TE OGH 2009/11/16 9ObA15/09k

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Veröffentlicht am 16.11.2009
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Paul Kunsky und AR Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei F***** R*****, vertreten durch Dr. Susanne Kuen, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei O***** GmbH, ***** vertreten durch die Fellner Wratzfeld & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 62.979,05 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 4. November 2008, GZ 11 Ra 76/08p-31, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Juli 2008, GZ 11 Cga 84/07y-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Die Revisionsbeantwortung der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

2. Die Revision der klagenden Partei wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

ad 1. Die Revision des Klägers wurde der Beklagtenvertreterin am 23. 12. 2008 zugestellt. Gemäß § 39 Abs 4 ASGG sind die Bestimmungen über die verhandlungsfreie Zeit (§§ 222 bis 225 ZPO) im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren nicht anzuwenden. Damit endete die vierwöchige Revisionsbeantwortungsfrist (§ 507a Abs 1 ZPO), deren Lauf nach § 507a Abs 2 Z 1 ZPO zu berechnen ist, am 20. 1. 2009. Die erst am 2. 2. 2009 bei Gericht eingebrachte Revisionsbeantwortung der Beklagten ist daher verspätet und deshalb zurückzuweisen.

ad 2. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO mit der Begründung zu, dass zur Frage, ob die wissentliche Verpachtung eines defizitären Unternehmens gegen § 879 ABGB verstoße und daher den gesamten Vertrag nichtig mache, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege. Der Revisionswerber schloss sich dieser Begründung der Zulässigkeit der Revision an, stützte aber die Zulässigkeit ergänzend auch noch darauf, dass eine grobe Äquivalenzstörung im Sinn des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB vorgelegen sei, die den Kläger in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht und ausgebeutet habe. Darüber hinaus stelle sich hier die erhebliche Rechtsfrage, unter welcher Voraussetzung sich der Tankstellenbetreiber auf die Kartellrechtswidrigkeit des Handelsvertretervertrags berufen könne. Aus der Verletzung des Art 81 EG folge die weitere Frage, ob die kartellrechtswidrige Festpreisbindung bei Berücksichtigung aller vertraglichen Verpflichtungen sowie des Verhaltes der Parteien zur Nichtigkeit des gesamten Vertrags oder nur zur Nichtigkeit der Festpreisbindungsklausel führe.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Maßgeblich ist dabei aber nicht, ob bei allseitiger rechtlicher Prüfung allenfalls eine derartige erhebliche Rechtsfrage gefunden werden könnte. Vielmehr ist die Rechtsmittelzulässigkeit nur dann gegeben, wenn in der Revision zumindest eine erhebliche Rechtsfrage, von deren Lösung die Sachentscheidung „abhängt", die also in diesem Sinn „präjudiziell" ist, nachvollziehbar aufgezeigt wird (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 ZPO Rz 10, 60 mwN; 9 ObA 13/08i9 ObA 125/08k ua). Dies ist hier nicht der Fall. Eine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO, der über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung zukäme, muss fallbezogen nicht gelöst werden. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Der Kläger betrieb ab dem 15. 9. 2005 aufgrund eines Tankstellenunternehmensvertrags eine in L***** gelegene Tankstelle. Mit Schreiben vom 20. 4. 2007 löste er den Vertrag fristlos auf, erklärte sich jedoch bereit, die Tankstelle bis 30. 4. 2007 provisorisch weiter zu betreiben. Die Beklagte, die auf dem Standpunkt stand, dass die sofortige Vertragsauflösung des Klägers unzulässig gewesen sei, löste den Vertrag ihrerseits mit Schreiben vom 2. 5. 2007 mit sofortiger Wirkung auf. Dem Prozessstandpunkt des Klägers haftet im Revisionsverfahren das Problem an, dass er sein Klagebegehren auf einen Sachverhalt stützte, der sich nicht objektivieren ließ. So trifft es nach den bindenden Feststellungen des Erstgerichts nicht zu, dass der Kläger von der Beklagten - wie in der Klage behauptet - hinsichtlich der Rentabilität der gegenständlichen Tankstelle in Irrtum geführt wurde. Seinem darauf gestützten Klagebegehren, mit dem er zunächst die Hälfte des Schadens von 40.000 EUR geltend machte, fehlt damit die Grundlage. Es trifft nach den Verfahrensergebnissen auch nicht zu, dass dem Kläger von der Beklagten ein höherer Provisionssatz und ein jährlicher Unternehmensgewinn von 20.000 EUR zugesagt wurden. Das Verfahren ergab auch - ebenfalls entgegen den erstinstanzlichen Behauptungen des Klägers - keine Zusage der Gebietsvertreterin der Beklagten, dass dem Kläger die Kosten eines Tankwarts von rund 20.000 EUR ersetzt werden. Damit ist aber auch der weiteren Behauptung des Klägers, er hätte seine frühere Tätigkeit auf der Basis eines monatlichen Gehalts von rund 1.800 EUR (oder mehr) fortgeführt, wenn er nicht von der Beklagten über die Ertragsfähigkeit der Tankstelle in Irrtum geführt worden wäre, die Grundlage entzogen.

