TE AsylGH Erkenntnis 2012/10/24 E19 416282-2/2012

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.10.2012
beobachten
merken
Spruch

E19 416.282-1/2010-4E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch die Richterin Mag.a JICHA, als Vorsitzende und die Richterin Dr.in ZOPF, als Beisitzerin über die Beschwerde der XXXX, StA. Armenien, vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.09.2012, Zl. 08 10.057-BAW, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.

Text

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

 

Verfahrensgang und Sachverhalt

 

Verfahrensgang

 

Verfahren vor dem Bundesasylamt

 

Die Beschwerdeführerin brachte am 15.10.2008 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein (Aktenseite des Verwaltungsverfahrensaktes [im Folgenden: AS] 19). Die Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Polizeiinspektion Traiskirchen EAST-OST fand am 15.10.2008 statt (AS

19 - 31).

 

Am 24.10.2008 (AS 37 - 45) wurde die Beschwerdeführerin beim Bundesasylamt, Erstaufnahmestelle Ost, sowie am 03.12.2008 (AS 97 - 107) und 28.05.2010 (AS 243 - 263) beim Bundesasylamt, Außenstelle Wien, niederschriftlich einvernommen. Bei der letzten Einvernahme wurden die Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat Armenien erörtert (AS 255, 265 - 281).

 

Mit Schreiben vom 17.09.2010 (AS 325 - 329) wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert 16 Fragen zu ihren Lebensverhältnissen in Österreich und Armenien schriftlich zu beantworten, dieser Aufforderung kam die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 07.10.2010 nach (AS 331 - 336).

 

Die Beschwerdeführerin legte mehrfach im Verfahren unterschiedliche Dokumente vor (AS 9 - 14, 47 - 61, 109 -- 119, 123 - 129, 265 - 321). Die Dokumente wurden zum Teil einer Überprüfung unterzogen und als echt qualifiziert (AS 9 - 14), zum Teil auch übersetzt (AS 143 - 145, 179 - 183, 211 - 231).

 

Das Bundesasylamt, Außenstelle Wien, wies mit Bescheid vom 15.10.2010, Zahl: 08 10.057-BAW, den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin in Spruchpunkt I bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und in Spruchpunkt II bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. Mit Spruchpunkt III wies das Bundesasylamt die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat Armenien aus (AS

349 - 414).

 

Verfahren vor dem Asylgerichtshof

 

In Erledigung der dagegen fristgerecht erhobenen Beschwerde (AS 421 - 437) behob der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 28.06.2011, GZ: E14 416.282-1/2010-5E, den bekämpften Bescheid und verwies die Angelegenheit gemäß § 66 Abs. 2 AVG zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesasylamt zurück (Ordnungszahl des Beschwerdeverfahrensaktes [im Folgenden: OZ] 1/2010-4, AS 447 - 455).

 

Fortgesetztes Verfahren

 

Am 23.09.2011 (AS 497 - 519) wurde die Beschwerdeführerin beim Bundesasylamt, Außenstelle Wien, niederschriftlich einvernommen.

 

Im Zuge dieser Einvernahme wurden der Beschwerdeführerin die Länderfeststellungen zum Herkunftsstaat Armenien zur Kenntnis gebracht (AS 499 - 517).

 

Die Beschwerdeführerin gab zu den aktuellen Länderfeststellungen eine kurze schriftliche Stellungnahme ab (AS 539 - 541) und legte einen Zulassungsbescheid zum Studium an der Universität Wien vor (AS

525 - 537).

 

Mit Verfahrensanordnung vom 14.06.2012 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert alle Dokumente, welche im erstinstanzlichen Verfahren noch nicht vorgelegt worden sind - insbesondere Unterlagen zum Studium in Österreich und aktuelle Befunde - dem BAA vorzulegen (AS 559).

