Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krajina als Schriftführerin in der Strafsache gegen Osman J***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 14 Hv 130/07g des Landesgerichts Klagenfurt, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss des Präsidenten des Landesgerichts Klagenfurt vom 20. April 2009, AZ „45 Ns 7/092" (laut Register: 45 Ns 7/09w; ON 133), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Bauer, zu Recht erkannt:
Spruch
Im Verfahren AZ 14 Hv 130/07g des Landesgerichts Klagenfurt verletzt der Beschluss des Präsidenten dieses Gerichts vom 20. April 2009, AZ 45 Ns 7/09w (ON 133), das Gesetz in § 43 Abs 4 StPO. Dieser Beschluss wird aufgehoben und dem Präsidenten des Landesgerichts Klagenfurt aufgetragen, über die vom Richter des Landesgerichts Klagenfurt Dr. Joachim Christian R***** angezeigte Ausgeschlossenheit neuerlich zu entscheiden.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Schöffengericht vom 1. August 2008, GZ 14 Hv 130/07g-116, wurde Osman J***** jeweils mehrerer Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB, des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB, (richtig:) mehrerer Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB und des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB schuldig erkannt sowie vom Vorwurf eines von der Staatsanwaltschaft als gefährliche Drohung nach § 107 Abs 1 StGB qualifizierten Verhaltens freigesprochen. Dieses Urteil wurde mit Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 19. März 2009, GZ 13 Os 12/09b-4 (ON 132), aus Anlass einer vom Angeklagten erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde in den Schuldsprüchen sowie im Strafausspruch und im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt verwiesen.
Mit dem im Spruch bezeichneten Beschluss sprach der Präsident des Landesgerichts Klagenfurt gestützt auf § 43 Abs 4 StPO sowie unter Hinweis darauf, dass der erste Stellvertreter des Vorsitzenden in der Gerichtsabteilung 14 Mag. Manfred H***** „als Beisitzer im Verfahren 14 Hv 130/07g tätig" war, die Ausgeschlossenheit des zweiten Stellvertreters Dr. Joachim Christian R***** aus, weil dieser „in derselben Sache bereits als Richter tätig gewesen ist" (ON 133 S 2). Tatsächlich war Dr. R***** (lediglich) in der am 7. März 2008 durchgeführten Hauptverhandlung als beisitzender Richter eingeschritten (ON 97). In weiterer Folge stellte der Präsident des Landesgerichts Klagenfurt mit Beschluss vom 20. Mai 2009, AZ 45 Ns 10/09m (ON 139), auch die Ausgeschlossenheit der dritten Stellvertreterin fest, weil diese als Journalrichterin im Zug gerichtlicher Vorerhebungen einen Haftbefehl gegen den späteren Angeklagten erlassen hatte (§ 43 Abs 2 erster Fall StPO idF vor BGBl I 2009/52), und wies die Sache dem laut Geschäftsverteilung vierten Stellvertreter zur Bearbeitung zu.
Rechtliche Beurteilung
Der im Spruch bezeichnete Beschluss des Präsidenten des Landesgerichts Klagenfurt steht - wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang.
§ 43 Abs 4 StPO, auf den sich die Entscheidungsbegründung stützt, regelt die Ausschließung von Richtern nur in den - hier nicht gegenständlichen - Konstellationen der Wiederaufnahme (§§ 352 ff StPO) oder der Erneuerung (§§ 363a ff StPO) eines Strafverfahrens. Hingegen liegt nach § 43 Abs 2 letzter Fall StPO Ausgeschlossenheit eines Richters vom Hauptverfahren eines weiteren Rechtsgangs nur dann vor, wenn er am kassierten Urteil mitgewirkt hat. Dies ist - wie der seit dem Strafprozessreformgesetz in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0097402; Lässig, WK-StPO § 68 aF Rz 14; vgl ders, WK-StPO Vor § 43-47 Rz 2) insofern unmissverständlich formulierte Gesetzestext klarstellt - bei der hier in Rede stehenden „bloßen Teilnahme" an einer früheren, vertagten Hauptverhandlung (ON 97), die in weiterer Folge (wegen geänderter Zusammensetzung des Gerichts) gemäß § 276a StPO wiederholt („neu durchgeführt") wurde, nicht der Fall.
Der mit den Bestimmungen über die Ausgeschlossenheit von Richtern (§ 43 StPO) nicht im Einklang stehende Beschluss hat eine Verletzung des Angeklagten in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) zur Folge, weshalb sich der Oberste Gerichtshof zu einem Vorgehen gemäß § 292 letzter Satz StPO veranlasst sah. Davon rechtslogisch abhängige Entscheidungen und Verfügungen, wie insbesondere auch der Beschluss des Präsidenten des Landesgerichts Klagenfurt vom 20. Mai 2009, AZ 45 Ns 10/09m (ON 139), gelten gleichfalls als beseitigt (RIS-Justiz RS0100444).
Anmerkung
E9218113Os117.09vEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0130OS00117.09V.1015.000Zuletzt aktualisiert am
18.12.2009