TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/19 99/09/0255

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Veröffentlicht am 19.12.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §37;
AVG §45 Abs2;
AVG §46;
AVG §58 Abs2;
KOVG 1957 §7;
OFG §1 Abs1 litc;
OFG §11 Abs2;
OFG §3 Abs1;
OFG §4 Abs1;
OFG §4 Abs2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Flendrovsky, über die Beschwerde des F in T, USA, vertreten durch Dr. Josef Wegrostek, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Domgasse 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 2. Dezember 1998, Zl. 644.957/3-5/98, betreffend Anerkennung einer Krankheit als verfolgungskausal nach dem Opferfürsorgegesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 20. Februar 1998 wurde über Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 11 Abs. 4 des Opferfürsorgegesetzes (OFG) i.V.m. § 4 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 (KOVG 1957) eine posttraumatische Belastungsreaktion als haft- bzw. verfolgungsbedingtes Leiden mit einem kausalen Faktor von 1/1 anerkannt und ein "Zustand nach Lungen-TB mit minimalen Restveränderungen" als nicht haftkausal (richtig: verfolgungskausal) festgestellt. Gemäß § 11 Abs. 4 OFG i.V.m. §§ 4 und 7 KOVG 1957 wurde nach Anhörung der nach § 11 Abs. 1 OFG beim Amt der Wiener Landesregierung gebildeten Rentenkommission eine Opferrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % zuerkannt. Sie betrage gemäß § 11 Abs. 2 OFG i.V.m. § 11 Abs. 1 und 2 KOVG 1957 ab 1. April 1997 monatlich S 2.403,--, ab 1. Jänner 1998 monatlich S 2.435,-- und ab 1. Dezember 1998 monatlich S 2.454,--.

Diese Entscheidung wurde hinsichtlich des Leidens "posttraumatische Belastungsreaktion" damit begründet, dass nach dem eingeholten Sachverständigengutachten vom 18. November 1997 trotz Behandlung wiederkehrende Beschwerden bestünden und letztlich Therapieresistenz gegeben sei. Hinsichtlich des Leidens "Zustand nach Lungen-TB mit minimalen Restveränderungen" habe keine Kausalität festgestellt werden können, weil für ein in frühester Kindheit durchgemachtes Lungenleiden keinerlei Unterlagen auflägen und es durchaus möglich sei, dass die röntgenologisch nachweisbaren minimalen Veränderungen von einer angeblich durchgemachten Tuberkulose im Jahr 1952 stammten. Somit gebe es keinen Nachweis, dass die geringen narbigen Veränderungen verfolgungsbedingt seien.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung insoferne, als damit nicht auch sein Zustand nach Lungen-TB mit minimalen Restveränderungen als verfolgungskausal festgestellt und nicht eine entsprechend höhere Opferrente zuerkannt wurde.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales vom 2. Dezember 1998 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 11 Abs. 2, § 16 Abs. 1 und § 17 OFG, § 4 Abs. 1 KOVG 1957 sowie § 66 Abs. 4 AVG keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

Zwecks Prüfung der Berufungseinwendungen sei von der belangten Behörde eine Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Bundesministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales zur Frage eingeholt worden, ob sich durch die vom Beschwerdeführer vorgelegte ärztliche Bestätigung vom 31. Mai 1957 eine Änderung in der medizinischen Beurteilung hinsichtlich des Lungenleidens ergäbe. In seiner Stellungnahme vom 10. August 1998 habe der ärztliche Dienst der Meinung des medizinischen Dienstes der Behörde erster Instanz mit der Maßgabe zugestimmt, dass die vorgelegte ärztliche Bestätigung zu keiner Änderung der medizinischen Beurteilung hinsichtlich des vom Beschwerdeführer geltend gemachten Lungenleidens führe. Diese Bestätigung besage nur, dass im Oktober 1956 eine Exazerbation einer Lungentuberkulose stattgefunden habe, wobei auch hieraus das Datum der Erstmanifestation nicht festgestellt habe werden können. Auf Grund fehlender Brückenbefunde sei somit ärztlicherseits nicht feststellbar, ob das erstmalige Auftreten einer Lungentuberkulose während der Kriegsjahre oder danach stattgefunden habe und es könne dieses Leiden daher auch nicht als verfolgungskausal angesehen werden. Diese Stellungnahme sei dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs gemäß § 45 Abs. 3 AVG zur Kenntnis gebracht worden. Die daraufhin vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen hätten nicht berücksichtigt werden können, da diese bereits im durchgeführten medizinischen Beweisverfahren Gegenstand der ärztlichen Überprüfung gewesen seien bzw. für das Beweisthema des Datums der Erstmanifestation der Lungenerkrankung keine Anhaltspunkte ergeben hätten. Die Stellungnahme des ärztlichen Dienstes sei als schlüssig erkannt worden und daher von der belangten Behörde in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zu Grunde gelegt worden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem mit Beschluss vom 13. Oktober 1999, B 103/99, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.