 

Dem Akt wurden Auszüge aus dem Zentrale Melderegister (ZMR), dem Strafregister der Republik Österreich (SC), dem Kriminalpolizeilichen Aktenindex (KA), dem zentrale Fremdenregister des Bundesministeriums für Inneres (FI), sowie dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich (GVS) beigefügt (AS 457 - 495, 547 - 557, 561 - 627)

 

Das Bundesasylamt, Außenstelle Wien, wies mit Bescheid vom 21.09.2012, Zl. 08 10.057-BAW, den Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin in Spruchpunkt I bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 und in Spruchpunkt II bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Armenien gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab. Mit Spruchpunkt III wies das Bundesasylamt die Beschwerdeführerin gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat Armenien aus (AS

629 - 719).

 

Mit Verfahrensanordnung vom 24.09.2012 wurde der Beschwerdeführerin ein Rechtsberater bzw. eine Rechtsberaterin amtswegig gemäß § 66 Abs. 1 AsylG 2005 zur Seite gestellt (AS 725 - 727).

 

Gegen diesen am 26.09.2012 zugestellten (AS 742) Bescheid des Bundesasylamtes richtet sich die fristgerechte Beschwerde vom 04.10.2012 (AS 743 - 749).

 

Verfahrensinhalt

 

Vorbringen im ersten Verfahrensgang

 

Die Beschwerdeführerin gab bei der Erstbefragung und im Zuge des weiteren Verfahrens im Wesentlichen an, sie sei XXXX geboren, ukrainischer Volksgruppenzugehörigkeit und mit ihren Eltern 1993 nach Bulgarien gezogen. Im Jahr 2000 sei ihre Mutter verstorben und sie habe bis 2005 mit ihrem Vater in einen Dorf in Bulgarien gelebt. Ihr Vater sei 2005 zu seiner jetzigen Frau in die Ukraine gezogen und sie sei in Kinderheim gekommen. 2006 habe die armenische Botschaft eine Reisepassausstellung verweigert, ihr jedoch ein Ausreisezertifikat gegeben, damit sie sich in Armenien einen Pass ausstellen lassen konnte. Ihr Vater habe sich um einen Pass bemüht, welcher jedoch verweigert worden sei, da die gesamte Familie keinen festen Wohnsitz in Armenien gehabt habe, und sie noch keine 16 Jahre alt gewesen sei. Ihr Vater habe nach ca. einem Jahr Armenien wieder verlassen und sei zu seiner Frau gereist (AS 19, 27, 101). Sie selber sei in Armenien alleine in der Wohnung zurückgeblieben, sei jedoch Anfang November 2007 von der Polizei in ein Kinderheim gebracht worden. Dort sei sie belästigt worden und man habe versucht sie zu vergewaltigen. Zuvor sei sie bereits, als sie noch alleine in der Wohnung lebte, vergewaltigt worden (AS 259). Sie habe in Armenien eine Schule mit russischem Schwerpunkt besucht (AS 101, 103). In Bulgarien wäre sie kurz vor der Verleihung der Staatsbürgerschaft gestanden, als ihr Vater sie nach Armenien mitgenommen habe (103). In Österreich lebe ihre Tante, zu der sie jedoch nicht viel Kontakt habe. Ihre Großeltern mütterlicherseits würden in Armenien leben, hätten sie jedoch abgelehnt, da sie ihren Vater für den Tod ihrer Mutter verantwortlich machen würden (AS 261).

 

Bescheid und Beschwerde

 

Das Bundesasylamt begründete den abweisenden Bescheid im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen, hinsichtlich des Verlassens des Herkunftsstaates sowohl zur allgemeinen Lage in Armenien aber auch in sich widersprüchlich sei, der vorgebrachte Sachverhalt folglich nicht den Tatsachen entspreche und die Beschwerdeführerin somit keine aktuelle, gegen sie gerichtete, asylrelevante Verfolgungsgefahr vorgebracht habe (AS 401).

