Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Emese M*****, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei DI Volker M*****, vertreten durch Sattleger, Dorninger, Steiner und Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen Unterhalt, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 26. Februar 2009, GZ 43 R 822/08p-50, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Donaustadt vom 26. September 2008, GZ 1 C 11/07s-45, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Prozessgericht erster Instanz zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Streitteile, die eine am 19. 11. 2002 geborene mj Tochter haben, sind aufrecht verheiratet. Das Scheidungsverfahren ist anhängig. Der Beklagte verließ am 22. 8. 2004 die eheliche Wohnung und kehrte in diese nicht mehr zurück. Die Klägerin bewohnt mit der Tochter die Ehewohnung.
Der Beklagte bezog im Jahr 2005 ein unterhaltsrelevantes Einkommen von monatlich durchschnittlich 3.655,87 EUR, dies unter Berücksichtigung der Hälfte der Reisekostenvergütung und Diäten sowie des Sachbezugs für Pkw/Garage. Im Jahr 2006 bis einschließlich Jänner 2007 betrug das Einkommen des Beklagten durchschnittlich 4.235 EUR netto.
Die Klägerin verfügte im Jahr 2005 über ein Eigeneinkommen von monatlich durchschnittlich (gerundet) 637 EUR im Jahr 2006 einschließlich Jänner 2007 von 696 EUR (Karenzgeld bzw Arbeitslosengeld).
Der Beklagte bezahlte auch nach seinem Auszug aus der ehelichen Wohnung das Nutzungsentgelt sowie die Betriebskosten. Das Nutzungsentgelt betrug im Jahr 2005 665,70 EUR monatlich, im Jahr 2006 671,10 EUR monatlich. Lediglich im Juni 2006 ist keine Zahlung des Nutzungsentgelts festgestellt. Im Juli 2006 bezahlte der Beklagte Nutzungsentgelt von 656,38 EUR. Im Jänner 2007 betrug das Nutzungsentgelt 687,72 EUR. Überdies bezahlte der Beklagte im Zeitraum Jänner 2005 bis (einschließlich) Jänner 2007 die Kreditrate für den zur Finanzierung der ehelichen Wohnung gemeinsam aufgenommenen Kredit in Höhe von 315 EUR (angenommen Juli 2005) monatlich jeweils zur Gänze. Im Jahr 2005 zahlte der Beklagte an Versicherungsprämien für die Ehewohnung außerdem 668,86 EUR sowie an Gebühren für UPS Telekabel 775,54 EUR. Im Jahr 2006 einschließlich Jänner 2007 bezahlte der Beklagte für Versicherung 757,56 EUR, für Fernwärme bzw Heizung 1.062 EUR und für Strom 513,04 EUR, dies jeweils für die eheliche Wohnung.
Die Klägerin begehrte mit ihrer am 18. 1. 2007 beim Erstgericht eingelangten Klage für Jänner bis April 2005 monatlich 465 EUR, für Mai 2005 561 EUR, sowie ab Juli 2005 bis zum Klagstag 310 EUR monatlich, insgesamt daher 8.311 EUR an rückständigem Unterhalt sowie laufendem Unterhalt von 310 EUR, jeweils zuzüglich (gestaffelter) Zinsen. Der Beklagte sei seiner Unterhaltsverpflichtung gegenüber der Klägerin unzureichend nachgekommen. Unter Anrechnung des jeweiligen Eigeneinkommens und der Hälfte der vom Beklagten für die Ehewohnung weiter bezahlten Betriebskosten errechne sich der begehrte Unterhaltsbetrag. Die Klägerin brachte weiters vor, dass sie aus Krankheitsgründen nicht arbeiten könne. Die Klage auf Gewährung der Invaliditätspension sei anhängig; sie beziehe Pensionsvorschuss. Der Beklagte bestritt, beantragte kostenpflichtige Klageabweisung und wendet im Wesentlichen ein, dass er seiner Unterhaltsverpflichtung stets nachgekommen sei. Überdies habe er mit der Klägerin vereinbart, dass er dieser keinen Geldunterhalt zu zahlen habe, wenn er weiterhin die Kreditraten für das Haus sowie die Betriebskosten begleiche. Die Klägerin sei vor der Geburt der gemeinsamen Tochter berufstätig gewesen. Sie gehe vereinbarungswidrig und schuldhaft keiner Erwerbstätigkeit nach, sodass im Rahmen der Anspannung zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin ein entsprechendes Einkommen lukrieren könne, das einem angemessenen Lebensunterhalt entspreche. Das Klagebegehren sei schon aus diesem Grund abzuweisen. Das Erstgericht wies - ohne auf den Anspannungseinwand des Beklagten einzugehen - das Begehren auf rückständigen Unterhalt einschließlich des gestaffelten Zinsenbegehrens ab und verurteilte die Klägerin zum Kostenersatz. Über das Begehren auf laufenden Unterhalt sprach es weder spruchmäßig noch in seinen Entscheidungsgründen ab. Unter Zugrundelegung detaillierter Feststellungen über die monatlichen Einkünfte des Beklagten und der Klägerin sowie der vom Beklagten im Zusammenhang mit der ehelichen Wohnung erbrachten Zahlungen ging das Erstgericht rechtlich davon aus, dass der Beklagte seine Unterhaltspflicht in Form von Naturalunterhalt ausreichend erfüllt habe. Eine Unterhaltsverletzung sei im gesamten klagsgegenständlichen Zeitraum nicht vorgelegen.
