Index
E000 EU- Recht allgemein;Norm
11997E028 EG Art28;Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:* EU-Register: EU 2001/0001 23. Januar 2003 * EuGH-Zahl: C-16/01 Haug * Weiterer Vorabentscheidungsantrag des VwGH: 99/10/0064 B 29. Januar 2001 * Ausgesetzte Beschwerde gemäß §38 AVG iVm §62 VwGG:2002/10/0090 B 30. September 2002 2002/10/0124 B 4. November 2002 2002/10/0157 B 16. Dezember 2002 2001/10/0098 B 11. Juni 2001 2000/10/0042 B 29. Januar 2001 97/10/0019 B 29. Januar 2001 2002/10/0123 B 4. November 2002 * EuGH-Entscheidung:EuGH 62000CJ0421 23. Januar 2003 * Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im fortgesetzten Verfahren: 2003/10/0025 E 25. Februar 2003 VwSlg 16026 A/2003Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Killian, in der Beschwerdesache des P in Wien, vertreten durch DDr. Meinhard Ciresa, Rechtsanwalt in Wien I, Biberstraße 3/8, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 12. Oktober 1999, Zl. UVS- 07/L/39/00268/99, betreffend Übertretung des Lebensmittelgesetzes, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden gemäß Art. 234 EG folgende Fragen mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Steht Artikel 2 Abs. 1 lit. b der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hiefür (nunmehr kodifizierte Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür, Amtsblatt Nr. L 109 vom 6. Mai 2000, Seite 0029; im Folgenden: Etikettierungs-Richtlinie), wonach die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, vorbehaltlich der Gemeinschaftsvorschriften über natürliche Mineralwässer und über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, einem Lebensmittel nicht Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen dürfen einer nationalen Vorschrift entgegen, nach der es verboten ist, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln
a) sich auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jung erhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlank machende oder gesund erhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;
b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;
c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden?
2. Stehen die Etikettierungs-Richtlinie oder die Artikel 28 und 30 EG einer nationalen Vorschrift entgegen, die die Anbringung gesundheitsbezogener Angaben im Sinne der Frage 1 beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln nur nach einer vorherigen Genehmigung durch den zuständigen Bundesminister zulässt, wobei Voraussetzung für die Genehmigung ist, dass die gesundheitsbezogenen Angaben mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar sind?
Begründung
1. Beim Verwaltungsgerichtshof ist eine Beschwerde anhängig, in der es um die Frage geht, welche Angaben beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln zulässig sind.
Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 12. Oktober 1999 schuldig erkannt, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit zur Vertretung nach außen Berufener der AB Ges.m.b.H zu verantworten, dass diese Gesellschaft am 19. September 1997 240 Packungen des von der AB Ges.m.b.H. in Deutschland importierten Produktes "A Kürbiskernkapseln mit Vitamin E Blase und Prostata" der DM-Zentrale geliefert und somit in Verkehr gebracht habe, obwohl dieses Verzehrprodukt insofern gemäß § 8 lit. f des Lebensmittelgesetzes falsch bezeichnet gewesen sei, als auf dem Beipacktext folgende gesundheitsbezogene Angaben, die gegen die Bestimmungen des § 9 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes verstießen, gemacht worden seien:
"Zum Schutz der Zellmembran vor den freien Radikalen"
"wichtig für die Funktion vieler Enzyme"
"wichtig als Baustein für Knochen und Zähne" "Regulation des Wasserhaushaltes" (Blasenfunktion)".
Wie sich dem Akt (Seite 9 des Aktes des Magistrates der Stadt Wien) entnehmen lässt, fanden sich diese Angaben auf dem Beipackzettel zu dem Produkt "A Kürbiskernkapseln mit Vitamin E Blase und Prostata" in folgendem Zusammenhang:
"Steirische Ölkürbiskerne sind ideal, um die tägliche Kost ernährungsphysiologisch aufzuwerten, denn sie enthalten:
-
viel Linolsäure, wichtig als Baustein der Zellmembran;
-
Tokopherole und Carotinoide, wichtig zum Schutz der Zellmembran
vor den freien Radikalen;
-
die Spurenelemente Eisen, Kupfer, Mangan, Zink und Selen, wichtig für die Funktion vieler Enzyme;
-
die Mineralstoffe Calcium, Magnesium und Phosphat, wichtig als Bausteine der Knochen und Zähne;
-
viel Kalium, wichtig für die Regulation des Wasserhaushaltes (Blasenfunktion).
