TE OGH 2009/9/30 7Ob91/09x

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Veröffentlicht am 30.09.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialhilfeverband V*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Graziani-Weiss, Rechtsanwalt in Linz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. Februar 2009, GZ 2 R 130/08p-13, mit dem das Endurteil des Landesgerichts Wels vom 15. Mai 2008, GZ 5 Cg 78/07f-7, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 371,52 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 61,92 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist ein zur Verbandsklage gemäß § 29 Abs 1 KSchG berechtigter Verein. Der Beklagte betreibt zwei Alten- und Pflegeheime in Oberösterreich mit insgesamt 252 Bewohnern, von denen 205 Bewohner Sozialhilfe beziehen. Der gegenständliche Heimvertrag wird in ganz Oberösterreich - teilweise in mehr oder weniger abgeänderter Form - verwendet, da eine einheitliche Vorgangsweise der Sozialhilfeverbände gewählt wurde.

Der Kläger bekämpft zur Wahrung von Verbraucherinteressen Klauseln in dem vom Beklagten verwendeten Vertragsformular für Alten- und Pflegeheime als gesetz- und sittenwidrig. Er erhob - soweit für das Revisionsverfahrens (nach Erlassung eines Teilanerkenntnisurteils und rechtskräftiger Abweisung eines Begehrens auf Urteilsveröffentlichung) noch relevant - das Begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die er von ihm geschlossenen Verträgen zugrunde legt, und/oder in hierbei verwendeten Vertragsformblättern die Verwendung folgender oder sinngleicher Klauseln zu unterlassen und es ferner zu unterlassen, sich auf diese Klauseln zu berufen, soweit sie unzulässigerweise vereinbart worden seien. Die angefochtenen Teile der Klauseln sind unterstrichen wiedergegeben:

7. HILFE UND BETREUUNG (PFLEGE)

Die erforderliche individuelle Hilfe und Betreuung (Pflege) erfolgt unter Einhaltung der hiefür geltenden Vorschriften und unter Bedachtnahme auf die fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnisse und Erfahrungen. Die Pflege wird im Sinne einer ganzheitlichen Hilfestellung erbracht und orientiert sich am Leistungsumfang des Pflegebedarfs nach Maßgabe der jeweiligen Pflegegeldstufe im Sinne der Pflegegeldgesetze im Bemühen um die größtmögliche Selbstständigkeit des Heimbewohners/der Heimbewohnerin (wie Hilfe bei Körperpflege oder Hilfe im Bereich der Mobilität).

Die individuelle Hilfe und Betreuung umfasst alle Pflegemaßnahmen, soweit das Pflegepersonal aufgrund seiner Ausbildung zur Erbringung nach bestehenden Vorschriften berechtigt ist und darüber hinaus die hiefür erforderlichen medizinisch-technischen Voraussetzungen vorhanden sind und die im Einzelfall erforderlichen Hygienevorschriften eingehalten werden können.

Der Verlauf des Pflegeprozesses wird in der Pflegedokumentation festgehalten.“

und

15. KÜNDIGUNG UND VORZEITIGE AUFLÖSUNG DURCH DEN HEIMTRÄGER

1. Der Heimträger kann den Vertrag nur aus wichtigen Gründen schriftlich unter Angabe von Gründen zum jeweiligen Monatsende kündigen. Ein wichtiger Grund liegt insbesondere vor, wenn

a) ...

d) ...

Die Kündigungsfrist beträgt einen Monat, im Fall der lit. a) aber drei Monate. ...

2. Der Heimträger ist weiters berechtigt, den Vertrag bei besonders schwerwiegenden Verstößen des Heimbewohners/der Heimbewohnerin mit sofortiger Wirkung vorzeitig aufzulösen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn der/die Heimbewohner/in

a) eine mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohte gerichtlich strafbare Handlung, vor allem zum Nachteil anderer Heimbewohner/innen, des Heimträgers oder dessen Bediensteter begeht, oder

b) eine unmittelbar drohende Gefahr für das Heim, andere Heimbewohner/innen oder Bedienstete des Heimträgers verursacht.

