TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/18 99/10/0222

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Veröffentlicht am 18.12.2000
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Index

L55007 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Tirol;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
NatSchG Tir 1997 §1 Abs1;
NatSchG Tir 1997 §27 Abs2;
NatSchG Tir 1997 §6 litc;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Killian, über die Beschwerde der W Ges.m.b.H. & Co KEG in Kals am Großglockner, vertreten durch Draxler & Partner, Rechtsanwälte in Wien I, Reichsratsstraße 11, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 11. August 1999, Zl. U - 12.885/43, betreffend naturschutzrechtliche Bewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 25. November 1998 beantragte die Beschwerdeführerin bei der Tiroler Landesregierung die Erteilung der naturschutzrechtlichen Bewilligung für eine näher beschriebene Wasserkraftanlage am Staniskabach, Gemeinde Kals. Vorgesehen sei, den Staniskabach in einer Höhenlage von 1.856 m zu fassen, das Betriebswasser über eine Druckrohrleitung dem auf Höhe 1.190 m situierten Krafthaus zuzuleiten, dort über eine Peltonturbine abzuarbeiten und dem Staniskabach auf Höhe 1.186,6 m, d. h. ca. 100 Höhenmeter über der Einmündung in den Kalserbach wieder zuzuleiten; das unterhalb des Krafthauses liegende ca. 60 m hohe Naturdenkmal "Haslacher Schleierwasserfall" werde durch die Wassernutzung nicht berührt. Die Wasserführung des Staniskabaches werde auf einer Länge von ca. 1.760 lfm betroffen. Die Wasserkraftanlage solle im permanenten Verbund mit dem Landesenergieversorgungsnetz der TIWAG betrieben werden; die den Eigenbedarf übersteigende Energie werde in das 25 kV Leitungssystem eingespeist.