Der Beschwerdeführer hält den angefochtenen Bescheid deswegen für rechtswidrig, weil ihm in einem Arztbrief vom 31. Mai 1957 bescheinigt worden sei, dass es zu einem neuerlichen Ausbruch seiner Tuberkulosekrankheit im Oktober 1956 gekommen sei. Es sei in diesem für die Entscheidung wichtigen Dokument wiedergegeben, dass er laut seiner Krankengeschichte bereits 1949 an einer akuten Atemwegserkrankung, die als Lungenentzündung diagnostiziert worden sei, gelitten habe. Die Behörde habe den falschen Schluss gezogen, dass es sich um den Ausbruch der Krankheit aus dem Oktober 1956 handle, anstatt richtig festzustellen, dass der Ursprung der Krankheit aus einer früheren Zeit stamme. Die Beurteilung der im Beschwerdefall einschreitenden Sachverständigen sei nicht nachvollziehbar. Den Behörden sei bekannt gewesen, dass er in die USA geflohen sei und es seine finanzielle und gesundheitliche Situation nicht erlaubt habe, Beweisunterlagen seiner Flucht, insbesondere seiner Krankengeschichte in Österreich bzw. der Schweiz zu suchen. Nunmehr lege der Beschwerdeführer ein Schreiben des Schularztamtes des Kantons Basel vom 15. Februar 1951, ein Schreiben der Israelitischen Flüchtlingshilfe Basel vom 15. November 1950 sowie ein Schreiben des United Service for new Americans vom 8. Jänner 1951 vor. Diese Schreiben belegten eindeutig und unwiderlegbar, dass das vom Beschwerdeführer erlittene Leiden der Lungentuberkulose verfolgungsbedingt sei.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Opferfürsorgegesetzes in der Fassung BGBl. Nr. 433/1995 lauten:

"§ 1. ...

(2) Als Opfer der politischen Verfolgung im Sinne dieses Bundesgesetzes sind Personen anzusehen, die in der Zeit vom 6. März 1933 bis zum 9. Mai 1945 aus politischen Gründen, aus Gründen der Abstammung, Religion, Nationalität oder auf Grund einer Behinderung durch Maßnahmen eines Gerichtes, einer Verwaltungs-(im Besonderen einer Staatspolizei-)Behörde oder durch Eingriffe der NSDAP einschließlich ihrer Gliederungen in erheblichem Ausmaß zu Schaden gekommen sind. Als solche Schädigungen in erheblichem Ausmaße sind anzusehen:

...

c) eine Gesundheitsschädigung, durch die die Erwerbsfähigkeit nach den Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 um mindestens 50 v.H. gemindert ist,

...

§ 3. (1) Der Antrag auf Ausstellung einer Amtsbescheinigung oder eines Opferausweises sowie auf orthopädische Versorgung (§ 32 KOVG 1957) und Sterbegeld (§ 12a) ist bei der nach dem Wohnsitz des Antragstellers örtlich zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde einzubringen. Von Personen, die ihren dauernden Aufenthalt im Ausland haben, ist der Antrag bei der österreichischen Vertretungsbehörde, in deren Bereich der Antragsteller seinen Aufenthalt hat, oder beim Amt der Wiener Landesregierung einzubringen. Der Antragsteller hat die Voraussetzungen nach § 1 nachzuweisen.

...

§ 4. (1) Wird dem Antrag (§ 3) auf Anerkennung der Anspruchsberechtigung nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 lit. c oder Abs. 3 lit. a oder b stattgegeben, so hat der Landeshauptmann eine 'Amtsbescheinigung' auszustellen; in der Amtsbescheinigung sind die Gesetzesstellen, auf die sich die Anspruchsberechtigung (§ 1) gründet, zu vermerken.