 

Eine etwaige Rückkehrgefährdung wurde vom Bundesasylamt ausgeschlossen, zumal man nicht von einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage in Armenien ausgehen könne. Es sei der Beschwerdeführerin zumutbar durch eigene, notfalls auch wenig attraktive, Arbeit oder erforderlichenfalls durch Zuwendungen von dritter Seite das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen zu können. Es seien im Verfahren keine konkreten Umstände hervorgekommen, welche darauf hindeuten würden, dass sie bei einer Rückkehr nicht am Erwerbsleben teilnehmen könne. Die Medikamente die sie nehme, wären in Armenien auch verfügbar (AS 401, 405).

 

Abschließend führte das Bundesasylamt aus, dass die Beschwerdeführerin weder über Familienangehörige noch sonst Personen, zu denen ein enges Verhältnis besteht verfüge, und gelangte nach der vorzunehmenden Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung und den Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich zu dem Ergebnis, dass eine Ausweisung der Beschwerdeführerin keinen unzulässigen Eingriff in Artikel 8 EMRK darstelle (AS 409 - 413).

 

Die Beschwerde wiederholte neben rechtlichen Ausführungen im Wesentlichen die Aussagen aus der Erstbefragung und den Einvernahmen beim Bundesasylamt (AS 423 - 425). Die Behörde habe es verabsäumt, Feststellungen zur Situation von alleinstehenden jungen Frauen ohne familiäre Unterstützung zu tätigen. Es seien auch keinerlei Feststellungen zur Situation von Frauen, welche Opfer von sexuellen Übergriffen geworden seien, getroffen worden (AS 427). Die Behörde selbst habe festgestellt, dass ein nicht geringer Teil der Bevölkerung nicht in der Lage sei, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Versorgungsschwierigkeiten könnten großteils nur durch die traditionellen Familienbande, teils durch finanzielle und materielle Unterstützung durch Verwandte aus dem Ausland, überwunden werden. Wie sie bereits dargelegt habe, seien ihre einzigen Verwandten in Armenien, ihre Großeltern mütterlicherseits, nicht bereit gewesen, sie zu unterstützten. Sie hätten sie aufgrund ihres Alters und ihrer eigenen Situation auch gar nicht unterstützen können. Bezüglich der wirtschaftlichen Situation ihrer Großeltern habe die Behörde keinerlei Ermittlungen getätigt und auch keine Feststellungen getroffen (AS 431).

 

Der Asylgerichtshof behob den Bescheid des Bundesasylamtes mit folgender Begründung (OZ 5 Seite 6 - 7):

 

"Die Beschwerdeführerin bringt im Wesentlichen vor, der russischsprachigen bzw. ukrainischen Minderheit in Armenien anzugehören und nahezu ihr gesamtes Leben in Bulgarien verbracht zu haben. Außer ihren Großeltern mütterlicherseits würden keine Verwandten mehr in Armenien leben. Diesbezüglich legte die Beschwerdeführerin mehrere Dokumente, darunter auch ein bulgarisches Schulzeugnis, eine Heimreisezertifikat der armenischen Botschaft in Bulgarien sowie eine armenische Übersetzung der bulgarischen Sterbeurkunde der Mutter vor (AS 49, 179; 267, 293; 277 - 279). Das Bundesasylamt hat weder diese noch die anderen vorgelegten Dokumente einer Beurteilung unterzogen. Dem Bescheid lässt sich aber nicht entnehmen, ob diese Urkunden für echt erachtet werden. Dies ist jedoch im vorliegenden Fall insofern unerlässlich, da für den Fall, dass diese echt sind, ein wesentlicher Kernbereich des Vorbringens der Beschwerdeführerin dadurch gestützt und belegt wäre. Es wird in der Folge - so man vom Wahrheitsgehalt auszugehen hat - notwendig sein auch das übrige Vorbringen der Beschwerdeführerin, in einem Kinderheim in Armenien misshandelt, sexuellen Übergriffen ausgesetzt und von der Polizei aus ethnischen Motiven misshandelt worden zu sein, durch geeignete Länderrecherche zu überprüfen. Die vorliegenden Länderberichte reichen in diesem Fall keineswegs, weil sie weder auf die Situation von alleinstehenden Minderjährigen noch auf die Situation der russischsprachigen Minderheit in Armenien Bezug nehmen.

