dienstag, dem 18. Oktober, erfuhr die Lebensgefährtin des Klägers von ihrer Mutter, die bei einem österreichischen Wetterdienst arbeitete, dass sich in der Karibik ein Hurrikan bilde, der auch die Halbinsel Yucatan bedrohe. An der Rezeption des Hotels wurde ihr jedoch mitgeteilt, dass kein Grund zur Beunruhigung bestehe. Auch am Mittwoch, dem 19. Oktober, wurden der Kläger und seine Lebensgefährtin von einer örtlichen Vertreterin der Beklagten beruhigt. Am Abend dieses Tages kam aber Wind auf, und Mitarbeiter des Hotels begannen, Fensterfronten mit Spanplatten zu vernageln und Laternen mit Gurten niederszuspannen. Ab Donnerstag mussten die Gäste in den Zimmern bleiben; die Hotelleitung forderte sie auf, die Fenster mit Matratzen und Möbelstücken zu verbarrikadieren. Donnerstag Abend hatte der Sturm Hurrikanstärke. Der Kläger und seine Lebensgefährtin nahmen zwei Mitreisende in ihr Zimmer auf, die aus Räumen im Erdgeschoß evakuiert worden waren. In der Nacht auf Samstag barst eine Fensterdichtung, und es trat Wasser ins Zimmer ein; der Kläger und seine drei Mitbewohner zogen sich daraufhin in das Badezimmer zurück. In weiterer Folge wurden sie in einen vernagelten Evakuierungsraum verlegt; später hielten sie sich in einem günstiger situierten Zimmer von zwei anderen Mitreisenden auf. Der Strom war ausgefallen; die Verpflegung wurde einmal täglich durch Essenspakete sichergestellt.
Der Sturm endete am Sonntag, dem 23. Oktober. Am Montag war wieder schönes Wetter, allerdings gab es sowohl im Hotel als auch in der Umgebung erhebliche Schäden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beklagte bereits eine Rückholaktion für ihre etwa 1.000 betroffenen Kunden organisiert. Dabei waren zwölf Flugzeuge im Einsatz, pro Tag wurde mehrere Maschinen abgefertigt. Die Situation war durch chaotische Straßenverhältnisse und die Sperre des nächstgelegenen Flughafens erschwert. Der Kläger und seine Lebensgefährtin wurden am Donnerstag, dem 27. Oktober, um 4:00 Uhr abgeholt; nach einer siebenstündigen Busfahrt und weiteren Verzögerungen am Flughafen startete der Rückflug nach München am frühen Abend.
Während und nach Ende des Hurrikans telefonierten der Kläger und seine Lebensgefährtin mehrfach mit besorgten Angehörigen. Dabei entstanden Kosten von 759,01 EUR.
Die Lebensgefährtin des Klägers trat ihm ihre Ansprüche gegen die Beklagte ab.
Der Kläger begehrte in erster Instanz zuletzt 8.507,01 EUR sA. Die Reisebüromitarbeiterin habe ihm und seiner Lebensgefährtin den Urlaubsort ausdrücklich empfohlen und insbesondere zugesichert, die Hurrikansaison sei Ende Oktober schon vorbei. Die Beklagte habe es schuldhaft unterlassen, ihn und seine Lebensgefährtin vor Abflug oder wenigstens bis zum 18. Oktober zu warnen; zu diesem Zeitpunkt sei noch eine Abreise möglich gewesen. Der Urlaubszweck sei gänzlich vereitelt worden; er und seine Lebensgefährtin hätten daher Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises von 4.448 EUR, auf Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreude von 3.800 EUR und auf Telefonkosten von (ausgedehnt) 759,01 EUR; darauf seien ersparte Eigenkosten von insgesamt 500 EUR anzurechnen.
