TE OGH 2009/10/13 1Ob104/09i

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Veröffentlicht am 13.10.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Renate E*****, vertreten durch Dr. Friedrich Valzachi, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Helmut E*****, vertreten durch Dr. Raimund Hora, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt (Streitwert 1.800 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 23. Dezember 2008, GZ 44 R 613/08k-56, womit das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 29. September 2008, GZ 3 C 64/07m-50, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in Ansehung der Abweisung eines Mehrbegehrens (Punkt 4. des Ersturteils) als nicht in Beschwerde gezogen unberührt bleiben, werden im übrigen Umfang aufgehoben; die Rechtssache wird insoweit an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Ehe der Streitteile wurde 1997 aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten geschieden. Ein Unterhaltsbegehren der Klägerin wurde mit rechtskräftigem Urteil vom 27. 8. 2002 abgewiesen und festgestellt, dass es dem Beklagten nicht möglich sei, ein höheres als das von ihm erzielte tatsächliche Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit zu verdienen. Außergerichtlich hat die Klägerin dem Beklagten gegenüber keine Unterhaltsansprüche geltend gemacht.

Der Beklagte war bis 31. 12. 2007 als kaufmännischer Angestellter beschäftigt und bezog in den ersten elf Monaten des Jahres 2004 ein monatliches Nettoeinkommen von etwa 670 EUR, im Dezember 2004 von etwa 731 EUR. 2005 lag sein monatliches Nettoeinkommen bei etwa 680 EUR, 2006 bei ca 695 EUR, und 2007 bei etwa 707 EUR. Diese Nettogehälter bezog er jeweils 14-mal jährlich. Seit dem 1. 1. 2008 ist der Beklagte in Pension und bezieht eine monatliche Nettopension von rund 1.440 EUR, 14-mal jährlich. Die Klägerin erhält eine monatliche Pension von ca 1.142 EUR netto.

Im Verlassenschaftsverfahren nach seiner Tante schlug der Beklagte am 2. 10. 2002 die Erbschaft zugunsten seines Bruders vorbehaltlos aus. Teil des Nachlasses war das Hälfteeigentum an einer Liegenschaft, die im November 2002 zu einem monatlichen Hauptmietzins von 3.400 EUR vermietet wurde. Die Ausschlagung der Erbschaft erfolgte nicht aufgrund eventueller Kontaminierungen der Liegenschaft oder wegen Verpflichtungen dem Bruder gegenüber.

Die Klägerin begehrte mit ihrer am 26. 3. 2007 eingebrachten Klage nachehelichen Unterhalt ab 1. 4. 2004 in Höhe von 50 EUR monatlich. Der Beklagte habe ohne Grund auf die Erbschaft verzichtet, wodurch ihm monatliche Einkünfte von 850 EUR aus der Vermietung entgingen. Er sei daher so zu behandeln, als ob er über diese Einkünfte verfügen würde, weshalb der Klägerin ein Unterhaltsanspruch von jedenfalls 50 EUR monatlich zustehe.

Der Beklagte wandte vor allem ein, er habe sich der Erbschaft entschlagen, weil auf der Liegenschaft eine Tankstelle betrieben worden und eine Kontaminierung des Bodens zu befürchten gewesen sei. Außerdem habe ihn, als er in Konkurs verfallen war, sein Bruder erheblich unterstützt, weshalb er ihm habe entgegenkommen wollen.

Das Erstgericht gab der Klagsforderung für die Zeit vom 26. 3. 2007 bis 31. 8. 2007 mit 7,36 EUR, vom 1. 9. 2007 bis 31. 12. 2007 mit 11,10 EUR, und ab 1. 1. 2008 mit 50 EUR - jeweils monatlich - statt und wies das Mehrbegehren ab. Eine eingewandte Kostenforderung aus einem Vorprozess sah es als nicht zu Recht bestehend an. Der Beklagte sei zur Zahlung von Unterhalt gemäß § 66 EheG heranzuziehen, wobei der Anspruch der Klägerin grundsätzlich 40 % des gemeinsamen Einkommens abzüglich ihres Eigeneinkommens betrage. Entsprechend der Argumentation der Klägerin sei die ausgeschlagene Erbschaft eine konkrete Einkommensmöglichkeit, die sich der Beklagte anrechnen lassen müsse. Unter Berücksichtigung der Indexierung des Mietzinses seien ab März 2007 zumindest 923,95 EUR monatlich bzw ab September 2007 933,30 EUR monatlich erzielbar gewesen, weshalb sich die zugesprochenen Unterhaltsbeträge errechneten.

Das Berufungsgericht gab der gegen den klagsstattgebenden Teil dieser Entscheidung erhobenen Berufung des Beklagten Folge und wies das Klagebegehren zur Gänze ab. Die Revision ließ es nachträglich zu. Das Erstgericht habe die Unterhaltsbemessung zwar rechnerisch nicht dargestellt, sie ergebe sich aber aus den angegebenen Prämissen. Zu beachten sei, dass die Streitteile zur Zeit des Erbanfalls schon fünf Jahre geschieden gewesen seien und die Klägerin im Hinblick auf die damals bestehenden Einkommensverhältnisse keinen Unterhaltsanspruch gehabt habe. Auch die Hinzurechnung der Zusatzeinkünfte aus der Erbschaft vor der Pensionierung des Beklagten, die erst fünf Jahre nach dem Erbanfall erfolgt sei, habe wegen dessen geringen Arbeitseinkommens keine Unterhaltsansprüche der Klägerin zur Folge gehabt. Die dem Anspannungsgrundsatz unterliegende Unterhaltspflicht werde nicht verletzt, wenn sie im Zeitpunkt des vorgeworfenen Verhaltens gar nicht bestanden habe und auch bei Annahme der Erbschaft nicht entstanden wäre. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei bei einer Pensionierung nicht mit einer Einkommenserhöhung zu rechnen, um so weniger, wenn sie „noch Jahre in der Zukunft" liege. Die Erbsentschlagung sei daher kein pflichtwidriges Verhalten im Hinblick auf die dadurch entgangenen Einkünfte. Ohne diese ergäbe sich aber kein Unterhaltsanspruch der Klägerin; daher sei ihr Begehren abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.

