Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Jur. Peter Krüger und Dr. Markus Kaspar (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Susanne C*****, vertreten durch Mag. Nikolaus Rast, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der Bauern, 1030 Wien, Ghegastraße 1, wegen Feststellung und Leistungen aus der Unfallversicherung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Juli 2009, GZ 8 Rs 76/09v-18, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 3. März 2009, GZ 8 Cgs 263/08z-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die am 23. 11. 1964 geborene Klägerin, die von Beruf Landwirtin und Winzerin ist, arbeitete im Jänner 2008 im Weingarten. Beim Herausziehen von Reben aus der Drahtverspannung mit entsprechender Kraftanstrengung rutschte sie weg und verspürte plötzlich einen Schmerz in der rechten Schulter. Sie suchte ihren Hausarzt auf, der sie mit Infiltrationen behandelte. Eine Besserung trat jedoch nicht ein. Eine MRT-Untersuchung am 15. 5. 2008 ergab einen kompletten Riss der Supraspinatussehne. Am 9. 6. 2008 wurde die Klägerin operiert. Es erfolgte zunächst eine Arthroskopie und anschließend eine offene Schulteroperation mit Abtragung eines ausgezogenen Acromionanteils und einer Rekonstruktion der Rotatorenmanschette. Im Operationsbericht ist eine Chondropathie zweiten Grades an der Schultergelenkspfanne sowie ein Engpasssyndrom durch knöcherne Ausziehung des Schulterdaches beschrieben. Der postoperative Verlauf war unauffällig. Derzeit besteht bei der Klägerin eine geringe Bewegungseinschränkung der Schulter sowie eine Muskelverschmächtigung am Oberarm. Die bei der Klägerin vorliegenden degenerativen Veränderungen im Schultergelenk hätten in absehbarer Zeit, also etwa innerhalb eines Jahres, bei jeder anderen alltäglichen Tätigkeit zu einer derartigen Verletzung wie der gegenständlichen geführt. Ein Unfallmechanismus, der zum Reißen einer gesunden Sehne geführt hätte, lag nicht vor.
Das Erstgericht wies ein Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, das Ereignis vom 31. 1. 2008 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin gesetzliche Leistungen aus diesem Arbeitsunfall und einen Ersatz für die Bereitstellung von Ersatzarbeitskräften im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Ausgehend vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt führte das Erstgericht aus, die Beschwerden der Klägerin seien ausschließlich auf die Schadensanlage zurückzuführen. Die abrupte Belastung der Sehne durch das Anziehen bei der Rebe habe aufgrund der bei der Klägerin bestehenden gravierenden Vorschädigung zu dem Sehnenriss geführt. Altersbedingte Abnützungen im Schultergelenk könnten zwar nicht als Anlageschaden angesehen werden, bei der Klägerin liege jedoch ein deutlich erkennbares Abweichen des Gesundheitszustandes von der „Norm" und damit eine Vorschädigung vor, die in den Schutz der Unfallversicherung nicht eingebunden sei.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Nach der in der Unfallversicherung herrschenden Theorie der wesentlichen Bedingung scheide eine Verletzung infolge eines Anlageschadens als Arbeitsunfall aus, wenn die Verletzung auch ohne den Unfall oder durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß tatsächlich eingetreten wäre. Die Beurteilung des Unfalls der Klägerin als bloße Gelegenheitsursache bei der festgestellten „in absehbarer Zeit bei jeder anderen alltäglichen Tätigkeit" gleichermaßen eingetretenen Verletzung durch das Erstgericht entspreche dieser Rechtsprechung (vgl insbesondere 10 ObS 108/07s). Es sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof auch in der zuletzt ergangenen Entscheidung 10 ObS 134/08s nicht ausdrücklich von der Judikatur zu RIS-Justiz RS0119182, wonach der Versicherte nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts in dem Zustand geschützt sei, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden habe, abgegangen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Klägerin ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
Nach ständiger Rechtsprechung und herrschender Lehre gilt für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der Körperschädigung des Versicherten im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung die Theorie von der wesentlichen Bedingung oder wesentlich mitwirkenden Ursache. Danach sind als Ursache oder Mitursache eines Arbeitsunfalls unter Abwägung ihres Wertes im Verhältnis zu mitwirkenden Ursachen nur solche Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Bedeutung für den Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben, also nicht gegenüber den Mitursachen so erheblich in den Hintergrund treten, dass sie als unwesentlich erscheinen. Die Rechtsprechung bezeichnet aber nur jene Bedingungen als wesentlich, ohne die der Erfolg in einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in geringerem Umfang eingetreten wäre. Dieser Grundsatz ist auf die sogenannten Anlagefälle zugeschnitten, in denen der Gesundheitsschaden oder Tod des Versicherten zwar real durch die kausale Einwirkung aus dem Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung entstanden ist, aller Wahrscheinlichkeit nach aber innerhalb kurzer Zeit in ähnlicher Schwere aufgrund einer schicksalshaften inneren Anlage entstanden wäre. In einem solchen Fall wird der Körperschaden nur dann der Unfallversicherung zugerechnet, wenn er ohne den Umstand aus der Gefahrensphäre der Unfallversicherung erheblich später oder erheblich geringer eingetreten wäre (10 ObS 150-152/94 = SSV-NF 9/17 mwN ua; RIS-Justiz RS0084308 ua).
