TE AsylGH Erkenntnis 2012/10/24 S1 429412-1/2012

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Veröffentlicht am 24.10.2012
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Spruch

S1 429.412-1/2012/5E

 

S1 429.411-1/2012/5E

 

S1 429.410-1/2012/5E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Der Asylgerichtshof hat durch den Richter Dr. Filzwieser als Einzelrichter über die Beschwerden

 

1.) der XXXX auch XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.09.2012, Zahl 12 11.182 - EAST West,

 

2.) der XXXX, StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.09.2012, Zahl 12 11.181 - EAST West,

 

3.) der XXXX, StA. Russische Föderation, gesetzlich vertreten durch XXXX, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.09.2012, Zahl 12

11.180 - EAST West, zu Recht erkannt:

 

I. Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

 

II. Gemäß § 41 Abs. 6 AsylG 2005 wird festgestellt, dass die Ausweisungen zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide rechtmäßig waren.

Text

Entscheidungsgründe:

 

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

 

1. Die 1.-Beschwerdeführerin ist Mutter der 2.-Beschwerdeführerin und Großmutter der 3.-Beschwerdeführerin. Die 2.-Beschwerdeführerin ist wiederum Mutter der minderjährigen 3.-Beschwerdeführerin.

 

Der Verfahrensgang vor dem Bundesasylamt ergibt sich aus den Verwaltungsakten.

 

Die Beschwerdeführer sind russische Staatsangehörige, aus XXXX, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig. Sie stellten am 24.08.2012 die verfahrensgegenständlichen Anträge, ihnen in Österreich internationalen Schutz zu gewähren

 

2. Die Beschwerdeführer hatten laut EURODAC-Treffer zuvor am 25.06.2012 in Polen Asylanträge gestellt. Polen hat am 30.08.2012 (eingelangt am selben Tag) seine Zustimmung zur (gemeinsamen) Wiederaufnahme der Beschwerdeführer gemäß Art 16 Abs 1 lit d VO 343/2003 an Österreich erklärt. Des Weiteren teilten die polnischen Behörden mit, dass die Beschwerdeführer ihre polnischen Asylanträge zurückgezogen hätten, worüber sie eine schriftliche Mitteilung ("decision of discontiunuance") erhalten hätten.

 

3. Die 1.-Beschwerdeführerin erklärte anlässlich der Erstbefragung am 24.08.2012 in der Erstaufnahmestelle West des Bundesasylamtes, sie hätte am 21.07.2012 ihren Heimatort XXXX verlassen und seien mit dem Zug über Moskau und Brest nach Polen (Ankunft am 26.07.2012) gefahren. Beim Grenzübertritt zu Polen seien ihre Fingerabdrücke genommen und Fotos von ihr gemacht worden. Sie habe aber keinen Asylantrag gestellt, denn sie habe es nicht gewollt. Sie habe ja nicht in Polen bleiben wollen. Nachdem sie die Polizeistation verlassen habe, wäre sie zu einer tschetschenischen Familie gegangen und habe dort gelebt, bis sie ein Taxi gefunden habe, welches sie nach Österreich gefahren hätte. Sie wolle nicht nach Polen zurück.

 

Sie wolle hier bei ihren zwei Söhnen bleiben.

 

Zum Fluchtgrund gab die 1.-Beschwerdeführerin an, sie habe ihre Söhne sehen wollen. Zuhause habe sie niemanden mehr. Außerdem sei sie nicht in Ruhe gelassen worden. In ihrer Nähe gebe es einen Wald, wo immer bombardiert werde. Sie wolle bei ihren Söhnen bleiben, andere Fluchtgründe habe sie nicht.

 

4. Die 2.-Beschwerdeführerin führte bei ihrer niederschriftlichen Erstbefragung am 24.08.2012 an, sie habe ihren Heimatort XXXX gemeinsam mit ihrer Tochter verlassen und sei über Moskau und Brest nach Terespol gefahren. Sie habe in Polen um Asyl angesucht, sei aber nicht in einem Lager aufhältig gewesen. Während der Fahrt nach Terespol habe sie eine Familie kennengelernt, mit denen sie gemeinsam in Polen bei Bekannten aufhältig gewesen seien, bis ihre Weiterfahrt nach Österreich organisiert worden sei. In Österreich würden sich zwei Brüder und ein Cousin aufhalten.

 

Zum Fluchtgrund gab sie an, dass ihre ganze Familie vom russischen Geheimdienst, FSB, verfolgt werde, weil der Bruder ihres Mannes bei den tschetschenischen Rebellen im Wald sei. Deshalb seien ihr Mann und ihre ältere Tochter auch verschwunden. Sie wolle nicht nach Polen zurück. Ihre Angaben würden auch für ihre Tochter, der minderjährigen 3.-Beschwerdeführerin, gelten.

 

5. Im Rahmen der nachfolgenden Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs vor dem Bundesasylamt am 20.07.2012 (As. 91-103 BAA, Akt der 1.-Beschwerdeführerin) führte die 1.-Beschwerdeführerin zu ihrem Gesundheitszustand aus, dass sie Rücken-, Leber- und Herzschmerzen und einen hohen Blutdruck habe, wie ihr Blut dick wäre. Sie habe die genannten Beschwerden seit dem "zweiten Krieg" [gemeint: in Tschetschenien]. In der Heimat sei sie medizinisch behandelt worden, hier wäre sie beim Lagerarzt gewesen.

 

Daraufhin wurde sie aufgefordert, selbstständig weitere medizinische Unterlagen, Befunde, Gutachten unaufgefordert dem Bundesasylamt vorzulegen.

 

Zu ihren familiären Verhältnissen führte sie an, dass ihr Ehegatte bereits 1982 verstorben sei. Sie habe fünf Kinder, eines sei bereits verstorben. Die verstorbene Tochter habe in der Heimat bei ihr gelebt, danach habe sie alleine gelebt. Außer ihrer "mitgereisten Tochter" habe sie zwei Söhne in Österreich,XXXX und XXXX.

 

Ihr sei bekannt, dass ihre Söhne arbeiten, aber sie kenne weder ihren genauen Aufenthaltsort noch Aufenthaltsstatut. Sie wären seit sechs bis sieben Jahren hier. Getrennt sei sie von ihnen seit etwa zehn Jahren. Sie habe damals an eine gemeinsame Ausreise mit ihren Söhnen nicht gedacht.

 

Sie sei von ihren Söhnen finanziell unterstützt worden, zweimal im Jahr hätte sie ¿ 200,- bis 300,- von ihnen bekommen. Sie wäre von ihren Söhnen noch nicht besucht worden.

 

Auf die Frage ihrer anwesenden Rechtsberaterin nach dem Verhältnis zu ihren Söhnen, beziehungsweise wie oft sie sie sehe, mit ihnen telefoniere und ob sie mit Lebensmitteln oder Geld unterstützt werde, gab die 1.-Beschwerdeführerin an, dass sie sie besuchen würden und sie auch telefonierten. Sie hätten ihr auch ein paar Mal Lebensmittel gebracht. Ihren Söhnen sei es auch möglich, ihre gesamte Verpflegung, Versorgung und medizinische Versorgung hier in Österreich zu übernehmen.

 

Nach der Finanzierung ihres Lebensunterhaltes in der Heimat befragt, erklärte die 1.-Beschwerdeführerin, dass sie gearbeitet habe. Sie habe auch eine Pension erhalten. Nach der Finanzierung ihrer Reisekosten befragt, legte sie dar, dass sie für die Reise vom Herkunftsstaat nach Polen Geld von ihrer Pension gespart habe und von Polen nach Österreich das Geld noch von zu Hause mitgehabt hätte.

 

Ob über ihren Asylantrag in Polen entschieden worden sei, wisse sie nicht.

 

Während ihres Aufenthaltes in Polen (vom 26.06.2012 bis 23.08.2012; im Unterschied zur Erstbefragung machte sie nun ähnliche Zeitangaben wie ihre Tochter) seien sie - bis sie ein Taxi zur Weiterfahrt nach Österreich gefunden hätten - bei einer tschetschenischen Familie aufhältig gewesen. In das ihr zugewiesene Flüchtlingslager sei sie nicht gegangen. Sie habe ihren Lebensunterhalt durch das Geld, welches sie mitgehabt hätte, finanziert.