Der Grundsatz der Anspannung gilt auch im Ehegattenunterhaltsrecht, sowohl bei aufrechter Ehe als auch nach erfolgter Scheidung für Unterhaltsansprüche nach den §§ 66 ff EheG (Gitschthaler, ÖJZ 1996, 553 f). Grundgedanke und damit Grundsatz der Anspannungstheorie ist, dass der davon Betroffene alle seine Kräfte anzustrengen hat, um bestehenden unterhaltsrechtlichen Verpflichtungen nachkommen zu können. Der von der Anspannungstheorie Betroffene hat daher grundsätzlich die Obliegenheit, im Interesse des Anderen alle seine persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft, allenfalls auch sein Vermögen, so gut wie möglich einzusetzen (Gitschthaler aaO).

Sowohl Vermögen als auch Geldbeträge, die dem Unterhaltspflichtigen aus erbrechtlichen Ansprüchen zufließen, sind bei seiner Verpflichtung zur Leistung angemessenen Unterhalts zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0047404). Ein Verzicht auf die Geltendmachung solcher nach den Umständen zustehenden Ansprüche darf nicht zu Lasten des Unterhaltsberechtigen gehen (zur Abfertigung RIS-Justiz RS0107086).

Die Anspannung auf tatsächlich nicht erzieltes Einkommen setzt aber eine dem Unterhaltspflichtigen vorwerfbare Pflichtverletzung voraus, wobei leichte Fahrlässigkeit genügt (RIS-Justiz RS0107086; RS0047495). Der Anspannungsgrundsatz dient als eine Art Missbrauchsvorbehalt, wenn schuldhaft die zumutbare Erzielung höherer Einkünfte versäumt wird (RIS-Justiz RS0047495 [T4]). Dabei ist nicht maßgeblich, ob sich die zu beurteilende Entscheidung des Unterhaltspflichtigen in rückschauender Betrachtung als bestmöglich erweist, sondern vielmehr alleine bedeutsam, ob sie nach den jeweils gegebenen konkreten Umständen im Entscheidungszeitpunkt als vertretbar anzuerkennen ist (1 Ob 130/04f = RIS-Justiz RS0047495 [T12]).

Hier ist zu berücksichtigen, dass der Beklagte im Zeitpunkt der Entscheidung über die Ausschlagung der Erbschaft (2. 10. 2002) aufgrund des am 27. 8. 2002 ergangenen Urteils davon ausgehen konnte, nicht in der Lage zu sein, ein höheres als das tatsächlich von ihm erzielte Einkommen zu verdienen. Es musste dem Beklagten aber auch klar sein, dass seine Unterhaltsverpflichtung nur im Hinblick auf die Höhe seines Einkommens verneint worden war und daher bei einer Erhöhung des Einkommens bzw bei Erwerb verwertbaren Vermögens diese Verpflichtung jederzeit schlagend werden konnte. Ob den Beklagten bei Hinzurechnung der Einnahmen aus dem Mietvertrag, die ihm bei Annahme der Erbschaft zugeflossen wären, im Zeitpunkt des Ausschlagens der Erbschaft eine Unterhaltsverpflichtung traf, kann mangels Feststellung des zu diesem Zeitpunkt bezogenen Arbeitseinkommens ebenso wenig beurteilt werden wie die Frage, ob dem Beklagten voraussehbar war, dass er nach seiner - erst in einigen Jahren zu erwartenden - Pensionierung ein höheres Gehalt beziehen werde.

Ausgehend vom Sorgfaltsmaßstab eines pflichtgemäßen, rechtschaffenen Familienvaters bzw Ehegatten (RIS-Justiz RS0047495 [T2]) und von seiner subjektiven Kenntnis und Einsicht im Zeitpunkt der Entscheidung (vgl 1 Ob 23/02t) darf auch ein pflichtgemäß handelnder geschiedener Ehegatte, der vom Bemühen seines vormaligen Ehepartners, Unterhalt zu begehren, Kenntnis hatte, nicht ohne anerkennenswerten Grund auf zusätzliche Einkünfte verzichten, wenn im Entscheidungszeitpunkt absehbar ist, dass er damit unterhaltspflichtig würde.

Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren festzustellen haben, welches Einkommen die Klägerin nach dem Kenntnisstand des Beklagten im Zeitpunkt seines Erbverzichts erzielte, welches konkrete Einkommen der Beklagte zu diesem Zeitpunkt ins Verdienen brachte, und welches Wissen über seine Einkommensentwicklung aufgrund der späterhin zu erwartenden Pensionierung er hatte bzw haben musste. Erst dann wird sich beurteilen lassen, ob der von ihm abgegebene Erbverzicht als vertretbar anzuerkennen ist.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

Textnummer

E92277

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00104.09I.1013.000

Im RIS seit

12.11.2009

Zuletzt aktualisiert am

19.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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