Kürbiskern-Kapseln von A enthalten nicht nur die wertvollen Nährstoffe der Steirischen Ölkürbiskerne, sondern sind zusätzlich mit Vitamin E angereichert. Sie sind daher zur täglichen Nahrungsergänzung ganz besonders zu empfehlen."
2. Der Beschwerdeführer vertritt die Auffassung, dass es sich bei den durch den Unabhängigen Verwaltungssenat als nach dem österreichischen Lebensmittelgesetz verbotene gesundheitsbezogene Angaben eingestuften Angaben um solche Angaben handle, die nach
Artikel 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungs-Richtlinie nicht verboten seien, weil es sich dabei nicht um unzulässige krankheitsbezogene Angaben handle, sondern um zulässige gesundheitsbezogene Angaben, die nicht irreführend seien und die daher auch keinem Zulassungsverfahren nach § 9 Abs. 3 des österreichischen Lebensmittelgesetzes unterworfen werden dürften.
3. Der Verwaltungsgerichtshof, welcher ein Gericht im Sinne des Art. 234 EG ist, vertritt die Auffassung, dass sich bei der Entscheidung über den Beschwerdefall Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechtes im Sinne des Artikels 234 EG stellen.
4. Zur Frage 1:
Das österreichische Lebensmittelgesetz 1975 enthält im § 9 ein Verbot gesundheitsbezogener Angaben. Die Bestimmung lautet:
"(1) Es ist verboten, beim Inverkehrbringen von Lebensmitteln, Verzehrprodukten oder Zusatzstoffen,
a) sich auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen oder auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jung erhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlank machende oder gesund erhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken;
b) auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen;
c) gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden.
(2) Die Verbote des Abs. 1 gelten nicht für jene althergebrachten Bezeichnungen, die keinerlei Zweifel über die Beschaffenheit der Ware zulassen.
(3) Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen hat auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist. Der Bescheid ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen für die Zulassung nicht mehr gegeben sind."
Der Verwaltungsgerichtshof hat § 9 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 in seiner bisherigen Rechtsprechung so ausgelegt, dass darin nicht zwischen gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben unterschieden wird, sondern dass mit dieser Bestimmung alle gesundheitsbezogenen Angaben generell verboten sind. Bei der Prüfung der Frage, ob eine gesundheitsbezogene Angabe vorliegt, hat der Verwaltungsgerichtshof auf die Verkehrsauffassung abgestellt. Entscheidend ist nach dieser Rechtsprechung, ob eine Bezeichnung geeignet ist, beim durchschnittlichen Interessenten bei flüchtiger Betrachtung den Eindruck zu erwecken, dass der Konsum des so bezeichneten Lebensmittels einen günstigen Einfluss auf die Gesundheit (wenigstens im Sinne einer gesund erhaltenden Wirkung) hat (vgl. etwa das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Oktober 1993, 93/10/0143). So wurden etwa folgende Bezeichnungen als verbotene gesundheitsbezogene Angaben eingestuft:
"Die gesunde Alternative"
"Nur ca. 105 kcal/100 g - ich mache fit und nicht dick" "Linusit Gold dient als Ballast- und Quellstoff bei
ernährungsbedingter Stuhlverstopfung"
"Zur Stärkung der Blasenfunktion".
Auch die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Angaben ("Zum Schutz der Zellmembran vor den freien Radikalen"; "wichtig für die Funktion vieler Enzyme"; wichtig als Baustein für Knochen und Zähne"; "Regulation des Wasserhaushaltes (Blasenfunktion)") fielen unter den Begriff der verbotenen gesundheitsbezogenen Angaben, wie sie der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Judikatur verstanden hat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner bisherigen Rechtsprechung weiters die Auffassung vertreten, dass § 9 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 mit seinem generellen Verbot jeglicher gesundheitsbezogener Angaben nicht im Widerspruch zu
Artikel 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungs-Richtlinie steht (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. April 1999, 99/10/0008).
Diese Auffassung wird vom Beschwerdeführer in Zweifel gezogen. Er vertritt die Meinung, dass Artikel 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungs-Richtlinie lediglich krankheitsbezogene Angaben verbiete, bloß gesundheitsbezogene aber zulasse.
Die Europäische Kommission hat in diesem Zusammenhang eine Vertragsverletzungsklage gegen die Republik Österreich beim Europäischen Gerichtshof eingebracht. Sie vertritt ebenfalls den Standpunkt, dass zwischen gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben zu unterscheiden sei.
Die Republik Österreich hat in ihrer Klagebeantwortung zugestanden, dass § 9 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 über
Artikel 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungs-Richtlinie hinausgehe.
Der Verwaltungsgerichtshof teilt diese Auffassung nicht.
Nach Artikel 2 Abs. 1 der Etikettierungs-Richtlinie dürfen die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, nicht
a) geeignet sein, den Käufer irre zu führen, und zwar insbesondere nicht
i) über die Eigenschaften des Lebensmittels, namentlich über Art, Identität, Beschaffenheit, Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung oder Herkunft und Herstellungs- oder Gewinnungsart;
ii) durch Angabe von Wirkungen oder Eigenschaften, die das Lebensmittel nicht besitzt;
iii) indem zu verstehen gegeben wird, dass das Lebensmittel besondere Eigenschaften besitzt, obwohl alle vergleichbaren Lebensmittel dieselben Eigenschaften besitzen;
b) vorbehaltlich der Gemeinschaftsvorschriften über natürliche Mineralwässer und über Lebensmittel, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen.
In der österreichischen Diskussion wird teilweise die Auffassung vertreten, nur ein Teil des § 9 Abs. 1 lit. a des österreichischen Lebensmittelgesetzes finde in der Etikettierungs-Richtlinie Deckung, nämlich jener Teil, der es verbietet, sich beim in Verkehr bringen von Lebensmitteln auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen zu beziehen, weil es sich dabei um krankheitsbezogene Angaben handle. Hingegen verstoße das Verbot, sich beim in Verkehr bringen von Lebensmitteln auf physiologische oder pharmakologische, insbesondere jung erhaltende, Alterserscheinungen hemmende, schlank machende oder gesund erhaltende Wirkungen zu beziehen oder den Eindruck einer derartigen Wirkung zu erwecken, auf Krankengeschichten, ärztliche Empfehlungen oder auf Gutachten hinzuweisen sowie gesundheitsbezogene, bildliche oder stilisierte Darstellungen von Organen des menschlichen Körpers, Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder von Kuranstalten oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen zu verwenden, gegen die Etikettierungs-Richtlinie. Zugestanden wird, dass unter Umständen die Prüfung des Einzelfalles ergeben könnte, dass auch Hinweise auf Krankengeschichten (§ 9 Abs. 1 lit. b LMG) sowie Abbildungen von Angehörigen der Heilberufe oder sonstige auf Heiltätigkeiten hinweisende Abbildungen (§ 9 Abs. 1 lit. c LMG) vom Verbot der krankheitsbezogenen Werbung gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. b Etikettierungs-Richtlinie erfasst sein können (in diesem Sinne etwa Hauer, Österreichisches Lebensmittelrecht und EU, 79 f).
Diese Meinung basiert auf der Auffassung, dass sich Art. 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungs-Richtlinie nur auf krankheitsbezogene Angaben beziehe, nicht aber auf (bloß) gesundheitsbezogene.
Artikel 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungs-Richtlinie enthält keine Unterscheidung zwischen gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben. Entscheidend ist nach dem Wortlaut dieser Bestimmung, ob die Etikettierung und die Art und Weise, in der sie erfolgt, einem Lebensmittel Eigenschaften der Vorbeugung, Behandlung oder Heilung einer menschlichen Krankheit zuschreiben oder den Eindruck dieser Eigenschaften entstehen lassen.
Aus der Formulierung des Art. 2 der Richtlinie ergibt sich, dass nicht nur der bloße Wortlaut der Etikettierung, sondern deren Gesamteindruck für die Beurteilung der Frage maßgebend ist, ob durch die Etikettierung die verpönten Wirkungen erzielt werden. Dabei kommt es auch auf den subjektiven Eindruck auf den mündigen informierten Konsumenten an, den die Etikettierung macht. In diesem Sinn können aber nicht nur ausdrückliche Bezugnahmen auf die Verhütung, Linderung oder Heilung von Krankheiten oder Krankheitssymptomen einen Verstoß gegen Art. 2 der Etikettierungs-Richtlinie darstellen, sondern auch die übrigen, im § 9 Abs. 1 des österreichischen Lebensmittelgesetzes verpönten Angaben. Eine Unterscheidung zwischen gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben ist nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes gar nicht möglich. Alle Angaben, die einen irgendwie gearteten Bezug zur Gesundheit aufweisen, fallen grundsätzlich unter Art. 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungs-Richtlinie.
Ein handhabbares Abgrenzungskriterium zwischen gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben ist nicht aufzufinden. Die Verbraucher sind auch nicht in der Lage, zwischen gesundheitsbezogenen und krankheitsbezogenen Angaben zu unterscheiden.
Zu Frage 2:
Selbst dann aber, wenn die in § 9 Abs. 1 des Lebensmittelgesetzes 1975 enthaltenen Verbote gesundheitsbezogener Angaben (teilweise) über die im Art. 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungs-Richtlinie enthaltenen Verbote hinausgingen, wäre damit noch nicht die Frage endgültig beantwortet, ob die Regelungen des § 9 des Lebensmittelgesetzes 1975 über das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit gesundheitsbezogenen Angaben in ihrer Gesamtheit mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind oder nicht.
In diesem Zusammenhang gilt es, das System des § 9 des Lebensmittelgesetzes näher darzustellen.
§ 9 Abs. 1 enthält ein Verbot gesundheitsbezogener Angaben. Es handelt sich bei diesem Verbot aber nicht um ein absolutes; dieses Verbot steht vielmehr unter dem Vorbehalt einer Genehmigung nach § 9 Abs. 3 des Lebensmittelgesetzes 1975.
Nach § 9 Abs. 3 des Lebensmittelgesetzes 1975 hat der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen auf Antrag für bestimmte Lebensmittel oder Verzehrprodukte gesundheitsbezogene Angaben mit Bescheid zuzulassen, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist.
Nach dem System des § 9 des Lebensmittelgesetzes 1975 ist es demnach durchaus möglich, Lebensmittel mit gesundheitsbezogenen Angaben der im Abs. 1 dieser Bestimmung genannten Art in Verkehr zu bringen, wenn die Voraussetzungen des Abs. 3 gegeben sind.
§ 9 Abs. 3 des Lebensmittelgesetzes 1975 hätte dem Beschwerdeführer die Möglichkeit geboten, eine Zulassung gesundheitsbezogener Angaben zu erreichen und dadurch eine Bestrafung zu vermeiden.
Nach Art. 18 Abs. 1 der Etikettierungs-Richtlinie dürfen die Mitgliedstaaten den Verkehr mit Lebensmitteln, die den Bestimmungen dieser Richtlinie entsprechen, nicht durch die Anwendung nichtharmonisierter einzelstaatlicher Vorschriften verbieten, die die Etikettierung und Aufmachung einzelner Lebensmittel oder der Lebensmittel im Allgemeinen regeln.
Nach Art. 18 Abs. 2 findet Absatz 1 keine Anwendung auf
nichtharmonisierte einzelstaatliche Vorschriften, die
gerechtfertigt sind, zum Schutz
- der Gesundheit,
- vor Täuschung, sofern sie nicht bewirken, dass die
Anwendung der in dieser Richtlinie vorgesehenen
Definitionen und Bestimmungen beeinträchtigt wird,
- des gewerblichen und kommerziellen Eigentums, der
Herkunftsbezeichnungen und Ursprungsangaben sowie vor
unlauterem Wettbewerb.
Es stellt sich daher die Frage, ob nicht Art. 18 der Etikettierungs-Richtlinie bzw. Art. 30 EGV eine nationale Regelung wie jene des § 9 des Lebensmittelgesetzes 1975 zulässt, die zwar ein - möglicherweise - über Art. 2 Abs. 1 lit. b der Etikettierungs-Richtlinie hinausgehendes Verbot gesundheitsbezogener Angaben vorsieht, gleichzeitig aber die Möglichkeit eröffnet, von diesem Verbot eine Ausnahme zu erwirken, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist.
§ 9 des Lebensmittelgesetzes 1975 wurde geschaffen, weil durch gesundheitsbezogene Anpreisungen und gesundheitsbezogene Werbung eine Irreführung der Verbraucher in breitem Ausmaß erfolgen kann. Durch besondere, einseitige Hervorhebung, der jedem Lebensmittel innewohnenden physiologischen Wirkung (normales Stoffwechselgeschehen) auf den Organismus ist es möglich, beim Laien völlig falsche Vorstellungen über den wahren Wert und die Bedeutung eines bestimmten Lebensmittels zu erwecken. Gleichzeitig wurde jedoch sichergestellt, dass jeder Antragsteller einen Rechtsanspruch auf Zulassung gesundheitsbezogener Angaben hat, wenn dies mit dem Schutz der Verbraucher vor Täuschung vereinbar ist und die Angaben auch wirklich wahr sind.
Das Verfahren nach § 9 Abs. 3 des Lebensmittelgesetzes 1975 ist daher nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
Dass ein Zulassungsverfahren, welches dem Schutz der Gesundheit dient, mit den Art. 28 und 30 EG vereinbar ist, hat der Europäische Gerichtshof schon wiederholt ausgesprochen, so etwa im Urteil vom 12. März 1987, Rechtssache 178/84, Slg. 1987, 1227; im Urteil vom 10. Dezember 1985, Rechtssache 247/84, Slg. 1985, 3887; im Urteil vom 6. Mai 1986, Rechtssache 304//84, Slg. 1986, 1511.
§ 9 Abs. 3 LMG dient auch dem Schutz der Gesundheit, soll doch damit verhindert werden, dass Konsumenten im Vertrauen auf den Eindruck, den ihnen die Etikettierung von einem bestimmten Lebensmittel vermittelt, über die tatsächliche Wirkung dieses Lebensmittels getäuscht werden und dadurch etwa notwendige Arztbesuche und Ähnliches unterlassen.
Die Alternative zu einem Zulassungsverfahren wäre, die Täuschungseignung einer Etikettierung durch denjenigen, der das Lebensmittel in Verkehr bringt, selbst beurteilen zu lassen und der Behörde lediglich die Möglichkeit zu geben, zur Täuschung oder Irreführung geeignete Angaben nachträglich zu verbieten. Bis zu einem solchen Verbot könnte aber bereits beträchtlicher Schaden angerichtet werden.
Für die Zulässigkeit eines Zulassungsverfahrens nach dem Muster des § 9 Abs. 3 LMG spricht auch ein Blick auf die Richtlinie 84/450/EWG des Rates vom 10. September 1984 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung, Amtsblatt Nr. L 250 vom 19. September 1984, Seite 0017 bis 0020. In den Begründungserwägungen zu dieser Richtlinie heißt es:
"In gewissen Fällen kann es zweckmäßig sein, eine irrführende Werbung zu untersagen, noch ehe sie veröffentlicht ist; dies bedeutet jedoch nicht, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, eine Regelung einzuführen, die eine systematische Vorabkontrolle der Werbung vorsieht."
Daraus geht hervor, dass es den Mitgliedstaaten frei steht, eine Vorabkontrolle der Werbung einzuführen, deren Zweck es ist, zu prüfen, ob Werbung irreführend ist oder nicht.
Wenn das Gemeinschaftsrecht eine solche Vorabkontrolle selbst auf dem Gebiet der allgemeinen Werbung zulässt, dann ist nach Meinung des Verwaltungsgerichtshofes um so mehr davon auszugehen, dass in einem Bereich wie dem der gesundheitsbezogenen Angaben beim in Verkehr bringen von Lebensmitteln eine solche Vorabkontrolle zulässig ist, um zu verhindern, dass Lebensmittel mit zur Täuschung oder Irreführung des Konsumenten geeigneten Angaben in den Verkehr gelangen können. Für dieses Argument ist es ohne Bedeutung, ob die Richtlinie 84/450/EWG auf die Etikettierung von Lebensmitteln anzuwenden ist oder nicht. Aus dieser Richtlinie ergeben sich jedenfalls unabhängig von ihrer Anwendbarkeit auf die Etikettierung von Lebensmitteln Wertungsgesichtspunkte, die bei der Auslegung der Etikettierungs-Richtlinie nicht unberücksichtigt bleiben können.
Da die unter 1 und 2 gestellten Fragen weder durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt noch deren Lösung derart offenkundig wäre, dass für einen Zweifel kein Raum bliebe, werden die Fragen gemäß Artikel 234 EG dem Gerichtshof mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.
Wien, am 18. Dezember 2000
Gerichtsentscheidung
EuGH 61984CJ0178 Kommission / BRDSchlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3Gesundheitsbezogene AngabenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999100260.X00Im RIS seit
08.02.2002Zuletzt aktualisiert am
01.02.2017