Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei G***** K*****, vertreten durch Dr. Helga Wagner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die Gegnerin der gefährdeten Partei M***** K*****, vertreten durch Dr. Gerhard Ebenbichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung nach § 382e EO (aF), über den Revisionsrekurs der Gegnerin der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 1. Juli 2009, GZ 23 R 154/09h-41, womit infolge Rekurses der gefährdeten Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Neulengbach vom 26. Mai 2009, GZ 1 C 53/08v-36, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Die gefährdete Partei hat die Kosten ihrer Revisionsrekursbeantwortung vorläufig selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Die Streitteile sind seit 4. 3. 1992 miteinander verheiratet. Ein Scheidungsverfahren ist anhängig. Der Antragsteller war zum Zeitpunkt der Eheschließung Alleineigentümer einer mit zahlreichen Pfandrechten belasteten Liegenschaft, die er 1993 und 1996 zu je einem Hälfteanteil an die Antragsgegnerin verkaufte. Punkt 3. des Notariatsakts vom 19. 6. 1996 lautete auszugsweise wie folgt:
„Die Berichtigung des Kaufpreises erfolgt derart, dass [...] sämtliche von der Käuferin bisher in das Vertragsobjekt getätigten Investitionen, welcher Art auch immer, als verrechnet gelten, somit die Käuferin auf Rückzahlung verzichtet, wobei mit Unterfertigung dieser Vertragsurkunde alle nur denkmöglichen sonstigen wechselseitigen Ansprüche der vertragsschließenden Parteien seit ihrer Eheschließung in Ansehung dieses Vertragsobjekts, aus welchem Titel auch immer, als verrechnet gelten."
Das auf der Liegenschaft befindliche Haus diente den Streitteilen jedenfalls ab 1995 als Ehewohnung. Im Jahr 2002 übersiedelte die Antragsgegnerin mit den drei gemeinsamen Kindern nach Slowenien. Auch der Antragsteller lebte teilweise in Slowenien. Die Streitteile trennten sich im Jahr 2007. Seither lebt der Antragsteller in Österreich. Die Antragsgegnerin hat einen Auftrag zur Veräußerung der besagten Liegenschaft erteilt. Das Verfahren über eine von ihr gegen den Antragsteller eingebrachte Räumungsklage ist derzeit unterbrochen.
Der Antragsteller begehrte zur Sicherung des Anspruchs auf Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses an der früheren Ehewohnung die Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382e EO (aF). Er stützte diesen Antrag auf die Behauptung, in Österreich keine andere Wohnmöglichkeit zu haben und auf die Wohnung angewiesen zu sein.
Das Erstgericht erließ ohne vorherige Anhörung der Antragsgegnerin am 9. 7. 2008 die beantragte einstweilige Verfügung.
Die Antragsgegnerin erhob Widerspruch und bestritt ein dringendes Wohnbedürfnis des Antragstellers. Der Provisorialantrag sei rechtsmissbräuchlich, weil der Antragsteller schon im Notariatsakt vom 19. 6. 1996 auch auf die Nutzung der Liegenschaft aus dem Titel des § 97 ABGB verzichtet habe. Das Gebäude weise überdies Frostschäden auf und werde vom Antragsteller nicht bewohnt.
Das Erstgericht gab dem Widerspruch Folge und wies den Sicherungsantrag ab.
Neben dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt erachtete es als bescheinigt, dass das Haus zumindest seit Dezember 2007 unbewohnbar sei. Es sei im Winter nicht beheizbar und weise gravierende Frostschäden auf. Der Antragsteller habe daher im gesamten Jahr 2008 höchstens 20 bis 25 mal darin übernachtet. Ansonsten habe er großteils bei seiner Schwester und in verschiedenen Pensionen gewohnt.
Das Erstgericht verneinte das Vorliegen eines dringenden Wohnbedürfnisses im Wesentlichen mit der Begründung, der Antragsteller halte sich wegen der Unbewohnbarkeit der Wohnung nur ganz selten in dieser auf.
Das vom Antragsteller angerufene Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es dem Widerspruch nicht Folge gab und die einstweilige Verfügung vom 9. 7. 2008 aufrecht hielt. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.
Das Rekursgericht erörterte rechtlich, dass ein dringendes Wohnbedürfnis nur dann zu verneinen sei, wenn dem auf die Wohnmöglichkeit angewiesenen Ehegatten eine ausreichende gleichwertige Unterkunft zur Verfügung stehe. Er müsse in der Lage sein, in eine Ersatzwohnung kraft eigenen Rechts ausweichen zu können. Die Beweislast hiefür treffe den über die Wohnung verfügungsberechtigten Ehegatten. Die Antragsgegnerin habe das Bestehen einer anderen Wohnmöglichkeit des Antragstellers kraft eigenen Rechts weder behauptet noch bescheinigt. Nach den Feststellungen sei der Antragsteller zwar aufgrund der eingeschränkten Benützbarkeit des Hauses weitgehend auf andere, sein Wohnbedürfnis rechtlich nicht absichernde Nächtigungsmöglichkeiten ausgewichen. Dies beseitige jedoch nicht sein dringendes Wohnbedürfnis an der vorhandenen Wohnung, auf die er grundsätzlich weiterhin angewiesen sei. Aus der Vereinbarung vom 19. 6. 1996 könne nicht auf einen Verzicht des Antragstellers auf das Wohnrecht geschlossen werden. „Als verrechnet gelten" könnten nur finanzielle Ansprüche (einschließlich allfälliger Aufteilungsansprüche), nicht aber der Anspruch nach § 97 ABGB. Jedenfalls werde durch eine solche Vereinbarung das Bestehen eines dringenden Wohnbedürfnisses nicht ausgeschlossen.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage, ob es bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses primär auf die tatsächliche Benützung der Wohnung oder auf das Zurverfügungstehen einer anderen Wohnmöglichkeit kraft eigenen Rechts ankomme, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Der von der Antragsgegnerin gegen die zweitinstanzliche Entscheidung erhobene Revisionsrekurs ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig; die seinen Zulassungsausspruch begründende Rechtsfrage erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO (hier iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO). Auch im Rechtsmittel der Antragsgegnerin wird keine (sonstige) Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufgezeigt.
1. Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt, so hat dieser gemäß § 97 ABGB einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere; dies gilt nicht, wenn das Handeln oder Unterlassen des verfügungsberechtigten Ehegatten durch die Umstände erzwungen wird. Der Zweck dieser Bestimmung wird in ständiger Rechtsprechung darin gesehen, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung des den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisses gedient hat und die er weiterhin benötigt (4 Ob 71/09h; RIS-Justiz RS0009570); er soll insofern vor Willkürakten des anderen Ehegatten geschützt werden (4 Ob 71/09h; RIS-Justiz RS0009580).
2. Die aus § 97 ABGB abzuleitenden Ansprüche können gemäß § 382e EO (aF; seit Inkrafttreten des 2. GeSchG, BGBl I 2009/40, mit 1. 6. 2009: § 382h EO) gesichert werden. Diese Bestimmung umfasst sowohl Ansprüche eines Ehegatten auf Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses als auch Ansprüche, die aus der Verletzung dieses Wohnungserhaltungsanspruchs resultieren. Dies können neben Unterlassungs- auch Leistungsansprüche sein.
Wie der Oberste Gerichtshof schon mehrfach ausgesprochen hat, fallen unter den Sicherungszweck des § 382e EO nur die zur Beschaffung und Erhaltung der Ehewohnung erbrachten Aufwendungen, nicht aber auch Aufwendungen wie Kosten für Strom, Heizung etc. In diesem Zusammenhang wurde ausgeführt, es sei notwendig, nach § 382e EO sicherungsfähige Leistungen, deren Unterbleiben einen Verlust der Wohnung zur Folge haben könne, von solchen Leistungen, bei denen ein derartiger Verlust nicht drohe, zu unterscheiden. Inhalt des Anspruchs nach § 97 ABGB sei nach dessen Wortlaut der Erhalt der Wohnung an sich und nicht auch der Erhalt deren Benützbarkeit zu Wohnzwecken, sodass der über die Wohnung verfügungsberechtigte Ehegatte mit einstweiliger Verfügung nach § 382e EO nur zur Bezahlung der zur Abwehr des Verlustes der Wohnung erforderlichen Wohnungserhaltungskosten, nicht jedoch auch der Wohnungsbenützungskosten verpflichtet werden könne (3 Ob 231/04y = SZ 2004/150; 1 Ob 65/05y; 4 Ob 55/07b; RIS-Justiz RS0119482).
3. Aus dieser Rechtsprechung ist bereits mit hinreichender Deutlichkeit ableitbar, dass der Anspruch auf Erhaltung einer bestehenden Wohnmöglichkeit von der aktuellen Benützbarkeit der Wohnung unabhängig ist. Solange die Benützung zu Wohnzwecken nicht auf Dauer ausgeschlossen ist, sodass das Objekt den Charakter einer „Wohnung" verlieren würde, bleibt eine solche Wohnung daher grundsätzlich geeignet, das dringende Wohnbedürfnis des auf die Wohnung angewiesenen Ehegatten zu erfüllen. Dies gilt auch dann, wenn dieser ohne Gefährdung seiner sonstigen Bedürfnisse (vorübergehend) nicht in der Lage sein sollte, die zur Herstellung der vollen Benützbarkeit der Wohnung erforderlichen Kosten aus Eigenem zu tragen und deshalb eine andere Unterkunftsmöglichkeit in Anspruch nimmt.
Für das Vorliegen eines dringenden Wohnbedürfnisses ist somit auch in diesem Fall nur entscheidend, ob dem wohnungsbedürftigen Ehegatten eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht (vgl 2 Ob 72/05k mwN; RIS-Justiz RS0006012). Darunter ist nach ständiger Rechtsprechung keine Gleichwertigkeit in tatsächlicher Hinsicht, sondern nur in rechtlicher Hinsicht zu verstehen. Dem das Wohnrecht in der früheren Ehewohnung oder sonstigen Wohnung zustehenden Ehegatten müsste demnach eine Ersatzwohnung kraft eigenen Rechts zur Verfügung stehen. Er kann aber nicht auf eine Wohnmöglichkeit bei Eltern, sonstigen Verwandten oder Freunden verwiesen werden (vgl 2 Ob 72/05k mwN; RIS-Justiz RS0006012; auch Beck in Gitschthaler/Höllwerth, EheG § 382e EO Rz 8; Koch in KBB² § 97 Rz 1). Im Provisorialverfahren hat der Antragsgegner zu behaupten und zu bescheinigen, dass der antragstellende Ehegatte nach den dargelegten Grundsätzen nicht auf die Ehewohnung oder sonstige Wohnung zur Befriedigung eines dringenden Wohnbedürfnisses angewiesen ist (9 Ob 286/01a mwN; RIS-Justiz RS0014672; vgl Beck aaO Rz 8).
4. Die Beurteilung der Frage, ob ein Wohnbedürfnis ein „dringendes" ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und wirft - von einer erheblichen Fehlbeurteilung abgesehen - keine Rechtsfrage im Sinne des (hier) § 528 Abs 1 ZPO auf (9 Ob 286/01a; RIS-Justiz RS0042789; Beck aaO Rz 8). Dem Rekursgericht, dessen Entscheidung mit den dargelegten Grundsätzen im Einklang steht, ist keine derartige Fehlbeurteilung unterlaufen, wenn es davon ausging, dass der Antragsgegnerin die Bescheinigung des fehlenden dringenden Wohnbedürfnisses des Antragstellers nicht gelungen ist.
So hat die Antragsgegnerin nicht einmal behauptet, dass dem Antragsteller eine Ersatzwohnung kraft eigenen Rechts zur Verfügung steht. Dass dieser derzeit die Wohnmöglichkeit bei seiner Schwester vorzieht oder lieber in „verschiedenen Pensionen" wohnt, bedeutet entgegen der im Revisionsrekurs vertretenen Rechtsansicht noch nicht die endgültige Aufgabe der Wohnmöglichkeit in der früheren Ehewohnung und den Verlust seines dringenden Wohnbedürfnisses daran.
Die Feststellung, dass das gegenständliche Haus zumindest seit Dezember 2007 „unbewohnbar" sei, wird schon durch die weitere Feststellung, wonach der Antragsteller im Jahr 2008 „höchstens 20 bis 25 mal" dort genächtigt hat, sowie durch die Einbringung einer Räumungsklage durch die Antragsgegnerin relativiert; folgt doch aus diesen Tatumständen, dass der Antragsteller die Wohnung - wenn auch nur in eingeschränktem Ausmaß - zu Wohnzwecken nutzt. Die Feststellung über die mangelnde Beheizbarkeit im Winter und das Bestehen gravierender Frostschäden lässt ferner darauf schließen, dass sich die „Unbewohnbarkeit" offenbar nur auf die Wintermonate beschränkt. Aus welchen Gründen das Objekt nicht beheizbar ist, ob bzw mit welchen Mitteln diesem Missstand abgeholfen werden könnte und wie sich die „gravierenden Frostschäden" auf die Bewohnbarkeit des Hauses konkret auswirken, steht hingegen nicht fest. Diese Unklarheiten gehen aber zu Lasten der Antragsgegnerin, sodass auf der Grundlage des vom Erstgericht als bescheinigt erachteten Sachverhalts von einem die Benützbarkeit zu Wohnzwecken auf Dauer ausschließenden Zustand des Hauses nicht ausgegangen werden kann.
5. Der Auslegung einzelner Bestimmungen eines Kaufvertrags kommt im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu (vgl RIS-Justiz RS0042776, RS0042936). Das Auslegungsergebnis des Rekursgerichts, von der im Sinne einer Generalklausel formulierten Bestimmung des Notariatsakts vom 19. 6. 1996 seien zwar sämtliche wechselseitigen vermögensrechtlichen Ansprüche der Streitteile, nicht aber der familienrechtliche Anspruch nach § 97 ABGB umfasst, ist schon aufgrund des Wortlauts der Vertragsbestimmung („verrechnet") vertretbar und bedarf keines korrigierenden Eingreifens durch den Obersten Gerichtshof. Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, begründet keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042776 [T2]).
6. Aus diesen Gründen ist der Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 528 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsrekursbeantwortung, in welcher der Antragsteller auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels hingewiesen hat, gründet sich auf § 393 Abs 1 EO.
Textnummer
E92517European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00173.09V.1029.000Im RIS seit
28.11.2009Zuletzt aktualisiert am
23.06.2010