Kopf
Beschluss
Das Oberlandesgericht Graz als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen hat durch den Richter Dr.Bott (Vorsitz) sowie die Richterinnen Dr.Kraschowetz-Kandolf und Dr.Rabl als weitere Senatsmitglieder in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W***** H*****, *****, vertreten durch Dr.Rudolfine Horny, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei P*****, im Rekursverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 11.August 2009, GZ 30 Cgs 42/08p-86, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird ersatzlos behoben. Dem Erstgericht wird die Entscheidung über den Kostenersatzantrag des Klägers unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen. Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
In der Tagsatzung vom 10.7.2009 zog der Kläger seine auf Gewährung der Invaliditätspension ab 1.10.2005 gerichtete Klage nach Vorliegen mehrerer, insbesonders internmedizinischer Sachverständigengutachten zurück, begehrte jedoch Kostenersatz nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Er begründete dies mit dem Vorliegen tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten, bescheidener Einkommensverhältnisse sowie dem Erfordernis einer anwaltlichen Vertretung unter Hinweis auf seine Bildung, seinen Gesundheitszustand und sein Alter. Die Beklagte beantragte Zurückweisung des Kostenersatzanspruchs, da ein solcher (gemeint offenbar: im Falle der Klagsrücknahme) gesetzlich nicht vorgesehen sei.
Mit dem angefochtenen Beschluss weist das Erstgericht den Antrag des Klägers zurück.
Es meint rechtlich, § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG sehe zwar einen Kostenersatz nach Billigkeit dann vor, wenn der Versicherte im Verfahren zur Gänze unterliege, jedoch sei diese Voraussetzung im Falle der Klagsrückziehung nicht erfüllt. Von einem „Unterliegen" könne nur im Falle einer abweislichen Entscheidung durch das Gericht gesprochen werden.
Der dagegen erhobene Rekurs des Klägers ist in seinem Eventualantrag berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rechtsauffassung des Klägers, ein Kostenersatzanspruch nach Billigkeit im Sinne der genannten Bestimmung komme auch im Falle der Klagsrücknahme in Betracht, ist beizupflichten.
§ 77 ASGG enthält für Sozialrechtssachen zwischen Versicherten und Versicherungsträgern zugunsten der Versicherten von den vom Erfolgsprinzip geprägten Normen der §§ 41ff ZPO weitreichende Abweichungen, die von Aspekten sozialer Schutzwürdigkeit geprägte Sonderregeln darstellen. So ist etwa vorgesehen, dass im Falle des gänzlichen Unterliegens des Versicherten er dennoch sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach einen nach den in Z 2 lit b genannten Maßstäben der Billigkeit zu beurteilenden Kostenersatzanspruch hat. Diese Regelung macht sich den Gedanken des (vormals in Geltung stehenden) § 406 Abs 1 lit c ASVG für den Fall des gänzlichen Unterliegens des Versicherten zunutze. Der zweite Halbsatz gibt den Maßstab, der bei der Billigkeitsentscheidung zu beachten ist, vor (vgl Kuderna, ASGG², 500 unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien XVI. GP, Nr. 7 der Beilagen, 56).
Schon das Erstgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass nach dem Gesetzeswortlaut für den vom Kläger angestrebten Kostenersatz nach Billigkeit ein Unterliegen zur Gänze im geführten Sozialrechtsverfahren Voraussetzung ist. Das Berufungsgericht vermag sich jedoch der Auffassung, dass von einem Unterliegen nur im Falle einer klagsabweisenden Entscheidung mit Urteil gesprochen werden kann, nicht anzuschließen. Der der in Rede stehenden kostenrechtlichen Sonderregelung innewohnende Schutzgedanke zu Gunsten des Versicherten erfordert es, einen Kostenersatz nach Billigkeit auch dann nicht auszuschließen, wenn er sein Klagebegehren nicht aufrecht hält, sondern – wie hier – offenbar beruhend auf der Einsicht einer fehlenden Durchsetzbarkeit seines Anspruchs mit Klagsrücknahme vorgeht. In einem solchen Fall ist demnach die Geltendmachung eines Kostenersatzanspruchs nach Billigkeit, über den dann zu entscheiden ist, möglich (vgl auch Obermaier, Kostenhandbuch, Rz 411).
Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren über den Kostenersatzanspruch des Klägers unter Bedachtnahme auf die von § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG genannten Voraussetzungen (tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten und entsprechend angespannte Einkommens- und Vermögensverhältnisse) zu entscheiden haben.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.
Oberlandesgericht Graz
Anmerkung
EG000608Rs67.09yEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OLG0639:2009:0080RS00067.09Y.1022.000Zuletzt aktualisiert am
09.11.2009