 

Es hätte in Polen keine Vorfälle gegeben. Um eine Unterstützung habe sie dort nicht angesucht.

 

Befragt, ob es bei ihrer Reise vom Herkunftsstaat nach Polen, während des Aufenthaltes in Polen und der Weiterreise nach Österreich irgendwelche gesundheitliche, finanzielle oder organisatorische Probleme gegeben habe, erklärte die 1.-Beschwerdeführerin, dass sie gesundheitliche Probleme gehabt hätte.

 

Der Blutdruck sei erhöht gewesen und sie hätte Rücken- und Leberschmerzen gehabt. Sie habe aber Medikamente von zuhause mitgehabt.

 

In einer medizinischen Behandlung habe sie sich in Polen nicht befunden, da sie nicht so viel Zeit gehabt hätte und zu ihren Söhnen gewollt hätte. Aus diesem Grund habe sie Polen auch verlassen. Sie wolle bei ihren Söhnen leben.

 

Die Beschwerdeführerin legte im Zuge dieser Einvernahme zwei Überweisungen an einen Radiologen zwecks Nierensonographie und BWS-Röntgen vor.

 

6. Im Rahmen ihrer Einvernahme zur Wahrung des Parteiengehörs vor dem Bundesasylamt am 20.07.2012 (As. 101-113 BAA, Akt der 2.-Beschwerdeführerin) führte die 2.-Beschwerdeführerin aus, dass ihre Angaben auch für ihre Tochter, die 3.-Beschwerdeführerin, gelten würden.

 

Zu ihrem Gesundheitszustand erklärte sie, dass sie wegen des Blutdrucks Medikamente nehme, welche sie vom Herkunftsstaat mitgenommen habe. Sie habe diese Beschwerden seit 2009. Im selben Jahr habe sie einen Herzinfarkt erlitten.

 

Sie sei in Tschetschenien behandelt worden, sie hätte eine Tomographie gehabt und sei auch am Ohr behandelt worden. Ihre Befunde aus der Heimat habe sie aber nicht mit.

 

Hier habe sie zwei Überweisungen (zu fachärztlichen Untersuchungen bei einem Neurologen/Psychiater und HNO-Arzt) bekommen, welche vorlegt wurden. Daraufhin wurde die 2.-Beschwerdeführerin aufgefordert, selbstständig weitere medizinische Unterlagen, Befunde, Gutachten unaufgefordert dem Bundesasylamt vorzulegen.

 

Zu ihren familiären Verhältnissen gab sie an, dass ihr Ehemann (XXXX) mit ihrer anderen Tochter (XXXX) zeitgleich verschwunden seien. Sie habe ihren Mann und ihre Tochter in Polen oder Österreich treffen wollen. Sie sei mit ihrer Mutter nach Österreich gereist, weil sie zuhause nicht in Ruhe gelassen worden sei.

 

Befragt, wie sie sich im Herkunftsstaat den Lebensunterhalt finanzieren habe können, erklärte die 2.-Beschwerdeführerin, dass sie und ihr Mann gearbeitet hätten, sowie von ihren Brüdern in Österreich unterstützt worden wären. Konkret hätten ihre Brüder ihr drei Mal Geld in der Höhe von ¿ 100,- bis 200,- geschickt. Das Geld für ihre Reise vom Herkunftsstaat nach Polen habe sie sich von ihren Nachbarn ausgeliehen, von Polen nach Österreich habe sie es von zuhause mitgehabt.

 

Nach Verwandten im Bereich der EU, in Norwegen oder in Island, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis beziehungsweise eine besonders enge Beziehung bestehe, befragt, brachte die 2.-Beschwerdeführerin vor, dass sie in Belgien Cousins und Cousinen und in Österreich (seit 2004 und 2005 beziehungsweise 2006) die zwei genannten Brüder habe, welche in XXXX wohnten. Sie habe auch noch einen Cousin, der ebenfalls in XXXX (seit 2003) wohne.

 

Sie sei seit XXXX verheiratet und sei deshalb mit ihren Brüdern nicht gemeinsam ausgereist. Bis zu ihrer Heirat habe sie mit den genannten Verwandten in Österreich im gemeinsamen Haushalt gelebt, dann nicht mehr.

 

Da sie in Polen ihren Mann nicht getroffen und in Österreich Brüder hätte, habe sie zu ihnen gewollt. Außerdem sei ihr Reiseziel ohnehin Österreich gewesen. Sie wolle hier zusammen mit ihrer Familie bleiben. Es hätte in Polen keine Vorfälle gegeben, da sie das Haus nie verlassen hätten. Befragt, ob es bei ihrer Reise vom Herkunftsstaat nach Polen, Aufenthalt in Polen und Weiterreise nach Österreich irgendwelche gesundheitliche, finanzielle oder organisatorische Probleme gegeben habe, erklärte die 2.-Beschwerdeführerin, dass sie gesundheitliche Probleme mit dem Bluthochdruck gehabt hätte, sonst keine.

 

Wie über ihren Asylantrag in Polen entschieden worden sei, wisse sie nicht. Sie sei in Polen auch nicht in einem Flüchtlingslager aufhältig gewesen, sondern in Warschau bei einer tschetschenischen Familie. Sie habe dort von dem Geld gelebt, welches sie mitgehabt hätte.

 

Auf die Frage der Rechtsberaterin, ob sie in Polen bei der Asylantragstellung einen Dolmetscher, gehabt hätte und einen Transport zur Flüchtlingsunterkunft bekommen hätte, brachte die 2.-Beschwerdeführerin vor, dass sie keinen Dolmetscher gehabt hätte. Sie hätten ihr zwar Dokumente gegeben und gesagt, dass das Flüchtlingslager in "dieser" Richtung sei, aber selbst seien sie nicht hingebracht worden. Sie seien etwa fünf Minuten lang draußen gewesen und hätten dort eine tschetschenische Frau getroffen, die sie mitgenommen habe. Welchen Aufenthaltstitel die tschetschenische Familie in Polen gehabt hätte, bei der sie gelebt hätten, wisse sie nicht. Sie hätten sich aber nicht versteckt, hätten sondern ganz normal gelebt.

 

Auf Vorhalt der behördlichen Länderfeststellungen zu Polen, erklärte die 2.-Beschwerdeführerin, dass sie nicht nach Polen wolle. Sie kenne "keinen Unterschied zwischen Russland und Polen". Sie wolle hier mit ihrer Familie leben. Außerdem benötige sie ärztliche Versorgung.

 

7. Das Bundesasylamt hat mit nunmehr angefochtenen Bescheiden vom 11.09.2012 die Anträge auf internationalen Schutz der (nunmehrigen) Beschwerdeführer ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass für die Prüfung der gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 16 Abs. 1 lit. d Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates Polen zuständig sei. Gleichzeitig wurden die Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 1 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen ausgewiesen und gemäß § 10 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass Abschiebungen nach Polen zulässig seien.

 

Das Bundesasylamt traf in diesen Bescheiden, basierend auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation iSd § 60 AsylG aus Juni 2012, (jeweils größtenteils, gleichlautende) Feststellungen zum polnischen Asylverfahren, zur Praxis des Non-Refoulement-Schutzes und zur Versorgung von Asylwerbern in Polen, aus denen auch hervorgeht, dass die medizinische Versorgung, einschließlich psychiatrischer/psychologischer Hilfe, gewährleistet ist. Im Detail wird auch die Behandelbarkeit von Kreuzschmerzen, Herzschmerzen, Leberschmerzen und erhöhten Blutdrucks (entsprechend dem Vorbringen der 1.- und 2. Beschwerdeführerin) dargestellt (basierend auf konkreten Auskünften der Staatendokumentation).

