Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Gabriel Tamir F*****, geboren am *****, AZ 1 P 27/09w des Bezirksgerichts Wels, infolge Vorlage zur Genehmigung der Übertragung gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Leopoldstadt den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die mit Beschluss des Bezirksgerichts Wels vom 19. Jänner 2009, GZ 1 P 34/08y-U-28, gemäß § 111 JN verfügte Übertragung der Zuständigkeit zur Besorgung der Pflegschaftssache an das Bezirksgericht Leopoldstadt wird nicht genehmigt.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Während der Vater des am ***** geborenen Minderjährigen in Israel lebt und arbeitet, wohnte das Kind mit der Mutter zunächst in Wels. Es hatte seinen ständigen Aufenthalt somit im Sprengel des Bezirksgerichts Wels.
Bei diesem Gericht wurde auch das im März 2007 eingeleitete Vaterschaftsfeststellungsverfahren geführt. Das Verfahren über den gleichzeitig gestellten Antrag auf Feststellung der Vaterschaft und Leistung des Unterhalts von 500 EUR ab der Geburt des Minderjährigen ist noch anhängig.
Im Pflegschaftsverfahren wurden bereits umfangreiche Beweisaufnahmen durchgeführt. Dabei erklärte sich der nach Österreich angereiste Vater bereit, für den - zwischenzeitig bereits eingetretenen - Fall der (rechtskräftigen) Feststellung der Vaterschaft monatlich 200 EUR Unterhalt zu zahlen. Auch die Mutter wurde bereits einvernommen. Mit Beschluss vom 7. 7. 2008 setzte das Bezirksgericht Wels den vom Vater ab 14. 11. 2006 für den Minderjährigen zu leistenden Unterhalt mit monatlich 200 EUR fest und sprach aus, dass „über das restliche Unterhaltsbegehren von monatlich 500 EUR nach Vorliegen sämtlicher Erhebungsergebnisse entschieden" werde. Dem Rekurs des Bundes gegen die daraufhin gewährten monatlichen Unterhaltsvorschüsse von 200 EUR gab das Landesgericht Wels mit Beschluss vom 7. 11. 2008 Folge und änderte den angefochtenen Beschluss im antragsabweisenden Sinn ab. Im November 2008 übersiedelte die Mutter mit dem Kind nach 1020 Wien. Mit seinem in Rechtskraft erwachsenen Beschluss vom 19. 1. 2009 übertrug das Bezirksgericht Wels die Zuständigkeit zur Besorgung der gegenständlichen Pflegschaftssache gemäß § 111 JN an das Bezirksgericht Leopoldstadt, weil sich das Kind (nun) mit seiner Mutter im Sprengel dieses Bezirksgerichts aufhalte und dauernd dort verbleiben werde. Die Führung des Pflegschaftsaktes durch das für den Wohnort des Kindes zuständige Gericht erscheine „zweckmäßiger, zielorientierter" und entspreche den Interessen und dem Wohl des Kindes.
Das Bezirksgericht Leopoldstadt lehnte die Übernahme der Zuständigkeit mit Verfügung vom 2. 2. 2009 unter Hinweis auf den teilweise noch unerledigten Unterhaltsfestsetzungsantrag vom 23. 3. 2007 ab. Das übertragende Gericht habe die Mutter bereits einvernommen. Auch die Jugendwohlfahrt der Stadt Wels habe den Akt aufgrund des offenen Verfahrens (ausdrücklich) nicht an den Magistrat der Stadt Wien abgetreten (ON U-26).
Gemäß § 111 Abs 2 JN legte das Bezirksgericht Wels den Akt - nach Zustellung des Übertragungsbeschlusses auch an den Vater - am 14. 10. 2009 dem Obersten Gerichtshof neuerlich mit dem Ersuchen vor, über den Kompetenzkonflikt zu entscheiden (also die Übertragung der Zuständigkeit zu genehmigen).
1. Wenn es im Interesse eines Minderjährigen gelegen erscheint, insbesondere wenn dadurch die wirksame Handhabung des pflegschaftsgerichtlichen Schutzes voraussichtlich gefördert wird, kann das zur Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte zuständige Gericht seine Zuständigkeit ganz oder zum Teil einem anderen Gericht übertragen (§ 111 Abs 1 JN). Ausschlaggebendes Kriterium einer Zuständigkeitsübertragung ist daher stets das Kindeswohl (RIS-Justiz RS0046908).
2. In der Regel ist das räumliche Naheverhältnis zwischen Pflegebefohlenem und Gericht von wesentlicher Bedeutung, sodass im Allgemeinen jenes Gericht am besten geeignet ist, in dessen Sprengel der Minderjährige seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat (RIS-Justiz RS0047074 [insb T7]). Offene Anträge im Pflegschaftsverfahren sprechen nur dann gegen eine Übertragung, wenn das bisher zuständige Gericht wegen seiner bisherigen Ermittlungen und Tatsachenkenntnisse und seiner eingehenden Vertrautheit mit den Problemen zur Entscheidung besser geeignet ist (RIS-Justiz RS0047032; 10 Nc 16/09y; Fucik in Fasching/Konecny² I § 111 JN Rz 3).
3. Ein solcher Vorzug kommt dem übertragenden Gericht hier bereits aufgrund der langen Verfahrensdauer und dem darauf basierenden Kenntnisstand zu, der es als für die Entscheidung über den Unterhaltsantrag besser geeignet erscheinen lässt; sodass der teilweise noch offene Unterhaltsfestsetzungsantrag für sich allein die Genehmigung der Übertragung bereits hindern würde.
4. Darüber hinaus ist eine Übertragung nach § 111 Abs 1 JN aber nur zulässig, wenn damit voraussichtlich eine „Beförderung des dem Pflegebefohlenen zugedachten Schutzes" verbunden ist. Als Ausnahmebestimmung zu § 29 JN ist § 111 JN grundsätzlich restriktiv auszulegen (Fucik in Fasching/Konecny² I § 111 JN Rz 2; 5 Nc 11/09a). In einem Unterhaltsfestsetzungsverfahren, das - wie hier - wegen des ausländischen Wohnorts des Unterhaltspflichtigen großteils als reines Aktenverfahren geführt wird, kommt dem Kriterium der räumlichen Nähe zum Pflegebefohlenen nur sehr untergeordnete Bedeutung zu, weil die speziellen Probleme eines solchen Verfahrens, etwa Schwierigkeit oder Dauer von Auskunfts- und Rechtshilfeersuchen, unabhängig vom Standort des Pflegschaftsgerichts auftreten (RIS-Justiz RS0046908 [T15]). Gründe, die dennoch für eine voraussichtlich effizientere und schnellere Bearbeitung des noch offenen Antrags durch das übernehmende Gericht sprechen würden, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Derzeit sind auch keine Anordnungen nötig, die einen speziellen Bezug zum Aufenthaltsort des Kindes haben, sodass die Übersiedlung allein noch kein aktuelles Interesse an einer Übertragung der Zuständigkeit begründet (5 Nc 11/09a mwN). Der Übertragung des Unterhaltsverfahrens an das Bezirksgericht Leopoldstadt war daher die Genehmigung zu versagen.
Anmerkung
E9216410Nc3.09m-2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0100NC00003.09M.1021.000Zuletzt aktualisiert am
04.12.2009