Die Tiroler Landesregierung holte ein naturkundefachliches Gutachten ein. Diesem zufolge entwässert der Staniskabach ein Einzugsgebiet von 8,3 km2 an den nordwestlichen Einhängen der Schobergruppe. Das Einzugsgebiet weise eine nur sehr geringe Vergletscherung durch den Staniskakees auf, der höchste Punkt sei die Staniskascharte mit 3.185 m. Der Bach entwässere mit mehreren Seitenarmen die Hochtäler zwischen Kreuzegg und Winkelegg im Norden bzw. Rotspitze und Kreuzspitze im Süden bis zur Staniskaalm. Unterhalb der Alm durchfließe der Bach in einer teilweise mächtig ausgebildeten Schlucht die bewaldeten östlichen Einhänge des Kalsertales und münde mit einem hohen Wasserfall, dem Schleier-Wasserfall in den Kalser Bach. Das Projekt der Beschwerdeführerin sehe die Errichtung einer Wasserfassung, die Verlegung der Triebwasserleitung mit einer Gesamtlänge von ca. 1.800 m und den Bau eines Krafthauses vor. Dazu solle eine Materialseilbahn vom Parkplatz an der Kalser Landesstraße ca. 1.350 m entlang der geplanten Druckrohrleitungstrasse nach oben führen und im Anschluss daran ein 2 m breiter und 550 m langer Weg bis zur Wasserfassung errichtet werden. Nach einer näheren Beschreibung der Wasserfassung, der Triebwasserleitung, des Wegebaues, der Materialseilbahn und des Krafthauses geht das Gutachten auf den Wassereinzug und die Restwasserdotation ein und führt aus, die Ausbauwassermenge des Kraftwerkes werde mit 175 l/s angegeben, von Oktober bis April solle eine Restdotation von 10 l/s erfolgen. In der Restwasserstrecke würden demnach im Jänner statt 46 l/s, 10 l/s oder 21,7 %, im Februar statt 38 l/s, 10 l/s oder 26,3 %, im März statt 38 l/s, 10 l/s oder 26,3 %, im April statt 76 l/s, 10 l/s oder 13,2 %, im Mai statt 450 l/s, 275 l/s oder 61,1 %, im Juni statt 520 l/s, 345 l/s oder 66,3 %, im Juli statt 480 l/s, 305 l/s oder 63,5 %, im August statt 345 l/s, 170 l/s oder 49,3 %, im September statt 205 l/s, 30 l/s oder 14,6 %, im Oktober statt 141 l/s, 10 l/s oder 7,0 %, im November statt 93 l/s, 10 l/s oder 10,8 %, und im Dezember statt 63 l/s, 10 l/s oder 15,9 % der natürlichen Abflussmenge verbleiben. Nach einer näheren Beschreibung des Staniskabaches, insbesondere der Restwasserstrecke und der Uferbegleitvegetation sowie der makrozoobentischen Lebensgemeinschaft, führt das Gutachten aus, die geplante Restwasserabgabe werde vor allem während des Zeitraums Oktober bis April zu einem massiven Eingriff in den Lebensraum Bach und sein mittelbares Umland führen, und zwar wegen der verringerten Breite der benetzten Fläche, einer Verringerung der mittleren Fließgeschwindigkeiten, einer dezimierten Verzahnung des Gewässers mit dem Umland, einer Einbuße der Gewässerdynamik sowie einer deutlichen Veränderung der Wassertiefen. Weiters sei damit zu rechnen, dass die vorgesehene Restwasserdotationsrinne in der Mitte des Tiroler Wehres nur unter ständiger Aufsicht funktioniere. Einige wenige Steine bzw. Totholz würden genügen, um die Funktionsfähigkeit dieser Rinne deutlich einzuschränken. Aber bereits die geplante Restwasserabgabe werde die makrozoobenthische Lebensgemeinschaft in ihrer Artenzusammensetzung verändern. Der eigentliche Lebensraum näher bezeichneter spezialisierter Organismen werde flächenmäßig stark dezimiert. Der geplante Wasserentzug werde sich nachhaltig auf - näher bezeichnete - Pflanzengesellschaften am Bachufer sowie in der unmittelbaren Umgebung des Staniskabaches auswirken. Es werde zu einer deutlichen Veränderung der Vitalität und der Ausbreitung der spezifischen Pflanzenartengarnitur kommen. Die teilweise geschützten Pflanzenarten Grauerle, Weide, Grünerle und Torfmoose sowie die gänzlich geschützten Arten Stern-Steinbrech und Fetthennen-Steinbrech seien auf die hohe Verzahnung des Baches mit dem Umland existenziell angewiesen. Der geplante Wasserentzug hätte eine großflächige Einbuße dieser Pflanzen zur Folge. Eine zusätzliche und schwere Belastung sowohl der spezialisierten Vertreter des Makrozoobenthos sowie der in Bachnähe angesiedelten Pflanzengesellschaften sei - wie näher dargelegt - mit den notwendigen Entsanderspülungen verbunden. Die geringen Abflussspenden über die Wintermonate hinweg würden zusätzlich eine Gefahr bezüglich verstärkter Vereisung und Grundeisbildung darstellen. Das Entnahmebauwerk werde eine künstliche Einschränkung für die Wanderung der Vertreter des Makrozoobenthos darstellen. Weiters müsste bei Einbau der Wasserfassung in die Bachsohle mit intensiven Sprengarbeiten gerechnet werden, ebenso bei der Verlegung der Entsanderspülung und bei der Druckrohrleitung auf den ersten 40 m unterhalb der natürlichen Bachsohle. Auch der Bau des Begleitweges werde zu näher beschriebenen Beeinträchtigungen führen. Schließlich werde die Druckrohrleitung im mittleren Drittel im Bereich einer durch mehrere Quellaustritte vernässten Hangmulde verlegt, die den Standort mehrerer im Einzelnen genannter, gänzlich geschützter Pflanzenarten bilde, welche zum einen durch die Bauarbeiten und zum andern durch die Dränagewirkung im Druckrohrverlauf beeinträchtigt würden. Durch die geplante Wasserausleitung werde das Kleinklima (Temperatur, Feuchtigkeit etc.) der Staniskabachschlucht stark verändert; die deutlich verringerte Wasserabgabe bewirke eine starke Einschränkung des Zerstäubereffektes von Weißwasser - das Abflussgeschehen werde derzeit von durchgehendem Weißwasser bestimmt, ruhige Kolken seien nur vereinzelt und kleinräumig vertreten - und die Abgabe des Bachwassers an den näheren Luftraum des Baches. Die derzeit hohe Luftfeuchtigkeit in der näheren Umgebung des Baches und die damit einhergehende Abkühlung der Lufttemperatur bestimme allerdings die aktuelle Vegetation: Moose an den im Bach liegenden Steinen, Steinbrechgewächse bzw. Grauerlen, Weiden und Grünerlen im Uferbereich; moosiger und mit Farnen durchsetzter Überzug der felsigen Schluchteinhänge. In Ansehung der Auswirkungen des Vorhabens der Beschwerdeführerin auf das Landschaftsbild wird ausgeführt, der gesamte in Anspruch genommene Staniskabachabschnitt sei bisher von energiewirtschaftlichen oder technischen Eingriffen in die Gewässermorphologie (Verbauungsmaßnahmen) frei geblieben. Die generelle Seltenheit derartiger unverbauter Schluchtstrecken mit hohem Gefälle (durchschnittlich ca. 30 % im gesamten Bachverlauf, ca. 50 % von der geplanten Wasserfassung bis zur Einmündung in den Kalser Bach) unterstreiche die Schutzwürdigkeit dieses Gebietes. Das derzeitige Landschaftsbildelement "Bach" mit seinen Verzahnungen und Übergängen von der felsblockübersäten, kaskaden- und wasserfallreichen Schluchtstrecke zum Sprühzonenbereich des Bachbettes und den daran anschließenden schmalen Ufergehölzzaun würde ersetzt durch einen schmalen Restwasserabfluss; die ursprüngliche Wildheit und Kraft der frei fließenden Welle würde zu einem der ökomorphologischen Ausprägung des Bachbettes nicht mehr entsprechenden kleinen Gerinne "verkommen". Überdies seien Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes im Bereich des Schleier-Wasserfalles zu erwarten, weil die Waldschneise für die Materialseilbahn direkt (ca. 20-30 m) neben dem Wasserfall nach oben führe. Auch sei damit zu rechnen, dass sich die im Zuge von Entsanderspülungen frei gesetzten Feststoffe im Uferbereich der gesamten Fließstrecke und damit auch im Uferbereich des Wasserfalles absetzen werden. Auch durch die Wasserfassung (Speicher und Entsander) werde das Landschaftsbild dauerhaft verändert, zumal es sich um ein sehr großes Bauwerk handle und die Ausführung mit zwei glatten betonierten Hochwasserbuhnen beidseits des Tiroler Wehres im beschriebenen Landschaftsraum optisch deutlich hervortrete. Die bandförmige und gerade Waldschneise im Bereich der Druckrohrleitung werde ebenfalls deutlich sichtbar und durch ihre Geradlinigkeit eindeutig als technischer Eingriff wahrgenommen werden. Schließlich bewirke die geplante Kraftwerksanlage - aus näher beschriebenen Gründen - auch massive und langfristige Beeinträchtigungen des Erholungswertes. Eine Reduzierung der Beeinträchtigungen auf ein vertretbares Maß könne auch durch die Vorschreibung von Auflagen nicht erreicht werden.

Die Landesregierung übermittelte der Beschwerdeführerin dieses Gutachten mit der Aufforderung, Stellung zu nehmen und unter Beibringung entsprechender Unterlagen das Vorliegen von langfristigen öffentlichen Interessen glaubhaft zu machen, die die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 NSchG überwiegen.

Die Beschwerdeführerin brachte vor, das Gutachten beziehe sich nicht auf den aktuellen Stand des Projektes; "Auflagen im Wasserrechtsverfahren" seien nun ein integrierender Bestandteil des Projektes. Im Übrigen seien die Bachsohle im Bereich der Wasserfassung Lockermasse und nicht anstehender Fels, die Sandspülung mit 20 l/s naturnahe vorgesehen, der Staniskabach im Bereich der Ausleitstrecke nur punktuell aus unmittelbarer Nähe einsehbar, der Schleier-Wasserfall nicht beeinträchtigt und der Landschaftsraum ein forstwirtschaftlich genutzter und gepflegter Wald und "wahrscheinlich auch ein von überproportionaler antropogener Nutzung bis dato freier Landschaftsraum". Die Druckrohrleitung werde oberflächennahe verlegt, der Boden nur kurzfristig für das Verlegen der Rohrleitung geöffnet und danach gleich verfüllt und aufgeforstet. Das Rohr werde im Festgestein betonstabilisiert eingebaut, mit der zwischengelagerten lockeren Deckschicht werde standortgerecht rekultiviert. Eine Dränagewirkung im Druckrohrverlauf oder nachhaltige Änderungen im Wasserhaushalt seien durch diese Bauweise nicht zu besorgen. Die "ausgehandelte Restwassermenge von 20 l/s" liege doppelt so hoch wie die projektierte. Auch ohne weitere Untersuchungen könne angenommen werden, dass bei dieser Wassermenge die Beeinträchtigungen nicht als nachhaltig und wesentlich anzusehen seien. Wie der fachzuständige Limnologe Dr. Z. versichert habe, seien die diesbezüglichen Beurteilungen im wasserrechtlichen und im naturschutzrechtlichen Verfahren gleich zu sehen. An der Verwirklichung des Projektes der Beschwerdeführerin bestehe ein besonderes öffentliches Interesse, zunächst, weil die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen zur Umsetzung umweltpolitischer und sozialer Ziele von europaweiter Bedeutung beitrage. Weiters sehe der Bürgermeister von Kals in der Energieerzeugung eine der wenigen wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten in der Region und durch die Nutzung der in der Gemeinde vorhandenen Potenziale durch einheimische Unternehmer eine wichtige Wertschöpfung innerhalb der Gemeinde mit nachhaltiger Wirkung sowie eine Stärkung der Wirtschaftskraft für die gesamte Region. Schließlich ermögliche das Projekt durch ein sehr günstiges Höhen-Längenverhältnis die Stromerzeugung zu sehr günstigen Betriebskosten. Der vorgesehene hohe technische Standard sichere eine lange Lebensdauer der Anlage. Es sei sohin möglich, ein zeitgemäßes und auf nachhaltigen Erfolg gerichtetes Unternehmen neu zu gründen, das für Verwaltung und Wartung Mitarbeiter benötige und damit Arbeitsplätze schaffe.

Der von der Landesregierung in der Folge beigeschafften Niederschrift über die wasser- und forstrechtliche Verhandlung vom

29. und 30. Juni 1999 ist u.a. zu entnehmen, es müsse dem eingeholten gewässerökologischen Gutachten (Dr. Z.) zufolge zwar mit massiven und nachhaltigen Veränderungen des Lebensraumes Staniskabach gerechnet werden. Einzelne Beeinträchtigungen ließen sich jedoch mit Auflagen mildern, sodass mit einer Verringerung von Beeinträchtigungen so weit zu rechnen sei, dass sie nicht nachhaltig seien. Dies betreffe die Größe der notwendigen Restwassermenge bzw. deren Abgabe. Aus der Sicht der Gewässerökologie würden dann keine nachhaltigen Schäden oder Veränderungen an der Bodentierwelt eintreten, wenn die Restwassermenge auf den Wert von 27 l/s (gemessener Niederwasserabfluss) angehoben werde, weil dann die winterlichen Niederwasserwerte als ständiger Abfluss im Bach vorhanden seien. Diese Wassermenge reiche auch aus, um die entsprechenden Wassertiefen und Strömungsgeschwindigkeiten sicher zu stellen, sodass die derzeit im Bach lebenden Gewässerorganismen weiter existieren könnten und daher die ökologische Funktionsfähigkeit nicht nachhaltig beeinträchtigt werde. Auch eine Reduzierung dieser Mindestwassermenge bis zu 25 % (das wäre eine Pflichtwassermenge von 20 l/s) würde eine Beeinträchtigung der ökologischen Funktionsfähigkeit des Gewässers bewirken, die nicht unbedingt als nachhaltig und wesentlich anzusehen sei. Eine wesentliche und nachhaltige Beeinträchtigung der ökologischen Funktionsfähigkeit wäre erst die Folge einer weiteren Reduzierung der Restwassermenge. Eine Reduktion der Restwassermenge bis zu 20 l/s scheine auch deshalb vertretbar, weil nur vereinzelt Wassermessungen vorlägen und der tatsächlich auftretende niederste Abfluss entsprechend einem durchaus möglichen Spendenrückgang auf 3 l/s/km2 auch bei 20 l/s liegen könnte (z.B. in einer 30-jährigen Messreihe). Damit wäre die Forderung, dass mindestens die winterliche Mindestwassermenge als Pflichtwassermenge abfließen solle, erfüllt. Des Weiteren müsste eine entsprechende Art der Pflichtwasserabgabe gewählt werden, die sicher stelle, dass anteilsmäßig Organismen aus der fließenden Welle in die Restwasserstrecke eingedriftet würden und es müsste diese Art der Pflichtwasserabgabe auch so gestaltet werden, dass eine Aufwärtswanderung aus der Restwasserstrecke in den Oberlauf möglich sei.

Mit Schreiben vom 11. Juli 1999 ersuchte die Beschwerdeführerin, die Ergebnisse und Stellungnahmen der Gutachter im Wasser- und Forstrechtsverfahren in die Entscheidung "mit einzubinden". Ergänzend wurde u.a. darauf hingewiesen, dass die Breite der für die Druckrohrleitung erforderlichen Rodung auf eine Flächenbreite von 2 m reduziert werde, sodass eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes schon deshalb nicht zu erwarten sei, weil sich die Bäume über der Rohrleitung schließen würden. Weiters sei eine Beeinträchtigung der ökologischen Funktionsfähigkeit des Gewässers durch den Kraftwerksbau nicht zu erwarten, weil eine Restwassermenge von 20 l/s - wie vom Sachverständigen für Gewässerökologie festgestellt worden sei - zur Aufrechterhaltung der ökologischen Funktionsfähigkeit ausreichend sei.

Mit Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 11. August 1999 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin gemäß §§ 6 lit. c und d, 7 Abs. 1 und 2, 27 Abs. 2 lit. a, Abs. 3 und Abs. 6 und 40 Abs. 2 lit. a Tiroler Naturschutzgesetz 1997 in Verbindung mit §§ 1, 2 und 3 der Naturschutz-Verordnung 1997, LGBl. Nr. 95, abgewiesen und die beantragte naturschutzrechtliche Bewilligung versagt. Hiezu wurde nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften im Wesentlichen ausgeführt, die Naturschutzbehörde gehe auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens von folgenden Beeinträchtigungen der Naturschutzinteressen durch das Vorhaben der Beschwerdeführerin aus:

In der Entnahmestrecke werde es durch die Wasserentnahme vor allem zwischen Oktober und April einen massiven Eingriff in den Lebensraum Bach geben. Dies werde verursacht durch die geringere benetzte Fläche, die Verringerung der Fließgeschwindigkeit, eine dezimierte Verzahnung des Gewässers mit dem Umland, eine Einbuße der Dynamik des Gewässers und eine deutliche Verringerung der Wassertiefen. Durch die Wasserentnahme würden sich die Lebensgemeinschaften des Gewässers verändern, es würden vor allem an den Lebensraum angepasste Arten durch anspruchslosere Arten mit breiterem Vorkommen ersetzt. Der Lebensraum solcher spezialisierter Organismen, etwa der Lidmücke und der Kribbelmücke werde flächenmäßig stark dezimiert. Auch ein Vergleich mit dem Leibnitzbach, der des Öfteren als Vergleichslebensraum herangezogen worden sei, ergebe, dass durch die bestehenden Restwasserverhältnisse die Anteile der Eintagsfliegen und Steinfliegen abgenommen hätte. Das Artenspektrum am Leibnitzbach sei zu Lasten von spezialisierteren Organismen verschoben worden. Auch die Pflanzengesellschaften des Bachufers würden beeinträchtigt. Durch die Reduktion der Spritzwasserzonen werde es zu einer Artenverarmung der spezifischen Pflanzengarnitur im Nahbereich des Baches kommen. Dazu gehörten teilweise geschützte Pflanzenarten wie die Grauerle, Weide, Grünerle und Torfmoose sowie gänzlich geschützte Pflanzenarten wie der Stern-Steinbrech und der Fetthennen-Steinbrech. Verstärkt würden diese Wirkungen durch die Entsanderspülungen, weil das in der Spülung enthaltene Substrat einen Sandstrahleffekt vor allem für Moosgesellschaften an den Bachsteinen und die Steinbrechgewächse verursache. Mittelbar damit verbunden seien auch Auswirkungen auf an diesen Lebensraum gebundene Tierarten, wie die Wasseramsel und die Gebirgsstelze zu erwarten. Das Entnahmebauwerk werde die Passierbarkeit des Bachbettes für Vertreter des Makrozoobenthos verhindern. Vor allem werde durch den Einbau des Entnahmebauwerkes in das Bachbett selbst ein massiver Eingriff verursacht. Auch die Entsanderspülung und die Druckrohrleitung müssten auf Grund der Tiefe des Entnahmebauwerkes etwa 40 m unterhalb der natürlichen Bachsohle verlegt werden. In diesem Bereich werde der natürliche Lebensraum mittelfristig zerstört. Der Begleitweg werde durch einen derzeit urtümlichen Waldbereich geführt und werde zumindest während der Bauzeit die Fauna dieses Bergwaldes beeinträchtigen. Im Mittelbereich würden durch die Druckrohrleitung sowohl teilweise als auch gänzlich geschützte Pflanzenarten zerstört. Der Naturhaushalt werde durch eine Veränderung des Kleinklimas am Staniskabach beeinträchtigt, was eine Veränderung sowohl der Fauna als auch der Flora bewirke. Die aktuelle Vegetation werde geprägt durch eine hohe Luftfeuchtigkeit und damit Abkühlung der Bachumgebung. Die Veränderung dieser Faktoren werde den Naturhaushalt entlang der Entnahmestrecke beeinträchtigen. Das Landschaftsbild sei im höchsten Maße schutzwürdig, insbesondere weil es derzeit von technischen Eingriffen völlig unbeeinträchtigt sei. Der Bach sei nicht verbaut und auch sonst fehlten technische Anlagen. Solche Bachabschnitte insbesondere mit Schluchtstrecken in alpinen Höhenlagen zählten zu den höchstrangigen Landschaftselementen. Dieser Landschaftsraum würde durch die Wasserentnahme zu einem Restwasserabfluss abgemindert und die Wildheit des Baches würde deutlich verringert. Auch das Landschaftsbild im Bereich des Schleierwasserfalles würde beeinträchtigt, weil der Besucherparkplatz als Talstation für die Materialseilbahn und als Zwischenlager während der Bauzeit benützt würde. Die Waldschneise für die Materialseilbahn führe unmittelbar neben dem Schleierwasserfall vorbei und würde die Unberührtheit und Natürlichkeit beeinträchtigen. Auch das verhältnismäßig große Bauwerk im Bereich der Wasserentnahme (mit Speicher und Entsander) würde das Landschaftsbild dauerhaft nachteilig verändern. Dies würde durch die notwendigen uferseitigen Hochwasserbuhnen verstärkt. Ebenso würde die Schneise für die Druckrohrleitung einen technischen und weithin sichtbaren Eingriff in das Landschaftsbild darstellen. Diese Schneise würde auch von weit entfernten Standorten und auch von der gegenüberliegenden Talseite aus wahrnehmbar sein. Im Bereich der gesamten Fließstrecke von der Wasserfassung bis zum Wasserfall würde der Erholungswert der Landschaft beeinträchtigt. Dieser Landschaftsraum sei durch verschiedene Steige (teilweise nicht markiert) erreichbar und werde geprägt durch den Bach und seine Akustik. Durch sein hohes Gefälle und die zahlreichen Abflusskaskaden und Wasserfälle werde ein lautes Rauschen und Getöse erzeugt, das nach der Wasserentnahme deutlich verändert würde. Auch das optische Erleben eines Wildbaches würde über einen Großteil des Jahres gestört. Die deutlich sichtbaren baulichen Anlagenteile, wie die Wassererfassung, der Weg, die Materialseilbahn, würden den technischen Eingriff deutlich machen und damit den Erholungswert verringern.

