Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Markus Kaspar (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A***** G*****, vertreten durch Dr. Günther Romauch und Dr. Thomas Romauch, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert- Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung und Versehrtenrente, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 2009, GZ 10 Rs 75/09m-59, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 16. März 2009, GZ 13 Cgs 192/05b-55, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Der 1955 geborene Kläger ist Fleischhauer. Er hob Anfang September 2004 mit der linken Hand zwei Karrees mit einem Gesamtgewicht von ca 8 kg an, verspürte hierauf einen stechenden Schmerz in der linken Schulter und bemerkte einen „Schnalzer". Ein MRT am 24. 9. 2004 ergab eine scheinbar vollständige Ruptur der Rotatorenmanschette. Das Heben auch schwerer Gegenstände ruft grundsätzlich keinen Riss einer gesunden Rotatorenmanschette hervor, sodass ein degenerativer Vorschaden, der letztlich für den Riss der Rotatorenmanschette kausal war, angenommen werden muss. Ein Riss einer degenerativen Rotatorenmanschette hätte auch bei einer anderen alltäglichen Belastung, wie etwa beim Aufheben einer Mineralwasserkiste, erfolgen können. Ein Riss einer gesunden, sohin nicht degenerativ veränderten Rotatorenmanschette, wird in Literatur und Wissenschaft nur in Einzelfällen bei extremen körperlichen Beanspruchungen festgestellt. Eine solche lag beim Kläger nicht vor. Für eine degenerative Schädigung der Rotatorenmanschette spricht das Alter des Klägers.
Das Erstgericht wies im dritten Rechtsgang das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Versehrtenrente für die Folgen eines Arbeitsunfalls vom September 2004 ab und stellte fest, dass die Gesundheitsstörung des Klägers (Riss der Rotatorenmanschette) nicht auf einen Unfall aus September 2004 zurückzuführen ist. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen und führte in der rechtlichen Beurteilung aus, der „medizinische Kausalitätszusammenhang zwischen der Unfallfolge und dem Unfallereignis von Anfang September 2004" sei nicht gegeben, sodass „die Gesundheitsstörung des Klägers nicht auf die Folgen des Unfalls von Anfang September 2004 zurückzuführen" sei.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Hinblick auf den im zweiten Rechtsgang ergangenen Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofs vom 25. 11. 2008, 10 ObS 134/08s. Es sprach aus, die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof in diesem Aufhebungsbeschluss nicht ausdrücklich von der Judikatur zu RIS-Justiz RS0119182 abgegangen sei.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) mangels Vorliegens einer im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.
Im Aufhebungsbeschluss 10 ObS 134/08s wurde ausgesprochen, dass die Zurechnung eines Unfallschadens zur gesetzlichen Unfallversicherung nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung in mehreren Stufen zu erfolgen hat (vgl instruktiv Reissner, Kausalitätsbegriff der Unfallversicherung, DRdA 2005, 328):
Nach Bejahung des Kausalzusammenhangs zwischen der Erwerbstätigkeit und dem Unfall sowie des „inneren" (finalen) Zusammenhangs muss die aus dem geschützten Lebensbereich stammende, in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Ursache „wesentliche Bedingung" (wesentlich mitwirkende Ursache) für den Eintritt des Körperschadens sein. Als wesentlich wird eine Bedingung insbesondere dann angesehen, wenn ohne ihre Mitwirkung der Erfolg nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in einem geringeren Umfang eingetreten wäre (10 ObS 140/06w = SSV-NF 20/63 mwN; RIS-Justiz RS0084345), nicht aber dann, wenn die Schädigung durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß hätte ausgelöst werden können (10 ObS 108/07s; 10 ObS 140/06w; 10 ObS 17/05f je mwN; RIS-Justiz RS0084318).
Bereits im Aufhebungsbeschluss wurde festgehalten, dass nach den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, die im dritten Rechtsgang unverändert geblieben sind, eine Ursache dieser Intensität gerade nicht vorliegt, weil der Rotatorenmanschettenriss aufgrund der degenerativen Veränderungen auch bei jedem anderen alltäglich vorkommenden Ereignis zum ungefähr gleichen Zeitpunkt hätte eintreten können. Weiters wurde festgehalten, dass es auf die Frage des Alters, das zweifellos bei jedem Menschen Abnützungserscheinungen bewirkt, in dieser Konstellation nicht mehr ankommt.
Des ausdrücklichen Abgehens von RIS-Justiz RS0119182 bedurfte und bedarf es nicht. Gerade auch in der Leitentscheidung dieser Rechtssatzkette (10 ObS 45/04x = SZ 2004/79 = SSV-NF 18/48) wurde nämlich die ständige Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0084318, RS0084345) betont und nicht aufgegeben, wonach bei einer die Körperschädigung mitverursachenden Schadensanlage (Krankheitsanlage) dann kein Anspruch auf Leistung zusteht, wenn wegen der Veranlagung jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Schädigung ausgelöst hätte, wenn also der Schadensanlage gegenüber dem Unfall die überragende Bedeutung zukommt. Schon im Beschluss vom 30. 1. 2007, 10 ObS 3/07z, hat der Senat klargestellt, dass Vorschädigungen und Schadensanlagen mangels eines deutlich erkennbaren Abweichens von dem aufgrund des Alters üblicherweise zu erwartenden Gesundheitszustands des Versicherten insoweit nicht ausgeblendet werden dürfen, als ihre Mitwirkung am Unfallschaden feststeht. Aus dem Rechtssatz, dass die versicherte Person „in dem Zustand geschützt ist, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden hat", kann - wie in dieser Entscheidung festgehalten wurde - nicht abgeleitet werden, dass anlagebedingte Vorschädigungen in jedem Fall sozusagen additiv in die Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit einzubeziehen wären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.
Textnummer
E92461European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00161.09P.1020.000Im RIS seit
19.11.2009Zuletzt aktualisiert am
23.06.2010