TE OGH 2009/11/12 2Ob176/09k

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Veröffentlicht am 12.11.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Friedrich R*****, vertreten durch Dr. Karl-Heinz Plankel und andere Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Frank Riel und Dr. Wolfgang Grohmann, Rechtsanwälte in Krems an der Donau, wegen Rente (Streitinteresse: 22.500 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2009, GZ 11 R 95/09k-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau vom 8. März 2009, GZ 3 Cg 108/08g-10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der 1966 geborene Kläger wurde am 28. 8. 2003 als Lenker eines Motorrads bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Er erlitt (ua) am linken Fuß mehrere Knochenbrüche, Schürfwunden und Quetschungen. Das Endglied der dritten Zehe musste amputiert werden. Das Alleinverschulden an dem Unfall traf die Lenkerin eines bei der beklagten Partei haftpflichtversicherten PKWs. Die beklagte Partei anerkannte gegenüber dem Kläger ihre Haftung für die unfallskausalen Spät- und Dauerfolgen.

Der Kläger war vor dem Unfall als selbständiger Vermögensberater tätig und ist dies auch weiterhin. Er vermittelt Versicherungs- und Veranlagungsprodukte gegen Provision. Im Zeitraum September bis einschließlich Dezember 2003 erlitt er einen konkreten Verdienstentgang von 28.552 EUR, den die beklagte Partei durch Zahlung von 30.000 EUR abgegolten hat.

Mit der am 26. 9. 2008 beim Erstgericht eingebrachten Klage begehrte der Kläger die Leistung einer abstrakten Rente von monatlich 625 EUR ab Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz. Er brachte vor, seine Arbeitskraft sei aufgrund der Unfallfolgen früher erschöpft. Er müsse sich seit dem Unfall mehr anstrengen, habe Schmerzen und sei in seiner Mobilität eingeschränkt. Es sei wahrscheinlich, dass er seine Tätigkeit als Vermögensberater auf längere Sicht wegen der unfallbedingten Verminderung der Erwerbsfähigkeit nicht mehr ausüben werde können; eine Einkommensminderung sei zu erwarten. Eine unzulässige Kumulierung konkreten Verdienstentgangs mit einer abstrakten Rente liege nicht vor.

Die beklagte Partei wandte ein, der Kläger habe bereits einen tatsächlichen Verdienstentgang erlitten, weshalb eine abstrakte Rente nicht zugesprochen werden könne. Der Kläger müsse aufgrund der Verletzungsfolgen auch keine relevanten Mehranstrengungen erbringen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Es vertrat die Ansicht, der Zuspruch einer abstrakten Rente komme schon deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger selbständiger Unternehmensberater sei. Sein Arbeitsplatz könne daher nicht gefährdet sein, weshalb es einer abstrakten Rente an der Sicherungsfunktion fehlen würde. Außerdem habe er nicht die Wahl, entweder einen konkreten Verdienstentgang oder die abstrakte Rente zu begehren. Er könne nur den konkreten Verdienstentgang geltend machen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Es stützte sich wie schon das Erstgericht auf die Rechtsprechung, wonach eine abstrakte Rente nicht zugesprochen werden könne, wenn bereits ein konkreter Verdienstentgang eingetreten sei. Abstrakte und konkrete Berechnung dürften nicht verquickt werden. Im vorliegenden Fall habe der Kläger bereits einen konkreten Verdienstentgang erlitten, den die beklagte Partei durch ihre Zahlung abgedeckt habe. Damit sei es dem Kläger verwehrt, später eine abstrakte Rente zu fordern. Sollte der Kläger einen weiteren Verdienstentgang erleiden, wäre sein Ersatzanspruch durch das mit der Wirkung eines Feststellungsurteils abgegebene konstitutive Anerkenntnis der beklagten Partei abgesichert.

Gegen das Berufungsurteil richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Sie ist auch im Sinne des Eventualantrags berechtigt.