Das Berufungsgericht änderte über Berufung der Klägerin - wobei die Nichterledigung des Begehrens auf laufenden Unterhalt durch das Erstgericht von der Klägerin in der Berufung nicht gerügt wurde - das Ersturteil dahin ab, dass es den Beklagten schuldig erkannte, der Klägerin insgesamt 8.311 EUR an rückständigem Unterhalt samt (gestaffelter) Zinsen zu bezahlen und die Verfahrenskosten zu ersetzen.
Rechtlich folgerte das Berufungsgericht, dass der Beklagte den Beweis, dass die Reisekostenvergütung tatsächlich ausschließlich Aufwandersatz darstelle, nicht erbracht habe, weshalb die Reisegebühren zur Hälfte in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzuberechnen seien. Unter Berücksichtigung des Einkommens des Beklagten von durchschnittlich monatlich 3.655,87 EUR, des Einkommens der Klägerin von ca 637 EUR und einer weiteren Sorgepflicht des Beklagten für die mj Tochter errechne sich für 2005 ein monatlicher Unterhaltsanspruch der Klägerin von (gerundet) 910 EUR (3.655,87 + 637 x 36 % - 637). Für 2006 einschließlich Jänner 2007 errechne sich (ausgehend von einem durchschnittlichen Monatseinkommen des Beklagten von 4.235 EUR und eines solchen der Klägerin von 696 EUR) ein monatlicher Unterhaltsbetrag von 1.080 EUR. Die vom Beklagten für die Ehewohnung bezahlten verbrauchsabhängigen Ausgaben seien zur Hälfte auf den Unterhalt der Klägerin anzurechnen, die Nutzungsentgelte und Kreditraten zu einem Drittel, weil sie auch dem Vermögenszuwachs des Beklagten dienen. Daraus ergäben sich das Klagebegehren erreichende Beträge. Das Berufungsgericht ließ über Antrag des Beklagten gemäß § 508 Abs 1 ZPO die Revision mit der Begründung zu, dass es die Anspannungsvoraussetzungen nicht geprüft habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen „unrichtiger rechtlicher Beurteilung" mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und an das Erstgericht zurückzuverweisen, hilfsweise das Ersturteil wiederherzustellen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und im Sinn des primär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Vorerst ist klarzustellen, dass Gegenstand der Entscheidung des Berufungsgerichts mangels Bekämpfung der Nichterledigung des Begehrens auf laufenden Unterhalt nur (mehr) das Begehren auf rückständigen Unterhalt war. Es genügt nicht, dass der Antrag des aus anderen Gründen erhobenen Rechtsmittels allgemein auf vollinhaltliche Anspruchsstattgebung gerichtet ist (RIS-Justiz RS0041503). Wurde gegen die Nichterledigungen eines Sachantrags - wie hier - weder durch Ergänzungsantrag nach § 423 ZPO noch durch Berufung nach § 496 Abs 1 Z 1 ZPO Abhilfe gesucht, scheidet dieser Anspruch aus dem Verfahren aus (RIS-Justiz RS0041490; SZ 28/4; Pimmer in Fasching/Konecny ZPO2 § 496 Rz 22). Das Berufungsgericht hat daher folgerichtig - wenngleich ohne dies in seiner Begründung darzulegen - nur über den Anspruch auf rückständigen Unterhalt entschieden. Zu Recht rügt der Rechtsmittelwerber, dass er bereits in erster Instanz ein Vorbringen erstattet habe, dass die Klägerin anzuspannen sei und er dazu Beweisanbote gestellt habe. Ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht hat das Erstgericht die zum Beweis dieses Vorbringens beantragten Beweismittel nicht aufgenommen. Gemäß § 468 Abs 2 ZPO ist der Berufungsgegner (vorbehaltlich des hier nicht relevanten § 473a) nicht gehalten, für ihn nachteilige Feststellungen oder zu seinen Lasten vorgefallene Verfahrensfehler mit der Berufungsbeantwortung zu rügen. Das Berufungsgericht muss sich grundsätzlich, wenn es zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung gelangt, mit allen Beweisanträgen der früher siegreichen Partei auseinandersetzen (RIS-Justiz RS0042740 [T2]). Da das Berufungsgericht dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, liegt eine mangelhafte Feststellungsgrundlage vor, weil Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und Umstände betreffen, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RIS-Justiz RS0053317). Liegen auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhende Feststellungsmängel vor, dann hat der Oberste Gerichtshof zu Folge erhobener Rechtsrüge die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zurückzuverweisen (RIS-Justiz RS0042435). Soweit der Rechtsmittelwerber auch einen Verstoß gegen § 405 ZPO releviert ist ihm aber Folgendes entgegenzuhalten:
Nach ständiger Rechtsprechung stellt ein Verstoß gegen § 405 ZPO keine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache und keine Nichtigkeit dar (RIS-Justiz RS0041089) und kann vom Rechtsmittelgericht nur aufgrund einer Mängelrüge beachtet werden (RIS-Justiz RS0041240). Der nunmehrige Rechtsmittelwerber hat als in erster Instanz obsiegende Partei den behaupteten Verstoß gegen § 405 ZPO ausdrücklich bereits in seiner Berufungsbeantwortung - erfolglos - gerügt. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen der geltend gemachten Mangelhaftigkeit verneint (S 3 der Urteilsausfertigung). Ein Verfahrensmangel, der dem Erstgericht unterlaufen sein soll, dessen Vorliegen aber bereits das Berufungsgericht verneinte, kann in dritter Instanz mit Aussicht auf Erfolg nicht mehr ins Treffen geführt werden (Zechner in Fasching/Konecny2 § 503 ZPO Rz 34 mwN). Auch die Rechtsrüge, die sich im Wesentlichen auf eine Wiederholung der in der Berufungsbeantwortung angeführten rechtlichen Argumente beschränkt, lässt nicht hinreichend erkennen, inwieweit die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts über die Anrechnung der vom Rechtsmittelwerber getragenen „Wohnungskosten" als Naturalunterhalt überhaupt bekämpft wird.
Soweit der Rechtsmittelwerber als sekundäre Mangelhaftigkeit rügt, dass es einer Feststellung bedurft hätte, ob und wieviel der Beklagte als geldunterhaltspflichtiger Elternteil für das Kind Geldunterhalt leiste, weil sich für den Fall, dass er den vollen Unterhalt nach § 140 ABGB leiste eine Aufteilung der Naturalleistungen auf drei Köpfe verbiete, ist auf diese Argumentation nicht näher einzugehen. Der Rechtsmittelwerber behauptet nämlich (auch im Rechtsmittel), gar nicht vollen Geldunterhalt für das in der gemeinsamen Ehewohnung lebende unterhaltsberechtigte Kind zu leisten. Die Beantwortung bloß abstrakter Rechtsfragen ist aber nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs.
Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren zu prüfen haben, ob bzw in welchem Ausmaß sich die Klägerin ein nach den Gegebenheiten erzielbares Einkommen im Sinn des Vorbringens des Beklagten anrechnen lassen muss. Dabei wird zu berücksichtigen sein, dass die Behauptungs- und Beweislast eines zumutbarerweise erzielbaren (höheren) Einkommens die durch den Anspannungsgrundsatz begünstigte Partei, hier also den Beklagten trifft (1 Ob 56/01v; 7 Ob 321/01h).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E925069Ob71.09wEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0090OB00071.09W.1116.000Zuletzt aktualisiert am
21.01.2010