3. ...“

Der Kläger brachte zur Klausel 7 2. Absatz (in Hinkunft: Pflegeklausel) vor, nach § 27d Abs 2 Z 2 KSchG seien Art und Ausmaß besonderer Pflegeleistungen des Heimträgers gegenüber besonders betreuungs- und pflegebedürftigen Personen genau und konkret zu umschreiben. Auf derartige Umstände werde aber im vorliegenden Vertrag nicht abgestellt. Die Einschränkung der Pflegeklausel sei intransparent, weil der Beklagte diese Faktoren selbst steuern könne. Die im ersten Absatz der Vertragsbestimmung über die Hilfe und Betreuung vorgenommene allgemeine Beschreibung der Pflegeleistungen werde durch die beanstandete Klausel in unzulässiger Weise relativiert. Für Heimbewohner sei bei Vertragsabschluss nicht nachvollziehbar, welche besonderen Pflegeleistungen der Beklagte zu erbringen habe. Diese Pflegeklausel entspreche daher keinesfalls dem Erfordernis größtmöglicher Transparenz im Sinn des § 27d Abs 4 KSchG und verstoße darüber hinaus gegen § 915 ABGB und §§ 6 Abs 3, 27g Abs 5 und 27f KSchG.

Die Klausel 15.2. (in Hinkunft: Auflösungsklausel) sei sittenwidrig und verstoße gegen die §§ 6 Abs 3, 27d Abs 4, 27i KSchG sowie § 879 Abs 3 ABGB, weil sie dem Beklagten die Möglichkeit einräume, den Vertrag mit sofortiger Wirkung zu beenden, auch wenn zum Beispiel einen Heimbewohner mangels Zurechnungs- bzw Deliktsfähigkeit kein Verschulden an einer von ihm verwirklichten strafbaren Handlung treffe. Das Verschuldenselement werde - etwa entgegen § 30 Abs 2 Z 3 MRG - nicht betont. Der Begriff „eine unmittelbar drohende Gefahr“ sei völlig unklar und unbestimmt. Schließlich könne etwa auch eine Gefahr von pflegebedürftigen Bewohnern ausgehen, die an einer Demenz oder sonstigen geistigen Beeinträchtigung leiden würden. Dann könne etwa eine erhöhte Aufsicht durch das Personal eine Gefährdung verhindern.

Der Beklagte wendete zur Pflegeklausel ein, im nicht beanstandeten ersten Absatz der Klausel sei festgelegt, dass sich der Beklagte verpflichte, die erforderliche individuelle Hilfe und Betreuung/Pflege nach den fachlichen und wissenschaftlichen Erkenntnissen und Erfahrungen zu erbringen, wie dies auch durch die Oö. Alten- und Pflegeheimverordnung vorgegeben sei. Maßgeblich für den Leistungsumfang sei der Pflegebedarf auf Grundlage einer ganzheitlichen Hilfestellung. Eine Aufzählung konkreter Stundenzahlen und Tätigkeiten sei unmöglich und mit Blick auf § 27d Abs 4 KSchG auch untunlich. Die vorliegende Klausel sei sowohl transparent als auch dem Gesetz entsprechend.

Die Auflösungsklausel sehe die Kündigung aus wichtigem Grund vor, wobei § 27i Abs 1 KSchG fast inhaltsgleich wiedergegeben werde. Der angefochtene Vertragspunkt sehe darüber hinaus bei besonders schwerwiegenden Verstößen eine außerordentliche Aufkündigung vor. Eine strafbare Handlung setze ohnedies eine schuldhafte Begehung voraus, sodass bei mangelnder Zurechnungsfähigkeit kein Kündigungsgrund bestehe. Der Begriff der „unmittelbar drohenden Gefahr“ werde auch in anderen gesetzlichen Bestimmungen verwendet, sodass er klarer Bestandteil der österreichischen Rechtssprache sei.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten mit Endurteil zur Unterlassung der beiden in Rede stehenden Vertragsklauseln. Das Veröffentlichungsbegehren wies es ab. Es führte zur Pflegeklausel aus, es sei zu vereinbaren, ob und bejahendenfalls welche besonderen Pflegeleistungen im Fall einer längeren Pflegebedürftigkeit zu erbringen seien, was auch die Verpflichtung zur Angabe des Pflegestandards einschließe. Die Bestimmungen der Oö. Alten- und Pflegeheimverordnung führten zu keiner einfacheren, verständlicheren und umfassenderen Auslegung der verwendeten Vertragsbestimmung, bei der es sich somit um eine unklare Generalklausel handle, aus der die tatsächlich zu erbringenden Pflegemaßnahmen nicht zu entnehmen seien. Die Auflösungsklausel sehe entgegen § 27i KSchG die Einräumung einer Kündigungsmöglichkeit mit sofortiger Wirkung vor. Es könne jedoch nicht nachvollzogen werden, dass die strittigen Gründe schwerer wiegen würden als die gesetzlich aufgezählten. Die Formulierung „unmittelbar drohende Gefahr“ sei undeutlich, unklar und unbestimmt. Die Heimbewohner seien meist auf einen Heimplatz angewiesen.