Der Kläger macht geltend, dass die von den Vorinstanzen zitierte Rechtsprechung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden sei. Der von ihnen herangezogene Rechtssatz erfasse lediglich solche Fälle, bei denen sich die Frage stelle, ob gerade für diesen Zeitraum, für den ein bereits eingetretener konkreter Verdienstentgang gefordert werden könne, auch eine abstrakte Rente zugesprochen werden dürfe.

Hiezu wurde erwogen:

1. Wie der erkennende Senat mehrfach und zuletzt in der Entscheidung 2 Ob 234/08p (mwN) festgehalten hat, kann dem Verletzten in Ausnahmefällen eine abstrakte Rente gebühren, wenn zunächst kein konkreter Verdienstentgang eingetreten, ein künftiger Entgang aber wegen des erlittenen Dauerschadens wahrscheinlich ist. Besteht ein Anspruch auf Ersatz des konkreten Verdienstentgangs, kann der Verletzte nur diesen fordern. Eine abstrakte Rente ist in diesem Fall nicht zuzusprechen, weil abstrakte und konkrete Berechnung nicht verquickt werden dürfen; ein Wahlrecht des Geschädigten besteht nicht (vgl auch RIS-Justiz RS0030747; RS0030692; Reischauer in Rummel, ABGB3 II/2b § 1325 Rz 33).

In diesem Zusammenhang hat der Oberste Gerichtshof schon präzisierend ausgesprochen, es sei Voraussetzung für die Zuerkennung einer abstrakten Rente, dass der Kläger im maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz keinen konkreten Verdienstentgang erleide. Habe er infolge des Unfalls einen konkreten Verdienstentgang, so könne er eine abstrakte Rente nicht mit Erfolg verlangen (ZVR 1985/11 mwN; vgl auch ZVR 1971/229; ZVR 1975/167; 1 Ob 575/87).

Daraus folgt, dass auf den Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung abgestellt werden muss: Erleidet der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt (vgl auch RIS-Justiz RS0030734: „derzeit") keinen konkreten Verdienstentgang, ist bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Zuerkennung einer abstrakten Rente möglich. Bei dieser Sachlage besteht keine Gefahr der Verquickung beider Berechnungsarten oder eine Wahlmöglichkeit des Geschädigten. Damit korrespondiert auch jene Judikatur, nach der eine abstrakte Rente erst ab Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz, nicht aber für die Vergangenheit zugesprochen werden kann (RIS-Justiz RS0030857, RS0030734).

2. Hingegen hindert im Gegensatz zur Rechtsansicht der Vorinstanzen der Umstand, dass der Kläger (wohl infolge der Heilbehandlung) einen auf den Zeitraum vom 1. 9. bis 31. 12. 2003 begrenzten konkreten Verdienstentgang erlitten hat, nicht den Zuspruch einer abstrakten Rente, sofern er nur im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz keinen tatsächlichen Verdienstentgang hat (so im Ergebnis bereits ZVR 1975/167). Nach dem Vorbringen des Klägers scheint letzteres derzeit zuzutreffen; die bisherigen Feststellungen geben darüber aber - ebenso wie zu den weiteren Voraussetzungen für die Zuerkennung einer abstrakten Rente (Ausgleichs- und Sicherungsfunktion) - noch keinen ausreichenden Aufschluss.

3. Dies führt zur Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren die fehlenden Feststellungen nachzuholen und danach erneut zu beurteilen haben, ob die Voraussetzungen für die Zuerkennung einer abstrakten Rente vorliegen. Dabei wird es zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch ein selbständig Erwerbstätiger Anspruch auf eine abstrakte Rente haben kann (2 Ob 177/99i mwN). Schließlich stellt auch das Haftungsanerkenntnis der beklagten Partei kein Hindernis für den Zuspruch einer abstrakten Rente dar (vgl RIS-Justiz RS0030920).

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E92518

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:0020OB00176.09K.1112.000

Im RIS seit

12.12.2009

Zuletzt aktualisiert am

10.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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