(2) Die Amtsbescheinigung verpflichtet alle öffentlichen Ämter und Stellen, den sie vorweisenden Inhaber bevorzugt vor allen anderen Parteien vorzulassen, sein jeweils gestelltes Ansuchen im Sinne der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in jeder Weise im Rahmen der bezüglichen Vorschriften weitestgehend zu fördern und begünstigt und beschleunigt zu behandeln.

...

§ 11. (1) Gegenstand der Rentenfürsorge sind die Opferrente, die Hinterbliebenenrente, die Unterhaltsrente und die Beihilfe.

(2) Opferrente gebührt Opfern, die Inhaber einer Amtsbescheinigung sind; sie ist in der Höhe der für Beschädigte nach den Bestimmungen des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 in Betracht kommenden Grundrenten zu bemessen. ..."

§ 7 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957 in der Fassung BGBl. Nr. 687/1991 lautet:

"§ 7. (1) Der Beschädigte hat Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn und insolange seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung um mindestens 25 vH vermindert ist. Unter Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des Abs. 1 ist nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, hiefür nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates (§§ 8 bis 13 des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990) verbindliche Richtsätze aufzustellen."

Nach § 3 Abs. 1 letzter Satz OFG hat der Antragsteller die Voraussetzungen nach § 1 nachzuweisen. Auf das Verfahren finden nach § 16 Abs. 1 OFG - soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt - die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) Anwendung.

Gemäß § 37 AVG ist Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.

Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind, und solche für deren Vorhandensein das Gesetz eine Vermutung aufstellt, bedürfen gemäß § 45 Abs. 1 AVG keines Beweises. Im Übrigen hat die Behörde nach § 45 Abs. 2 AVG unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Als Beweismittel kommt gemäß § 46 AVG alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

Gemäß § 58 Abs. 2 AVG sind Bescheide zu begründen, wenn dem Standpunkt der Partei nicht vollinhaltlich Rechnung getragen oder über Einwendungen und Anträge von Parteien abgesprochen wird.

Der wiedergegebene § 3 Abs. 1 letzter Satz OFG enthält eine Beweislastregel. Diese spiegelt die Tatsache wieder, dass diese Beweisführung zum Verantwortungsbereich desjenigen zählt, der Begünstigungen, Fürsorge und Entschädigungsmaßnahmen nach dem Opferfürsorgegesetz beantragt. Denn diese Person hat einen weitaus stärkeren Bezug zu den anspruchsbegründenden Sachverhaltselementen als die Behörde. Sie ist also am ehesten in der Lage, Beweismittel für ihren Anspruch beizubringen. Wenn daher der Nachweis der Voraussetzungen dem Antragsteller auferlegt ist, dann muss der von dieser formellen Beweislast Betroffene eindeutig nachweisen, dass er die anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt. Dieser Nachweis kann durch Urkunden oder auf andere Weise, etwa durch Zeugenaussagen, erbracht werden. "Nachweisen" heißt, ein behördliches Urteil über die Gewissheit des Vorliegens einer entscheidungsrelevanten Tatsache (eben die "Überzeugung" hievon) herbeizuführen. Es ist demnach Aufgabe des Antragstellers, alle Beweismittel, die sich in seiner Hand befinden, der Behörde vorzulegen und im Übrigen die zur Nachweisung seines Vorbringens erforderlichen Beweisanträge zu stellen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 6. Juni 1991, Zl. 91/09/0057, vom 16. Jänner 1992, Zl. 91/09/0179, und vom 20. April 1995, Zl. 93/09/0408).

Der Beschwerdeführer erhebt in seiner Beschwerde den Vorwurf, die belangte Behörde habe ihren Bescheid nicht gesetzmäßig begründet und von ihm vorgelegte bzw. über seine Beweisanträge aufgenommene Beweise nicht bzw. nicht ausreichend in ihre Beweiswürdigung einbezogen. Der Beschwerdeführer ist damit im Recht, dass der angefochtene Bescheid keine ausreichende und vollständige Feststellung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes enthält, und dass diesem Bescheid keine gesetzmäßige (schlüssige) Beweiswürdigung bzw. nachvollziehbare Auseinandersetzung mit den vorliegenden und beantragten Beweisergebnissen entnommen werden kann.

Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren nämlich wiederholt vorgebracht, dass er im Dezember 1938 als noch nicht Fünfjähriger sich längere Zeit im Wald zwischen Deutschland und der Schweiz aufgehalten habe, wobei ihm die Einreise in die Schweiz erst gelungen sei, nachdem er mehrmals zurückgeschickt worden sei. Er habe dabei hohes Fieber bekommen und die Einreise in die Schweiz sei ihm wegen des Mitleides einer Frau gelungen, die ihn mit ihren eigenen Kindern in die Schweiz gebracht habe. Dort sei der Beschwerdeführer - getrennt von seiner Mutter - in ein Spital aufgenommen worden, wo er für etwa eineinhalb Jahre - an Tuberkulose erkrankt - in einem Sanatorium interniert gewesen sei.

In den Akten des Verwaltungsverfahrens liegt das vertrauensärztliche Gutachten des Vertrauensarztes des österreichischen Generalkonsulates in Los Angeles vom 16. Juni 1997 ein, in welchem dieser u.a. einen Zustand nach Lungen-Tuberkulose feststellt und ausführt, es sei mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass der Beschwerdeführer als vier Jahre altes Kind wegen der Flucht und den daraus folgenden Umständen an Tuberkulose erkrankt sei und noch einmal einen Schub als 20-Jähriger erlitten habe, weshalb er sich neuerlich für zwei Jahre in einem Sanatorium in Los Angeles aufhielt.

Auch einem Schreiben einer psychiatrischen Fachärztin an die Behörde erster Instanz vom 30. September 1997 zufolge wird ausgeführt, dass sich der Beschwerdeführer seit 1982 in ihrer Behandlung befindet und ihr gegenüber angegeben habe, während seiner Flucht in die Schweiz an Lungenentzündung erkrankt gewesen zu sein, die sich kurze Zeit später in eine Lungentuberkulose entwickelt hätte.

Auf Grund der Aktenlage - und ohne eine eigene fachärztliche Untersuchung durchzuführen - kam die von der Behörde erster Instanz beauftragte Fachärztin für Lungenheilkunde, Dr. S, in ihrem lungenfachärztlichen Gutachten vom 29. Oktober 1997 zur Schlussfolgerung, dass keinerlei Unterlagen oder Beweismaterial über ein in der frühesten Kindheit durchgemachtes Lungenleiden vorlägen, und es auch durchaus möglich sei, dass die röntgenologisch nachweisbaren minimalen Veränderungen (an der Lunge des Beschwerdeführers) von der angeblich durchgemachten Tuberkulose im Jahre 1952 stammten. Durch Fehlen sämtlicher Brückenbelege gebe es keinen sicheren Beweis, dass die ehemals durchgemachte Lungentuberkulose bzw. die röntgenologisch nachweisbaren geringen narbigen Veränderungen verfolgungsbedingt seien. Dieser Beurteilung schlossen sich - ebenfalls ohne eine eigene Untersuchung - zwei Ärzte der Magistratsabteilung 15 - Gesundheitswesen des Magistrats der Stadt Wien an, was zur Erlassung des Bescheides der Behörde erster Instanz führte.

Im Berufungsverfahren legte der Beschwerdeführer eine ärztliche Bestätigung des stellvertretenden ärztlichen Leiters der "Barlow Sanatorium Assoziation" vom 31. Mai 1957 - in englischer Sprache - vor, das - ins Deutsche übersetzt - folgenden Wortlaut hat:

"Herr F wurde am 23. Oktober 1956 in das Barlow-Sanatorium aufgenommen. Zum Aufnahmezeitpunkt waren auf Röntgenbildern des Brustraumes verkalkte Läsionen in der rechten Lungenspitze zu erkennen, sowie im vorderen Teil der ersten rechten Rippe ein Schatten. Das Sputum zeigte in der Kultur und im Tierversuch einen positiven TBC-Bazillenbefund. Auf Grund dieser Ergebnisse wurde die Diagnose einer minimalen aktiven Lungentuberkulose erstellt.

Seiner Krankengeschichte zufolge hatte Herr F 1940 eine Brustfellentzündung mit Pleuraerguss (Pleuritis exsudativa). Doch wurde damals anscheinend keine definitive Tuberkulosediagnose gestellt. 1949 und 1952 litt er an akuten Atemwegserkrankungen, die als Lungenentzündung diagnostiziert wurden.

Wir nehmen an, dass er irgendwann vor seiner Aufnahme in das Barlow-Sanatorium eine Tuberkuloseinfektion in der rechten Lungenspitze hatte, die vor seiner Aufnahme bei uns wieder aktiv wurde."