 

Aber auch in Bezug auf die Frage des subsidiären Schutzes mangelt es dem Verfahren an individuellen Feststellungen, da es sich bei der Beschwerdeführerin - so sich die Unterlagen und das diesbezügliche Vorbringen als wahr darstellen - um eine alleinstehende, junge Frau ohne finanzielle Mittel handeln würde, die - abgesehen von ihren ersten beiden Lebensjahren - nur zwei Jahre ihres Lebens in Armenien verbracht hat und die einer Minderheit angehört. Darüber hinaus ist die Muttersprache der Beschwerdeführerin offenbar Russisch und nicht Armenisch (AS 23, 97, 245), was durch das ebenfalls weder auf Echtheit überprüfte noch in irgendeiner Weise gewürdigte Schulzeugnis aus Armenien (AS 295) insofern bestätigt wird, als diesem zu entnehmen ist, dass die Beschwerdeführerin am Armenischunterricht nicht teilgenommen hatte und von der diesbezüglichen Abschlussprüfung freigestellt war.

 

Das Bundesasylamt wird daher im fortgesetzten Verfahren zunächst die vorgelegten Dokumente, so diese in Zweifel gezogen werden, einer Echtheitsüberprüfung zu unterziehen haben und in der Folge, im Falle der Echtheit der Dokumente, geeignete Ermittlungen, etwa zu alleinstehenden Minderjährigen und deren Behandlung in Kinderheimen, den Lebensverhältnissen der russischsprachigen Minderheit in Armenien, sowie zu den Lebensmöglichkeiten von alleinstehenden, mittellosen, jungen Frauen, die einer Minderheit angehören und deren Muttersprache nicht Armenisch ist, zu tätigen haben."

 

Fortgesetztes Verfahren

 

Ermittlungsverfahren

 

Im fortgesetzten Verfahren wurde die Beschwerdeführerin im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme zu ihrer Integration in Österreich befragt (AS 497 - 499) sowie ihr die allgemeinen Länderfeststellungen zu Armenien zur Kenntnis gebracht (AS 499 - 517).

 

In der Stellungnahme wurde erneut darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin zwar armenische Staatsangehörige sei, sie aber der russisch-ukrainischen Minderheit angehöre und armenisch schriftlich gar nicht und auch sonst nicht ausreichend beherrsche, weshalb sie auch vom Armenischunterricht befreit gewesen sei. Darüber hinaus sei sie alleinstehend und verfüge in Armenien über kein familiäres Netz. Auch sei sie nicht an armenische Gepflogenheiten gewöhnt, da sie in Bulgarien aufgewachsen sei (AS 541).

 

Bescheid und Beschwerde

 

Das Bundesasylamt begründete den abweisenden Bescheid im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen, hinsichtlich des Verlassens des in sich widersprüchlich sei. Sie habe etwa unterschiedliche Angaben zu ihrer Schullaufbahn gemacht (AS 704; Bescheid Seite [im Folgenden: BS] 76), und über den Aufenthalt im Heim in Armenien keine Bestätigung vorgelegt. Darüber hinaus habe die Beschwerdeführerin auch den Schulabschluss in Armenien gemacht und die Sterbeurkunde der Mutter in Armenien bei einer Notarin notariell beglaubigen lassen, weshalb davon auszugehen sei, dass die Beschwerdeführerin keine Scheu gegenüber armenischen Behörden habe, weshalb auch davon auszugehen sei, dass die Ausreise nicht fluchtartig erfolgt sei (AS 705 [BS 77]). In der Gesamtschau sei die Beschwerdeführerin daher persönlich nicht glaubwürdig. Auch sei bereits zwei Mal eine Anzeige wegen Diebstahls gemacht worden. Der allgemeinen Lebenserfahrung nach könne man aber davon ausgehen, dass eine Person, welcher tatsächlich Verfolgung drohen würde, sich bemüht sich während ihres Aufenthaltes im ausgewählten Schutzstaat durch sozialadäquates Verhalten in die Gesellschaft zu integrieren (AS 707 [BS 78]).