In der vom Berufungsgericht erwähnten Entscheidung 10 ObS 45/04x (= SSV-NF 18/48 = DRdA 2005/23, 325 [Reissner]) und in weiteren Entscheidungen (vgl dazu die Judikaturnachweise in RIS-Justiz RS0119182) hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass der Versicherte nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts in dem Zustand geschützt ist, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden hat. Dies bedeutet, dass altersbedingte natürliche Abnützungserscheinungen (zB an Gelenken), die für den Schaden mitverantwortlich sind, den Zurechnungszusammenhang nicht von vornherein ausschließen (vgl Tomandl, Zurechnungsfragen in der gesetzlichen Unfallversicherung, ZAS 2007/26, 160 ff [164]). Hiezu bedarf es vielmehr einer wertenden Gegenüberstellung der körpereigenen Ursachen mit den betriebsbedingten Ursachen. Nach den bereits oben dargelegten Grundsätzen über den ursächlichen Zusammenhang ist dann zu beurteilen, ob das Unfallereignis eine wesentlich mitwirkende Bedingung für die Schädigung gewesen ist oder ob die krankhafte Veranlagung alleinige oder überragende Ursache war. Letzteres ist nach der auch in der Entscheidung 10 ObS 45/04x ausdrücklich zitierten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs anzunehmen, wenn die Krankheitsanlage so stark ausgeprägt und so leicht ansprechbar war, dass auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis die Schädigung zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß ausgelöst hätte (vgl RIS-Justiz RS0084318; RS0084345). Der Oberste Gerichtshof hat in der Folge im Sinne dieser Rechtsprechung auch bereits mehrfach klargestellt, dass es dann, wenn aufgrund degenerativer Veränderungen die Unfallfolge auch bei jedem anderen alltäglich vorkommenden Ereignis hätte eintreten können, am erforderlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen fehlt, ohne dass es dabei noch auf das Alter des Versicherten und die damit verbundene Frage der altersgemäßen Abnützung ankäme (vgl 10 ObS 134/08s; 10 ObS 198/06z; 10 ObS 140/06w = SSV-NF 20/63). Ein Leistungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung kommt nämlich grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn die gesundheitlichen Unfallfolgen wesentlich auf das Unfallgeschehen zurückzuführen sind. Die Rechtsprechung hat die „annähernd gleiche Zeit" einer Schädigung durch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis bislang nicht definiert, aber mehrfach ausgesprochen, dass eine „Verfrühung" des Körperschadens durch den Unfall um mehr als ein Jahr jedenfalls als erheblich anzusehen ist (vgl RIS-Justiz RS0083987; zur deutschen Rechtslage Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII - Kommentar § 8 Rz 376 mwN). Dieser Zeitspanne von einem Jahr kommt jedoch keine allein ausschlaggebende Bedeutung zu; die Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache richtet sich vielmehr nach den Besonderheiten des Einzelfalls (Krasney aaO § 8 Rz 376; 10 ObS 17/05f; 10 ObS 174/02i ua).
Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht dem Sachverständigengutachten folgend ausgeführt, dass wegen der zum Unfallszeitpunkt bei der 43 Jahre alten Klägerin bestehenden gravierenden Vorschädigungen im Bereich der Schultergelenke jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis in absehbarer Zeit, also etwa innerhalb eines Jahres, eine solche Verletzung ausgelöst hätte. Wenn die Vorinstanzen ausgehend von diesen Feststellungen im konkreten Fall zu dem Ergebnis gelangten, der Klägerin stehe kein Unfallversicherungsschutz zu, weil der Schadensanlage gegenüber dem Unfall die überragende Bedeutung zukomme, sind sie nicht von den vom Obersten Gerichtshof auch in der zitierten jüngeren Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen abgewichen. Es liegen auch keine sekundären Feststellungsmängel vor, weil auch nach dieser Rechtsprechung ein anlagebedingt schon durch alltäglich vorkommende Ereignisse leicht auslösbares Leiden unabhängig davon, ob es sich um altersbedingte oder darüber hinausgehende Anlageschäden handelt, nicht vom Unfallversicherungsschutz umfasst ist.
Die Revision war daher mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Textnummer
E92399European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00164.09D.1020.000Im RIS seit
19.11.2009Zuletzt aktualisiert am
21.03.2011