 

Aus diesen Feststellungen ergibt sich zentral, dass das polnische Asylverfahren keine wesentlichen menschenrechtlichen Mängel aufweist und Asylwerber psychologisch, sozial und wirtschaftlich versorgt werden.

 

Im Speziellen geht aus der Begründung ferner jeweils hervor:

 

Ein etwaig eingestelltes Asylverfahren in Polen könne binnen zwei Jahren bei Rückkehr wiederaufgenommen werden. Ansonsten bestehe die Möglichkeit einer neuen Asylantragsstellung. Dublin-Rückkehrer hätten vollen Zugang zum Asylverfahren.

 

Auch Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt wurde (früher: "pobyt"), hätten vollen Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen, gleich polnischen Staatsbürgern.

 

Alle Asylbewerber, ob in oder außerhalb von Flüchtlingszentren untergebracht, hätten vollen Anspruch auf medizinische Leistungen wie polnische Staatsbürger, einschließlich psychologischer Unterstützungsleistungen. Die Art der medizinischen Behandlung werde ausschließlich von Ärzten entschieden.

 

Rücküberstellte würden in der Regel in bewachten Flüchtlingszentren (nicht in gewöhnlichen Haftanstalten) untergebracht, es sei denn, es handle sich um Schwangere, Mütter mit Kindern oder andere vulnerable Personen. Gegen Inhaftierung bestehe regelmäßig gerichtlicher Rechtsschutz. In Warschau gebe es ein spezielles Zentrum für alleinstehende Frauen und "Single-Mütter" mit Kindern.

 

Das Non-Refoulementgebot werde in der Praxis des polnischen Asylverfahrens gewahrt. Tschetschenen, die negative Asylentscheidungen erhielten, würden aufgefordert, das Land zu verlassen; mit Hilfe von NGO's und freiwilligen Rückkehrprogrammen kehrten mehr als 90% der abgelehnten Antragsteller in ihre Heimat zurück. Mit Zwang erfolgten allerdings keine Abschiebungen.

 

Wichtigste Quellen dieser Aussagen sind Auskünfte der Österreichischen Botschaft Warschau sowie von UNHCR Polen und anderer staatlicher, sowie nicht-staatlicher Stellen (insbesondere US State Department, österreichischer Verbindungsbeamter bei der ÖB Warschau, ECRE, belgisches Comité d'aide aux réfugiés, Queen Mary University of London, polnische Asylbehörde).

 

Beweiswürdigend wurde hervorgehoben, dass die Antragsteller nicht in der Lage gewesen wären, ihre Sicherheit in Polen in Zweifel zu ziehen. Die Grundversorgung für Asylwerber sei in Polen in jeder Hinsicht gewährleistet. Es habe sich daher kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO ergeben.

 

Weder in der Erstbefragung, noch in der Einvernahme vor dem Bundesasylamt hätten die Beschwerdeführer konkrete Bedrohungs-, bzw. Verfolgungssituationen in Polen angegeben. Daher könne kein "real risk" erkannt werden. Aus ihren Angaben seien somit keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass sie tatsächlich konkret Gefahr liefen, in Polen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass ihnen eine Verletzung Ihrer durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnten.

 

Es hätten sich auch keine Hindernisse aufgrund des psychischen oder physischen Gesundheitszustandes der Beschwerdeführer gegen eine Überstellung nach Polen ergeben.

 

Die Beschwerden der 1.- und 2.-Beschwerdeführerin hätten bereits im Herkunftsstaat bestanden und wären dort behandelt worden, eine darüber hinausgehende Behandlungsnotwendigkeit sei nicht erkennbar. Zu einer Unterbrechung ihrer Reise hätten diese Beschwerden niemals geführt.

 

Aus den im Österreich vorgelegten Überweisungen lasse sich nicht erkennen, dass der jeweils behandelnde Arzt eine lebensbedrohliche Erkrankung bei ihnen feststellen habe können, andernfalls wären sie sofort ins Krankenaus oder zu einem Spezialisten überwiesen worden. Darüber hinaus gehe aus den getroffenen Länderfeststellungen hervor, dass ihre Beschwerden in Polen behandelt werden würden. Somit lägen keine exzeptionellen körperlichen oder psychischen Erkrankungen, welche sich bei Überstellung unzumutbar verschlechtern würden, vor.

 

Zu den in Österreich lebenden Familienangehörigen hätte keine Abhängigkeit, beziehungsweise kein enges Familienleben, erkannt werden können. So hätten sich die 1.- und 2.-Beschwerdeführer im Herkunftsstaat ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit finanziert. Die 1.-Beschwerdeführerin hätte des Weiteren auch eine Pension erhalten; die 2.-Beschwerdeführerin sei von ihrem erwerbstätigen Gatten unterstützt worden. Auch die Ausreisekosten hätten sie sich selbst angespart, wobei sie keinerlei Unterstützung von ihren in Österreich aufhältigen Söhnen/Brüdern erhalten hätten. Insoweit sie eine finanzielle Unterstützung zwei bis drei Mal im Jahr angeführt hätten, sei diese auch länderübergreifend möglich, was somit auch in Zukunft erfolgen könne. Die 1.-Beschwerdeführerin lebe von ihren Söhnen bereits seit zirka 10 Jahren getrennt in verschiedenen Ländern. Die 2.-Beschwerdeführerin lebe von ihren Brüdern bereits seit XXXX getrennt. Auch jetzt bestehe kein gemeinsamer Haushalt der Beschwerdeführer mit ihren Verwandten in Österreich. Ihnen sei bei ihrer Einreise sogar die genaue Wohnadresse ihrer Söhne/ Brüder unbekannt gewesen, was gegen eine besondere Verbundenheit spreche. Sie seien von ihren genannten Verwandten in Polen auch nicht besucht worden. Letztendlich hätten sie auch niemals versucht legal zu ihren Söhnen/Brüdern nach Österreich zu gelangen. Aus diesem Grund sei ein enges Familienleben, als auch ein Abhängigkeitsverhältnis, welches auch niemals behauptet worden sei, nicht erkennbar. Zur Antwort auf die Frage der Rechtsberaterin, wonach die Söhne der 1.-Beschwerdeführerin jener in Österreich Lebensmittel gebracht hätten, sei anzuführen, dass sie sich in Grundversorgung befinde und somit unter anderem auch mit Nahrung versorgt werde. Zum Cousin der 2.-Beschwerdeführerin wurde angemerkt, dass jene von diesem niemals eine Unterstützung erhalten habe, sowie von ihm seit XXXX getrennt lebe und derzeit ebenso kein gemeinsamer Haushalt vorliege.

 

Aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer sowie fehlender sonstiger Anknüpfungspunkte in Österreich wäre auch kein sonst schützenswertes Privatleben entstanden. Die Ausweisung greife nicht in unzulässiger Weise in das Familien- oder Privatleben der Beschwerdeführer ein. Hinweise auf die Notwendigkeit eines Aufschubes der Durchführung der Ausweisungen hätten sich nicht ergeben.

 

8. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht Beschwerde (gleichlautend für alle Beschwerdeführer) erhoben (eine Rechtsberatung für das asylgerichtliche Verfahren war zuvor zugewiesen worden), wonach die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu beheben wären. Das Bundesasylamt habe seine Ermittlungspflicht verletzt, in dem es keine ausreichende Würdigung des Individualvorbringens vorgenommen, den Verfahrensstand in Polen nicht hinreichend ermittelt, sowie keine Feststellungen hinsichtlich der Situation alleinstehender Frauen mit Kindern in Polen getroffen habe.

 

Den Beschwerdeführerinnen sei vom polnischen Staat keine adäquate Unterbringung gewährt worden. Im Falle ihrer Rückkehr sei ausgeschlossen, dass sie bei der Familie bleiben dürfen, bei der sie vor ihrer Einreise in Österreich aufhältig gewesen wären.

