Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Johann Paul C*****, vertreten durch Dr. Harald Vill und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1.) Dr. Walter H*****, 2.) Brigitte H*****, 3.) Christian H*****, 4.) Werner H*****, alle *****, alle vertreten durch Mag. Matthias Kapferer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung und Entfernung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 18. Februar 2009, GZ 4 R 511/08p-73, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innsbruck vom 12. September 2008, GZ 16 C 2350/03x-68, teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 537,14 EUR (darin enthalten 89,52 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist Alleineigentümer einer näher bezeichneten Liegenschaft, zu der ua das Grundstück 2991/3 gehört.
Die Beklagten sind Miteigentümer einer benachbarten Liegenschaft, an der Wohnungseigentum begründet ist. Zu dieser Liegenschaft gehört das Grundstück 821/2.
Soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, gab das Berufungsgericht der Berufung des Klägers gegen das insoweit klageabweisende Ersturteil Folge und verpflichtete die Beklagten, alle baulichen Einrichtungen, die laut Plan des vom Erstgericht bestellten Sachverständigen nördlich der geradlinigen Verbindung zwischen den Grenzpunkten 9506, 50F und 204 auf dem Grundstück des Klägers liegen bzw in dieses Grundstück hineinragen, mit Ausnahme der im Plan blau eingezeichneten Asphaltwulst sowie der Mauer mitsamt dem darauf aufgesetzten Holzzaun samt Holzstehern binnen zwei Monaten zu entfernen.
Ferner verpflichtete das Berufungsgericht die Beklagten, das Befahren und das Begehen der im Eigentum des Klägers stehenden Grundparzelle 2991/3, letzteres ausgenommen zu Zwecken der Benützung als öffentlicher Wanderweg, zu unterlassen.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige und dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.
Über Zulassungsvorstellung der Beklagten sprach das Berufungsgericht mit Beschluss vom 23. April 2009 nachträglich aus, dass der Ausspruch im Berufungsurteil dahin abgeändert werde, dass die Revision für zulässig erklärt werde. Diesen Ausspruch begründete das Berufungsgericht damit, dass die in der Revision gerügten Mängel des Berufungsverfahrens, aber auch die erneut aufgeworfene Frage der behaupteten konkludenten Einräumung einer Dienstbarkeit die nachträgliche Zulässigerklärung der Revision rechtfertigten.
Über Auftrag des Obersten Gerichtshofs vom 23. Juni 2009 ergänzte das Berufungsgericht seinen Bewertungsausspruch dahin, dass der Entscheidungsgegenstand sowohl bezüglich des Entfernungs- als auch bezüglich des Unterlassungsbegehrens jeweils 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteige.
Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
1. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor:
a. Das Berufungsgericht hat weder ergänzende Feststellungen unter Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes getroffen noch Feststellungen des Erstgerichts ohne Durchführung einer Beweiswiederholung umgewürdigt: Zwar stellte das Erstgericht den Wortlaut des von den Beklagten selbst vorgelegten Schreibens vom 1. August 1996 (./13) nicht fest; dieser Wortlaut ist aber unstrittig. Welche rechtlichen Schlussfolgerungen aus diesem Schreiben zu ziehen sind, stellt keine Tatfrage dar, die unter dem Gesichtspunkt der Mangelhaftigkeit des Verfahrens zu rügen wäre.
Die Vorgangsweise des Berufungsgerichts, das eigene Schreiben der Beklagten, mit welchem sie den Kläger um prekaristische Gestattung des Begehens und Befahrens des strittigen Grundstreifens ersuchten, als Argument zur Untermauerung des Rechtsstandpunkts heranzuziehen, dass die Beklagten selbst nicht von einer Rechteeinräumung durch den Kläger ausgingen, ist somit nicht zu beanstanden.
b. Richtig ist, dass das Erstgericht (S 13 der Urteilsausfertigung) lediglich feststellte, dass im Bauansuchen betreffend die Errichtung des Einfamilienhauses des Erst- und der Zweitbeklagten vom 24. Februar 1976 festgehalten wurde, dass das Grundstück 821/2 an einer öffentlichen Verkehrsfläche liegt, nicht aber, dass der Erst- und die Zweitbeklagte ausdrücklich darauf verwiesen, dass die Zufahrt zur Baustelle über öffentlichen Grund erfolgen werde. Diesem Umstand kommt jedoch deshalb keine entscheidende Bedeutung zu, weil auch das Berufungsgericht von der erstgerichtlichen Feststellung ausging, dass dem dem Bauansuchen beigelegten Lageplan zu entnehmen war, dass die Zufahrt über die (nunmehr dem Kläger gehörige und mit 2991/3 bezeichnete) Grundparzelle 2991/1 erfolgen werde.
c. Dass sich die Beklagten nicht nur auf eine schlüssige Rechteeinräumung durch den Kläger, sondern auch auf eine schlüssige Einräumung einer Grunddienstbarkeit durch die Rechtsvorgängerin des Klägers beriefen und sich dabei auch auf die Ergebnisse der Bauverhandlung stützten, ist ohnedies aktenkundig. Das Berufungsgericht hat dieses Vorbringen der Beklagten auch inhaltlich umfangreich geprüft.
d. Die Beklagten haben in erster Instanz (S 14 in ON 5) vorgebracht, dass eine konkludente Einräumung eines Benützungsrechts durch den Kläger spätestens dadurch erfolgt sei, dass der Kläger trotz Kenntnis der kostspieligen Umbaumaßnahmen 1995/1996, deren Nutzung von einer Gebrauchsmöglichkeit des fremden Grundes abhänge, keinen Einwand gegen die Benützung seines Grundstücks 2991/3 erhoben habe. Dieses Vorbringen hat das Berufungsgericht inhaltlich geprüft; seine Berechtigung allerdings verneint. Inwiefern das Berufungsgericht deswegen, weil es einer von den Beklagten vertretenen und in erster Instanz ausdrücklich thematisierten Rechtsauffassung nicht folgte, eine „Überraschungsentscheidung" gefällt haben soll, ist nicht ersichtlich. Die Beklagten zeigen auch gar nicht auf, welchen Umstand das Berufungsgericht hätte erörtern sollen und welches (ergänzende) Vorbringen sie im Fall einer Erörterung erstattet hätten.
2. Die Beklagten erkennen selbst, dass der Frage, ob die Rechtsvorgängerin des Klägers oder der Kläger selbst schlüssig ein Recht auf Benützung des Grundstücks 2991/3 einräumten, grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zukommt (RIS-Justiz RS0043253 [T1; T8]). Eine im Interesse der Rechtssicherheit korrekturbedürftige Fehlbeurteilung liegt nicht vor.
a. Ein Dienstbarkeitsvertrag kann auch durch schlüssiges Verhalten iSd § 863 ABGB zustandekommen. Dabei reicht jedoch die bloße Duldung des Gebrauchs nicht aus; es müssen vielmehr Sachverhaltselemente hinzutreten, die den Schluss erlauben, der aus einem bestimmten Verhalten abzuleitende rechtsgeschäftliche Wille des Belasteten habe sich auf die Einräumung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht bezogen (RIS-Justiz RS0111562, RS0011661; 3 Ob 101/01a = SZ 2002/111).
Der Grundsatz, dass das bloße Dulden einer Wegbenützung nicht auf eine Einräumung einer entsprechenden Berechtigung schließen lässt, ergibt sich daraus, dass auch die Ersitzung - die erst mit Ablauf der Ersitzungsfrist bewirkt wird - voraussetzt, dass der Eigentümer der dienenden Sache die Ausübung eines bestimmten Rechts erkennen kann und sie gestattet (4 Ob 2082/96x).
Die bloße Duldung der Benützung durch den Kläger, der das Grundstück 1979 erwarb und der sich erstmals im Sommer 1996 um eine prekaristische Lösung bemühte, wurde somit vom Berufungsgericht im Einklang mit den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen als für eine schlüssige Dienstbarkeitseinräumung nicht ausreichend beurteilt.
b. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Rechtsvorgängerin des Klägers keine schlüssige Willenserklärung abgab, ist unter Berücksichtigung der konkreten Umstände jedenfalls vertretbar: Auf das bereits erwähnte Bauansuchen des Erst- und der Zweitbeklagten vom 24. Februar 1976 und die Bauverhandlung können sich die Beklagten nicht berufen, weil sich aus dem bloßen Umstand, dass der Vertreter der Rechtsvorgängerin des Klägers keine Einwände gegen das Bauprojekt erhob, nicht ergibt, dass dieser überhaupt Kenntnis vom Lageplan hatte, der die vorgesehene Einfahrt über das Grundstück der Rechtsvorgängerin vorsah. Bereits im Zuge des ersten Bauabschnitts beanstandete die Rechtsvorgängerin des Klägers mit Schreiben vom 30. September 1976 die Benützung der Zufahrt unter Hinweis darauf, dass der Erstbeklagte in der Bauverhandlung erklärt habe, dass die Zufahrt von der öffentlichen Straßenparzelle erfolgen werde.
c. Auch aus dem Verhalten der Baubehörde können die Beklagten keine Benützungsrechte ableiten. Selbst wenn nämlich die Behörde von einer Zustimmung des Grundeigentümers zur Benützung seines Grundes für Zufahrtszwecke ausgegangen wäre und diese Zustimmung für die Erteilung der Bewilligung voraussetzte, ändert das nichts daran, dass ohne entsprechende ausdrückliche oder schlüssige Willenserklärung des Eigentümers keine Grunddienstbarkeit eingeräumt werden konnte.
d. Auf das Ersuchen des Erstbeklagten vom 19. Oktober 1976, ihm ein Durchfahrtsrecht einzuräumen und das in das Grundstück hineinragende Vordach zu tolerieren, reagierte die Rechtsvorgängerin des Klägers nicht. Dass sie zunächst beabsichtigte, mit dem Erst- und der Zweitbeklagten ein Grundbenützungsübereinkommen zu schließen, kann schon mangels entsprechender Kenntnis des Erst- und der Zweitbeklagten von einer derartigen Absicht die Annahme einer schlüssigen Willenserklärung nicht rechtfertigen.
3. Richtig ist, dass nach der Rechtsprechung die konkludente Einräumung einer Servitut in jenen Fällen anzunehmen ist, in denen der Liegenschaftseigentümer wissen musste, dass der Begünstigte, der kostspielige Anlagen errichtete, diese Aufwendungen nicht getätigt hätte, wenn ihm das Gebrauchsrecht jederzeit entzogen werden konnte. In diesen Fällen ist somit der Schluss erlaubt, dass der aus einem bestimmten Verhalten abzuleitende Wille des Belasteten sich auf die Einräumung einer Dienstbarkeit als dingliches Recht bezog (3 Ob 101/01a = SZ 2002/111 mwN; RIS-Justiz RS0011650, RS0114010).
Die Revision argumentiert nun mit dem Zubau im Jahr 1985 und dem Umbau im Jahr 1995 und den damit verbundenen Kosten. Dabei übersieht sie allerdings, dass sie bereits 1976 eine Situation schuf, wonach der Autoabstellplatz samt Vordach nur über das Grundstück 2991/3 erreicht werden konnte. Aus den einvernehmlich an Ort und Stelle durchgeführten Erhebungen (S 3 f in ON 12) ergibt sich als unstrittiger Umstand, dass der „modernere" Zubau vom öffentlichen Gut erreichbar ist. Darauf, dass die kostspieligen „Anlagen" (Zubau) ohne Zufahrt über das Grundstück des Klägers nicht benützbar sind, können sich die Beklagten somit nicht berufen.
Damit verbleibt allein die von den Beklagten durchgeführte Asphaltierung auf einem Teil des Grundstücks. Die auf den konkreten Umständen des Einzelfalls beruhende Beurteilung des Berufungsgerichts, es könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit bejaht werden, dass es sich dabei um eine „kostspielige Anlage" handle, erweist sich als vertretbar.
Ein Eingehen auf die weitere Begründung des Berufungsgerichts, auch das festgestellte konkrete Wissen der Beklagten über die Benützung fremden Grundes hindere mangels Gutgläubigkeit die Annahme einer (schlüssigen) Dienstbarkeitseinräumung, erübrigt sich daher.
4. Im Einklang mit der herrschenden Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0026271) hat das Berufungsgericht die Berechtigung des von den Beklagten erhobenen Schikaneinwands verneint: Grundsätzlich kann der Liegenschaftseigentümer die Benützung seines Grundstücks untersagen. Das Interesse des Grundeigentümers, das Entstehen einer Dienstbarkeit zu verhindern, ist höher zu bewerten als das wirtschaftliche Interesse des Beklagten (RIS-Justiz RS0010395 [T1, T2]). Zutreffend hat das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass die festgestellten Grenzverletzungen nicht als „völlig unerheblich" zu qualifizieren sind.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.
Textnummer
E92085European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0030OB00132.09X.0930.000Im RIS seit
30.10.2009Zuletzt aktualisiert am
20.09.2012