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95 TECHNIKNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Verhängung der Disziplinarstrafe des Verweises über einen Ziviltechniker auf Grund nicht eingetretener Verfolgungsverjährung; keine Bedenken gegen das System des Ziviltechnikerkammergesetzes betreffend die zeitliche Zulässigkeit der Verfolgung sowie der Fällung oder Vollstreckung eines Straferkenntnisses wegen eines DisziplinarvergehensRechtssatz
Da der Disziplinarausschuss als Behörde erster Instanz betreffend die am 28.01.11 vom Disziplinaranwalt erstattete Disziplinaranzeige innerhalb der in §55 Abs4 ZiviltechnikerkammerG 1993 (ZTKG) normierten Frist von sechs Monaten, nämlich am 27.06.11 den - durch Hinterlegung am 30.06.11 zugestellten - Beschluss fasste, gemäß §62 ZTKG ein Disziplinarverfahren über den Beschwerdeführer einzuleiten, ist im vorliegenden Fall die Verfolgungsverjährung in Bezug auf das dem Beschwerdeführer vorgehaltene, in Widerspruch zu den Standesregeln der Ziviltechniker stehende Verhalten nicht eingetreten.
Gegen die Bestimmung des §55 Abs4 erster Halbsatz ZTKG, wonach als maßgeblicher Zeitpunkt, ab dem die sechsmonatige Verfolgungsverjährungsfrist (erst) zu laufen beginnt, der Zeitpunkt der Erstattung der Disziplinaranzeige durch den Disziplinaranwalt an den Disziplinarausschuss heranzuziehen ist und keine Frist zur Einbringung einer Anzeige durch den Disziplinaranwalt beim Disziplinarausschuss ab Kenntnis von einem Disziplinarvergehen verankert ist, bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Nach dem Sinn und Zweck des §55 Abs4 ZTKG soll der Disziplinaranwalt hinsichtlich eines ihm zur Kenntnis gelangten Verdachts betreffend das Vorliegen eines Disziplinarvergehens ein "Vor"- bzw "Ermittlungsverfahren" durchführen, von dessen Ergebnissen er die Erstattung einer Disziplinaranzeige abhängig macht. Aus verfassungsrechtlicher Sicht muss diese "Ermittlungstätigkeit" des Disziplinaranwaltes nicht an Verjährungsfristen gebunden sein, weil es sich um die (Plausibilitäts-)Prüfung des Vorliegens eines Disziplinarvergehens handelt. Es obliegt dem Gesetzgeber im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsermessens, ob er die ("Ermittlungs"-)Tätigkeit einer Stelle - wie in gegenständlichem Fall des Disziplinaranwalts - an bestimmte Fristen bindet oder nicht.
Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist es nicht geboten, dass bereits das Eingehen einer "Disziplinaranfrage" bei der jeweiligen Länderkammer (und nicht erst die Kenntnisnahme durch den Disziplinarausschuss) die Verfolgungsverjährungsfrist, ähnlich der in §55 Abs4 ZTKG geregelten, auszulösen hat, weil zu einem Zeitpunkt, in dem der Disziplinaranwalt die - oft von dritter Seite - eingebrachten Vorhalte noch nicht kennen und noch nicht prüfen konnte, das tatsächliche Vorliegen eines Disziplinarvergehens nicht beurteilt werden kann. Dazu kommt, dass erst mit dem Einleitungsbeschluss des Disziplinarausschusses etwaige negative Wirkungen für den Betroffenen verbunden sind und bis dahin das Verfahren keine rechtlichen negativen Wirkungen entfalten kann.
Im Übrigen ist auf §55 Abs4 zweiter Halbsatz ZTKG zu verweisen, der eine absolute Strafbarkeits- und Vollstreckungsverjährungsfrist von zehn Jahren seit der Beendigung des Disziplinarvergehens vorsieht. Angesichts dieser klaren Verjährungsregelung kann der VfGH keinen Anhaltspunkt für eine Verfassungswidrigkeit des Systems des Ziviltechnikerkammergesetzes betreffend die zeitliche Zulässigkeit der Verfolgung sowie der Fällung oder Vollstreckung eines Straferkenntnisses wegen eines Disziplinarvergehens erkennen.
Da das Ziviltechnikerkammergesetz - verfassungsrechtlich unbedenklich - keine spezifischen Fristen normiert, innerhalb derer der Disziplinaranwalt eingelangte "Disziplinaranfragen" prüfen und in weiterer Folge eine Anzeige betreffend ein Disziplinarvergehen an den Disziplinarausschuss erstatten muss, ist dem Disziplinaranwalt kein willkürliches und somit verfassungswidriges Vorgehen zu unterstellen. Es ist auch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der belangten Behörde ein Verstoß gegen Art6 und Art7 EMRK zur Last gelegt werden sollte. Sie hat ihre Zuständigkeit als Berufungsbehörde mangels eingetretener Verfolgungsverjährung zu Recht wahrgenommen und über das Berufungsbegehren, das - wie auch die gegenständliche Beschwerde - auf das Vorliegen des Verfolgungshindernisses der Verjährung gerichtet war, rechtsrichtig abgesprochen.
Schlagworte
Ziviltechniker Kammer, Disziplinarrecht, Verjährung, Verfolgungsverjährung, fair trial, Klarheitsgebot, BehördenzuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2012:B924.2012Zuletzt aktualisiert am
08.03.2013