 

Außerdem habe die 2.-Beschwerdeführerin gesundheitliche Probleme und benötige medizinische Versorgung, welche ihr in Polen mit großer Wahrscheinlichkeit überhaupt nicht gewährt werden würde (angeschlossen sind Überweisungen an Fachärzte für Dermatologie und Neurologie/Psychiatrie). Ferner sei nicht sichergestellt, ob die Beschwerdeführerinnen bei einer Rücküberstellung nach Polen überhaupt noch ein offenes Asylverfahren erwartete, womit die Frage der medizinischen Versorgung und einer möglichen Kettenabschiebung verbunden sei; dies vor allem unter dem Aspekt, dass nicht nur die Asylgewährung für Tschetschenen in Polen sehr unwahrscheinlich, sondern auch die Gewährung des sekundären Schutzes nicht in allen Fällen tatsächlich gewährleistet sei. Zur Lage in Polen wurde auf kurze Auszüge aus Amnesty Reports von 2010, 2011 und 2012 verwiesen, wonach einige Familien mit Kleinkindern inhaftiert, sowie Tschetschenen in den Medien als Kriminelle bezeichnet worden wären. Wegen der Medienberichterstattung sei 2010 ein bestimmtes Flüchtlingsheim geschlossen worden, wogegen polnische NGO's protestiert hätten. Die Betroffenen hätten sich um Mietwohnungen bemühen oder freie Plätze in anderen Flüchtlingsheimen bemühen müssen. Zudem gäbe es Fälle von Inhaftierungen von Kindern mit erwachsenen Familienangehörigen, nur weil sie Asylsuchende oder Migranten ohne legalen Aufenthaltsstatus wären. Im Übrigen habe die Behörde verabsäumt, einen ACCORD-Bericht aus 2008 über die Situation tschetschenischer Asylsuchender in Polen zu berücksichtigen. Nähere Ausführungen dazu finden sich in der Beschwerdeschrift nicht.

 

Somit stelle eine Überstellung der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 EMRK dar.

 

Darüber hinaus sei die Ausübung des Selbsteintrittsrechtes aus Gründen des Art. 8 EMRK zwingend erforderlich. Die Beschwerdeführer hätten in Österreich Familienangehörige, zu denen eine sehr enge und sehr gute Beziehung bestehe. Sie würden sich um sie kümmern und ihnen helfen sowie sich schriftlich bereit erklären, sie finanziell zu unterstützen und eine Wohnmöglichkeit bei sich zu gewähren - die entsprechenden schriftlichen Unterstützungserklärungen der zwei Söhne der 1.-Beschwerdeführerin und des Cousin der 2.-Beschwerdeführerin sind der Beschwerde im Akt der 1.-Beschwerdeführerin beigelegt (wobei in dem Schreiben - offenbar irrtümlich - davon die Rede ist, dass es sich um drei Söhne der 1.-Beschwerdeführerin handle).

 

Aus der Formulierung in Art. 15 Abs. 2 erster Satz Dublin II-VO, ergebe sich, dass diesem der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK zugrunde liege und darauf zurückzugreifen sei. Dieser Begriff umfasse nicht nur die Kernfamilie, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen.

 

Zuletzt wurde die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung beantragt, da bei einer sofortigen Überstellung der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 EMRK nicht ausgeschlossen sei.

 

9. Die Beschwerdevorlagen an den erkennenden Gerichtshof erfolgten am 26.09.2012.

 

10. Am 11.10.2012 teilte das Stadtpolizeikommando Schwechat mit, dass die Beschwerdeführer an diesem Tag am Luftweg nach Polen/Krakau überstellt worden wären. Besondere Vorkommnisse wurden nicht berichtet.

 

11. Einsichtnahmen in das Grundversorgungssystem des Bundes ergaben bis zu diesem Zeitpunkt keine (weiteren) stationären Krankenhausaufenthalte der Beschwerdeführerinnen in Österreich.

 

Einsichtnahmen in das Asylwerberinformationssystem des Bundes ergaben, dass den beiden Söhnen der 1.-Beschwerdeführerin (Brüdern der 2,-Beschwerdeführerin) in Österreich am 01.04.2005, beziehungsweise 29.06.2007 Asyl gewährt worden war. Beide gaben als Fluchtgrund Verfolgung durch prorussische Organe an, wobei die Verfolgungsgründe im Detail unterschiedlich waren. Die 1.-Beschwerdeführerin wurde von einem ihrer Söhne als Fabriksarbeiterin bezeichnet. Den seinerzeitigen Angaben ihrer Brüder zufolge war die 2.-Beschwerdeführerin - zumindest zeitweilig - in Inguschetien wohnhaft.

 

II. Der Asylgerichtshof hat durch den zuständigen Richter über die gegenständlichen Beschwerden wie folgt erwogen:

 

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus den vorliegenden Verwaltungsakten.

 

Gemäß §§ 73 und 75 des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl, BGBl. I Nr. 38/2011 in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2012 (im Folgenden: "AsylG 2005") ist dieses in den gegenständlichen Verfahren vollumfänglich anzuwenden.

 

Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichtshof sind die einschlägigen Bestimmungen des AsylG 2005 und das Bundesgesetz über den Asylgerichtshof, BGBl. I Nr. 4/2008 in der Fassung BGBL I Nr. 140/2011 (in Folge: "AsylGHG") sowie subsidiär das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung (in Folge: "AVG") anzuwenden. Schließlich war das Bundesgesetz über die Zustellung behördlicher Dokumente, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung (im Folgenden: ZustG) maßgeblich.

 

Gemäß § 9 Abs. 1 AsylGHG idgF entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß § 61 Abs. 3 und 3a AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§ 4 und 5 AsylG 2005 und nach § 68 AVG, sowie in Verfahren gemäß § 41a AsylG durch Einzelrichter. Gemäß § 42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellen, sowie gemäß § 11 Abs. 4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet, durch einen Kammersenat. In den vorliegenden Verfahren liegt jeweils eine Beschwerde gegen eine Entscheidung nach § 5 AsylG 2005 vor, sodass der erkennende Richter jeweils als Einzelrichter zur Entscheidung zuständig war.

 

2. Gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ist ein nicht gemäß § 4 AsylG erledigter Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder aufgrund der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18.02.2003 zur Prüfung des Asylantrages zuständig ist. Mit dem Zurückweisungsbescheid hat die Asylbehörde auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Gemäß § 10 Abs 1 Z 1 AsylG ist die Zurückweisung eines Antrages nach Maßgabe der § 10 Abs 3 und Abs 4 AsylG mit einer Ausweisung zu verbinden. Die Dublin II VO ist eine Verordnung des Rechts der Europäischen Union, die Regelungen über die Zuständigkeit zur Prüfung von Asylanträgen von Drittstaatsangehörigen trifft. Sie gilt also nicht für mögliche Asylanträge von EU-Bürgern, ebenso wenig ist sie auf Personen anwendbar, denen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Das wesentliche Grundprinzip ist jenes, dass den Drittstaatsangehörigen in einem der Mitgliedstaaten das Recht auf ein faires, rechtsstaatliches Asylverfahren zukommt, jedoch nur ein Recht auf ein Verfahren in einem Mitgliedstaat, dessen Zuständigkeit sich primär nicht aufgrund des Wunsches des Asylwerbers, sondern aufgrund der in der Verordnung festgesetzten hierarchisch geordneten Zuständigkeitskriterien ergibt.

 

2.1. Es ist daher zunächst zu überprüfen, welcher Mitgliedstaat nach den hierarchisch aufgebauten (Art. 5 Abs 1 Dublin II VO) Kriterien der Art. 6-12 bzw 14 und Art. 15 Dublin II VO, beziehungsweise dem Auffangtatbestand des Art. 13 Dublin II VO zur inhaltlichen Prüfung zuständig ist.

 

2.1.1. In den vorliegenden Fällen gründet sich die Zuständigkeit der Republik Polen auf Art. 16 Abs 1 lit d Dublin II VO, das heißt materiell gestützt jedenfalls auf die vorangegangenen ersten Asylantragstellungen in der Europäischen Union in Polen (ohne dass Polen ein Konsultationsverfahren mit einem anderem EU-Staat eingeleitet hätte; dazu hätte für Polen auch kein Anlass bestanden, als durch die von den Antragstellerinnen vorgebrachte illegale Einreise aus einem Drittstaat, nämlich Weißrussland kommend, das Zuständigkeitskriterium des Art. 10 VO 343/2003 verwirklicht war), somit auf Art 13 VO 343/2003. Die erste Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der getroffenen Unzuständigkeitsentscheidungen ist somit gegeben und ist diese im Verfahren nicht bestritten worden.

