Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Nowakowski und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Hohenecker, über die Beschwerde des am 18. November 1981 geborenen OE in Graz, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Oktober 1998, Zl. 205.064/0-XI/35/98, betreffend Asylgewährung (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzleramt) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria. Er reiste am 26. Jänner 1998 ins Bundesgebiet ein und stellte an diesem Tag einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Bei seiner Ersteinvernahme gab er (zusammengefasst) an, Präsident der "MODAKEKE YOUTH ORGANISATION" gewesen zu sein; diese Organisation habe 100 Mitglieder umfasst und für die Verlegung der örtlichen Regierung nach Modakeke gekämpft; die Einwohner von Ile-Ife seien dagegen gewesen und von ihnen bekämpft worden. In der Zeitung sei im November 1997 veröffentlicht worden, dass der Beschwerdeführer als Präsident dieser Bewegung mit anderen Personen seiner Organisation gesucht werde. Hintergrund dieser Kämpfe sei die Zuordnung der Orte Modakeke und Ile-Ife zum Oyo-State bzw. Osaun-State gewesen. Den Auftrag zu den Kämpfen hätte er von vier älteren Leuten aus Modakeke erhalten, vor denen seine Gruppe Respekt gehabt habe. Es sei mit Schlagstöcken, Schwertern, Macheten und Chemikalien gekämpft worden, und zwar vom August 1997 bis zum Zeitpunkt seiner Flucht im Dezember 1997.
Mit Bescheid vom 17. August 1998 wurde unter Spruchpunkt I der Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76/1997 (AsylG) abgewiesen und unter Spruchpunkt II ausgesprochen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 8 AsylG nach Nigeria zulässig sei. Dies wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen wegen zahlreicher Widersprüche in seinen Angaben nicht glaubwürdig seien und daher weder vom Vorliegen asylrelevanter Fluchtgründe noch von einer Gefahr im Sinne des § 57 Fremdengesetzes 1997 auszugehen sei.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er seine Fluchtgründe wiederholte, zur Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz Stellung nahm und einen Antrag auf neuerliche Einvernahme stellte, um zum Vorwurf der Widersprüchlichkeit seiner Angaben Stellung nehmen zu können.
Die belangte Behörde hielt dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 26. Oktober 1998 vor, das UNHCR-Regionalbüro Wien habe mitgeteilt, dass in Nigeria die vom Beschwerdeführer genannte Vereinigung bestehe. Es könne weiters davon ausgegangen werden, dass Angehörigen sowohl des Ife- als auch des Modakeke-Volkes, die den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen ihren Stämmen entfliehen hätten wollen, eine interne Fluchtalternative in Nigeria offen gestanden wäre; dies vor allem auch unter dem Gesichtspunkt, dass sich in unmittelbarer Nähe des jeweiligen Herkunftsgebietes zumindest zwei Flughäfen befänden. Am 14. August 1997 sei das Hauptquartier der lokalen Regierung des Osaun-State von Enuwa nach Oke-Ogbo, einer vom Ife-Stamm kontrollierten Siedlung, verlegt worden. In der Folge sei es ab 15. August 1997 zu blutigen Auseinandersetzungen gekommen, weil sich die Modakeke nicht mit der Rückverlegung hätten abfinden wollen. Die Kämpfe hätten zahlreiche Menschenleben gefordert und zu einer Vielzahl von Verhaftungen geführt. Weitere Zusammenstöße hätten am 23. und 24. September 1997 stattgefunden und seien Anfang Dezember 1997 wieder kurz aufgelebt. Wenn Personen im Zuge der Auseinandersetzungen verhaftet worden seien, so würden diese in der Regel wegen Brandstiftung, Aufruhr, Friedensbruch oder illegalen Waffenbesitzes angeklagt, wobei das nigerianische Strafrecht die Todesstrafe für Mord, bewaffneten Raub und Verrat kenne und sie darüber hinaus auch beim Einsatz von Feuerwaffen bzw. bei Suchtmitteldelikten verhängt würde. Von der belangten Behörde wurden an den Beschwerdeführer schließlich auch Fragen hinsichtlich Details seiner Fluchtgründe gestellt.