 

Eine etwaige Rückkehrgefährdung wurde vom Bundesasylamt ausgeschlossen, da die Beschwerdeführerin keiner Verfolgung ausgesetzt sei und sie auch der behördlichen Aufforderung Unterlagen über ihr Studium [in Österreich] bzw. allfällige ärztliche Unterlagen vorzulegen nicht nachgekommen sei (AS 707 [BS 79]). Man könne auch nicht von einer allgemeinen existenzbedrohenden Notlage in Armenien ausgehen. Es sei der Beschwerdeführerin zumutbar durch eigene, notfalls auch wenig attraktive, Arbeit oder erforderlichenfalls durch Zuwendungen von dritter Seite das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen zu können. Es seien im Verfahren keine konkreten Umstände hervorgekommen, welche darauf hindeuten würden, dass sie bei einer Rückkehr nicht am Erwerbsleben teilnehmen könne. Die Medikamente die sie nehme, wären in Armenien auch verfügbar (AS 711 [BS 83]).

 

Abschließend führte das Bundesasylamt aus, dass die Beschwerdeführerin weder über Familienangehörige noch sonst Personen, zu denen ein enges Verhältnis besteht verfüge, und gelangte nach der vorzunehmenden Abwägung zwischen den öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung und den Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib in Österreich zu dem Ergebnis, dass eine Ausweisung der Beschwerdeführerin keinen unzulässigen Eingriff in Artikel 8 EMRK darstelle (AS 715 - 718 [BS 87 - 90).

 

Im Rahmen der Beschwerde wird der Bescheid in vollem Umfang wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge der Verletzung von Verfahrensvorschriften angefochten (AS 745).

 

Es seien nun mittlerweile Urkunden übersetzt worden, die daraus gezogenen Schlüsse seien jedoch nicht vorgehalten worden. Die Beschwerde wiederholt das Vorbringen und verweist darauf, dass auch im zweiten Rechtsgang keine einschlägigen Feststellungen zur russischen Minderheit in Armenien getroffen worden seien (AS 747).

 

Im Übrigen wurde die Stellungnahme wiederholt und darauf hingewiesen, dass entgegen des Ermittlungsauftrages des AsylGH keine spezifischen Länderfeststellungen getroffen worden seien (AS 749).

 

Der Asylgerichtshof hat erwogen:

 

Der Verfahrensgang und Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt der Beschwerdeführerin.

 

Rechtliche Grundlagen

 

Art. 129f Bundes-Verfassungsgesetz - B-VG BGBl. Nr. 1/1930 idgF normiert, dass die näheren Bestimmungen über die Organisation und das Verfahren des Asylgerichtshofes durch Bundesgesetz getroffen werden.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 Bundesgesetz über den Asylgerichtshof (AsylGHG), BGBl. I Nr. 4/2008 idgF, entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist.

 

Gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 135/2009 (AsylG 2005) entscheidet der Asylgerichtshof, soweit nicht in Abs. 3 leg. cit. eine Einzelrichterzuständigkeit, wegen Drittstaatssicherheit gemäß § 4 (lit. a), Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß § 5 (lit. b) oder entschiedener Sache gemäß § 68 AVG (lit. c) vorgesehen ist, über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes in Senaten.

 

§ 22 Abs. 1 2. Satz AsylG 2005 entsprechend, ergehen Entscheidungen des Asylgerichtshofes in der Sache selbst in Form eines Erkenntnisses, alle anderen in Form eines Beschlusses.

 

Gemäß § 23 AsylGHG sind, soweit sich aus dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt.

 

Gemäß § 66 Abs. 4 AVG hat die Berufungsbehörde - außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall -, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

 

§ 66 Abs. 2 AVG

 

Gemäß § 66 Abs. 2 AVG kann die Berufungsbehörde, wenn der ihr vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.