 

2.1.2. Sofern die 1.-Beschwerdeführerin eingangs des Verfahrens in Abrede gestellt hatte, in Polen einen Asylantrag gestellt zu haben, steht das nicht nur in Widerspruch zu den unbedenklichen Daten der EURODAC-Datenbank (Treffer der Kategorie 1 in Polen am 25.06.2012, sowohl für die 1.- als auch die 2.- Beschwerdeführerin), sondern auch zu jenen ihrer mitgereisten Tochter, die schon in der Erstbefragung klar erklärt hatte, einen Antrag eingebracht zu haben (As. 19 in deren Verwaltungsakt); die Aussage der 1.-Beschwerdeführerin war daher in diesem Zusammenhang als nicht glaubhaft zu werten.

 

2.1.3. Der Umstand, dass die Asylanträge in Polen nach ihrer Einbringung zurückgezogen wurden, ändert kraft der Bestimmung des Art. 16 Abs 1 lit. d VO 343/2003 nichts an der Zuständigkeit Polens (das Urteil des EuGH vom 03.05.2012 C-620/10, Kastrati, bezieht sich auf einen anderen Sachverhalt als vorliegend, in dem ja immer zumindest ein Asylantrag, zuletzt der in Österreich gestellte, offen war).

 

2.1.4. Insoweit des Weiteren in der Beschwerde dem Bundesasyalmt die Verletzung seiner Ermittlungspflicht vorgeworfen wird, da es sich über den Stand des Verfahren der Beschwerdeführer in Polen nicht erkundigt habe, wird auf die Zustimmung der polnischen Behörden verwiesen, worin explizit angeführt wurde, dass die Beschwerdeführer ihre Anträge dort zurückgezogen hätten, worüber ihnen auch eine schriftlich Bestätigung ausgehändigt worden sei, womit sich eindeutig weitere Ermittlungen erübrigen. Vielmehr ist den 1.- und 2.-Beschwerdeführerinnen vorzuhalten (zur mangelnden Glaubwürdigkeit der 1.-Beschwerdeführerin zu einem anderen Punkt siehe schon oben 2.1.2), dass sie die Zurückziehungen in Österreich nicht wahrheitsgemäß angegeben haben, wobei diese in Polen offenbar in der Absicht erfolgt waren, nach Österreich weiterreisen zu können und damit eine Anknüpfung an Polen ungeschehen zu machen.

 

2.1.5. Es sind auch aus der Aktenlage keine Hinweise ersichtlich, wonach die Führung der Konsultationen in den gegenständlichen Fällen derart fehlerhaft erfolgt wäre, sodass von Willkür im Rechtssinn zu sprechen wäre und die Zuständigkeitserklärung des zuständigen Mitgliedstaates wegen Verletzung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundsätze aus diesem Grund ausnahmsweise keinen Bestand haben könnte (Filzwieser, Subjektiver Rechtsschutz und Vollziehung der Dublin II VO - Gemeinschaftsrecht und Menschenrechte, migraLex, 1/2007, 22ff; vgl auch das Gebot der Transparenz im "Dublin-Verfahren", VwGH 23.11.2006, Zl. 2005/20/0444). Das Konsultationsverfahren erfolgte mängelfrei. Insbesondere wurde Polen auch darauf aufmerksam gemacht, dass sich die zwei Söhne der 1.-Beschwerdeführerin (Brüder der 2.-Beschwerdeführerin) in Österreich befinden.

 

Im Lichte des Art. 7 VO 1560/2003 ergab/ergibt sich auch keine Verpflichtung seitens der beteiligten Mitgliedstaaten oder seitens der Regelungen der Dublin II VO, dass die Überstellung in einer Weise durchgeführt wird, die potentiell belastenden Zwangscharakter aufwiese.

 

2.2. Das Bundesasylamt hat ferner von der Möglichkeit der Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO keinen Gebrauch gemacht. Es war daher noch zu prüfen, ob von diesem Selbsteintrittsrecht in den gegenständlichen Verfahren ausnahmsweise zur Vermeidung einer Verletzung der EMRK oder anderer Gründe zwingend Gebrauch zu machen gewesen wäre.

 

Der VfGH hat mit Erkenntnis vom 17.06.2005, Zl. B 336/05-11 festgehalten, die Mitgliedstaaten hätten kraft Unionsrecht nicht nachzuprüfen, ob ein anderer Mitgliedstaat generell sicher sei, da eine entsprechende normative Vergewisserung durch die Verabschiedung der Dublin II VO erfolgt sei, dabei aber gleichzeitig ebenso ausgeführt, dass eine Nachprüfung der grundrechtlichen Auswirkungen einer Überstellung im Einzelfall unionsrechtlich zulässig und bejahendenfalls das Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs 2 Dublin II VO zwingend geboten sei.

 

Die Judikatur des VwGH zu den Determinanten dieser Nachprüfung lehnt sich richtigerweise an die Rechtsprechung des EGMR an und lässt sich wie folgt zusammenfassen: Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werden soll, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen. Wenn keine Gruppenverfolgung oder sonstige amtswegig zu berücksichtigende notorische Umstände grober Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedstaaten der EU in Bezug auf Art. 3 EMRK vorliegen (VwGH 27.09.2005, Zl. 2005/01/0313), bedarf es zur Glaubhaftmachung der genannten Bedrohung oder Gefährdung konkreter auf den betreffenden Fremden bezogener Umstände, die gerade in seinem Fall eine solche Bedrohung oder Gefährdung im Fall seiner Abschiebung als wahrscheinlich erscheinen lassen (VwGH 26.11.1999, Zl 96/21/0499, VwGH 09.05.2003, Zl. 98/18/0317; vgl auch VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059): "Davon abgesehen liegt es aber beim Asylwerber, besondere Gründe, die für die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, vorzubringen und glaubhaft zu machen. Dazu wird es erforderlich sein, dass der Asylwerber ein ausreichend konkretes Vorbringen erstattet, warum die Verbringung in den zuständigen Mitgliedstaat gerade für ihn die reale Gefahr eines fehlenden Verfolgungsschutzes, insbesondere einer Verletzung von Art 3 EMRK, nach sich ziehen könnte, und er die Asylbehörden davon überzeugt, dass der behauptete Sachverhalt (zumindest) wahrscheinlich ist." (VwGH 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949).

 

Die Vorlage allgemeiner Berichte ersetzt dieses Erfordernis in der Regel nicht (vgl VwGH 17.02.1998, Zl. 96/18/0379; EGMR Mamatkulov & Askarov v Türkei, Rs 46827, 46951/99, 71-77), eine geringe Anerkennungsquote, eine mögliche Festnahme im Falle einer Überstellung ebenso eine allfällige Unterschreitung des verfahrensrechtlichen Standards des Art. 13 EMRK sind für sich genommen nicht ausreichend, die Wahrscheinlichkeit einer hier relevanten Menschenrechtsverletzung darzutun. Relevant wäre dagegen etwa das Vertreten von mit der GFK unvertretbaren rechtlichen Sonderpositionen in einem Mitgliedstaat oder das Vorliegen einer massiv rechtswidrigen Verfahrensgestaltung im individuellen Fall, wenn der Asylantrag im zuständigen Mitgliedstaat bereits abgewiesen wurde (Art. 16 Abs 1 lit. e Dublin II VO). Eine ausdrückliche Übernahmeerklärung des anderen Mitgliedstaates hat in die Abwägung einzufließen (VwGH 31.03.2005, Zl. 2002/20/0582, VwGH 31.05.2005, Zl. 2005/20/0025, VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673), ebenso andere Zusicherungen der europäischen Partnerstaaten Österreichs.