Richtig ist, dass der Kläger in erster Instanz auch vorbrachte, dass der Vertrag gemäß § 879 Abs 1 ABGB nichtig sei. Dies leitete er daraus ab, dass ihm die Beklagte wissentlich ein Unternehmen verpachtet habe, das nicht gewinnbringend geführt werden könne. In der Revision räumt nun auch der Kläger - den erstgerichtlichen Feststellungen folgend - ein, dass er bei Vertragsabschluss bewusst die Risiken einschließlich der Unrentabilität der Handelsvertretung als Tankstellenbetreiber in Kauf genommen habe; dennoch sei der Vertrag aber sittenwidrig. Die diesbezüglichen Feststellungen des Erstgerichts gehen jedoch noch weiter. Danach nahm der Kläger nicht nur die in der Revision eingeräumten Risiken in Kauf. Vielmehr wusste er aufgrund seiner Erfahrung mit der Führung einer Tankstelle, dass die gepachtete Tankstelle unter den üblichen Konditionen nicht gewinnbringend zu führen sein werde. Die genauen Beweggründe des Klägers, mit diesem Wissen dennoch einen Tankstellenvertrag abzuschließen, stehen zwar nicht im Detail fest. Die Feststellung des Erstgerichts, dass der Kläger die gepachtete Tankstelle nur vorübergehend in einer Art und Weise geführt hat, wie dies den Vorstellungen der Beklagten entsprach (zB beschwerten sich viele Kunden darüber, dass sie an der Bedienungstankstelle des Klägers nicht bedient wurden), gibt jedoch Aufschlüsse über die Erwägungen des Klägers. Die von seiner Ehegattin als Zeugin im Prozess bestätigte Strategie, es zu „riskieren und mit dieser Tankstelle zu versuchen", ging offenbar nicht auf.

Die Beurteilung der Sittenwidrigkeit nach § 879 Abs 1 ABGB hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher im Regelfall - solange das Berufungsgericht bei seiner Beurteilung die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens nicht überschreitet - keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (vgl 9 ObA 89/01f; 5 Ob 149/08k ua). Das Berufungsgericht verneinte die Sittenwidrigkeit des über Initiative des Klägers abgeschlossenen Tankstellenvertrags. Dabei berücksichtigte es das Wissen des Klägers, dass die gepachtete Tankstelle unter den üblichen Konditionen nicht gewinnbringend zu führen sein werde, und nahm auch Bedacht auf die einschlägige Erfahrung des Klägers sowohl aufgrund des früheren Betriebs einer anderen Tankstelle, als auch aufgrund seiner aushilfsweisen Mitwirkung an der interimistischen Führung der gegenständlichen Tankstelle unmittelbar vor Abschluss des Vertrags. Die Verneinung der Sittenwidrigkeit gemäß § 879 Abs 1 ABGB durch das Berufungsgericht erscheint auf dieser Grundlage und nach der Lage des Falls ebenso vertretbar wie die Verneinung eines Informationsverstoßes der Beklagten (§ 6 HVertrG 1993). Die Kasuistik des Einzelfalls schließt eine beispielgebende Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für andere Fälle aus (vgl RIS-Justiz RS0042405 ua).

