Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling, Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Glawischnig und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen B***** P*****, und der minderjährigen R***** P*****, beide wohnhaft bei der obsorgeberechtigten Mutter M***** P*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter, vertreten durch Dr. Gerhard Bock, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 14. Juli 2009, GZ 43 R 478/09a-15, wegen Beschränkung der Obsorge in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Im hier zur Beurteilung stehenden Fall ist die Rechtsmittelwerberin für einen achtjährigen Sohn und eine vierjährige Tochter allein obsorgeberechtigt. Über Anregung des Jugendwohlfahrtsträgers wurden ihr vom Pflegschaftsgericht im Zusammenhang mit der Obsorge über die Minderjährigen diverse Auflagen erteilt.
Entscheidungen über die Kindesobsorge stellen, sofern dabei auf das Kindeswohl ausreichend Bedacht genommen wurde, solche des Einzelfalls dar, denen keine grundsätzliche Bedeutung im Sinn des § 62 AußStrG zukommt (RIS-Justiz RS0115719; RS0007101; RS0114625 uva). Die Entziehung allenfalls auch nur die Einschränkung der Obsorge ist dann geboten, wenn der das Kind betreuende Elternteil seine Erziehungspflichten vernachlässigt, seine Erziehungsgewalt missbraucht oder den Erziehungsaufgaben nicht gewachsen ist. Nur wenn gegen diese Grundsätze verstoßen und damit auf das ganz im Vordergrund stehende Kindeswohl nicht ausreichend Bedacht genommen worden wäre, ist eine diesbezügliche Entscheidung revisibel (7 Ob 79/05a; 7 Ob 22/06w).
Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen steht die Rechtsmittelwerberin in nicht unerheblicher Abhängigkeit zu ihrem früheren Lebensgefährten, der eine Zusammenarbeit mit dem Jugendwohlfahrtsträger ablehnt, in dessen Wohnung sie jedoch gemeinsam mit den Minderjährigen nach wie vor wohnt. Sie ist mit dem Alltagsleben und der Versorgung der Kinder überfordert. Die vierjährige Tochter zeigt sich im sprachlichen Bereich entwicklungsverzögert, benötigt logopädische Behandlung und zeigte sich im Kindertagesheim bereits öfters verwahrlost und übelriechend. Auch der achtjährige Sohn kam oftmals schmutzig und ungekämmt zur Schule und trug das Gewand manchmal eine ganze Woche lang. Im Hinblick auf diesen Sachverhalt kann in der Entscheidung des Rekursgerichts, dass die der Rechtsmittelwerberin erteilten Auflagen (Zulassung der Durchführung eines Hausbesuchs sowie regelmäßigen Schul- und Kindertagesheimnachfragen durch den Jugendwohlfahrtsträger; Besuch des Kinderarztes und Zulassung von Nachfragen beim Kinderarzt durch den Jugendwohlfahrtsträger; Entwicklungsdiagnostik für die minderjährige Tochter sowie Auftrag an die Kindesmutter, für die körperliche Hygiene und Sauberkeit der Kleidung des Umfelds der Minderjährigen zu sorgen) im Interesse des Kindeswohls geboten sind, keine gravierende Fehlbeurteilung, die das korrigierende Eingreifen des Obersten Gerichtshofs erfordern würde, erblickt werden. Entgegen der Auffassung der Revisionsrekurswerberin liegen ausreichende Tatsachenfeststellungen vor, die die Prognose zulassen, dass der Ausübung der Obsorge durch die Mutter allein, ohne die im Rahmen der Auflagen erfolgte Kontrolle des Jugendwohlfahrtsträgers aufgrund der eingeschränkten Erziehungskompetenz der Mutter den Minderjährigen schaden würde (vgl 1 Ob 176/07z; siehe auch Thunhart in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ §§ 176, 176b ABGB Rz 22).
Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz kann keinen Revisionsrekursgrund bilden (RIS-Justiz RS0050037 ua). Dies gilt um so mehr, wenn ein behaupteter Mangel des Verfahrens erster Instanz im Rekurs gar nicht gerügt wurde (1 Ob 67/04s). Weder die Unterlassung der Einvernahme des achtjährigen Sohnes der Rechtsmittelwerberin durch das Gericht noch die behauptete Verletzung der Anleitungspflicht gegenüber der Mutter vermögen daher eine Rechtsfrage von der Qualität des § 62 AußStrG zu begründen. Die von der Rechtsmittelwerberin unter Vorlage eines logopädischen Untersuchungsbefundes, wonach „von einer logopädischen Therapie vorerst abgesehen, eine Kontrolle in einem Jahr aber vorgesehen ist", aufgestellte Behauptung, dass die vierjährige Tochter keine logopädische Behandlung benötige, verstößt gegen das im § 66 Abs 2 AußStrG normierte Neuerungsverbot (vgl Fucik/Kloiber AußStrG § 66 Rz 7 mwN). Eine Durchbrechung dieses Grundsatzes aus Gründen des Kindeswohls ist hier gerade nicht geboten (RIS-Justiz RS0048056; RS0119918 [T4]). Lediglich der Vollständigkeit halber ist hiezu jedoch auszuführen, dass eine Auflage, die Minderjährige einer logopädischen Behandlung zu unterziehen, gar nicht erteilt wurde, sodass selbst unter Berücksichtigung der Neuerung die Entscheidung der Vorinstanzen unter Bedachtnahme auf das im Vordergrund stehende Kindeswohl sowie auch im Lichte einer anzustellenden Zukunftsprognose (vgl 7 Ob 22/06w) jedenfalls vertretbar ist.
Der außerordentliche Revisionsrekurs ist daher zurückzuweisen.
Anmerkung
E925858Ob116.09fEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0080OB00116.09F.1022.000Zuletzt aktualisiert am
07.01.2010