Mit Stellungnahmen vom 15. Oktober bzw. 20. Oktober 1998 nahm der Beschwerdeführer zu diesem Vorhalt Stellung, indem er die Angaben des UNHCR-Regionalbüros Wien bestätigte und näher ausführte, er sei seit Jänner 1993 Mitglied und seit Dezember desselben Jahres Präsident der "Modakeke Youth Organisation". Die Kämpfe seien am 8. August 1997 ausgebrochen und hätten bis zu seiner Flucht angedauert. Sie hätten in den beiden Städten Modakeke und Ile-Ife stattgefunden. Es seien Macheten, Messer, zerbrochene Flaschen und Säure verwendet worden; er selbst habe ein großes Fleischermesser verwendet. Während der gesamten Auseinandersetzungen habe auch er Menschen verletzt und vielleicht auch getötet, um sein eigenes Leben zu schützen. Er könne allerdings nicht genau sagen, wie schwer die Personen verletzt worden seien, die er getroffen habe, oder ob die Personen verstorben seien. Eine Freundin seiner Familie, zu der er geflüchtet sei, habe ihm einen Zeitungsausschnitt gezeigt, in dem sein Name unter anderen genannt gewesen sei. Soweit er sich an den Text des Zeitungsausschnittes erinnern könne, habe dieser sinngemäß gelautet, dass die Regierung auf der Suche nach einer Gruppe von Leuten sei, die die Kämpfe, die zum Ile-Ife- und Modakeke-Massaker geführt hätten, angeführt habe. In dem Zeitungsartikel sei keine Bemerkung darüber zu finden gewesen, welche konkreten Straftaten ihm zur Last gelegt werden würden, außer der Tatsache, dass er als Präsident der "Modakeke Youth Organisation" für die Ausschreitungen mitverantwortlich gemacht werden sollte. Er befürchte, dass ihm auf Grund seiner politischen Tätigkeit ungeachtet der Tatsachen Taten zur Last gelegt würden, die er nicht begangen habe. Er befürchte daher in seinem Heimatland zum einen unangemessen hoch bzw. auch ungerechtfertigt mit dem Tod bestraft zu werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Ebenso wie die Behörde erster Instanz erachtete die belangte Behörde die Angaben des Beschwerdeführers als unglaubwürdig. Als Alternativbegründung hielt die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer wolle sich lediglich der Strafverfolgung entziehen, dies stelle aber in aller Regel keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv) dar, sofern diese Verfolgung nicht ihrerseits als eine solche aus asylrelevanten Gründen angesehen werden müsse. Die vom Beschwerdeführer im Zuge von Ausschreitungen begangenen Körperverletzungen seien - auch wenn sie politisch motiviert gewesen sein sollten - derart, dass der kriminelle Charakter den politischen Charakter überwiege und kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der politischen Weltanschauung des Beschwerdeführers und der Straftat erkannt werden könne. Auch aus diesem Grund sei dem Asylantrag kein Erfolg beschieden. Zur Feststellung gemäß § 8 AsylG verwies die belangte Behörde auf die mangelnde Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers und führte ergänzend aus, der Beschwerdeführer habe zu seiner Behauptung, möglicherweise der Todesstrafe ausgesetzt zu sein, zu wenig konkrete Angaben gemacht; darüber hinaus stehe seine Identität nicht fest.
Gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG hätte von einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden können, weil der Sachverhalt auf Grund der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung, in der keine neuen Tatsachenbehauptungen aufgestellt worden seien, zur Beurteilung ausreichend geklärt erschienen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen:
Soweit der Beschwerdeführer in völlig allgemein gehaltenen Ausführungen, die keinen Bezug mit dem gegenständlichen Fall herstellen, rügt, die belangte Behörde habe keinerlei Ermittlungsverfahren durchgeführt und sei im angefochtenen Bescheid ihrer Begründungspflicht nicht nachgekommen, weil der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht erkennbar sei, so widerspricht dieses Vorbringen sowohl der Aktenlage und als auch dem Inhalt des angefochtenen Bescheides. Die belangte Behörde hat nämlich nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens und nach Gewährung von Parteiengehör an den Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid Feststellungen über die von ihr als maßgeblich erachtete Sach- und Rechtslage getroffen und auf dieser Grundlage ihre rechtliche Beurteilung getroffen. Die diesbezügliche Verfahrensrüge geht daher ins Leere.
Ergänzend wird bemerkt, dass auch die Ausführungen in der Beschwerde, wonach der Beschwerdeführer vor - nicht näher dargelegter - "religiöser" Verfolgung habe flüchten müssen, nicht nachvollziehbar erscheinen, zumal er ein derartiges Vorbringen im Verwaltungsverfahren gar nicht erstattet hat.
Die belangte Behörde hat ihren Bescheid aber dennoch mit einem Verfahrensmangel belastet.
Auf das Verfahren nach dem AsylG 1997 findet das AVG Anwendung. Als besondere Bestimmung für das Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten sieht § 67d AVG grundsätzlich die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor, zu welcher die Parteien und die anderen zu hörenden Personen zu laden sind. Nach dem Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG ist auch auf das behördliche Verfahren des unabhängigen Bundesasylsenates das AVG anzuwenden, § 67d AVG jedoch mit der Maßgabe, dass eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt erscheint. Dies ist dann der Fall, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegenstehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308).