Die Beklagte bestritt das Bestehen des Anspruchs. Die Halbinsel Yucatan liege in einem notorisch hurrikangefährdeten Gebiet. Der Kläger habe sein Reiseziel selbst gewählt; er habe das Risiko eines tropischen Sturms auf sich genommen und könne nun nicht die Beklagte dafür haftbar machen. Zum Zeitpunkt des Abflugs sei noch nicht vorhersehbar gewesen, dass der Hurrikan die Halbinsel Yucatan erfassen würde; erst am späten Abend des 18. Oktober habe es eine konkrete Warnung gegeben. Eine verfrühte Information der Gäste hätte zu Panik geführt. Verzögerungen bei der Rückholaktion hätten auf höherer Gewalt beruht. Der Kläger könne allenfalls den anteiligen Reisepreis für die Tage ab dem 20. Oktober fordern, dies abzüglich der erhaltenen Vorteile. Schadenersatz sei mangels Verschulden nicht zu leisten; zudem seien die Ansprüche überhöht.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagte zur Zahlung von 8.398 EUR sA, über das Mehrbegehren von 109,01 EUR sA entschied es nicht. Aufgrund des Hurrikans sei die Erfüllung des Reisevertrags nachträglich unmöglich geworden. Der Kläger habe daher einen Anspruch auf anteilige Rückzahlung des Reisepreises. Da er und seine Lebensgefährtin nur einen einzigen unbeschwerten Urlaubstag verbracht hätten, reiche die in der Klage vorgenommene Anrechnung von jeweils 250 EUR auf den Reisepreis von 2.224 EUR aus. Die Beklagte habe auch Schadenersatz zu leisten. Zum einen habe die Reisebüromitarbeiterin, die der Beklagten nach § 1313a ABGB zuzurechnen sei, nicht darauf hingewiesen, dass die Reise in die Hurrikansaison falle. Es könne nicht vorausgesetzt werden, dass alle Kunden über die Dauer dieser Saison Bescheid wüssten. Zum anderen sei jedenfalls ab dem 18. Oktober mit kritischen Wetterverhältnissen zu rechnen gewesen. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, dem Kläger und seiner Lebensgefährtin einen Ortswechsel anzubieten. Der Urlaub sei bereits ab Dienstag, dem 18. Oktober, beeinträchtigt gewesen, sodass das Ersatzbegehren für entgangene Urlaubsfreude in Höhe von 1.900 EUR pro Person berechtigt sei. Auch die Höhe der hurrikanbedingten Telefonkosten von 650 EUR sei unbedenklich.
Das Urteil des Erstgerichts wurde im Zuspruch von 2.708 EUR sA rechtskräftig; die Nichterledigung des Mehrbegehrens von 109,01 EUR sA blieb ungerügt.
Das Berufungsgericht verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von 6.544,84 EUR sA (einschließlich des rechtskräftig gewordenen Teilzuspruchs von 2.708 EUR) und wies ein Mehrbegehren von 1.853,16 sA ab. Die ordentliche Revision ließ es nachträglich aufgrund eines Antrags nach § 508 ZPO zu.
Der Kläger und seine Lebensgefährtin hätten die Reiseleistungen bis Mittwoch, den 19. Oktober, ungestört konsumiert. Auf den Rückzahlungsanspruch sei daher ein angemessenes Entgelt von 3/14 des Reisepreises (insgesamt 953,16 EUR) anzurechnen. Der Schadenersatzanspruch bestehe dem Grunde nach zu Recht. Zur Beratung in einem Reisebüro gehöre auch die Aufklärung über spezielle Gefahren des Urlaubsorts. Die Reisebüromitarbeiterin sei daher verpflichtet gewesen, den Kläger und seine Lebensgefährtin darauf hinzuweisen, dass der gewünschte Reisetermin noch in die Hurrikansaison falle; dabei habe es sich nicht um gesichertes Allgemeinwissen gehandelt. Die unterbliebene Aufklärung sei nach § 1313a ABGB der Beklagten zuzurechnen. Auf weitere Pflichtverletzungen komme es daher nicht an. Unter Bedachtnahme auf die während des Hurrikans ausgestandenen Ängste und die weitgehende Vereitelung des Reisezwecks sei ein Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreude von jeweils 1.200 EUR (statt der vom Erstgericht zugesprochenen 1.900 EUR) angemessen. Die Höhe des begehrten Telefonkostenersatzes sei nicht zu beanstanden.