 

Gemäß Abs. 3 leg. cit. kann die Berufungsbehörde jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbarer Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiermit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnissen vom 21.11.2002, 2002/20/0315 und 2000/20/0084, grundsätzliche Ausführungen zur Anwendbarkeit des § 66 Abs. 2 AVG im Asylverfahren im Allgemeinen und durch den Unabhängigen Bundesasylsenat im Besonderen getätigt. Dabei hat er im letztgenannten Erkenntnis insbesondere ausgeführt, dass bei der Abwägung der für und gegen eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG sprechenden Gesichtspunkte auch berücksichtigt werden muss, dass das Asylverfahren nicht nur möglichst kurz sein soll. Der Gesetzgeber hat zur Sicherung der Qualität des Asylverfahrens einen Instanzenzug vorgesehen, der zum Unabhängigen Bundesasylsenat und somit zu einer gerichtsähnlichen, unparteilichen und unabhängigen Instanz als besonderem Garanten eines fairen Asylverfahrens führt. Es kommt dem Unabhängigen Bundesasylsenat in dieser Funktion schon nach der Verfassung die Rolle einer "obersten Berufungsbehörde" (Art. 129c Abs. 1 B-VG) zu. Diese wird aber ausgehöhlt und die Einräumung eines Instanzenzuges zur bloßen Formsache degradiert, wenn sich das Asylverfahren einem eininstanzlichen Verfahren vor der Berufungsbehörde nähert, weil es das Bundesasylamt ablehnt, auf das Vorbringen sachgerecht einzugehen und brauchbare Ermittlungsergebnisse in Bezug auf die Verhältnisse im Herkunftsstaat in das Verfahren einzuführen.

 

Im bereits zitierten Erkenntnis vom 21.11.2002, 2000/20/0084, sowie im Erkenntnis vom 22.12.2002, 2000/20/0236, weist der Verwaltungsgerichtshof darauf hin, dass - auch bei Bedachtnahme auf die mögliche Verlängerung des Gesamtverfahrens - eine ernsthaft Prüfung des Antrages nicht erst bei der "obersten Berufungsbehörde" beginnen und zugleich bei derselben Behörde enden solle. Ein Vorgehen gemäß § 66 Abs. 2 AVG ermöglicht es daher, dem Abbau einer echten Zweiinstanzlichkeit des Verfahrens und der Aushöhlung der Funktion des unabhängigen Bundesasylsenates als Kontrollinstanz entgegenzuwirken.

 

Zur grundsätzlichen Frage, wann eine kassatorische Entscheidung für die Berufungsbehörde möglich ist, betont der VwGH in den Erkenntnisen vom 20.04.2006, 2003/01/0285, und 17.10.2006, 2005/20/0459, zusammengefasst, dass eine Behebung nach § 66 Abs. 2 AVG nicht bei jeder Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes zulässig ist, sondern nur dann, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass eine weitere Verhandlung oder Einvernahme erforderlich ist, was jedoch nicht der Fall wäre, wenn die Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens durch schriftliches Parteiengehör saniert werden könnten.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat nun zusammengefasst in verschiedenen Erkenntnissen betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des asylrechtlich relevanten Sachverhaltes durch die Behörde erster Instanz durchzuführen ist.

 

Der Asylgerichtshof hat das gegenständliche Verfahren bereits einmal gemäß § 66 Abs. 2 AVG an das Bundesasylamt mit oben unter I.2.3. zitierter Begründung zurückverwiesen. Diese Entscheidung war getragen von der Ansicht, dass die Dokumente der Beschwerdeführerin einer Überprüfung zu unterziehen sind, und das Ermittlungen dahingehend zu tätigen seien (OZ 5 S6 - 7), welche Lebensverhältnisse die Beschwerdeführerin in ihrer individuellen Situation - alleinstehende mittellose, junge Frau, die einer Minderheit angehört und deren Muttersprache nicht Armenisch ist - in Armenien vorfinden wird.

