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92 LUFTVERKEHR UND WELTRAUMNorm
B-VG Art140 Abs1 / PräjudizialitätLeitsatz
Abweisung des Antrags eines Gerichtes auf Aufhebung einer Bestimmung des Luftfahrtgesetzes über die Verpflichtung des Grundeigentümers zur (unentgeltlichen) Duldung der Inanspruchnahme eines Grundstückes für Außenlandungen von Freiballonen; Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Sicherheitsinteresse gelegen und nicht unverhältnismäßig; Bestehen eines Schadenersatzanspruches im Fall einer über die typische und notwendige Benützung des Grundstückes hinausgehenden Inanspruchnahme; kein verfassungswidriges SonderopferRechtssatz
Das Landesgericht St. Pölten hat in der dem Antrag zu Grunde liegenden Rechtssache über einen Rekurs betreffend eine Besitzstörung zu entscheiden, in welcher das Erstgericht die Auffassung vertrat, §10 LuftfahrtG (LuftFG; im Folgenden: LFG) lege eine Duldungspflicht für den Verfügungsberechtigten eines Grundstücks fest. Da das antragstellende Gericht in dem bei ihm anhängigen Rekursverfahren die angefochtene Wortfolge "und Freiballonen" in §10 Abs1 litc LFG anzuwenden hat, ist der Antrag zulässig.
Die angefochtene Wortfolge bewirkt eine Duldungspflicht des Grundstückseigentümers oder des sonst über ein Grundstück Verfügungsberechtigten in Bezug auf Außenlandungen von Freiballonen (außerhalb eines Flugplatzes). Auf Grund dieser Bestimmung scheidet somit eine Besitzverletzung aus, weil der Eingreifende durch das Gesetz legitimiert wird. Das Luftfahrtgesetz sieht keine Entschädigung des über ein Grundstück Verfügungsberechtigten für die (Duldung der) Benützung des Grundstücks anlässlich der Außenlandung des Freiballons vor.
Der Gesetzgeber kann angesichts des in Art1 1. ZPEMRK enthaltenen Gesetzesvorbehalts Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unversehrtheit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt, soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt und nicht unverhältnismäßig ist (mit Judikaturhinweisen).
Die Duldung der Benützung eines Grundstücks anlässlich einer Außenlandung eines Freiballons und somit die gesetzliche Verankerung der angefochtenen Wortfolge "und Freiballonen" in §10 Abs1 litc LFG liegt im öffentlichen Interesse. Die Duldungspflicht des Grundeigentümers für Außenlandungen von Freiballonen dient dem Sicherheitsinteresse, weil - wie das antragstellende Gericht und die Bundesregierung übereinstimmend ausführen - auf Grund der technischen Gegebenheiten, insbesondere der stark eingeschränkten (horizontalen) Steuerbarkeit von Freiballonen im Vorhinein nicht gesagt werden kann, wo diese landen werden. Eine Zustimmung des über ein Grundstück Verfügungsberechtigten wäre daher in der Regel im Vorhinein nicht einholbar.
Die Eigentumsbeschränkung ist auch nicht unverhältnismäßig. Die durch die Außenlandung eines Freiballons bewirkte Eigentumsbeschränkung ist weder intensiv noch gravierend. Auf Grund der technischen Gegebenheiten von Freiballonen ist es unwahrscheinlich, dass ein und dasselbe Grundstück regelmäßig durch Landungen von Freiballonen belastet wird. Abgesehen davon dauert die Eigentumsbeschränkung nur kurze Zeit: Die mit der angefochtenen Wortfolge "und Freiballonen" in §10 Abs1 litc LFG statuierte Duldungspflicht kann nur dahin verstanden werden, dass die typische und notwendige Benützung des Grundstücks anlässlich der Außenlandung von Freiballonen zulässig ist. Dies bedeutet, dass das Grundstück nur vorübergehend für die jeweils erforderliche Landung benützt werden darf und anschließend der Freiballon unverzüglich vom betroffenen Grundstück zu entfernen ist. Weiters ist die Eigentumsbeschränkung nicht gravierend, zumal die Bestimmung so zu verstehen ist, dass nur eine solche Benützung zulässig ist, die weder die mit der Ausübung der Rechte als Eigentümer oder Verfügungsberechtigter verbundenen Befugnisse beeinträchtigt noch eine substantielle Veränderung am betroffenen Grundstück bewirkt. Angesichts der kurzen Dauer der Inanspruchnahme eines Grundstückes und der nicht intensiven Eigentumsbeschränkung ist es daher nicht unverhältnismäßig, wenn der Halter des Freiballons kein Entgelt für die Benützung des in fremdem Eigentum stehenden Grundstücks zu entrichten hat bzw der über das Grundstück Verfügungsberechtigte kein Entgelt dafür erhält.
§148 LFG (Drittschadenshaftung) ist im gegebenen Zusammenhang (zwar) nicht anwendbar, zumal diese Bestimmung nur auf Schadenersatzansprüche bei Unfällen mit Luftfahrzeugen abstellt. Unfälle sind (bereits) von §10 Abs1 lita LFG erfasst, sodass solche Ereignisse nicht unter die angefochtene Wortfolge "und Freiballonen" in §10 Abs1 litc LFG subsumiert werden können.
Die in §10 Abs1 litc LFG statuierte Duldungspflicht des Grundeigentümers erstreckt sich (aber) nur auf die typische und notwendige Benützung des Grundstücks bei Außenlandungen von Freiballonen. Eine darüber hinausgehende Inanspruchnahme (zB Zufügung von Schäden, übermäßig lange Nutzung) kann Ersatzansprüche (Schadenersatzanspruch, Verwendungsanspruch etc) nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften begründen (vgl §162 Abs2 LFG).
Ein von Verfassungs wegen entschädigungspflichtiges "Sonderopfer" kann nach der Judikatur des VfGH einem Einzelnen oder auch einer (kleinen) Gruppe von Personen auferlegt werden, deren Rechte im Interesse der Allgemeinheit beschränkt werden müssen. Der durch die angefochtene Wortfolge "und Freiballonen" in §10 Abs1 litc LFG zur Duldung verpflichtete Personenkreis kann jedoch im Vorhinein nicht bestimmt oder vorhergesehen werden. Aus diesem Grund kann auch durch die genannte Regelung des Luftfahrtgesetzes keine unsachlich einzelne Personen(gruppen) treffende stärkere (und somit verfassungswidrige) Belastung bewirkt werden. Auf Grund der technischen Gegebenheiten bei Flügen mit Freiballonen ist es unwahrscheinlich, dass regelmäßig Grundstücke bestimmter einzelner Grundstückseigentümer durch die Außenlandungen von Freiballonen betroffen sind und andere Grundstückseigentümer regelmäßig verschont werden. Von diesen Außenlandungen sind vielmehr alle über Grundstücke Verfügungsberechtigte im "Fahrbereich" von Freiballonen betroffen.
Schlagworte
Luftfahrt, Eigentumsbeschränkung, Entschädigung, Schadenersatz, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2012:G58.2012Zuletzt aktualisiert am
11.01.2013