Die Revision sei zuzulassen, weil im Interesse der Rechtssicherheit eine grundlegende Beantwortung mehrerer Fragen des Reisevertragsrechts erforderlich sei (Abgrenzung der Verantwortungsbereiche von Reisevermittler und Reiseveranstalter; Informationspflichten in Bezug auf die klimatischen Verhältnisse im Zielland; Schadenersatz für entgangene Urlaubsfreude bei Aufklärungspflichtverletzung).
Rechtliche Beurteilung
Die ordentliche Revision der Beklagten ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Haftung eines Reiseveranstalters für die Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten fehlt; sie ist aber nicht berechtigt.
1. Die Beklagte ist eine juristische Person mit Sitz in Deutschland. Daher ist zunächst zu prüfen, welches Recht auf die Ansprüche des Klägers anzuwenden ist. Maßgebend dafür sind die Kollisionsnormen des Europäischen Schuldvertragsübereinkommens (EVÜ). Grundlage für die Ansprüche des Klägers ist ein Verbrauchervertrag iSv Art 5 Abs 1 EVÜ; die Ausnahme für Beförderungsverträge (Art 5 Abs 4 lit a EVÜ) greift wegen der Gegenausnahme für Pauschalreiseverträge (Art 5 Abs 5 EVÜ) nicht ein. Dem Vertragsabschluss ging eine Werbung in Österreich voraus, und der Kläger und seine Lebensgefährtin gaben ihre Vertragserklärung in Österreich (gegenüber dem Reisebüro) ab. Eine Rechtswahl wurde nicht behauptet. Daher ist nach Art 5 Abs 3 iVm Abs 2, erste Alternative, EVÜ österreichisches Recht anwendbar.
2. Die Vorinstanzen nahmen eine Aufklärungspflichtverletzung durch die Reisebüromitarbeiterin an, deren Verhalten nach § 1313a ABGB der Beklagten zuzurechnen sei. Das ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
2.1. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass ihr ein allfälliges Verschulden der Reisebüromitarbeiterin nicht zugerechnet werden könne. Es sei zwischen dem Reisevermittlungsvertrag mit dem Reisebüro und dem Reisevertrag mit dem Veranstalter zu unterscheiden. Die der Auswahl zwischen mehreren Angeboten dienende Beratung obliege allein dem Vermittler; erst wenn der Reisende die Auswahlentscheidung getroffen habe, handle der Vermittler für den Veranstalter und begründe nach § 1313a ABGB dessen Haftung.
2.2. Nach der Rechtsprechung handelt ein Reisebüro bei der Entgegennahme rechtsgeschäftlicher Erklärungen des Reisenden zum Zwecke der Weiterleitung an den Reiseveranstalter und bei der Bekanntgabe der Erklärung des Reiseveranstalters an den Reisenden über die Annahme oder Ablehnung des Angebots nicht als Bote des Reisenden, sondern als Gehilfe des Reiseveranstalters (1 Ob 688/83 = SZ 57/37; RIS-Justiz RS0019472, vgl auch 6 Ob 264/02w = RdW 2003/124). Zugleich treffen das Reisebüro aber auch eigene Pflichten aus dem Reisevermittlungsvertrag (1 Ob 688/83; 4 Ob 1559/94; RIS-Justiz RS0029650). Die Haftung des Reisevermittlers für fehlerhafte Beratung und Vermittlung tritt in einem solchen Fall neben die allfällige Haftung des Reiseveranstalters (1 Ob 688/83).