Die im wasserrechtlichen Verfahren hervorgekommenen Änderungen des Projektes würden keine bedeutsame Änderung der Naturbeeinträchtigungen bewirken. Diese Änderungen würden im Wesentlichen eine Erhöhung der Pflichtwassermenge von 10 l/s auf 20 l/s betreffen. Auch mit 20 l/s Restwassermenge würden dem Bach über sieben Monate des Jahres teilweise deutlich mehr als die Hälfte des Wassers entzogen. In einzelnen Monaten (etwa September und Oktober) würde die Wasserentnahme sogar über 85 % betragen. Die im Gutachten dargestellten Auswirkungen auf das Landschaftsbild, den Erholungswert der Landschaft sowie auf die bachbegleitende Vegetation würden damit im Wesentlichen gleich bleiben. Hinsichtlich der Auswirkungen auf die Gewässerlebewelt habe der im wasserrechtlichen Verfahren beigezogene Limnologe zwar auf den Befund des naturkundefachlichen Gutachtens verwiesen, allerdings nicht näher ausgeführt, warum bei einer Pflichtwassermenge von 27 l/s (bzw. 20 l/s) die dort festgestellten Beeinträchtigungen nicht eintreten würden. Diesbezüglich seien die Ausführungen des Limnologen im Wasserrechtsverfahren nicht nachvollziehbar. Dieser Sachverständige habe zudem einschränkend festgestellt, dass "des Weiteren ... eine entsprechende Art der Pflichtwasserabgabe gewählt werden müsste, die sicherstellt, dass anteilsmäßig Organismen aus der fließenden Welle in die Restwasserstrecke eingedriftet werden". Nähere Ausführungen darüber, wie diese Pflichtwasserdotation ausgeführt gehöre, seien nicht enthalten, sodass diesbezüglich zu Recht auf das eingereichte Projekt hinzuweisen sei. Was die weiteren Projektänderungen anlange, so sei unbedeutend, ob die Triebwasserleitung eine Länge von 1.920 m statt - wie im Gutachten angenommen - von 1.800 m habe. Nicht wesentlich sei auch die Breite des Ziehweges von 1,5 m statt 2 m. Es treffe auch nicht zu, dass die Wasserfassung optisch kaum wahrnehmbar sei, zumal die beidufrigen Flügel am Tiroler Wehr - laut dem Sachverständigen für Wildbach- und Lawinenverbauung - in Beton auszuführen und ca. 0,5 m tief in den Felsen einzubinden seien. Wenn schließlich der forstfachliche Sachverständige die geplante Rodung eines 2 m breiten Waldstreifens als keinen großen Eingriff in die Schutzfunktion des Waldes und die Waldbewirtschaftung erachtet habe, so bedeute das noch nicht, dass diese Rodung auch keine Beeinträchtigung der naturschutzgesetzlich geschützten Rechtsgüter bewirke. Bei dieser Sachlage sei zu prüfen gewesen, ob im Sinne des § 27 Abs. 2 bzw. § 27 Abs. 3 NSchG langfristige öffentliche Interessen für das Vorhaben der Beschwerdeführerin sprechen und bejahendenfalls, ob diese die Interessen an der Erhaltung der Natur überwiegen. Ein solches langfristiges öffentliches Interesse, dass die festgestellten Naturbeeinträchtigungen überwiegen könnte, sei weder von der Beschwerdeführerin dargetan worden, noch im Verfahren hervorgekommen. Der allgemeine Hinweis auf die "Umsetzung umweltpolitischer und sozialer Ziele von europaweiter Bedeutung" sei nicht geeignet, einen konkreten Einfluss des Projektes de Beschwerdeführerin auf die Durchsetzung solcher Ziele darzutun. Im Übrigen seien auf Grund der - näher beschriebenen - Liberalisierung des Strommarktes die Einspeisetarife der TIWAG reduziert worden und es sei - wie in der wasserrechtlichen Verhandlungsschrift festgehalten - mit einer weiteren Reduzierung zu rechnen. Die Gewinnung von Strom aus Wasserkraft zähle auch nicht zu jenen Gewinnungsarten, die auf der Basis "erneuerbarer" Energieträger erfolge. Das geplante Kraftwerk mit einer Leistung von 0,9 MW sei schließlich für die Gesamtversorgung mit elektrischer Energie sowohl für den Bezirk Lienz, als auch für Tirol von untergeordneter Bedeutung. Dass das Kraftwerk zur Schaffung von zukunftssicheren Arbeitsplätzen in der Region beitragen könne, sei nicht dargetan worden. Denn es sei die Anlage für den wärterlosen Betrieb konzipiert, sodass lediglich kurzfristige Beschäftigungseffekte vor allem in der Bauwirtschaft während der Bauzeit in Betracht kämen. Auch ein Eigenbedarf der Beschwerdeführerin sei nicht vorgebracht worden. Was die von der Gemeinde vorgebrachten Argumente anlange, so sei zwar nachvollziehbar, dass eine Ansiedlung wirtschaftlich starker Unternehmen in der Gemeinde von öffentlichem Interesse sei. Inwieweit das Vorhaben der Beschwerdeführerin dazu geeignet sei, sei allerdings nicht nachvollziehbar dargelegt worden. Es seien im Gegenteil im wasserrechtlichen Verfahren Gesichtspunkte hervorgekommen, die den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens fraglich erscheinen ließen. Dies betreffe zum einen die von der TIWAG angekündigte Reduzierung der Einspeisetarife und die damit verbundene Beeinträchtigung der Wirtschaftlichkeit der Anlagenerrichtung und zum anderen die Annahme der Beschwerdeführerin betreffend den Erlös aus dem Stromverbrauch, die nach den Ausführungen des elektrotechnischen Amtssachverständigen im wasserrechtlichen Verfahren zumindest für die nahe Zukunft als zu hoch erscheine. Schließlich habe der wasserbautechnische Amtssachverständige zumindest Zweifel an der technischen Ausführbarkeit des Kraftwerkes angemeldet, indem er dargelegt habe, das Kraftwerk könne - aus näher dargelegten Gründen - "ohne entsprechende Ausgleichsmaßnahmen bzw. maschinelle Ausstattung zeitweise an die Grenze der technisch-wirtschaftlich sinnvollen Betreibbarkeit geraten". Ebenfalls dürfte der Turbinendurchfluss kaum unter 20 l/s absinken. Relativierend werde jedoch ausgeführt, dass diesen kritischen Aspekten einerseits durch den Spitzenspeicher und andererseits durch die Wahl einer zwei-düsigen Pelton-Turbine Rechnung getragen worden sei; allerdings sei dabei noch von einem Pflichtwasser von 10 l/s ausgegangen worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 Tiroler Naturschutzgesetz 1997 (NSchG) hat dieses Gesetz zum Ziel, die Natur als Lebensgrundlage des Menschen so zu erhalten und zu pflegen, dass

a)

ihre Vielfalt, Eigenart und Schönheit,

b)

ihr Erholungswert,

c)

der Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und deren natürliche Lebensräume und

              d)              ein möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger Naturhaushalt

bewahrt und nachhaltig gesichert und wiederhergestellt werden. Die Erhaltung und die Pflege der Natur erstreckt sich auf alle ihre Erscheinungsformen, insbesondere auch auf die Landschaft, und zwar unabhängig davon, ob sie sich in einem ursprünglichen Zustand befindet oder durch den Menschen gestaltet wurde. Der ökologisch orientierten land- und forstwirtschaftlichen Nutzung kommt dabei besondere Bedeutung zu. Die Natur darf nur so weit in Anspruch genommen werden, dass ihr Wert auch für die nachfolgenden Generationen erhalten bleibt.