Wird im Berufungsverfahren ein konkreter, neuer Sachverhalt behauptet, so ist es dem unabhängigen Bundesasylsenat verwehrt, durch Würdigung der Berufungsangaben als unglaubwürdig den Sachverhalt ohne Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung und insbesondere ohne den Asylwerber selbst persönlich einzuvernehmen als geklärt anzusehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. April 1999, Zl. 98/20/0411). Dies ergibt sich nicht zuletzt aus der Wichtigkeit des persönlichen Eindruckes des entscheidenden Organes der Behörde für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Asylwerbers (vgl. auch dazu das obzitierte hg. Erkenntnis vom 11. November 1998, sowie das hg. Erkenntnis vom 21. Jänner 1999, Zl. 98/20/0339).
Die belangte Behörde hätte daher sowohl wegen des Vorbringens des Beschwerdeführers in der Berufung, er könne - durch Ausräumung der angeblichen Widersprüche in seinen Angaben - seine Glaubwürdigkeit bei einer neuerlichen Einvernahme unter Beweis stellen, als auch deshalb, weil sie gestützt auf die Ergebnisse des von ihr durchgeführten Ermittlungsverfahrens zusätzliche, neue Sachverhaltsfeststellungen traf, eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
Allerdings führt nicht jede Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Aufhebung eines Bescheides, sondern nur dann, wenn die belangte Behörde bei deren Vermeidung zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können. Hätte die belangte Behörde mit dem Beschwerdeführer eine mündliche Verhandlung durchgeführt und einen persönlichen Eindruck von diesem gewonnen, so ist nicht auszuschließen, dass sie das Vorbringen des Beschwerdeführers zur Gänze als glaubwürdig erachtet hätte.
Damit wäre für den Beschwerdeführer aber dann nichts gewonnen, wenn die von der belangten Behörde im vorliegenden Fall für den Fall der Glaubwürdigkeit der Fluchtgründe herangezogene Alternativbegründung zuträfe. Dies ist aber deshalb nicht der Fall, weil die belangte Behörde von einer Verfolgung des Beschwerdeführers ausschließlich wegen der von ihm allenfalls begangenen Straftaten (Körperverletzungen, möglicherweise mit tödlichem Ausgang) ausging und sein Vorbringen im Berufungsverfahren, wonach er als Führer einer politischen Bewegung, die die Unruhen von Modakeke bzw. Ile-Ife ausgelöst habe, verfolgt werde, nicht weiter beachtete. Der Beschwerdeführer hat in diesem Zusammenhang nämlich ausdrücklich vorgebracht, nach dem Inhalt des ihm zur Kenntnis gelangten Zeitungsartikels werde er nicht wegen allfälliger von ihm begangener Straftaten, sondern vorrangig in seiner Eigenschaft als Führer einer politischen Bewegung, die maßgeblich in die Kämpfe verstrickt gewesen sei, gesucht. Unterstellte man nun auch diesem Vorbringen des Beschwerdeführers Glaubwürdigkeit, so wäre es unter dem eben aufgezeigten Aspekt aber nicht auszuschließen, dass der Beschwerdeführer in seinem Heimatland aus politischen Gründen mit asylrelevanter Verfolgung rechnen müsste und ihm aus diesem Grund Asyl zu gewähren wäre.
Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde bei Vermeidung des aufgezeigten Verfahrensfehlers zu einem anderen Bescheid gekommen wäre, weshalb der angefochtene Bescheid (aus den im hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0207, näher ausgeführten Erwägungen auch hinsichtlich des den Ausspruch gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG betreffenden Spruchteiles) zur Gänze wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben war.
Ergänzend wird in Bezug auf die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid angestellten Überlegungen zur Beweiswürdigung bemerkt, dass es - jedenfalls ohne Nachfrage beim Beschwerdeführer - nicht von vornherein als undenkbar erscheint, dass bereits knapp vor der faktischen Verlegung des Regierungssitzes lokal begrenzte (und daher nicht von internationalen Beobachtern erfasste) Unruhen und Kämpfe zwischen den rivalisierenden Bevölkerungsgruppen begonnen hätten; auch die unterschiedlichen Angaben über die Mitgliederanzahl der Organisation des Beschwerdeführers wären erklärbar, wenn der Beschwerdeführer unter "ständigen Mitgliedern" und "Mitgliedern" nicht den gleichen Personenkreis verstanden hätte. Warum im Zusammenhang mit einem lokal begrenzten Konflikt dem UNHCR eine - wenn auch kleine - politische Vereinigung nicht bekannt sein könne, wird ebenso wenig begründet wie die Annahme, dieser Gruppierung könne schon wegen ihrer geringen Größe kein wesentliches politisches Gewicht zukommen und ihr Führer könne nicht als "Anführer" einer Seite von Aufständischen angesehen werden, zumal das wesentliche politische Gewicht einer Gruppierung (und ihres Führers) nicht zwingend mit der Anzahl ihrer Mitglieder bzw. mit deren Alter zusammenhängt.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 14. Dezember 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1998200556.X00Im RIS seit
14.02.2001