2.3. Das Verhalten eines Reisebüromitarbeiters ist dem Veranstalter dann zuzurechnen, wenn und soweit sich dieser des Reisebüros zur Verfolgung eigener Interessen gegenüber dem Kunden bedient (RIS-Justiz RS0028425, RS0028499). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Reisebüromitarbeiter Pflichten erfüllt, die nicht bloß das Reisebüro als Vermittler, sondern auch den Veranstalter selbst treffen.
Nun ist zwar richtig, dass die Information über die klimatischen Bedingungen verschiedener zur Wahl stehender Urlaubsziele zu den typischen Pflichten eines Reisevermittlers gehört. Das ist für sich allein aber unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, ob auch den Veranstalter eine vorvertragliche Pflicht trifft, Kunden auf klimatische Besonderheiten des Urlaubsziels aufmerksam zu machen. In diesem Fall wäre eine insofern mangelhafte Information auch dem Veranstalter zuzurechnen, dessen Haftung neben jene des Vermittlers träte. Anders als in der Revision erwogen ist daher für die Abgrenzung der Haftungssphären nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt - jenen der „Auswahlentscheidung“ - abzustellen. Maßgebend ist vielmehr, ob der Reisebüromitarbeiter bei der Beratung ausschließlich Pflichten aus dem Vermittlungsvertrag (etwa die individuelle Beratung in Bezug auf besondere Kundenwünsche) erfüllte oder darüber hinaus (auch) vorvertragliche Pflichten des letztlich gewählten Veranstalters.
Dem steht die in der Revision genannte Entscheidung des Bundesgerichtshofs X ZR 198/04 (= NJW 2006, 2321) nicht entgegen. Denn dort ging es um die Frage, ob eine unrichtige Information über Pass- und Visaerfordernisse auch die Haftung des Reisevermittlers begründete oder ob diesbezügliche Fehler eines Reisebüromitarbeiters ausschließlich zur Haftung des Veranstalters führten. Der BGH führte aus, dass diese Information schon zur „Durchführung“ der Reise gehöre; für ein Verhalten des Reisebüromitarbeiters nach der „Auswahlentscheidung“ hafte ausschließlich der Veranstalter. Ein zwingender Rückschluss auf die alleinige Haftung des Vermittlers für ein Verhalten vor dieser Entscheidung lässt sich daraus - wenngleich der BGH dies obiter anklingen lässt - nicht ziehen. Zudem ist zu beachten, dass eine fehlerhafte Information über Pass- und Visaerfordernisse schon während eines noch nicht auf einen bestimmten Veranstalter konkretisierten Beratungsgesprächs - also vor der „Auswahlentscheidung“ - erfolgen könnte. Diese Zufälligkeit dürfte wohl nicht zur Verneinung der Haftung des Veranstalters führen. Entscheidend muss vielmehr sein, ob die konkrete (fehlerhafte oder unterbliebene) Information (auch) in den Pflichtenkreis des Veranstalters fällt oder nicht.
2.4. Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob die Beklagte darauf hinweisen musste, dass die angebotene Reise in die Hurrikansaison fiel. Dafür ist maßgebend, ob ein Kunde nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs eine diesbezügliche Aufklärung erwarten konnte (RIS-Justiz RS0016390, RS0014811).
Das ist hier der Fall: Die Beklagte gesteht selbst zu, dass die Halbinsel Yucatan hurrikangefährdet ist. Selbst wenn das allgemein bekannt sein sollte, ist doch keinesfalls anzunehmen, dass ein durchschnittlicher Kunde über die Dauer der Hurrikansaison Bescheid weiß. Zwar mag die (rechnerische) Wahrscheinlichkeit, dass ein bestimmtes Urlaubsziel von einem Hurrikan heimgesucht wird, auch während der Hurrikansaison gering sein. Dem steht jedoch gegenüber, dass die Verwirklichung der Gefahr mit schwerwiegenden, auch Gesundheit und Eigentum bedrohenden Folgen verbunden sein kann. Daher wird der Umstand, dass ein bestimmter Reisetermin in die Hurrikansaison fällt, für einen durchschnittlichen - idR eher sicherheitsorientierten - Pauschalreisekunden in vielen Fällen auswahlentscheidende Bedeutung haben. Demgegenüber ist kein legitimes Interesse des Veranstalters am Unterbleiben der Aufklärung erkennbar. Bei dieser Interessenlage ist der Veranstalter nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs verpflichtet, Kunden über eine saisonbedingt höhere Hurrikangefahr zu informieren.