Gemäß § 6 NSchG bedürfen außerhalb geschlossener Ortschaften, sofern hiefür nicht nach einer anderen Bestimmung dieses Gesetzes, einer Verordnung auf Grund dieses Gesetzes oder einem der in der Anlage zu § 46 Abs. 1 genannten Gesetze eine naturschutzrechtliche Bewilligung erforderlich ist, die Errichtung von Seilbahnen, sofern sie nicht dem Güter- und Seilwege-Landesgesetz, LGBl. Nr. 40/1970, unterliegen, und von Schleppliften (lit. c), und der Neubau von Straßen und Wegen oberhalb der Seehöhe von

1.700 m oder mit einer Länge von mehr als 500 m, mit Ausnahme von Straßen, für die in einem Bebauungsplan die Straßenfluchtlinien festgelegt sind, und von Güterwegen nach § 4 Abs. 1 des Güter- und Seilwege-Landesgesetzes (lit. d), einer Bewilligung.

Gemäß § 7 Abs. 1 NSchG bedürfen außerhalb geschlossener Ortschaften im Bereich von fließenden natürlichen Gewässern und von stehenden Gewässern mit einer Wasserfläche von mehr als 2000 m2 die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen (lit. b) sowie die Ableitung und Entnahme von Wasser zum Betrieb von Stromerzeugungsanlagen (lit. c), einer naturschutzrechtlichen Bewilligung.

Gemäß § 7 Abs. 2 NSchG bedürfen außerhalb geschlossener Ortschaften im Bereich der Uferböschung von fließenden natürlichen Gewässern und eines 5 m breiten, von der Uferböschung landeinwärts zu messenden Geländestreifens (lit. a)

1.

die Errichtung, Aufstellung und Anbringung von Anlagen und

2.

Geländeabtragungen und Geländeaufschüttungen außerhalb eingefriedeter bebauter Grundstücke

einer naturschutzrechtlichen Bewilligung.

Gemäß § 27 Abs. 1 NSchG ist eine naturschutzrechtliche Bewilligung, soweit in den Abs. 2 und 3 nichts anderes bestimmt ist, zu erteilen,

              a)              wenn das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt wird, die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht beeinträchtigt oder

              b)              wenn andere öffentliche Interessen an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 überwiegen.

Gemäß § 27 Abs. 2 lit. a NSchG darf eine naturschutzrechtliche Bewilligung für eine über die Instandhaltung oder Instandsetzung hinausgehende Änderung einer bestehenden Anlage im Bereich der Gletscher und ihrer Einzugsgebiete (§ 6 lit. f), für Vorhaben nach den §§ 7 Abs. 1 und 2, 8, 9, 25 Abs. 3 und 26 Abs. 3 nur erteilt werden,

              1)              wenn das Vorhaben, für das die Bewilligung beantragt wird, die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 nicht beeinträchtigt oder

              2)              wenn andere langfristige öffentliche Interessen an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 überwiegen.

Gemäß § 27 Abs. 3 NSchG darf eine naturschutzrechtliche Bewilligung für Ausnahmen von den in den Verordnungen nach den §§ 22 Abs. 1 und 23 Abs. 1 festgesetzten Verboten nur erteilt werden, wenn andere langfristige öffentliche Interessen an der Erteilung der Bewilligung die Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 überwiegen.

Gemäß § 27 Abs. 5 NSchG ist eine Bewilligung befristet, mit Auflagen oder unter Bedingungen zu erteilen, soweit dies erforderlich ist, um Beeinträchtigungen der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1, in den Fällen des Abs. 2 Z. 2 und Abs. 3 insbesondere unter Berücksichtigung des betreffenden Schutzzweckes, zu vermeiden oder auf ein möglichst geringes Ausmaß zu beschränken.

Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zugrunde, das Vorhaben der Beschwerdeführerin erfülle in Ansehung der im Gewässer sowie im Uferschutzbereich des Staniskabaches vorgesehenen Kraftwerksanlagen die Bewilligungstatbestände des § 7 Abs. 1 lit. b und Abs. 2 lit. a Z. 1 und 2 NSchG, in Ansehung der Entnahme von Wasser aus dem Staniskabach den Tatbestand des § 7 Abs. 1 lit. c NSchG, in Ansehung der vorgesehenen Materialseilbahn den Tatbestand des § 6 lit. c NSchG und in Ansehung des oberhalb der Bergstation dieser Seilbahn geplanten Weges mit einer Länge von 550 m den Tatbestand des § 6 lit. d NSchG.

Die Beschwerdeführerin wendet dagegen ein, die Materialseilbahn sei nicht auf Dauer angelegt, sondern solle nur für die Dauer des Bauvorhabens errichtet und anschließend wieder beseitigt werden. Sie bedürfe daher keiner Bewilligung gemäß § 6 lit. c NSchG.

Diese Auffassung der Beschwerdeführerin findet in § 6 lit. c NSchG keine Stütze. Denn es unterwirft dieser Bewilligungstatbestand die Errichtung von Seilbahnen, die dem Güter- und Seilwege-Landesgesetz nicht unterliegen, schlechthin der Bewilligungspflicht, ohne Rücksicht darauf, ob ihre Errichtung auf (relative) Dauer oder nur für einen vorübergehenden Zeitraum erfolgen soll. Der Umstand der Errichtung für einen vorübergehenden Zeitraum kann allenfalls von Bedeutung sein, was die Intensität der Auswirkungen des Vorhabens auf die naturschutzgesetzlich geschützten Rechtsgüter nach § 1 Abs. 1 NSchG angeht. An der Bewilligungspflicht einer im Übrigen den Voraussetzungen des § 6 lit. c NSchG entsprechenden Seilbahn ändert dieser Umstand aber nichts.

Da das Vorhaben der Beschwerdeführerin - unbestrittenermaßen -

die Tatbestände des § 7 Abs. 1 lit. b und c NSchG erfüllt, ist die belangte Behörde weiters zu Recht davon ausgegangen, dass die Bewilligungsfähigkeit des Vorhabens in seiner Gesamtheit nach der Vorschrift des § 27 Abs. 2 lit. a NSchG zu beurteilen ist. Bei ihren gegen die Anwendbarkeit dieser Bestimmung erhobenen Einwand, es handle sich beim vorliegenden Vorhaben nicht um die Änderung einer bestehenden Anlage im Bereich der Gletscher und ihrer Einzugsgebiete, übersieht die Beschwerdeführerin, dass § 27 Abs. 2 lit. a NSchG die Bewilligungsvoraussetzungen u.a. für Vorhaben "nach den §§ 7 Abs. 1 und 2" normiert.

Dem angefochtenen Bescheid liegt weiters die Auffassung zugrunde, das Vorhaben der Beschwerdeführerin führe im Sinne des § 27 Abs. 2a Z. 1 NSchG zu einer Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 NSchG. Dies wegen der durch die Wasserentnahme vor allem zwischen Oktober und April bewirkten Eingriffe in den durch den Staniskabach gebildeten Lebensraum; dieser Lebensraum werde für spezialisierte Organismen stark dezimiert, die spezifische Pflanzenartengarnitur im Nahbereich des Baches werde reduziert und es sei mit Auswirkungen auf die an diesen Lebensraum gebundenen Tierarten zu rechnen. Weiters werde die Passierbarkeit des Bachbettes für Vertreter des Makrozoobenthos verhindert und der Naturhaushalt auch durch eine Veränderung des Kleinklimas beeinträchtigt. Das von technischen Eingriffen völlig unbeeinträchtigte Landschaftsbild würde zum einen durch die Wasserentnahme nachteilig verändert, weil der Wildbach in einem Restwasserabfluss umgewandelt würde und zum anderen durch das große Bauwerk im Bereich der Wasserentnahme, die Schneise für die Druckrohrleitung sowie durch die Schneise für die Materialseilbahn beeinträchtigt. Schließlich würde auch der Erholungswert verringert.

Dem hält die Beschwerdeführerin zunächst entgegen, die belangte Behörde sei bei dieser Beurteilung von einer Restwassermenge von 10 l/s ausgegangen, was allerdings nicht dem letzten maßgeblichen Stand des zur Bewilligung eingereichten Projektes entspreche. Auf Grund der Wasserrechtsverhandlung sei das Projekt nämlich dahin geändert worden, dass die Restwassermenge auf 20 l/s verdoppelt werde. Bei dieser Restwassermenge sei - wie der im wasserrechtlichen Verfahren beigezogene limnologische Amtssachverständige ausgeführt habe - mit keiner nachhaltigen und wesentlichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Gewässers zu rechnen.

Bereits dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg.

Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, hat die Behörde in einem Verfahren über eine Bewilligung nach § 27 Abs. 2 NSchG in einem ersten Schritt zu prüfen, welches Gewicht der Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 NSchG (Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Natur, Erholungswert, Artenreichtum der heimischen Tier- und Pflanzenwelt und derer natürlicher Lebensräume, möglichst unbeeinträchtigter und leistungsfähiger Naturhaushalt) durch das Vorhaben zukommt. Dem hat sie die langfristigen öffentlichen Interessen, denen die Verwirklichung des Vorhabens dienen soll, gegenüber zu stellen. Den Anforderungen an eine gesetzmäßige Begründung entspricht ein auf Grund einer Interessenabwägung ergangener Bescheid nur dann, wenn er in qualitativer und quantitativer Hinsicht nachvollziehbare Feststellungen über jene Tatsachen enthält, von denen Art und Ausmaß der verletzten Interessen im Sinne des § 1 Abs. 1 NSchG abhängt, über jene Auswirkungen des Vorhabens, in denen eine Verletzung dieser Interessen zu erblicken ist und über jene Tatsachen, die das langfristige öffentliche Interesse ausmachen, dessen Verwirklichung die beantragte Maßnahme dienen soll (vgl. z.B. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 4. September 2000, Zl. 2000/10/0081, und die dort angeführte Vorjudikatur).

In Ansehung der im - erwähnten - ersten Schritt zu beurteilenden Frage, ob und inwieweit es durch das Vorhaben der Beschwerdeführerin zu einer Beeinträchtigung von Interessen des Naturschutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 NSchG kommt, die auch durch Vorschreibung von Bedingungen und Auflagen im Sinne des § 27 Abs. 5 NSchG nicht vermieden werden können, fehlen im angefochtenen Bescheid zunächst hinsichtlich der von der belangten Behörde als Folge der Wasserentnahme angenommenen Beeinträchtigungen entsprechend nachvollziehbare Tatsachenfeststellungen. Die Feststellungen des naturkundefachlichen Gutachtens beziehen sich nämlich auf eine Restwasserabgabe von 10 l/s zwischen Oktober und April, während das auch nach Auffassung der belangten Behörde insoweit geänderte Projekt der Beschwerdeführerin eine Restdotation von 20 l/s vorsieht. Ohne den naturkundefachlichen Amtssachverständigen mit dieser Projektänderung zu befassen und dadurch bedingte mögliche Änderungen in den gutachtlichen Feststellungen zu erfragen, ist die belangte Behörde jedoch davon ausgegangen, dem Staniskabach würde auch bei einer Restwassermenge von 20 l/s über sieben Monate des Jahres deutlich mehr als die Hälfte des Wassers entzogen, sodass die vom naturkundefachlichen Sachverständigen dargestellten Auswirkungen im Wesentlichen gleich blieben.

Abgesehen davon, dass diese Annahme auf der Grundlage der im angefochtenen Bescheid dargestellten monatlichen Abflussmittelwerte unzutreffend ist - in den Monaten Februar und März verbliebe mehr als die Hälfte der natürlichen Abflussspende - hätte eine solche Feststellung einer nachvollziehbaren, auf sachverständiger Basis beruhenden Begründung schon deshalb bedurft, als die Verdoppelung der Restwassermenge einerseits und die Aussagen des im wasserrechtlichen Verfahren beigezogenen limnologischen Sachverständigen andererseits es jedenfalls nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lassen, dass die vom naturkundefachlichen Amtssachverständigen festgestellten Beeinträchtigungen in qualitativer und quantitativer Hinsicht eine nicht unwesentliche Änderung erfahren. Dem Hinweis, die Aussagen des Limnologen seien mangels Begründung nicht nachvollziehbar, ist zu entgegnen, dass dieser seine Auffassung damit begründet hat, es müsste die Pflichtwassermenge der winterlichen Niederwassermenge, die - würde eine mehrjährige Messreihe zu Grunde gelegt - bei 20 l/s liegen könnte, entsprechen. Hätte die belangte Behörde Zweifel an der fachlichen Richtigkeit dieser Darlegungen gehabt, so wäre es umso mehr geboten gewesen, den naturkundefachlichen Amtssachverständigen damit zu befassen.

Was aber die vorgeschlagene Ausführung der Pflichtwasserdotation anlangt, die sicherzustellen hätte, "dass anteilsmäßig Organismen aus der fließenden Welle in die Restwasserstrecke eingedriftet werden", wäre es darüber hinaus Sache der belangten Behörde gewesen, statt auf das Projekt der Beschwerdeführerin zu verweisen, zu beurteilen, ob durch entsprechende Bedingungen und Auflagen die auf Grund des Projektes ansonst zu erwartenden Beeinträchtigungen der Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 NSchG vermieden werden können. Auch in diesem Punkt wäre daher eine neuerliche Befassung des naturkundefachlichen Amtssachverständigen erforderlich gewesen.

In Ansehung der angenommenen Beeinträchtigungen des Pflanzen- und Tierlebens im Nahbereich des Staniskabaches fehlen im angefochtenen Bescheid darüber hinaus Tatsachenfeststellungen über die mit dem Vorhaben der Beschwerdeführerin verbundenen konkreten Auswirkungen. Der Hinweis auf eine "völlige Veränderung und eine großflächige Einbuße" der auf den Wasserkontakt angewiesenen - näher bezeichneten - Pflanzen ist in diesem Punkt ebenso wenig aussagekräftig wie der Hinweis auf die Gefährdung des Nachwuchses von Wasseramsel und Gebirgsstelze als Folge der Fehleinschätzung von zu erwartenden plötzlich ansteigenden Abflussverhältnissen. Erst entsprechend konkrete Aussagen über die zu erwartenden Veränderungen der Ufervegetation und des an diesen Lebensraum gebundenen Tierlebens lassen nämlich eine Beurteilung, ob und in welchem Ausmaß eine Verletzung von Interessen des § 1 Abs. 1 NSchG zu besorgen ist, zu.

Schließlich ist in Ansehung der von der belangten Behörde angenommenen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes auf die ständige hg. Judikatur hinzuweisen, wonach erst eine auf hinreichenden Ermittlungsergebnissen - insbesondere auf sachverständiger Basis - beruhende großräumige und umfassende Beschreibung der verschiedenartigen Erscheinungen der Landschaft erlaubt, aus der Vielzahl jene Elemente herauszufinden, die der Landschaft ihr Gepräge geben und daher vor einer Beeinträchtigung bewahrt werden müssen. Für die Lösung der Frage, ob das solcherart ermittelte Bild der Landschaft durch das beantragte Vorhaben nachteilig beeinflusst wird, ist dann entscheidend, wie sich dieses Vorhaben in das vorgefundene Bild einfügt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 29. Mai 2000, Zl. 98/10/0343, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Zwar wären unter diesem Gesichtspunkt die Feststellungen der belangten Behörde über die Veränderung des das Bild der betreffenden Landschaft bestimmenden Staniskabaches von einem - näher beschriebenen - Wildbach in einen "Restwasserabfluss" ausreichend, um darin eine maßgebliche Beeinträchtigung des Landschaftsbildes erkennen zu können, vorausgesetzt, dem Staniskabach käme auch in den Monaten Oktober bis April eine - wie von der belangten Behörde angenommene - das Landschaftsbild prägende Wirkung zu. Ob diese Veränderung des Landschaftsbildes aber weiters auch als Folge des geänderten Projektes der Beschwerdeführerin zu erwarten wäre, wurde von der belangten Behörde zwar bejaht, nicht aber nachvollziehbar begründet, weil sich das dieser Beurteilung zu Grunde gelegte Gutachten auf das ursprüngliche Projekt der Beschwerdeführerin bezieht und nicht von vornherein zu erkennen ist, dass die vorgenommenen Änderungen für die hier zu beurteilenden Fragen nicht von wesentlicher Bedeutung seien.

Der angefochtene Bescheid lässt aber auch im Übrigen Darlegungen vermissen, welche das Bild der Landschaft prägenden Elemente durch die geplanten Anlagen (Wasserfassung, Druckrohrleitung etc.) optisch nachteilig verändert würden. Vielmehr begnügt sich der angefochtene Bescheid zur Begründung der angenommenen Beeinträchtigung des Landschaftsbildes mit dem Hinweis, es handle sich um ein "verhältnismäßig großes Bauwerk" im Bereich der Wasserentnahme und die Schneise für die Druckrohrleitung würde einen "technischen und weithin sichtbaren Eingriff in das Landschaftsbild darstellen", die Schneise für die Materialseilbahn "die Unberührtheit und Natürlichkeit beeinträchtigen".

Schließlich fehlen dem angefochtenen Bescheid auch in Ansehung der angenommenen Verringerung des Erholungswertes in qualitativer und quantitativer Hinsicht ausreichende Feststellungen, zumal diese mit der bloßen Behauptung begründet wird, das Rauschen und Getöse des Wildbaches werde durch die Wasserentnahme "deutlich verändert" und auch das optische Erleben eines Wildbaches werde über den Großteil des Jahres "gestört".

Die Feststellung der belangten Behörde, durch das Vorhaben der Beschwerdeführerin würden Interessen des Naturschutzes nach § 1 Abs. 1 NSchG beeinträchtigt, beruht somit nicht auf einem mängelfreien Verfahren. Die aufgezeigten Verfahrensmängel sind auch relevant im Sinne des § 42 Abs. 1 Z. 3 VwGG, weil nicht auszuschließen ist, dass die belangte Behörde bei deren Vermeidung zum Ergebnis gelangt wäre, eine Beeinträchtigung der Interessen des Naturschutzes im Sinne des § 1 Abs. 1 NSchG sei durch das Vorhaben der Beschwerdeführerin gegebenenfalls bei Vorschreibung von Bedingungen und Auflagen nicht zu erwarten oder jedenfalls nicht im angenommenen Ausmaß, was wiederum - wie dargelegt - für eine diesfalls erforderliche Abwägung mit konkurrierenden anderen langfristigen öffentlichen Interessen im Sinne des § 27 Abs. 2 Z. 2 NSchG von Bedeutung ist.

Der angefochtene Bescheid war daher - ohne auf das übrige Beschwerdevorbringen einzugehen - gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 18. Dezember 2000

Schlagworte

Allgemein Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999100222.X00

Im RIS seit

08.02.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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