RS Vfgh 2012/6/29 B1031/11

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Veröffentlicht am 29.06.2012
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Index

10 VERFASSUNGSRECHT
10/10 Grundrechte, Datenschutz, Auskunftspflicht

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art8
DSG 2000 §1
SicherheitspolizeiG §53 Abs3a
StGG Art10a
TelekommunikationsG 2003 §92, §99
E-Commerce-G §3, §18
StGB §214

Leitsatz

Keine Bedenken gegen Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes über die Ermächtigung der Sicherheitsbehörden zur Ermittlung der IP-Adresse sowie des Namens und der Anschrift des Inhabers zur Erfüllung sicherheitspolizeilicher Aufgaben; kein Eingriff in das Fernmeldegeheimnis; keine Ermächtigung zur Ermittlung von Inhaltsdaten; kein Verstoß gegen das Recht auf Datenschutz; keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Abweisung einer Beschwerde durch die Datenschutzkommission; vertretbare Annahme einer Gefahr für die Sicherheit Unmündiger angesichts des Internetauftritts des Beschwerdeführers in einem auf sexuelle Kontakte spezialisierten Chatroom

Rechtssatz

Keine Bedenken gegen §53 Abs3a Z2 und Z3 SicherheitspolizeiG (SPG) idF BGBl I 114/2007.

Kein Eingriff in den Schutz des Fernmeldegeheimnisses iSd Art10a StGG.

Beim Fernmeldegeheimnis handelt es sich um ein dem Briefgeheimnis verwandtes Recht, das die Vertraulichkeit aller nicht für die Öffentlichkeit bestimmten, im Wege des Fernmeldeverkehrs übermittelten Nachrichten oder Mitteilungen schützt.

Der Schutz ist nicht auf Telefonate und Telegramme beschränkt, sondern bezieht sich nunmehr auf alle Arten der Telekommunikation, einschließlich des Nachrichtenaustausches über das Internet.

Ob eine im Wege des Internets übermittelte Nachricht vom Schutzbereich des Art10a StGG erfasst ist, hängt davon ab, ob es sich um eine Kommunikation handelt, die dem Telegraphen- und Fernmeldeverkehr entspricht.

Art10a StGG gewährleistet die Vertraulichkeit der Telekommunikation, schützt also jedenfalls den Inhalt einer auf diesem Weg weitergegebenen Nachricht, nicht aber sämtliche anderen damit zusammenhängenden Daten; Gegenstand des Fernmeldegeheimnisses sind somit alle Inhaltsdaten, nicht aber der gesamte Telekommunikationsverkehr schlechthin.

§53 Abs3a Z2 SPG erlaubt den Sicherheitsbehörden die Ausforschung einer Internetprotokolladresse (IP-Adresse) ausschließlich auf Grund einer bestimmten, ihnen (wie hier) durch Mitteilung eines Kommunikationspartners oder durch offene (jedermann zugängliche) Internetkommunikation bekannt gewordenen Nachricht.

Die anhand einer solchen Nachricht unter den sonstigen Voraussetzungen des §53 Abs3a Z2 und Z3 SPG seitens der Sicherheitsbehörde ermittelten (Einzel-)Daten sind daher nicht vom Schutzbereich des Art10a StGG erfasst.

Geheime Überwachung des Internetverkehrs oder Zugang zu einer Nachricht aus einem geschlossenen Internetforum durch §53 Abs3a Z2 und Z3 SPG nicht gestattet; auch keine Ermächtigung zur vorsorglichen anlasslosen Speicherung oder zur systematischen (etwa die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen ermöglichende) Verknüpfung von Datensträngen.

Erteilung bloß punktueller Auskünfte vom Betreiber, die keinen Rückschluss auf andere (nicht bereits bekannte) Inhalte erlauben.

Voraussetzung für die Auskunftsverpflichtung des Betreibers überdies, dass dieser überhaupt (noch) über gespeicherte Daten verfügt; keine über die Speicherverpflichtungen nach dem TelekommunikationsG (insbes zu Verrechnungszwecken gem §99 Abs2) hinausgehende Pflicht zur Speicherung von Verkehrsdaten durch §53 Abs3a SPG.

Keine Verletzung des Rechts auf Datenschutz gem §1 Abs1 DSG 2000 iVm Art8 EMRK.

Ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung; Eingriff auf die bloße Auskunftserteilung über die erfragten Daten beschränkt. Angesichts des im öffentlichen Interesse gelegenen Aufgabengebietes der Sicherheitsbehörden betreffend die Abwehr gefährlicher Angriffe, insbesondere iZm der Verhinderung der Verwirklichung unmittelbar bevorstehender Vorsatztaten nach dem StGB, dem Verbotsgesetz, dem Fremdenpolizeigesetz und dem Suchtmittelgesetz, ist es auch nicht unverhältnismäßig, den Sicherheitsbehörden bei Vorliegen einer bestimmten Nachricht, welche die Annahme einer konkreten Gefahrensituation rechtfertigt, die Ermittlung der in Rede stehenden Daten im Wege des Betreibers oder sonstigen Diensteanbieters gemäß §53 Abs3a Z2 und Z3 SPG (unter den Kautelen des kommissarischen Rechtsschutzes durch den weisungsfreien Rechtsschutzbeauftragten sowie konkreter Löschungsverpflichtungen) zu ermöglichen.

Richterliche Genehmigung staatlicher Überwachungsmaßnahmen durch Art8 EMRK nicht geboten (vgl zB EGMR 10.02.09, Fall Iordachi, Appl 25198/02, Z40).

Keine Willkür.

Vertretbare Annahme der belangten Behörde - ausgehend vom plausibel festgestellten (unbestrittenen) Sachverhalt, wonach der Beschwerdeführer im Rahmen seines von einem Dritten offenbarten Internetauftritts bei der Sicherheitsbehörde den Eindruck erweckte, Unmündige im zeitlichen Konnex zu Sexualkontakten zu vermitteln -, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des §53 Abs3a SPG für die getroffenen Maßnahmen (iSd Vorliegens einer auf Grund bestimmter Tatsachen indizierten Gefahrensituation sowie der Notwendigkeit der Datenermittlung als Voraussetzung für die Erfüllung sicherheitsbehördlicher Aufgaben) gegeben waren.

Keine Anhaltspunkte dafür, dass der Eingriff in das Recht auf Datenschutz nicht dem aus §1 Abs2 DSG 2000 abzuleitenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprach.

§18 Abs2 E-Commerce-G zu Recht nicht angewendet.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Datenschutz, Polizei, Sicherheitspolizei, Fernmeldegeheimnis, Privat- und Familienleben, Strafrecht, Fernmelderecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:B1031.2011

Zuletzt aktualisiert am

11.03.2013
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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