Dabei wird es zwar im Regelfall ausreichen, wenn er einen ausreichend deutlichen Hinweis in einen Katalog aufnimmt, der Interessenten vor der Buchung überreicht wird. Denn es kann auch Pauschalreisekunden zugemutet werden, sich vor der Buchung durch Studium von ausgefolgten Unterlagen über Vor- und Nachteile möglicher Urlaubsziele zu informieren. Die Beklagte hat aber nicht behauptet, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin im konkreten Fall einen solchen Katalog erhalten hätten. Aus diesem Grund wäre eine Information durch die Reisebüromitarbeiterin erforderlich gewesen. Da auch diese Information unterblieben ist, hat die Beklagte die Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht zu vertreten. Auf die Frage, ob ihr noch weitere Pflichtverletzungen zur Last fallen, kommt es daher nicht an.
2.5. Das Erstgericht hat festgestellt, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin zwischen mehreren in Frage kommenden Urlaubszielen auswählten und dass es ihnen dabei insbesondere auf gutes Wetter am Urlaubsort ankam. Auf dieser Grundlage ist die - schon dem Ersturteil zugrunde liegende - Schlussfolgerung des Berufungsgerichts, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin die hier strittige Reise bei einer korrekten Information über die Hurrikangefahr nicht gebucht hätten, nicht zu beanstanden. Vielmehr ist aufgrund der getroffenen Feststellungen anzunehmen, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin bei pflichtgemäßem Verhalten des Veranstalters ein anderes - wettermäßig sicheres - Urlaubsziel gewählt hätten. Diese Schlussfolgerungen halten sich ebenso wie die Feststellungen des Erstgerichts im Rahmen des Klagevorbringens; sie sind daher entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung auch im Revisionsverfahren zu beachten (RIS-Justiz RS0037972 [insb T1], RS0040318).
3. Aufgrund dieser Erwägungen hat die Beklagte jedenfalls die durch den Hurrikan veranlassten Telefonkosten zu ersetzen. Diese Kosten wären nicht angefallen, hätten der Kläger und seine Lebensgefährtin aufgrund einer korrekten Information ein anderes Reiseziel gewählt. Die von der Beklagten gerügte Verletzung der Schadensminderungspflicht liegt nicht vor. Angesichts der dramatischen Verhältnisse am Urlaubsort müssen dem Kläger und seiner Lebensgefährtin auch mehrere Telefonate am Tag zugebilligt werden; dies nicht nur zur Beruhigung von Verwandten in Österreich, sondern - angesichts des völligen Zusammenbruchs der lokalen Infrastruktur - auch zum Erhalt von Informationen über die Lage am Urlaubsort und die Möglichkeit eines Rücktransports. Zudem hat das Erstgericht dem Kläger aus diesem Titel ohnehin nur 650 EUR zugesprochen; das nicht erledigte Mehrbegehren von 109,01 EUR ist mangels Rüge aus dem Verfahren ausgeschieden (RIS-Justiz RS0039606, RS0041490).
4. Auch der Zuspruch von Ersatz für entgangene Urlaubsfreude ist dem Grunde und der Höhe nach berechtigt.
4.1. Anspruchsgrundlage ist hier § 31e Abs 3 KSchG. Diese Bestimmung lautet:
„Wenn der Reiseveranstalter einen erheblichen Teil der vertraglich vereinbarten Leistung nicht erbracht hat und dies auf einem dem Reiseveranstalter zurechenbaren Verschulden beruht, hat der Reisende auch Anspruch auf angemessenen Ersatz der entgangenen Urlaubsfreude. Bei der Bemessung dieses Ersatzanspruchs ist insbesondere auf die Schwere und Dauer des Mangels, den Grad des Verschuldens, den vereinbarten Zweck der Reise sowie die Höhe des Reisepreises Bedacht zu nehmen.“
§ 31e Abs 3 KSchG beruht auf der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache C-168/00 (= Slg 2002 I-2631 - Leitner/TUI). Danach ist Art 5 der Richtlinie 90/314/EWG über Pauschalreisen (PauschalreiseRL) dahin auszulegen, „dass er dem Verbraucher grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens verleiht, der auf der Nichterfüllung oder mangelhaften Erfüllung der eine Pauschalreise ausmachenden Leistung beruht“,
4.2. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte zweifellos einen erheblichen Teil der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht erbracht. Denn der Veranstalter schuldet einen Erfolg; dessen Ausbleiben ist sein Risiko und nicht das des Kunden (10 Ob 2/07b = ecolex 2007, 347). Hingegen ist fraglich, ob diese Nichterfüllung auf „einem dem Reiseveranstalter zurechenbaren Verschulden beruht“ (§ 31e Abs 3 KSchG). Diese Formulierung legt eine Beschränkung auf das Erfüllungsinteresse nahe. Danach wäre eine Haftung für entgangene Urlaubsfreude nur dann zu bejahen, wenn das Unterbleiben des beanstandeten Verhaltens zu einer mangelfreien Abwicklung des Reisevertrags geführt hätte.
Im vorliegenden Fall traf das nicht zu. Denn pflichtgemäßes Verhalten der Beklagten hätte nicht zum ungestörten Genuss des gebuchten Urlaubs, sondern zum Unterbleiben des Vertragsschlusses und damit der Reise geführt. Der Kläger und seine Lebensgefährtin hätten daher auch bei pflichtgemäßem Verhalten der Beklagten jene Urlaubsfreude, die durch die gebuchte Reise herbeigeführt werden sollte, nicht erlebt. Eine Haftung auf das Erfüllungsinteresse müsste daher ausscheiden.
4.3. Diese enge Auslegung von § 31e Abs 3 KSchG ist allerdings verfehlt.
(a) Zunächst ist klarzustellen, dass Kausalitätserwägungen der Haftung nicht entgegenstehen.
Erfolgt die (angebliche) Schädigung - wie hier - durch ein Unterlassen, so ist Kausalität dann anzunehmen, wenn die Vornahme einer bestimmten aktiven Handlung das Eintreten des Erfolgs verhindert hätte (RIS-Justiz RS0022913; zuletzt etwa 4 Ob 98/08b = ZVB 2008, 317 [Pachner] und 4 Ob 28/09k = ecolex 2009, 678, beide mwN; Harrer in Schwimann, ABGB3 VI, § 1295 Rz 4; Reischauer in Rummel3 § 1295 Rz 2). Es muss daher versucht werden, den hypothetischen Ablauf bei Vermeiden der Unterlassung durch Setzen des gebotenen Verhaltens herauszufinden. Das gebotene Verhalten ist hinzuzudenken (Koziol, Wegdenken und Hinzudenken bei der Kausalitätsprüfung, RdW 2007, 12, 13 mwN in FN 4; 4 Ob 28/09k).
Im vorliegenden Fall ist aufgrund des festgestellten Sachverhalts anzunehmen, dass der Kläger und seine Lebensgefährtin bei einem Hinweis auf die Hurrikansaison ein anderes, nicht hurrikangefährdetes Reiseziel gewählt hätten. Der mit dieser hypothetischen Reise verbundene Erholungswert hätte im Kern jenem entsprochen, den sich der Kläger und seine Lebensgefährtin von der tatsächlich gebuchten Reise erwarten konnten. Pflichtgemäßes Verhalten der Beklagten hätte daher zwar nicht zur mangelfreien Erfüllung des tatsächlich geschlossenen Reisevertrags geführt, wohl aber zum Abschluss eines anderen Vertrags, der denselben Zweck erfüllt hätte. Die Pflichtverletzung war daher im konkreten Fall kausal für den Entgang der Urlaubsfreude.
Rechtsprechung zum deutschen Recht ist in diesem Zusammenhang nicht unmittelbar verwertbar. Denn dort haftet der Veranstalter nach § 651f BGB nicht für entgangene Urlaubsfreude, sondern für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit. Wird wegen einer Informationspflichtverletzung ein Urlaub mit keinem oder nur geringem Erholungswert angetreten, so ist die dafür nutzlos aufgewendete Urlaubszeit zweifellos durch das dem Veranstalter zurechenbare Fehlverhalten verursacht; die Haftung nach § 651f BGB ist daher jedenfalls begründet (OLG Frankfurt/Main 16 U 164/00 = RRa 2003, 110 im Anschluss an BGH X ZR 147/01 = NJW 2002, 3700). Für das österreichische Recht könnte dieses Ergebnis nur dann erzielt werden, wenn man unter den Begriff „entgangene Urlaubsfreude“ alle immateriellen Nachteile subsumierte, die sich aus einer sonst nicht angetretenen Urlaubsreise ergeben. Ob das zutrifft, kann hier wegen der ohnehin bestehenden Kausalität (entgangene Urlaubsfreude der hypothetischen Ersatzreise) offen bleiben.
(b) Ungeachtet dessen könnte jedoch die Auffassung vertreten werden, dass der Wortlaut von § 31e Abs 3 KSchG den Ersatz auf das Erfüllungsinteresses ieS beschränke und den vorliegenden Fall daher nicht erfasse. Die Beklagte haftete in diesem Fall zwar nach allgemeinen Grundsätzen (culpa in contrahendo) für Vermögensschäden (oben 3.), nicht aber - mangels einer dies anordnenden Spezialnorm - für immaterielle Nachteile.
Dem steht jedoch die § 31e Abs 3 KSchG zugrunde liegende Wertung entgegen. Nach Auffassung des - hier durch Gemeinschaftsrecht gebundenen - Gesetzgebers ist der Erholungswert eines Urlaubs von solcher Bedeutung, dass dessen Beeinträchtigung bei vorwerfbarem Verhalten des Reiseveranstalters auch immateriellen Schadenersatz rechtfertigt. Dies erlaubt - Kausalität vorausgesetzt - keine Differenzierung zwischen der Verletzung vertraglicher und vorvertraglicher Pflichten. Denn für den Reisenden wiegt der Entgang der Urlaubsfreude in beiden Fällen gleich schwer; für ihn ist unerheblich, ob sich eine Gefahr verwirklicht, vor der er nicht gewarnt wurde, oder ob der Entgang der Urlaubsfreude (unmittelbar) durch ein dem Veranstalter zurechenbares Fehlverhalten verursacht wird. Umgekehrt hat die Verletzung von vorvertraglichen Pflichten nicht von vornherein ein geringeres Gewicht als jene von vertraglichen Pflichten; beide Arten von Pflichtverletzungen können mehr oder weniger schwere Folgen haben, sie können in höherem oder geringerem Maß vorwerfbar sein. Auf dieser Grundlage ist eine prinzipielle Unterscheidung bei den Rechtsfolgen sachlich nicht gerechtfertigt. Auch wenn daher der Gesetzgeber die hier zu beurteilende Fallkonstellation nicht bedacht haben mag, muss § 31e Abs 3 KSchG doch so verstanden werden, dass er nicht in unsachlicher Weise zwischen der Verletzung vertraglicher und vorvertraglicher Pflichten differenziert. Der Reiseveranstalter haftet daher - Kausalität vorausgesetzt - auch dann für entgangene Urlaubsfreude, wenn sich eine Gefahr verwirklicht, über deren Bestehen er den Kunden vor Abschluss des Reisevertrags hätte aufklären müssen.
(c) Diese Auffassung steht im Einklang mit Art 5 Abs 2 PauschalreiseRL. Danach können die Mitgliedstaaten die Haftung unter anderem für den Fall fehlenden Verschuldens wegen „höherer Gewalt“ ausschließen. Darunter ist aber nach der Legaldefinition in Art 4 Abs 6 dieser RL ein „ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis“ zu verstehen. Das trifft beim Auftreten eines Hurrikans in der Hurrikansaison gerade nicht zu.
4.4. Damit besteht der Anspruch auch in diesem Punkt dem Grunde nach zu Recht. In Bezug auf die Höhe hat das Berufungsgericht seinen Ermessensspielraum nicht überschritten.
(a) Nach § 31e Abs 3 KSchG ist bei der Bemessung des Ersatzanspruchs - in Form eines beweglichen Systems (10 Ob 20/05x = ecolex 2005, 911) - insbesondere auf die Schwere und Dauer des Mangels, den Grad des Verschuldens, den vereinbarten Zweck der Reise und die Höhe des Reisepreises Bedacht zu nehmen. Nach den Materialien bestehen keine Bedenken, der Bemessung Pauschalbeträge pro Tag entgangener Urlaubsfreude zugrunde zu legen, wobei die Höhe des Ersatzes in einem angemessenen Verhältnis zu den von der Rechtsprechung festgelegten Schmerzengeldbeträgen stehen soll (173 BlgNR 22. GP, zu § 31e Abs 3 KSchG; 10 Ob 20/05x). Dabei sind die Umstände des Einzelfalls maßgebend; es ist daher weder sinnvoll noch möglich, ein - von der Revision offenbar gewünschtes - abstraktes Berechnungssystem zu entwickeln (vgl 6 Ob 251/05p = ZVR 2006, 396). Insbesondere kann offen bleiben, ob die gänzliche Vereitelung einer Reise tatsächlich in jedem Fall einen mit den Schmerzengeldsätzen für leichte Schmerzen gedeckelten Schadenersatzanspruch in Höhe des jeweiligen Reisepreises begründet (so Riedler, Bemessung des Schadenersatzes für entgangene Urlaubsfreude, ZVR 2008, 408 [416 f]).
(b) Im vorliegenden Fall mag zwar - mangels Konkretisierung der Sorgfaltsanforderungen durch bereits vorhandene Rechtsprechung - ein eher geringer Grad des Verschuldens anzunehmen sein. Der Mangel führte jedoch bei einem durchaus hochpreisigen Reisevorhaben zum völligen Wegfall des Erholungswerts für elf Tage. Darüber hinaus hatten der Kläger und seine Lebensgefährtin nach dem festgestellten Sachverhalt beträchtliche Unannehmlichkeiten und Ängste auszustehen; der Urlaub war daher nicht nur nutzlos, sondern bewirkte geradezu das Gegenteil der damit angestrebten Erholung. Unter diesen Umständen ist die - an den Schmerzengeldsätzen für leichte Schmerzen orientierte - Bemessung des Schadenersatzes mit jeweils 1.200 EUR nicht zu beanstanden.
5. Aufgrund dieser Erwägungen muss die Revision der Beklagten scheitern.
Allgemein gilt: Ein Reiseveranstalter ist schon vor Buchung einer Reise verpflichtet, Kunden auf damit verbundene Gefahren hinzuweisen, wenn diese nicht allgemein bekannt sind und deren Kenntnis die Auswahlentscheidung eines Durchschnittsverbrauchers beeinflussen kann. Insbesondere hat er bei einer Reise in die Karibik gegebenenfalls darauf hinzuweisen, dass der Reisetermin in die Hurrikansaison fällt. Eine unterbliebene Aufklärung kann bei Verwirklichung der Gefahr einen Anspruch auf Ersatz der entgangenen Urlaubsfreude begründen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.
Textnummer
E92079European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:E92079Im RIS seit
29.11.2009Zuletzt aktualisiert am
27.07.2022