 

Dem vorliegenden Verwaltungsakt kann nicht entnommen werden, dass überhaupt Ermittlungen zu einem dieser Themenbereiche getätigt worden wären.

 

Da das vorangegangene Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28.06.2011, GZ: E14 416.282-1/2010-5E, nach wie vor dem Rechtsbestand angehört, ist im gegenständlichen Fall auch der Asylgerichtshof - zumal sich weder die Rechts- noch die Sachlage geändert haben - an die tragende Rechtsansicht und die diesbezügliche Begründung dieses Erkenntnisses gebunden (vgl. dazu VwGH 15.09.2005, 2002/07/0094; 20.12.2001, 2001/08/0050).

 

Ergänzend ist auszuführen, dass sich aus der Begründung des Bundesasylamtes ergibt, dass die notwendigen Überprüfungen der vorgelegten Dokumente und fallspezifischen Ermittlungen zur Situation in Armenien deshalb nicht durchgeführt worden sind, da das Bundesasylamt von der persönlichen Unglaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin ausgeht (AS 704 - 705 [BS 76 - 77]) bzw. weil die Beschwerdeführerin keine weiteren Unterlagen zu ihrem Studium in Österreich vorgelegt hat (AS 707 [BS 79]).

 

Diesbezüglich darf auf die ständige Judikatur des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes hingewiesen werden, wonach das Vorbringen eines Asylwerbers, das eng mit politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen in seinem Herkunftsstaat in Verbindung steht, nur auf der Basis eines entsprechenden Fachwissens unter Heranziehung aktueller Berichte zur Ländersituation beurteilt werden kann (vgl für viele: VwGH 23.02.2006, 2005/01/0104). Beweiswürdigende Überlegungen zur Stichhaltigkeit eines Fluchtvorbringens dürfen nicht nur auf das Vorbringen eines Asylwerbers beschränkt werden, sondern es bedarf vielmehr auch einer Betrachtung der konkreten Lage im Herkunftsstaat des Betreffenden, weil die Angaben letztlich nur vor diesem Hintergrund einer Plausibilitätskontrolle zugänglich sind (VwGH 28.01.2005, 2004/01/0476; 18.04.2002, RS4 2001/01/0023), wobei die Asylbehörden von dieser Ermittlungspflicht selbst dann nicht entbunden sind, wenn die vom Beschwerdeführer gegebene Schilderung von vornherein als kaum glaubwürdig und als irreal erscheint (VfGH 02.10.2001, B 2136/00).

 

Im gegenständlichen Fall wären somit immer noch (dieselben) wesentlichen Teile des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens vor den Asylgerichtshof verlagert, was zu einem unerwünschten Abbau der Zweiinstanzlichkeit des Verfahrens führen würde. Es verbietet sich somit unter Berücksichtigung der oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes und unter Effizienzgesichtspunkten eine Heranziehung des § 66 Abs. 3 AVG.

 

Von diesen Überlegungen ausgehend ist im gegenständlichen Fall das dem Asylgerichtshof gemäß § 66 Abs. 2 und 3 AVG eingeräumte Ermessen im Sinne einer kassatorischen Entscheidung auszuüben und das Verfahren spruchgemäß an das Bundesasylamt zur neuerlichen Einvernahme und Entscheidung zurückzuverweisen.

 

Das Bundesasylamt wird im fortgesetzten Verfahren die bereits im Erkenntnis vom 28.06.2011, GZ: E14 416.282-1/2010-5E, angeführten Ermittlungen (OZ 5 Seite 6 -7 [AS 452 - 453]) durchzuführen haben und zu diesem Zweck von der Beschwerdeführerin die Originaldokumente einzufordern und diese einer Überprüfung zu unterziehen haben.

 

Gemäß § 41 Abs. 7 AsylG 2005 kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 67d AVG.

 

Von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 67d Abs. 4 AVG abgesehen werden.

Schlagworte
alleinstehende Frau, Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung, Minderheiten-Zugehörigkeit
Zuletzt aktualisiert am
13.11.2012
Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten