TE OGH 2009/11/10 10ObS129/09g

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Veröffentlicht am 10.11.2009
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter DI Rudolf Pinter (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wolfgang Birbamer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** H*****, vertreten durch Dr. Herbert Grass und Mag. Günther Kiegerl, Rechtsanwälte in Deutschlandsberg, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65-67, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3. Juni 2009, GZ 7 Rs 27/09h-10, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 12. Februar 2009, GZ 12 Cgs 301/08s-6, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit 26 Jahren bei einer Landwirtschaftskammer als Fachberaterin beschäftigt. In regelmäßigen mehrjährigen Abständen wird den Fachberatern/Fachberaterinnen dieser Kammer eine Fachexkursion angeboten. Im Jahr 2008 fand eine viertägige Fachexkursion in Italien statt. Die Kosten für die vom Kammeramtsdirektor genehmigte Veranstaltung wurden zur Gänze von der Landwirtschaftskammer getragen.

Die Exkursion begann am 9. 6. 2008 in Graz. Die Exkursionsteilnehmer, darunter die Klägerin, fuhren mit einem Bus nach Italien, wo sie das vorgesehene Programm absolvierten. Sie besichtigten täglich zwei bis drei Betriebe in verschiedenen Orten und waren jede Nacht in einem anderen Hotel untergebracht. Am 10. 6. 2008 fanden tagsüber die geplanten Besichtigungen statt. Gegen ca 19:00 Uhr dieses Tages begaben sich die Teilnehmer der Fachexkursion in ein Hotel in Modena, wo die schon zuvor von der Landwirtschaftskammer eingeteilten Zimmer bezogen wurden. Auch die Klägerin bezog ihr Hotelzimmer und brachte ihre Toilettetasche in das Badezimmer. Beim Zurückgehen in den Wohnraum rutschte sie aus, kam zu Sturz und zog sich einen Verrenkungsbruch des äußeren Knöchels links zu. Sie war unfallsbedingt bis zum 17. 8. 2008 im Krankenstand.

Mit Bescheid vom 25. 11. 2008 lehnte die beklagte Partei die Anerkennung des Unfalls der Klägerin vom 10. 6. 2008 als Arbeitsunfall ab.

Mit ihrer gegen diesen Bescheid gerichteten Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass ihre auf das Ereignis vom 10. 6. 2008 zurückzuführende Verletzungen Folgen eines Arbeitsunfalls seien. Der ursächliche Zusammenhang mit ihrem Dienstverhältnis ergebe sich schon daraus, dass sie das Hotelzimmer habe beziehen müssen, um das von ihrem Dienstgeber im Rahmen der Fachexkursion unentgeltlich beigestellte Quartier beanspruchen zu können.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Das Verstauen einer Toilettetasche sei etwas Notwendiges und Selbstverständliches, was jeder Mensch unabhängig von seiner beruflichen Tätigkeit regelmäßig mache. Auch auf dienstlichen Reisen stünden derartige Tätigkeiten nicht unter Unfallversicherungsschutz.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Rechtlich vertrat es den Standpunkt, auch auf dienstlichen Reisen seien die privaten, dem persönlichen Lebensbereich zuzuzählenden Verrichtungen regelmäßig nicht versichert. Der Wechsel der persönlichen Wäsche, die Benützung des Nachtgewandes und das Rasieren seien vom Versicherungsschutz ebenso wenig umfasst wie die mit der Vorbereitung des Transports der hiefür notwendigen Gegenstände im Zusammenhang stehenden Handlungen. Das Auspacken der Toilettetasche im Badezimmer sei daher als eine Tätigkeit des persönlichen Bereichs anzusehen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und änderte das Urteil des Erstgerichts in die Feststellung ab, dass der Verrenkungsbruch des äußeren Knöchels links Folge des Arbeitsunfalls der Klägerin vom 10. 6. 2008 sei. Bei Unfällen während einer Dienstreise sei ein innerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit auch außerhalb der eigentlichen dienstlichen Beschäftigung im Allgemeinen eher anzunehmen als am Wohn- oder Betriebsort. Handle es sich um eine Tätigkeit des persönlichen Bereichs, werde der notwendige innere Zusammenhang nur dann angenommen werden können, wenn diese mit dem Aufenthalt an dem fremden Ort notwendigerweise verbunden sei. Es müsse sich also um eine Tätigkeit handeln, der sich der Versicherte bei einem normalen Lebensablauf unter den jeweiligen örtlichen Verhältnissen nicht entziehen könne, wobei der Kreis solcher Versicherungen nicht zu eng und der Gesamtsituation angepasst zu ziehen sei. Nach diesen Grundsätzen sei im Anlassfall der Bezug des Hotelzimmers und das Verstauen der Toilettetasche im Badezimmer als unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehend anzusehen, zumal sich die Klägerin dieser Tätigkeit aufgrund ihres Aufenthalts im Ausland nicht habe entziehen können.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Voraussetzungen für eine Zulassung gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht vorlägen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig und im Sinn des gestellten Abänderungsantrags auch berechtigt.

Die Klägerin beantragt in der freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Die Revisionswerberin macht geltend, auf Dienstreisen könne Versicherungsschutz im Hotelzimmer bestehen, wenn dort eine dienstliche Tätigkeit entfaltet werde oder wenn es sich zwar um häusliche Tätigkeiten handle, der Unfall aber durch das Wirksamwerden besonderer Gefahrenmomente im Bereich der Übernachtungsstätte verursacht worden sei. Von besonderen Gefahrenmomenten könne im Anlassfall nicht die Rede sein.

Hiezu wurde erwogen:

1. Arbeitsunfälle sind Unfälle, die sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen (§ 175 Abs 1 ASVG).

1.2. Dienstreisen sind durch die versicherte Tätigkeit bedingte Reisen mit einem Ziel außerhalb des gewöhnlichen Tätigkeitsorts. Es ist unerheblich, welcher Art der betriebliche (dienstliche) Grund der Reise ist (Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, Gesetzliche Unfallsversicherung, K § 8 Rz 78). Die Fachexkursion, zu der die Klägerin von ihrer Dienstgeberin entsendet wurde, fällt unter diesen Begriff, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte.

1.3.1. Nach den in der Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Frage des Unfallversicherungsschutzes auf Dienstreisen entwickelten Grundsätzen (10 ObS 105/02t mwN = SSV-NF 17/52) besteht dieser Unfallversicherungsschutz nicht schon deshalb, weil sich der Reisende im dienstlichen oder betrieblichen Interesse außerhalb seines Beschäftigungs- oder Wohnorts aufhält und bewegen muss. Es kommt vielmehr auch hier darauf an, ob die Betätigung, bei der der Unfall eintritt, mit dem Beschäftigungsverhältnis rechtlich wesentlich zusammenhängt. Dieser Versicherungsschutz entfällt, wenn sich der Reisende seinen persönlichen, für die Betriebstätigkeit nicht mehr wesentlichen und von dieser nicht mehr wesentlich beeinflussten Belangen widmet (RIS-Justiz RS0084819). Allerdings wird bei Unfällen während einer Dienstreise ein innerer Zusammenhang mit der betrieblichen (dienstlichen) Tätigkeit auch außerhalb der eigentlichen dienstlichen Beschäftigung im Allgemeinen eher anzunehmen sein als am Wohn- oder Betriebsort (RIS-Justiz RS0084819 [T1]; 10 ObS 105/02t; 10 ObS 9/06f = SSV-NF 20/27).

1.3.2. Der Versicherungsschutz während einer Dienstreise kann sich daher auch auf solche Tätigkeiten erstrecken, die sonst dem privaten Bereich zuzuordnen sind (10 ObS 9/06f mwN; RIS-Justiz RS0084819 [T2]). An sich eigenwirtschaftliche Tätigkeiten, die dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen sind, stehen aber nicht allein deshalb in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit, weil der Arbeitgeber an deren Verrichtung interessiert ist, damit die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers erhalten bleibt oder wiederhergestellt wird (10 ObS 9/06f; 10 ObS 73/93 = SSV-NF 7/45). Maßnahmen eines Versicherten, die er setzt, um seine körperliche und geistige dienstliche Leistungsfähigkeit aufzubringen oder zu erhalten, stehen nämlich grundsätzlich nicht mit der dienstlichen Tätigkeit in einem unmittelbaren Zusammenhang; das Risiko der dienstlichen Leistungsfähigkeit fällt in der Regel in den unversicherten eigenwirtschaftlichen Bereich (vgl 10 ObS 105/02t mwN; RIS-Justiz RS0084963).

1.3.3. Handelt es sich um eine Tätigkeit des persönlichen Bereichs, wird der notwendige innere Zusammenhang nur dann angenommen werden können, wenn diese mit dem Aufenthalt an dem fremden Ort notwendigerweise verbunden ist; es muss sich also um eine Tätigkeit handeln, der sich der Versicherte bei normalem Lebensablauf unter den jeweiligen örtlichen Verhältnissen nicht entziehen kann, wobei der Kreis solcher Verrichtungen nicht zu eng und der Gesamtsituation angepasst zu ziehen ist (10 ObS 105/02t mwN). Hiezu gehört etwa das Begehen einer Hoteltreppe auf dem Weg zur Einnahme einer Mahlzeit (10 ObS 316/91 = SZ 65/53 = SSV-NF 6/39), nicht aber zB ein Saunabesuch (10 ObS 105/02t). Voraussetzung ist, dass die jeweilige Verrichtung noch dem Dienstgeschäft zuzurechnen ist (Schwerdtfeger in Lauterbach, Unfallversicherung4 § 8 SGB VII Rz 298 mwN).

1.3.4. Zu den dem unversicherten Lebensbereich zuzurechnenden Verrichtungen zählen vor allem die notwendigen und selbstverständlichen Dinge, denen jeder Mensch unabhängig von seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen pflegt (zB Schlafen, Essen, Waschen, Wechseln der persönlichen Wäsche udgl). Verhaltensweisen, die jedermann unabhängig von der Art seiner Tätigkeit verrichten muss, um seine physische Existenz zu erhalten, sind nicht schon deshalb geschützt, weil der Verletzte aufgrund seiner Erwerbstätigkeit den Schutz der Unfallversicherung genießt. Solche Verhaltensweisen, die der Verletzte aus eigenwirtschaftlichen Gründen setzt, können nur dann als von der Unfallversicherung geschützt angesehen werden, wenn sie infolge der Ausübung der geschützten Tätigkeit unter einem erhöhten Gefahrenrisiko durchgeführt werden mussten und dieses erhöhte Risiko tatsächlich zum Unfall geführt hat (10 ObS 29/93 = SSV-NF 7/43; 10 ObS 238/00y mwN = SSV-NF 14/110; Tomandl in Tomandl, SV-System, 13. Erg-Lfg 310).

1.3.4.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits - gestützt auf die unter 1.3.4. referierte Judikatur - ausgesprochen, dass auch auf Dienstreisen der Wechsel der persönlichen Wäsche, die Benützung des Nachtgewandes und das Rasieren vom Versicherungsschutz ebensowenig umfasst sind wie die mit der Vorbereitung des Transports der hiefür notwendigen Gegenstände im Zusammenhang stehenden Handlungen (10 ObS 29/93). So ist auch im Anlassfall die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Übernachtung im Hotel stehende Ablage der Toilettetasche im Badezimmer des von der Klägerin notwendigerweise bezogenen Hotelzimmers und der Weg von dieser Verrichtung in den Wohnraum grundsätzlich der persönlichen, nicht versicherungsgeschützten Lebenssphäre zuzurechnen.

1.3.4.2. Ungeachtet des privaten Charakters der Verrichtung und des Weges während der Dienstreise innerhalb des Hotels kann ein rechtlich wesentlicher innerer Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Reisenden bei einer dem privaten unversicherten Bereich zuzurechnenden Verrichtung gegeben sein, wenn gefahrbringende Umstände den Unfall wesentlich bedingt haben, die in ihrer besonderen Eigenart dem Beschäftigten am Wohn- oder Beschäftigungsort nicht begegnet wären (vgl 10 ObS 41/91 = SSV-NF 5/13; Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung [SGB VII], § 8 Rz 107; Schwerdtfeger in Lauterbach, Unfallversicherung4 § 8 SGB VII Rz 303, 306; Keller in Hauck/Noftz, SGB VII, Gesetzliche Unfallsversicherung, K § 8 Rz 83). So hat der Oberste Gerichtshof unter diesem Gesichtspunkt entschieden (10 ObS 41/91), dass der Sturz eines Schülers während eines Schulschikurses im Schlaf aus dem oberen Bett eines Stockbettes unter Unfallversicherungsschutz steht.

Dass der Unfall der Klägerin durch das Wirksamwerden besonderer Gefahrenmomente im Bereich des Hotelzimmers (mit-)verursacht wurde, wurde weder behauptet noch festgestellt.

1.3.5. Da nach diesen Ausführungen der Unfall der Klägerin kein Arbeitsunfall war, war in Stattgebung der Revision das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.

Textnummer

E92455

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:010OBS00129.09G.1110.000

Im RIS seit

10.12.2009

Zuletzt aktualisiert am

21.03.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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