Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Oktober 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter, in Gegenwart der Rechtspraktikantin Dr. Walcher als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Marko J***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über den Antrag der Generalprokuratur gemäß § 362 Abs 1 Z 2 StPO betreffend den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 16. Juli 2009, AZ 10 Bs 216/09z, im Verfahren AZ 36 Hv 65/09t des Landesgerichts Salzburg in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
In Stattgebung des Antrags der Generalprokuratur wird im außerordentlichen Weg die Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens verfügt, der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 16. Juli 2009, AZ 10 Bs 216/09z, aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zur neuerlichen Entscheidung über den Einspruch des Angeklagten Marko J***** gegen die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 5. Juni 2009, AZ 9 St 59/09h, verwiesen.
Text
Gründe:
Marko J***** werden im Verfahren AZ 36 Hv 65/09t des Landesgerichts Salzburg mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Salzburg vom 5. Juni 2009, AZ 9 St 59/09h (ON 11), das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (I./) und die Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB (II./) zur Last gelegt.
Die Anklageschrift wurde dem in der Justizanstalt Wels in Strafhaft befindlichen Angeklagten am 18. Juni 2009 eigenhändig zugestellt (S 6 in ON 11). Am 6. Juli 2009 wurde der an das Landesgericht Salzburg adressierte Einspruch des Angeklagten gegen die Anklageschrift (ON 12) per Einschreiben am Postamt Wels aufgegeben (S 3 in ON 12). Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 16. Juli 2009, AZ 10 Bs 216/09z (ON 14), wurde der Einspruch wegen Verspätung (BS 3) als unzulässig zurückgewiesen.
Nach Zustellung dieses Beschlusses legte der Beschuldigte mit Schreiben vom 22. Juli 2009 (ON 15) einen von einem Justizwachebeamten eigenhändig unterfertigten Aktenvermerk der Justizanstalt Wels vom 22. Juli 2009 vor, in dem es heißt (S 3 in ON 15):
„Laut BInsp. G***** Gerhard wurde der Brief für LG Salzburg (Sendungsnummer RO774806711AT) von J***** Marko (15.03.1969) am 01.07.09 in der Abteilung Altbau abgegeben."
Rechtliche Beurteilung
Bei auf Antrag der Generalprokuratur vorgenommener Prüfung der Akten ergeben sich erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Beschluss des Oberlandesgerichts Linz zugrunde gelegten Tatsachen. Dem vom Angeklagten vorgelegten Aktenvermerk der Justizanstalt Wels vom 22. Juli 2009 zufolge wurde der Einspruch schon am 1. Juli 2009, also noch innerhalb der hiefür gemäß § 213 Abs 2 StPO zustehenden vierzehntägigen Frist, vom Strafgefangenen einer der Direktion der Justizanstalt unterstehenden Abteilung übergeben.
Bei rechtzeitiger Abgabe eines Rechtsmittels (hier: Rechtsbehelfs) eines Strafgefangenen an die Leitung der Justizanstalt ist die Rechtsmittelfrist (hier: Rechtsbehelfsfrist) auch dann gewahrt, wenn das Rechtsmittel erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist weitergeleitet wird (vgl Fabrizy, StPO10 § 84 Rz 3). Eine der Direktion der Strafanstalt allein zur Last fallende Verzögerung in der Weiterleitung des von einem in Haft befindlichen Beschuldigten fristgerecht der Anstaltsleitung übergebenen Rechtsmittels kann dem Beschuldigten nicht zum Nachteil gereichen (RIS-Justiz RS0106085). Der vom Angeklagten im Original vorgelegte Aktenvermerk der Justizanstalt Wels steht im Widerspruch zur Beurteilungsgrundlage, von welcher das Oberlandesgericht Linz bei seiner Entscheidung ausgegangen ist. Somit ist eine letztinstanzliche Entscheidung eines Strafgerichts auf einer nunmehr in tatsächlicher Hinsicht aus Sicht des Obersten Gerichtshofs erheblich bedenklichen Verfahrensgrundlage ergangen, ohne dass dem Gericht ein Rechtsfehler anzulasten wäre. Demnach kommt die analoge Anwendung der Bestimmungen über die außerordentliche Wiederaufnahme nach § 362 StPO durch den Obersten Gerichtshof in Betracht, kann doch die Benachteiligung des Rechtsbehelfswerbers auf anderem Weg nicht behoben werden (RIS-Justiz RS0117416, RS0117312; Ratz, WK-StPO § 362 Rz 4; Fabrizy, StPO10 § 362 Rz 3).
Es war daher die außerordentliche Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens zu verfügen, der Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 16. Juli 2009, AZ 10 Bs 216/09z (ON 14), aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung über den Einspruch gegen die Anklageschrift an das Oberlandesgericht Linz zu verweisen.
Anmerkung
E9219015Os128.09aEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0150OS00128.09A.1014.000Zuletzt aktualisiert am
10.12.2009