 

Weiterhin hatte der Asylgerichtshof folgende Umstände zu berücksichtigen:

 

Bei entsprechender Häufung von Fällen, in denen in Folge Ausübung des Selbsteintrittsrechts die unionsrechtliche Zuständigkeit nicht effektuiert werden kann, kann eine Gefährdung des "effet utile" Grundsatzes des Unionsrechts entstehen.

 

Zur effektiven Umsetzung des Unionsrechts sind alle staatlichen Organe kraft Unionsrechts verpflichtet.

 

Der Verordnungsgeber der Dublin II VO, offenbar im Glauben, dass sich alle Mitgliedstaaten untereinander als "sicher" ansehen können, wodurch auch eine Überstellung vom einen in den anderen Mitgliedstaat keine realen Risken von Menschenrechtsverletzungen bewirken könnte (vgl. insbesondere den 2. Erwägungsgrund der Präambel der Dublin II VO), hat keine eindeutigen verfahrens- oder materiellrechtlichen Vorgaben für solche Fälle getroffen, diesbezüglich lässt sich aber aus dem Gebot der menschenrechtskonformen Auslegung des Unionsrechts und aus Beachtung der unionsrechtlichen Verfahrensgrundrechte ableiten, dass bei ausnahmsweiser Verletzung der EMRK bei Überstellung in einen anderen Mitgliedstaat eine Überstellung nicht stattfinden darf. Die Beachtung des Effizienzgebots (das etwa eine pauschale Anwendung des Selbsteintrittsrechts oder eine innerstaatliche Verfahrensgestaltung, die Verfahren nach der Dublin II VO umfangreicher gestaltet als materielle Verfahren verbietet) und die Einhaltung der Gebote der EMRK stehen daher bei richtiger Anwendung nicht in Widerspruch (Filzwieser, migraLex, 1/2007, 18ff, Filzwieser/Sprung, Dublin II VO³, Kommentar zu Art. 19).

 

Die allfällige Rechtswidrigkeit von Unionsrecht kann nur von den zuständigen unionsrechtlichen Organen, nicht aber von Organen der Mitgliedstaaten rechtsgültig festgestellt werden. Der EGMR hat festgestellt, dass die Rechtsschutz des Unionsrechts regelmäßig den Anforderungen der EMRK entspricht (30.06.2005, Bosphorus Airlines v Irland, Rs 45036/98).

 

Es bedarf sohin europarechtlich eines im besonderen Maße substantiierten Vorbringens und des Vorliegens besonderer vom Antragsteller bescheinigter außergewöhnlicher Umstände, um die grundsätzliche europarechtlich gebotene Annahme der "Sicherheit" der Partnerstaaten der Europäischen Union als einer Gemeinschaft des Rechts im individuellen Fall erschüttern zu können. Diesem Grundsatz entspricht auch die durch das AsylG 2005 eingeführte gesetzliche Klarstellung des § 5 Abs 3 AsylG, die Elemente einer Beweislastumkehr enthält. Es trifft zwar ohne Zweifel zu, dass Asylwerber in ihrer besonderen Situation häufig keine Möglichkeit haben, Beweismittel vorzulegen (wobei dem durch das Institut des Rechtsberaters begegnet werden kann), und dies mitzubeachten ist (VwGH, 23.01.2007, Zl. 2006/01/0949), dies kann aber nicht pauschal dazu führen, die vom Gesetzgeber - im Einklang mit dem Unionsrecht - vorgenommene Wertung des § 5 Abs 3 AsylG überhaupt für unbeachtlich zu erklären (dementsprechend in ihrer Undifferenziertheit verfehlt, Feßl/Holzschuster, AsylG 2005, 225ff). Eine Rechtsprechung, die in Bezug auf Mitgliedstaaten der EU faktisch höhere Anforderungen entwickelte, als jene des EGMR in Bezug auf Drittstaaten wäre jedenfalls unionsrechtswidrig.

 

In Bezug auf Griechenland wurde seitens des erkennenden Gerichtshofes bereits seit längerem in zahlreichen Entscheidungen faktisch nicht mehr von einer generellen Annahme der Sicherheit ausgegangen und eine umso genauere Einzelfallprüfung durchgeführt. Der EGMR hat in diesem Kontext mit Urteil vom 21.01.2011 in der Rechtssache M.S.S. vs Belgien/Griechenland (30696/09) klargelegt, dass fehlende Unterkunft in Verbindung mit einem langwierigen Asylverfahren (welches selbst schwerwiegende Mängel aufweist) unter dem Aspekt des Art. 3 EMRK relevant sein kann (vgl insb. Rz 263 des zitierten Urteils). Ein entsprechend weiter Prüfungsumfang in Bezug auf relevante Bestimmungen der EMRK (Art. 3, 8 und 13) ist daher unter dem Hintergrund einer Berichtslage wie zu Griechenland angebracht (wodurch auch die "effet utile"-Argumentation einzelfallbezogen relativiert wird) - was der herrschenden Praxis des AsylGH entspricht (anders wie die in Rz 351 und 352 des zitierten Urteils beschriebene Situation im belgischen Verfahren). Eine solche Berichtslage liegt zu Polen nun jedenfalls nicht vor, ebenso wenig eine vergleichbare Empfehlung von UNHCR (wie jene zu Griechenland), von Überstellungen abzusehen. Nichtsdestotrotz hat der AsylGH - unter Berücksichtigung dieser Unterschiede - auch im gegenständlichen Fall nachfolgend untersucht, ob die Anwendung des Selbsteintrittsrechts aus Gründen der EMRK angezeigt ist. Im Lichte der eben getroffenen Ausführungen zur Auslegung des Art. 3 EMRK ist schließlich nicht erkennbar und wurde auch nicht behauptet, dass die Grundrechtscharta der EU für den konkreten Fall relevante subjektive Rechte verliehe, welche über jene durch die EMRK gewährleisteten, hinausgingen. Auch spezifische Verletzungen der unionsrechtlichen Asylrichtlinien, die in ihrer Gesamtheit Verletzungen der Grundrechtscharta gleichkämen, sind nicht behauptet worden. Weitergehende Erwägungen dazu konnten also mangels Entscheidungsrelevanz in concreto entfallen.

 

2.2.1. Mögliche Verletzung des Art. 8 EMRK

 

Die Beschwerdeführerinnen befanden sich zum Zeitpunkt der Entscheidung der Verwaltungsbehörde bis zu ihrer Überstellung in der Grundversorgung, Betreuungsstelle EAST-West.

 

Die in Österreich befindlichen Familienangehörigen der Beschwerdeführerinnen sind keine im Sinne des Art. 2 lit. i Dublin

II VO.

 

Der gemeinsame Haushalt der 1.-Beschwerdeführerin mit ihren beiden Söhnen endete bereits vor ungefähr zehn Jahren, jener der 2.-Beschwerdeführerin mit ihren Brüdern/ihrem Cousin bereits XXXX. In den letzten Jahren wurden die Beschwerdeführerinnen zwei- bis dreimal jährlich mit Gelbeträgen in der Höhe von ¿ 100,- bis 300,-

unterstützt, was jedoch, wie das Bundesasylamt zu Recht festgestellt hat, keine finanzielle Abhängigkeit darstellt, zumal die Beschwerdeführerinnen angaben, dass sie ihren Lebensunterhalt in ihrem Heimatland durch eigene Tätigkeit und Erhalt von Pensionsleistungen bestritten sowie auch ihre Reisekosten eigenständig aufgebracht hätten. Die Bereitschaft der Familienangehörigen, die Beschwerdeführer "umfassend unterstützen zu wollen", ändert nichts an dem Umstand, dass eben kein intensives Familienleben beziehungsweise keine exzeptionelle Abhängigkeit im Sinne eines qualifizierten Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis vorliegt, zumal die Unterlassung dieser Unterstützung zu keiner existenziellen Bedrohung der Beschwerdeführer führen würde. Es gehen weder aus dem Verfahren vor dem Bundesasylamt noch dem Beschwerdeverfahren schwere Krankheiten der Beschwerdeführer hervor, die eine qualifizierte Pflege gerade durch die Familienangehörigen in Österreich erfordern würden. Dass andererseits die Kinder/Brüder/Onkeln der Beschwerdeführer lebensbedrohliche physischen oder psychischen Erkrankungen hätten und daher auf eine Pflege gerade durch die Beschwerdeführerinnen angewiesen wären, wurde ebenso nicht behauptet.