Das Berufungsgericht gab weder der Berufung des Klägers (gegen die Abweisung des Begehrens auf Veröffentlichung) noch jener des Beklagten (gegen den klagsstattgebenden Teil) Folge. Es bewertete den Entscheidungsgegenstand mit 4.000 EUR, nicht jedoch 20.000 EUR übersteigend und ließ die ordentliche Revision zu.

§ 27i KSchG regle nicht organisationsrechtliche Fragen des Betriebs des Pflegeheims, sondern mache unmittelbare Vorgaben zur näheren Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses zwischen den Trägern und den Bewohnern. Solche zivilrechtlichen Rechtsverhältnisse seien Teil des allgemeinen Vertrags- und Verbraucherrechts und würden unter den Kompetenztatbestand „Zivilrechtswesen“ nach Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG fallen.

Zwar finde sich im ersten Absatz der Pflegeklausel eine allgemeine Umschreibung der zu erbringenden besonderen Pflegeleistungen; diese allgemein gehaltene Umschreibung der besonderen Pflegeleistungen erfahre jedoch durch den zweiten Absatz eine unzulässige Einschränkung und Relativierung. Für den durchschnittlichen Heimbewohner sei nämlich bei der gebotenen Auslegung im „kundenfeindlichsten“ Sinn nicht zu erkennen, welche Leistungen ihm gegenüber tatsächlich erbracht werden könnten. Aus der Oö. Alten- und Pflegeheimverordnung sei für die im Heimvertrag vorzunehmende Konkretisierung der besonderen Pflegeleistungen nichts zu gewinnen. Mangels genauer und umfassender Darstellung der vom Heimträger zu erbringenden besonderen Pflegeleistungen sei daher den Erfordernissen des Transparenzgebots durch die Pflegeklausel nicht Genüge getan.

Durch § 27i Abs 1 KSchG sei eine ordentliche Kündigung durch den Heimträger ausgeschlossen, er könne das Vertragsverhältnis unter anderem nur unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von einem Monat oder drei Monaten einseitig kündigen. Durch die Auflösungsklausel solle für den Heimträger eine Möglichkeit geschaffen werden, das Vertragsverhältnis bei Vorliegen „besonders schwerwiegender Verstöße“ des Heimbewohners mit sofortiger Wirkung vorzeitig aufzulösen. Gerade die sofortige Vertragsauflösung stelle jedoch einen besonders schwerwiegenden Eingriff in das Interesse des Heimbewohners dar. Bei kundenfeindlichster Auslegung müsse angenommen werden, dass auch die Begehung einer mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedrohten gerichtlich strafbaren Handlung, egal zu wessen Nachteil und zu Lasten welcher geschützten Rechtsgüter, zur Vertragsauflösung mit sofortiger Wirkung berechtige. Der weiters gebrauchte Begriff der „unmittelbar drohenden Gefahr“ für das Heim, andere Heimbewohner/innen oder Bedienstete des Heimträgers sei ebenfalls völlig unbestimmt.

Die ordentliche Revision sei zuzulassen, weil zu den hier zu beurteilenden Heimvertragsklauseln keine oberstgerichtliche Rechtsprechung bestehe.

Dagegen richtet sich die ordentliche Revision des Beklagten, in der (neuerlich) angeregt wird, beim Verfassungsgerichtshof ein Normprüfungsverfahren gemäß Art 140 B-VG betreffend § 27i KSchG wegen dessen Verfassungswidrigkeit zu beantragen. Im Übrigen wird die Abänderung der Vorentscheidungen im Sinn einer Klagsabweisung, hilfsweise Aufhebung begehrt.

Dem tritt der Kläger in seiner Revisionsbeantwortung entgegen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist

zulässig, weil höchstgerichtliche Judikatur zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 27i KSchG noch nicht vorliegt; sie ist aber nicht berechtigt.

1. Hat der Oberste Gerichtshof gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken, so hat er den Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu stellen (Art 89 Abs 2 B-VG). Der Umstand allein, dass eine Partei solche Bedenken hegt, verpflichtet den Obersten Gerichtshof noch nicht zu einer derartigen Antragstellung. Eine Pflicht zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof setzt erhebliche Gründe voraus, die für eine Verfassungswidrigkeit der betreffenden gesetzlichen Bestimmung sprechen (RIS-Justiz RS0053641 [T2 und T3]). Der Revisionswerber vermag aber keine zureichenden Gründe für seine Bedenken aufzuzeigen.

1.1. Sofern sich der Beklagte auf den Kompetenztatbestand „Heil- und Pflegeanstalten“ (Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG) und dessen Auslegung durch Versteinerung des seit 1925 in Kraft stehenden KAG beruft, übersieht er, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 13.237/1992 entschieden hat, dass die „Regelung der Errichtung, der Erhaltung und des Betriebes von Heimen für Personen, die wohl ständiger Pflege, aber bloß fallweiser ärztlicher Betreuung bedürfen (Pflegeheimen), ... gemäß Art 15 Abs 1 B-VG in die Zuständigkeit der Länder“ fällt. Dabei wurde begründend festgehalten: Während in Krankenanstalten die Notwendigkeit einer ärztlichen Betreuung des chronisch Kranken im Vordergrund stehe, komme in Pflegeheimen dem Erfordernis der Pflege des chronisch Kranken die vorrangige Bedeutung zu; die ärztliche Betreuung solle bei Bewohnern eines Pflegeheims, wenn überhaupt, so bloß fallweise geboten sein; dieser wesentliche Unterschied schließe es aus, die im zu prüfenden Gesetzesentwurf vorgesehenen Regelungen dem Kompetenztatbestand „Heil- und Pflegeanstalten“ zu unterstellen.

Die auf dem genannten Kompetenztatbestand nach Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG aufbauende Argumentation des Beklagten erweist sich daher schon im Ansatz als unzutreffend.

1.2. Es trifft zu, dass der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 16.929/2003 ausdrücklich offen ließ, inwieweit die Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Heimbewohner und dem Rechtsträger des Pflegeheims als Angelegenheit des „Betriebs“ des Pflegeheims anzusehen ist und somit - entsprechend dem Erkenntnis VfSlg 13.237/1992 - in die Gesetzgebungskompetenz des Landes fällt; in einem Klammerzitat wurde (dennoch) auf das Erkenntnis VfSlg 10.066/1984 verwiesen, wonach die (konkret die die Einhebung, Festsetzung sowie Verrechnung und Einbringlichmachung von Pflege- und Sondergebühren betreffende) Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen dem Patienten und dem Träger der Krankenanstalt dem Kompetenztatbestand „Heil- und Pflegeanstalten“ im Sinn des Art 12 Abs 1 Z 1 B-VG zuzuordnen sei.

Es bedarf dazu einer Differenzierung: Nach den Materialien zum Heimvertragsgesetz nimmt der Bundesgesetzgeber für die Erlassung dieses Gesetzes und insbesondere der Spezialnormen der §§ 27b ff KSchG den Kompetenztatbestand Zivilrechtswesen des Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG in Anspruch (ErlRV, 202 BlgNR 22. GP 1 und 3). Ungeachtet des Kompetenzfeststellungserkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs VfSlg 13.237 ging er davon aus, dass den Ländern nicht auch die Kompetenz zur umfassenden Regelung der zivilrechtlichen Verhältnisse zwischen dem Heimträger und den Heimbewohnern zukomme. Solche seien auch nicht im Sinn des Art 15 Abs 9 B-VG erforderlich.

1.2.1. Dem entsprechend sieht § 27b Abs 1 KSchG ausdrücklich vor, dass die §§ 27b bis 27i leg cit (nur) „bestimmte Aspekte zivilrechtlicher Verträge“ regeln, im Fall des § 27i KSchG die „Kündigung durch den Heimträger“. Es geht daher nicht um sämtliche, sondern nur um die privatrechtlichen Beziehungen zwischen dem Heimträger und den Heimbewohnern. Ein zivilrechtlicher Vertrag im Sinn des § 1 ABGB liegt immer dann vor, wenn beide Vertragspartner natürliche oder juristische Personen des Privatrechts sind; das ist auch dann der Fall, wenn eine öffentlich-rechtliche Körperschaft im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung tätig ist (Ganner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 27b KschG Rz 1). Der Verfassungsgerichtshof geht in seiner jüngeren Judikatur davon aus, dass Regelungen, die die Rechtsbeziehungen der Bürger unter sich betreffen, grundsätzlich in den Kompetenztatbestand „Zivilrechtswesen“ nach Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG fallen (Mayer, B-VG4 Art 10 B-VG I.6.). Kündigungsbestimmungen zu zivilrechtlichen (Heim-)Verträgen sind daher als in diesem Sinn zivilrechtlich anzusehen (vgl Ganner, Die Kompetenzlage in der Alten- und Pflegebetreuung, SozSi 1997, 938 ff, P IV.1.) und sind dem vom Bundesgesetzgeber in Anspruch genommenen Kompentenztatbestand „Zivilrechtswesen“ zuzuordnen.

Eine generelle Abgrenzung dieses Kompetenztatbestands zu jenem des Betriebs von Pflegeheimen mag nicht einfach sein (vgl Kathrein, FS Welser, 2004, 441), lässt sich aber zu der hier in Rede stehenden Kündigungsbestimmung deshalb klar treffen, weil ja nicht eine generelle Unkündbarkeit von Heimverträgen zu Lasten des Heimträgers normiert wird, die die Organisation und die Planung des Betriebs eines Pflegeheims unmittelbar beeinflussen und entscheidend erschweren würde; vielmehr erfolgt (nur) eine für Dauerschuldverhältnisse allgemein anerkannte Beschränkung des Kündigungsrechts des Heimträgers auf wichtige Gründe, wenn auch unter Einhaltung einer (ohnehin kurzen) Kündigungsfrist von (in der Regel) einem Monat. Dies betrifft im Übrigen nur Aufenthalte in Pflegeheimen aufgrund privatrechtlicher Beziehungen zum Heimträger, nicht jedoch Aufnahmen von Personen, die auf öffentlich-rechtlichen und vor allem sozialrechtlichen Vorschriften beruhen, zum Beispiel Heimunterbringung als Leistung der Sozialhilfe, auf die ein öffentlich-rechtlicher Rechtsanspruch besteht und über die mit Bescheid abgesprochen wird (vgl RIS-Justiz RS0121569; Kathrein, FS Welser [2004] 432). In die auf diese Weise geregelten Rechtsbeziehungen zwischen dem Heimbewohner und dem Rechtsträger des Pflegeheims wird daher durch die zivilrechtliche Regelung der Kündigungsbeschränkung im § 27i KSchG gar nicht eingegriffen, weshalb auch ein Eingriff in die dem Landesgesetzgeber vorbehaltene Kompetenzmaterie „Betrieb eines Pflegeheims“ zu verneinen ist.

1.2.2. Mit Art 15 Abs 9 B-VG setzt sich der Beklagte in seiner Revision nicht auseinander und führt demgemäß auch kein Argument dafür an, warum die von § 27i KSchG vorgesehenen Kündigungsbestimmungen für den Heimträger aus sachlichen Gründen vom Landesgesetzgeber als Teil seiner zivilrechtlichen Restkompetenz getroffen werden müssten. Bedenkt man, dass im KSchG unter anderem allgemeine Grundsätze des Vertragsrechts, die zweifellos dem Zivilrechtswesen im Sinn des Art 15 Abs 1 Z 6 B-VG zuzuordnen sind, für verschiedene Vertragstypen, darunter den (privatrechtlichen) Heimvertrag, präzisiert werden, ist ein Erfordernis einer zivilrechtlichen Ergänzungsregelung dieses Inhalts im Sinn der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs zu Art 15 Abs 9 B-VG (vgl VfSlg 13.322/1992), wonach es darum geht, dass zu einer verwaltungsrechtlichen Regelung solche zivilrechtlicher Art hinzutreten müssen, weil ansonsten erstere unvollständig bliebe, nicht zu erkennen.

Im Übrigen gelangt man schon aufgrund einer gesetzeskonformen Interpretation der Bestimmungen des ABGB ebenfalls zum Ergebnis, dass es (auch ohne landesgesetzliche Regelung) zur Auflösung eines Heimvertrags auf Seiten des Heimträgers eines wichtigen Grunds bedarf (RIS-Justiz RS0108621 = 6 Ob 247/97k; vgl Ganner, Die Kompetenzlage in der Alten- und Pflegebetreuung, SozSi 1997, 938 ff, P IV.2.), sodass insofern die Notwendigkeit landesgesetzlicher Regelungen verneint werden muss.

1.3. Es wurde auch die Wahrnehmung der Kompetenz für das „Zivilrechtswesen“ durch den Bundesgesetzgeber bei der Erlassung der §§ 27b bis 27i KSchG bisher von der Lehre nicht kritisiert. Ebenso wenig äußerte der Oberste Gerichtshof anlässlich der - noch näher darzustellenden - Behandlung unter anderem des § 27i KSchG Bedenken gegen dessen Verfassungskonformität (8 Ob 119/08w). Zusammengefasst besteht daher kein Anlass für die vom Beklagten angeregte Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof nach Art 89 B-VG.

2.1. Der Oberste Gerichtshof hat erst vor kurzem in einem Verbandsprozess zu völlig wortgleichen Klauseln eines Heimvertrags inhaltlich Stellung genommen (8 Ob 119/08w) und deren vom Berufungsgericht ausgesprochene Unzulässigkeit bestätigt (zur Pflegeklausel: RIS-Justiz RS0124337 [T2] = RS0124626; zur Auflösungsklausel: RIS-Justiz RS0124627 und RS0124628):

Zur Pflegeklausel wurde - zusammenfassend - ausgeführt, „dass eine bloße Beschreibung durch Verweise auf gesetzliche Regelungen oder Regelungen einer Verordnung nicht in Betracht kommt, weil dies zusätzliche Nachforschungen über die angeführten Normtexte erfordert (3 Ob 180/08d). Umso mehr hat dies zu gelten, wenn völlig allgemein auf ‘bestehende’ (welche?) und damit für den einzelnen Heimbewohner kaum nachvollziehbare Vorschriften verwiesen und damit dem Ansatz des Gesetzes, klare und transparente Rechtsverhältnisse zu schaffen, nicht entsprochen wird“.

Zu den Auflösungsklauseln kam der Oberste Gerichtshof in der zitierten Entscheidung zu folgendem Ergebnis:

„Es sind [...] keine Konstellationen ersichtlich, die es einerseits trotz der ohnehin nach § 27i KSchG bestehenden Kündigungsmöglichkeiten mit einer bloß einmonatigen Kündigungsfrist zum Monatsende (also maximal 2 Monate) und der dabei festgelegten Voraussetzungen (zumutbare Maßnahmen der Abhilfe) im Sinne des dargestellten Notventils erfordern würden, das Vertragsverhältnis sofort aufzulösen, und die andererseits so konkret und bestimmt beschreibbar wären, dass dies dem hier geltenden Transparenzgebot (§§ 6 Abs 3 und 27d KSchG) entsprechen würde. Bestünde doch bei einer allgemeinen unbestimmten Bezugnahme auf ein Notventil die Gefahr, dass dadurch - alte und pflegebedürftige - Verbraucher (Heimbewohner) von der Durchsetzung ihrer Rechte auf Aufrechterhaltung des Heimvertrags abgehalten werden, weil ihnen ein unklares Bild ihrer vertraglichen Position vermittelt wird und sie mit der Unsicherheit der Befürchtung einer (jederzeitigen) Auflösbarkeit ihres Heimvertrags konfrontiert wären.

Jedenfalls ist aber eindeutig, dass Auflösungsgründe, die nicht einmal zu einer Kündigung im Sinne des § 27i KSchG ausreichen, keinesfalls Anlass für eine außerordentliche sofortige Auflösung sein können. Dies trifft im Sinne der oben dargestellten Grundsätze über die verbraucherfeindlichste Auslegung im Rahmen der Beurteilung des Verbandsprozesses nach § 28 KSchG auf beide hier zur Beurteilung anstehenden Auflösungsklauseln zu. Auch wenn dem beklagten Sozialhilfeverband zuzubilligen ist, dass unter strafbaren Handlungen regelmäßig wohl auch nur ein schuldhaftes Verhalten verstanden werden kann (vgl dazu RIS-Justiz RS0119223), so zeigt doch § 27i Abs 1 Z 3 KSchG über den Kündigungsgrund bei Fehlverhalten eines Heimbewohners, dass dort alle zumutbaren Maßnahmen der Abhilfe und Ermahnungen gefordert werden. Als weitere Voraussetzung wird festgelegt, dass es dem Träger oder anderen Bewohnern nicht weiter zugemutet werden kann, den Heimvertrag über die Kündigungsfrist hinaus aufrecht zu belassen. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob etwa ein schwerer Diebstahl im Sinne des § 128 Abs 1 Z 1 StGB, der unter Ausnützung des Zustands eines Bestohlenen, der diesen hilflos macht, erfolgt und der mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren bedroht ist, schon den Tatbestand des § 27i Abs 1 Z 3 KSchG verwirklicht und ob nicht vorweg versucht werden muss, (auch) hier Abhilfe zu schaffen. Jedenfalls ist dieser Fall im Allgemeinen durch die Bestimmung des § 27i Abs 1 Z 3 KSchG als erfasst anzusehen, sodass jedenfalls nur die Möglichkeit einer Kündigung bestünde und insoweit die fristlose sofortige Auflösung entsprechend der Klausel als unzulässig anzusehen ist.

Noch mehr gilt dies hinsichtlich der zweiten Auflösungsklausel betreffend eine unmittelbar drohende Gefahr, etwa für das Heim. Dabei wird im Klauseltext weder auf die Schwere der Gefahr noch darauf abgestellt, dass diese für Leib und Leben verwirklicht sein müsste. Im Sinne wiederum des heranzuziehenden Grundsatzes der verbraucherfeindlichsten Auslegung im Rahmen des Prüfungsverfahrens nach § 28 KSchG wäre hier also etwa auch die bloße Gefahr, dass ein Heiminsasse einen bloß unbedeutenden Sachschaden anrichtet, schon ausreichend.“

2.2. Daran ist festzuhalten und der Revision ergänzend kurz Folgendes zu entgegnen:

§ 2 ABGB betrifft unter anderem die Frage, wann Rechtsunkenntnis subjektiv vorwerfbar ist, weshalb insbesondere Schadenersatzpflichten entstehen oder Ansprüche wegen Mitverschuldens gekürzt werden können (P. Bydlinski in KBB² § 2 ABGB Rz 1). Im Verbandsprozess hat diese Bestimmung daher keinen Anwendungsbereich.

Der Verweis der Revision auf die Kündigungsmöglichkeit nach § 27i Abs 1 Z 2 KSchG vermag an der fehlenden Transparenz der Pflegeklausel nichts zu ändern. Die zitierte Bestimmung stellt zudem - anders als die Pflegeklausel - auf die Änderung von (gesundheitlichen) Umständen in der Sphäre des Heimbewohners ab, die naturgemäß nicht im Einzelnen vorausgesehen werden können. Davon, dass § 27i Abs 1 Z 2 KSchG zu wenig determiniert sei, kann daher keine Rede sein.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 50 und 41 ZPO.

Textnummer

E92264

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0070OB00091.09X.0930.000

Im RIS seit

30.10.2009

Zuletzt aktualisiert am

11.02.2016
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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