Auch präzisierte der Beschwerdeführer in einem an die belangte Behörde gerichteten Schreiben vom 6. September 1998 sein Vorbringen dahingehend, dass er nach seiner Ankunft in Basel etwa am 21. Dezember 1938 in das "Childrens Hospital in Basel" gebracht worden sei, wo seine Erkrankung an Tuberkulose diagnostiziert worden sei. Er erinnere sich, dass jeder um ihn herum eine Maske getragen habe, dass er die ganze Zeit habe husten müssen und täglich auf einen Balkon gestoßen worden sei, für frische Luft und um an die Sonne zu kommen. Er erinnere sich nicht, wie lange er in diesem Spital geblieben sei, ihm wäre erklärt worden, dass es sich um mehrere Monate gehandelt habe. Sodann sei er in das "TB-Sanatorium Langenbruck-Dürstel" gebracht worden, wo er etwa ein bis eineinhalb Jahre geblieben sei. Er glaube nicht, dass ein Kind für eine derart lange Zeit ohne eine schwere Erkrankung, in seinem Fall Tuberkulose, in ein Krankenhaus gesteckt werde. Wegen seiner Tuberkuloseerkrankung habe sich sein Schuleintritt auch um ein Jahr verzögert und habe nicht Spielen und am Turnunterricht teilnehmen können. Die Behörde möge vom angeführten Kinderspital in Basel und dem angeführten Sanatorium entsprechende Aufzeichnungen anfordern. 1948 sei seiner Mutter die Immigration in die USA bewilligt worden, dem Beschwerdeführer selbst sei jedoch die Einwanderung wegen seiner in der Kindheit erlittenen Tuberkulose bis zum Jahr 1952 verweigert worden. In den USA sei er bei der Musterung für den Militärdienst wegen seiner Kindheits-Tuberkulose als untauglich erklärt worden. 1956 bis 1957 sei er neuerlich an Tuberkulose erkrankt. Beim Schreiben des Barlow-Sanatoriums handle es sich um eine Bestätigung im Verfahren zur Erlangung der Staatsbürgerschaft der USA.

Die belangte Behörde hat sich mit dem vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren erstatteten Vorbringen nicht auseinander gesetzt, sie stellt bloß lapidar fest, für das Datum der Erstmanifestation der Lungenerkrankung hätten sich darin keine Anhaltspunkte ergeben. Aus der Bestätigung des Barlow-Sanatoriums vom 31. Mai 1957 ist aber die Einschätzung abzuleiten, dass der Beschwerdeführer zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit im Jahre 1940 an Tuberkulose erkrankt sei, dies jedoch nur nicht ausdrücklich als Tuberkulose diagnostiziert worden sei, da in dieser Bestätigung einerseits festgehalten ist, dass die Atemwegserkrankungen des Beschwerdeführers in den Jahren 1949 und 1952 bloß als Lungenentzündung diagnostiziert worden seien, anderseits aber feststehe, dass der Beschwerdeführer vor 1957 an TBC erkrankt sei. Weiters hat die belangte Behörde das konkretisierte Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend seine Behandlung als tuberkulosekrankes Kind in der Schweiz und sein an die belangte Behörde gerichtetes Begehren um Beischaffung der Krankengeschichte vollkommen unberücksichtigt gelassen, obwohl der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren dargelegt hat, aus welchen Gründen er Unterlagen über seine Erkrankung in den Jahren 1939/40 nicht besitze. Im Sinne der obzitierten Rechtsprechung zu § 3 Abs. 1 OFG hat der Beschwerdeführer die in seiner Sphäre befindlichen Beweismittel vorgelegt und konkrete Beweisanträge zum Nachweis seines Vorbringens gestellt, denen die belangte Behörde hätte nachkommen müssen. Es ist daher als eine Verletzung von Verfahrensvorschriften zu werten, wenn sich die belangte Behörde mit ihrer Einschätzung der Lungentuberkulose des Beschwerdeführers auf ihre "freie Beweiswürdigung" beruft, ohne das vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren erstattete zusätzliche Vorbringen zu würdigen und ohne seinen Beweisantrag zu erwähnen (vgl. die von Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, 2. Auflage 1998, zu § 45 AVG insbesondere auf den Seiten 679 ff dargestellte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens beruht darauf, dass der Beschwerdeführer infolge Gewährung von Verfahrenshilfe durch den Verfassungsgerichtshof - was gemäß § 61 Abs. 4 VwGG auch für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gilt - von der Entrichtung der Gebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG befreit war.

Wien, am 19. Dezember 2000

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1999090255.X00

Im RIS seit

09.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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