 

Im Ergebnis war somit der Beurteilung des Bundesasylamtes, wonach im vorliegenden Fall kein qualifiziertes Pflege-, Unterhalts- und/oder Unterstützungsverhältnis vorliege, beizupflichten. Es liegen schließlich auch die Voraussetzungen für eine etwaig zwingende Anwendung von Art. 15 Dublin II VO, jedenfalls schon in tatbestandsmäßiger Hinsicht, nicht vor. Somit brauchte auf die Frage der (fehlenden) formellen Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmung, wenn die Familieneinheit zum Entscheidungszeitpunkt besteht wie vorliegend, nicht mehr eingegangen werden.

 

Im vorliegenden Fall kann zudem kein entscheidender Vorteil einer gemeinsamen inhaltlichen Erledigung im Sinne des Judikats des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.11.2009, Zl. 2007/20/0955 erkannt werden, zumal die 1.-Beschwerdeführerin zu keinem Zeitpunkt im Verfahren vorbrachte, dass sie im Zusammenhang mit ihren Söhnen verfolgt worden wäre. Vielmehr führte sie zentral an, dass sie zuhause niemanden mehr habe und zu ihren Söhnen gewollt habe. Aus ihrem weiteren Vorbringen, dass in einem Wald in der Nähe ihres Hauses ständig bombardiert werde, kann ebenfalls kein direkter Zusammenhang mit den Fluchtgründen der in Österreich aufhältigen Söhne erkannt werden, welche in ihrem Verfahren als Fluchtgrund Verfolgung aufgrund ihrer Unterstützung für die Rebellen (individuell differierend) geltend machten. Die 2.-Beschwerdeführerin gab an, dass sie Verfolgung befürchte, da der Bruder ihres Mannes ein Rebell im Untergrund sei, womit ebenso kein direkter Konnex zu den Verfahren ihrer Brüder ersichtlich ist; hinsichtlich ihres Cousins ist schon auf die große zeitliche Differenz zu dessen Asylverfahren 2003 hinzuweisen. Auch sonst zeigt die referierte Aktenlage in Bezug auf die in Österreich befindlichen Familienangehörigen der Beschwerdeführerinnen nicht auf, dass sich in allen Verfahren spezielle Fragestellungen ergäben, die nur gemeinsam gelöst werden könnten. Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, wonach in Polen einer zügigen Bearbeitung und korrekten inhaltlichen Prüfung des Asylantrags der Beschwerdeführer Hindernisse entgegenstünden.

 

Es vermag somit dem vom VwGH im zitierten Erkenntnis betonten Umstand des möglichen Vorteils einer gemeinsamen inhaltlichen Erledigung von Asylanträgen von Familienangehörigen (der - unionsrechtlich gesehen - jedenfalls in Beziehung zum Interesse der Effektuierung des unionsrechtlichen Zuständigkeitssystems nach den Kompetenzkriterien der Dublin II VO zu setzen ist) im individuellen Fall nicht entscheidend zu Gunsten der Beschwerdeführerinnen zu wiegen. Auf der anderen Seite stehen jedenfalls die öffentlichen Interessen an der Effektuierung der Unzuständigkeitsentscheidung Österreichs. Es ist kein Versuch aus der Aktenlage seitens der Beschwerdeführerinnen (siehe Verfahrenserzählung) nachvollziehbar, etwa über die niederlassungsrechtlichen Bestimmungen ein Visum für Österreich zu erlangen. Würde der Asylgerichtshof also im gegenständlichen Fall Österreich verpflichten, das Selbsteintrittsrecht im Bezug auf die Beschwerdeführerinnen zwingend auszuüben, wäre damit die Umgehung dieser fremdenrechtlichen Bestimmungen legitimiert. Das heißt nicht, dass derartiges in Ausnahmekonstellationen in Hinblick auf Art. 8 EMRK aus menschenrechtlichen Gesichtspunkten nicht dennoch notwendig sein kann, im konkreten Fall liegt diese Ausnahmekonstellation jedoch rechtlich gesehen nicht vor. Die öffentlichen Interessen an der Effektuierung der Unzulässigkeitsentscheidung (weiterhin) werden aber durch diesen Aspekt bestärkt.

 

Zusammengefasst zeigt also das Verwaltungsverfahren (und ist dem wie aus der Verfahrenserzählung ersichtlich in der Beschwerde nichts Entscheidendes konkret entgegengesetzt worden), dass ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zwischen volljährigen Familienangehörigen (etwa im Sinne der in VwGH, 17.11.2009, Zl. 2007/20/0955 einschlägigen Konstellation) gegenständlich nicht glaubhaft gemacht wurde, weshalb insgesamt von weiteren Beweisaufnahmen mangels Relevanz und aufgrund der Spruchreife Abstand zu nehmen war. Darüber hinaus müssen sich die Beschwerdeführerinnen die kurze Aufenthaltsdauer in Österreich anrechnen lassen. Eine Abwägung im Sinne des Art 8 Abs 2 EMRK fällt daher zum Entscheidungszeitpunkt zu Lasten der Beschwerdeführerinnen aus.

 

2.2.2. Polnisches Asylwesen unter dem Gesichtspunkt des Art 3 EMRK

 

Hiezu ist einleitend festzuhalten, dass die seinerzeitige Judikatur zu § 4 AsylG 1997 und vor dem Beitritt zur Europäischen Union am 01.04.2006 nicht mehr unmittelbar relevant ist (VwGH 25.04.2006, Zl. 2006/19/0673).

 

Relevant wären im vorliegenden Zusammenhang schon bei einer Grobprüfung erkennbare grundsätzliche schwerwiegende Defizite im Asylverfahren des zuständigen Mitgliedstaates (also etwa:

grundsätzliche Ablehnung aller Asylanträge oder solcher bestimmter Staatsangehöriger oder Angehöriger bestimmter Ethnien; kein Schutz vor Verfolgung "Dritter", kein Rechtsmittelverfahren). Solche Mängel (die bei einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nicht vorausgesetzt werden können, sondern zunächst einmal mit einer aktuellen individualisierten Darlegung des Antragstellers plausibel zu machen sind, dies im Sinne der Regelung des § 5 Abs. 3 AsylG 2005) sind schon auf Basis der Feststellungen des Bundesasylamtes nicht erkennbar und auch in den Beschwerden nicht substantiiert vorgebracht worden.

 

Konkretes Vorbringen, das geeignet wäre, anzunehmen, dass Polen in Hinblick auf AsylwerberInnen aus Tschetschenien unzumutbare rechtliche Sonderpositionen vertreten würde, ist nicht erstattet worden: Das Vorbringen in der Beschwerde, wonach es "sehr unwahrscheinlich" sei, dass in Polen Tschetschenen Asyl oder subsidiärer Schutz gewährt werde, stellt eine bloß spekulative Behauptung dar und lässt sich mit dem notorischen Amtswissen nicht in Einklang bringen. Hinsichtlich der befürchteten Kettenabschiebung beziehungsweise der Verletzung des Non-Refoulementgebotes durch Polen in Bezug auf die Russische Föderation als Herkunftsstaat wird auf die (in der Verfahrenserzählung des gegenständlichen Erkenntnisses referierten) klar gegenteiligen Länderfeststellungen verwiesen, auf welche die Beschwerde nicht eingeht. Nach den im Detail nicht bestrittenen Einschätzungen des US State Department und des Verbindungsbeamten des BMI bei der ÖB Warschau, finden keine zwangsweisen Abschiebungen in die Russische Föderation (entgegen dem Non-Refoulemt Gebot) statt, weshalb eine solche auch in Bezug auf die Beschwerdeführerinnen (unbeschadet des Ausgangs ihres Verfahrens) nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist. Auch für eine Inhaftierung oder eine einer unmenschlichen Behandlung gleichkommende Unterbringung bei einer Rückkehr ergeben sich aus den Feststellungen keine Anhaltspunkte; die entsprechenden dem Verfahren zugrunde liegenden Informationen sind auch aktueller als der in der Beschwerde angeführte ACCORD-Bericht aus 2008, respektive umfassender als die in der Beschwerde zitierten kurzen Passagen aus AI-Berichten. Insoweit in der Beschwerde erstmals ausgeführt wird, dass den Beschwerdeführern in Polen keine adäquate Unterbringung gewährt worden sei, steht das mit dem Parteienvorbringen nicht im Einklang. So hat die 2.-Beschwerdeführerin ausdrücklich erklärt, dass sie das ihnen zugewiesene Flüchtlingslager nicht aufgesucht hätten (ob es kurzfristige Transportprobleme gegeben hätte, kann daran nichts ändern; BAA-Akt der 2.-Beschwerdeführerin, As.109 und 113; vgl auch BAA-Akt der 1.-Beschwerdeführerin, As. As. 99). In einer Gesamtschau der Vorbringen der Beschwerdeführerinnen wird klar, dass sie keine Absicht hatten, in Polen zu bleiben und sofort versuchten, die Weiterreise nach Österreich zu erreichen. Sohin ergibt sich auch aus dem bisherigen Verhalten der polnischen Behörden gegenüber den Beschwerdeführerinnen kein Hinweis auf eine Unterkunftsverweigerung oder sonst eine unzulässige Benachteiligung,

 

Aus den insofern ebenso unbestritten gebliebenen Feststellungen der Verwaltungsbehörde (gestützt auf eine Zusammenstellung der Staatendokumentation iSd § 60 AsylG) folgt ferner, dass sowohl für Asylwerber, als auch für in Polen sonst - insbesondere nach (auch teilweise) positivem Abschluss eines Asylverfahrens - aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige, hinreichende soziale Versorgungsleistungen bestehen, sodass etwa eine Verletzung der aus der Aufnahmerichtlinie herrührenden Verpflichtung Polens nicht zu befürchten ist.

 

2.2.3. Medizinische Krankheitszustände; Behandlung in Polen

 

Unbestritten ist, dass nach der allgemeinen Rechtsprechung des EGMR zu Art. 3 EMRK und Krankheiten, die auch im vorliegenden Fall maßgeblich ist, eine Überstellung nach Polen nicht zulässig wäre, wenn durch die Überstellung eine existenzbedrohende Situation drohte und diesfalls das Selbsteintrittsrecht der Dublin II VO zwingend auszuüben wäre: In diesem Zusammenhang ist vorerst auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH vom 06.03.2008, Zl: B 2400/07-9) zu verweisen, welches die aktuelle Rechtsprechung des EGMR zur Frage der Vereinbarkeit der Abschiebung Kranker in einen anderen Staat mit Art. 3 EMRK festhält (D. v. the United Kingdom, EGMR 02.05.1997, Appl. 30.240/96, newsletter 1997,93; Bensaid, EGMR 06.02.2001, Appl. 44.599/98, newsletter 2001,26; Ndangoya, EGMR 22.06.2004, Appl. 17.868/03; Salkic and others, EGMR 29.06.2004, Appl. 7702/04; Ovdienko, EGMR 31.05.2005, Appl. 1383/04; Hukic, EGMR 29.09.2005, Appl. 17.416/05; EGMR Ayegh, 07.11.2006; Appl. 4701/05; EGMR Goncharova & Alekseytsev, 03.05.2007, Appl. 31.246/06).

 

Zusammenfassend führte der VfGH aus, das sich aus den erwähnten Entscheidungen des EGMR ergibt, dass im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder selbstmordgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat bzw. in einem bestimmten Teil des Zielstaates gibt. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung in Art. 3 EMRK. Solche liegen etwa vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben (Fall D. v. the United Kingdom).

 

Rechtsprechung des EGMR (N vs UK, 27.05.2008) und Literaturmeinungen (Premiszl, Migralex 2/2008, 54ff, Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren") bestätigen diese Einschätzung, wobei noch darauf hinzuweisen ist, dass EU-Staaten verpflichtet sind, die Aufnahmerichtlinie umzusetzen und sohin jedenfalls eine begründete Vermutung des Bestehens einer medizinischen Versorgung vorliegt.

 

Aus diesen Judikaturlinien des EGMR ergibt sich jedenfalls der für das vorliegende Beschwerdeverfahren relevante Prüfungsmaßstab.

 

Nach der geltenden Rechtslage ist eine Überstellung dann unzulässig, wenn die Durchführung eine in den Bereich des Art 3 EMRK reichende Verschlechterung des Krankheitsverlaufs oder der Heilungsmöglichkeiten bewirken würde (siehe Feststellungen des Innenausschusses zu § 30 AsylG 2005 in der Stammfassung); dabei sind die von den Asylinstanzen festzustellenden Behandlungsmöglichkeiten im Zielstaat als Hintergrundinformation beachtlich, sodass es sich quasi um eine "erweiterte Prüfung der Reisefähigkeit" handelt.

 

Maßgebliche Kriterien für die Beurteilung der Art. 3 EMRK- Relevanz einer psychischen Erkrankung angesichts einer Abschiebung sind Aufenthalte in geschlossenen Psychiatrien infolge von Einweisungen oder auch Freiwilligkeit, die Häufigkeit, Regelmäßigkeit und Intensität der Inanspruchnahme medizinisch-psychiatrischer Leistungen, die Möglichkeit einer wenn auch gemessen am Aufenthaltsstaat schlechteren medizinischen Versorgung im Zielstaat sowie die vom Abschiebestaat gewährleisteten Garantien in Hinblick auf eine möglichst schonende Verbringung. Rechtfertigen diese Kriterien eine Abschiebung, hat eine denkmögliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes oder ungünstige Entwicklung des Gesundheitszustands außer Betracht zu bleiben, geschweige denn vermag die Verursachung von überstellungsbedingtem mentalen Stress eine Abschiebung unzulässig machen.

 

2.2.3.1. Akut existenzbedrohende Krankheitszustände oder Hinweise einer unzumutbaren Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Überstellung nach Polen sind der Aktenlage nicht zu entnehmen. Bezüglich der für die 1.- und 2. Beschwerdeführerinnen vorgebrachten Beschwerden, nämlich der Rücken-, Leber-, Nierenschmerzen, Blutgerinnungsprobleme und des hohen Blutdruckes der 1.-Beschwerdeführerin sowie des bereits im Herkunftsstaat erlittenen Herzinfarktes und des hohen Blutdruckes der 2.-Beschwerdeführerin ist anzumerken, dass die Beschwerdeführerinnen dazu angaben, dass sie dagegen Medikamente einnähmen, welche sie von ihrer Heimat mitgenommen hätten. Eine über diese medikamentöse Behandlung hinausgehende akute Behandlungsnotwendigkeit haben sie nicht behauptet und geht dies aus den Verwaltungsakten auch nicht sonst hervor. Aus der Vorlage von in der Verfahrenserzählung erwähnten Facharztüberweisungen (wobei die entsprechenden Untersuchungen [Röntgen, Nierensonographie, HNO, Dermatologie, neurologisch/psychiatrische Abklärung in Bezug auf die 1. und 2.-Beschwerdeführerin] der dem Verfahren zugrunde liegenden Erkenntnislage nach eben auch in Polen erfolgen könnten) allein kann derartiges nicht abgeleitet werden. Trotz entsprechender Belehrung im Verwaltungsverfahren wurden auch im Beschwerdeverfahren bis zur Überstellung der Beschwerdeführerinnen keine weiteren Befunde in Vorlage gebracht und sind auch keine Spitalsaufenthalte oder dergleichen (etwa durch Einschau in das GVS) bekannt geworden. Es ist auch nochmals zu betonen, dass im gegenständlichen Zusammenhang selbst ein Vorliegen einer physischen/ps

Quelle: Asylgerichtshof AsylGH, http://www.asylgh.gv.at
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