Darauf, dass beim Vertragsabschluss besondere Umstände wie Leichtsinn, Zwangslage, Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eine Rolle gespielt haben, hat sich der Kläger in erster Instanz nicht berufen. Soweit er nun versucht, in der Revision den Tatbestand des Wuchers gemäß § 879 Abs 2 Z 4 ABGB geltend zu machen, verstößt er gegen das im Revisionsverfahren geltende Neuerungsverbot (§ 502 Abs 2 ZPO). Hierauf ist daher nicht weiter einzugehen. Richtig ist aber, dass unter Umständen die Generalklausel des § 879 Abs 1 ABGB herangezogen werden kann, obwohl nicht alle Tatbestandsmerkmale des Wuchers vorliegen, nämlich dann, wenn ein den individuellen Fall prägendes, besonderes zusätzliches Element der Sittenwidrigkeit dazukommt (RIS-Justiz RS0016476 ua). Dies ist hier aber nicht der Fall. Im vorliegenden Fall hat keine Willensbildungsstörung des Klägers zum Vertragsabschluss geführt.

Auf die in erster Instanz erfolgte hilfsweise Geltendmachung eines Ausgleichsanspruchs nach § 24 HVertrG 1993 (siehe insoweit 9 ObA 18/09a), dessen Berechtigung von den Vorinstanzen verneint wurde, geht die Revision nicht mehr ein. Der Revisionswerber zeigt auch im Zusammenhang mit der von ihm behaupteten Kartellrechtswidrigkeit keine erhebliche Rechtsfrage auf. Zutreffend wies das Berufungsgericht darauf hin, dass der Kläger in erster Instanz keinen aus der Preisbindung oder der Alleinvertriebsvereinbarung resultierenden Schaden geltend gemacht hat. Es genügt nicht, sich nebenbei auch auf Art 81 EG zu berufen, ohne allfälligen Kartellrechtsverletzungen einen nachvollziehbaren Schaden zuzuordnen. Der bloße Verweis auf ein Gutachten über einen „Arbeitsaufwand" und „Geschäftsverluste" kann ein substantiiertes Vorbringen nicht ersetzen. Konkret machte der Kläger in erster Instanz nur geltend, dass er zufolge unterlassener Aufklärung über die mangelnde Ertragsfähigkeit seine frühere Beschäftigung aufgegeben und zufolge nicht eingehaltener Zusagen über bestimmte Gewinne und bestimmte Zuschüsse einen Verlust erwirtschaftet habe. Beides scheitert aber schon, wie erwähnt, an der mangelnden Objektivierbarkeit des vom Kläger behaupteten Sachverhalts und hat mit dem Kartellrecht nichts zu tun. Offenbar in der Revision erkennend, dass mit der (angeblichen) Nichtigkeit des gesamten Vertrags sowohl der Vertrag als auch darauf beruhende Ansprüche wegfallen, versucht der Revisionswerber seine in erster Instanz - ohne Bezugnahme auf die laut seinem eigenen Vorbringen bereits empfangenen Provisionen von rund 43.600 EUR pro Jahr - angestellte Überlegung, er habe gegen die Beklagte bei Nichtigkeit einen Anspruch auf „Abgeltung der geleisteten Arbeit" von insgesamt 48.804,23 EUR für die Jahre 2005 - 2007 in einen Anspruch auf „entgangenen Gewinn" zu transformieren. Auf einen derartigen Anspruch hat er sich jedoch in erster Instanz nicht gestützt. Es musste daher nicht untersucht werden, ob die vereinbarte Preisbindung oder Alleinvertriebsvereinbarung gegen Art 81 EG verstößt. Die Überlegungen in der Revision zur Kartellrechtswidrigkeit sind nämlich - unter Berücksichtigung des Klagebegehrens und des in erster Instanz erstatteten Vorbringens - nur von theoretischer Natur. Damit kann aber keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO begründet werden (RIS-Justiz RS0111271 ua).

Zusammenfassend ist daher die Revision des Klägers, ungeachtet ihrer Zulassung durch das Berufungsgericht zur Frage der Nichtigkeit nach § 879 ABGB, zurückzuweisen.

Textnummer

E92508

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2009:009OBA00015.09K.1116.000

Im RIS seit

16.12.2009

Zuletzt aktualisiert am

10.06.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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