Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 17. November 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger in Gegenwart der Rechtspraktikantin Dr. Walcher als Schriftführerin in der Strafsache gegen Markus B***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des schweren, gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 2, 130 vierter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 12 Hv 119/09s des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerden der Angeklagten Francis C***** und Calin G***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 17. September 2009, AZ 11 Bs 395/09k, 401/09t (ON 64), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten Calin G***** wird zurückgewiesen.
Francis C***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.
Die Grundrechtsbeschwerde dieses Angeklagten wird abgewiesen.
Text
Gründe:
Das Landesgericht für Strafsachen Graz verhängte mit Beschluss vom 1. August 2009 über Francis C***** und Calin G***** die Untersuchungshaft aus den Gründen des § 173 Abs 2 Z 1, 2, 3 lit a und b StPO (ON 13).
Mit (nicht rechtskräftigem) Urteil dieses Gerichts vom 9. September 2009 (ON 47a) wurden Francis C***** und Calin G***** jeweils des Verbrechens des schweren, gewerbsmäßig durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 12 dritter Fall, 127, 128 Abs 1 Z 4, 129 Z 2, 130 vierter Fall und 15 StGB schuldig erkannt. Danach haben sie am 30. Juli 2009 in Graz gewerbsmäßig mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz durch Chauffieren zu den Tatorten und durch psychische Unterstützung dazu beigetragen, dass Markus B***** und Alexandru Ga***** jeweils durch Einbruch dem Hans S***** Schmuck in einem 3.000 Euro übersteigenden Gesamtwert wegzunehmen versuchten und Verantwortlichen des M***** rund 140 Euro Bargeld wegnahmen. Das Schöffengericht verhängte hiefür sowohl über Francis C***** als auch über Calin G***** eine Freiheitsstrafe von einem Jahr, von der es jeweils einen neunmonatigen Strafteil bedingt nachsah. Nach der Urteilsverkündung gab das Erstgericht Enthaftungsanträgen der Angeklagten C***** und G***** nicht statt, setzte die Untersuchungshaft beider aus dem Grund der Fluchtgefahr (§ 173 Abs 2 Z 1 StPO) fort und bestimmte die für deren Freilassung zu leistende Kaution (§ 180 Abs 1 StPO) hinsichtlich Francis C***** mit 5.000 Euro und bezüglich Calin G***** mit 10.000 Euro (ON 45 S 33 f; ON 46, 47). Da Letzterer den festgesetzten Betrag in der Folge erlegte, wurde er am 10. September 2009 aus der Untersuchungshaft entlassen (ON 49, 52).
Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Graz den Beschwerden der Angeklagten Francis C***** und Calin G***** gegen die Haftbeschlüsse des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 9. September 2009 nicht Folge und sprach aus, dass aus dem Grund der Fluchtgefahr die Untersuchungshaft des Francis C***** fortzusetzen, jedoch gegen eine Kaution von 5.000 Euro aufzuheben ist und die Fortsetzung der Untersuchungshaft des Calin G***** gegen Aufrechterhaltung der Hinterlegung der von diesem geleisteten Kaution (10.000 Euro) zu unterbleiben hat.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde des Calin G***** war als unzulässig zurückzuweisen, weil eine den Beschluss auf - sodann tatsächlich erfolgte - Enthaftung gegen Kaution bestätigende Beschwerdeentscheidung mangels funktioneller Grundrechtsrelevanz nicht in den Schutzbereich des GRBG fällt (RIS-Justiz RS0061044, RS0115525).
Demgegenüber ist die Grundrechtsbeschwerde des Francis C***** zulässig, aber nicht berechtigt:
Die Beschwerde, die inhaltlich ausschließlich die Fluchtgefahr bestreitet, stützt sich zunächst auf die Argumentation, nach der Entscheidung 11 Os 31/08f sei - angeblich auch hier gegebene - soziale Integration in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union im Zusammenhalt mit den Bestimmungen über den Europäischen Haftbefehl (II. Hauptstück des EU-JZG) geeignet, der Annahme des Haftgrundes des § 173 Abs 2 Z 1 StPO entgegenzustehen. Wie bereits das Oberlandesgericht zutreffend hervorhob, genügt insoweit der Hinweis, dass ein Europäischer Haftbefehl gemäß § 4 Abs 2 EU-JZG nur dann zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme erlassen werden kann, wenn noch mindestens vier Monate zu vollstrecken sind, wogegen der hier allenfalls zu vollziehende Strafrest im Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung (infolge Vorhaftanrechnung) - ausgehend von der im erstinstanzlichen (von der Staatsanwaltschaft nicht bekämpften) Urteil ausgemessenen Sanktion - nur rund eineinhalb Monate betrug.
Der Einwand, das Beschwerdegericht habe die durch § 54 EU-JZG iVm § 76 ARHG eröffnete Möglichkeit der Vollstreckung der allenfalls zu vollziehenden Freiheitsstrafe im Heimatstaat des Beschwerdeführers nicht bedacht, geht schon deswegen fehl, weil die genannten Bestimmungen die Übernahme der Vollstreckung keineswegs garantieren. Im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens überprüft der Oberste Gerichtshof die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahren darauf, ob sich jene angesichts der zu Grunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, also nicht oder nur offenbar unzureichend begründet darstellt (RIS-Justiz RS0117806). Dem hieraus resultierenden Begründungserfordernis wird die angefochtene Entscheidung - der Beschwerde zuwider - gerecht, indem sie die Fluchtgefahr aus der verschränkten Betrachtung der mangelnden Integration im Inland, der fehlenden Möglichkeit der Effektuierung einer allfälligen Freiheitsstrafe mittels Europäischen Haftbefehls sowie - auf der Basis der schöffengerichtlichen Entscheidung - der Professionalität des deliktischen Zusammenwirkens und der gewerbsmäßigen Tendenz ableitet (ES 9 f).
Die Grundrechtsbeschwerde des Francis C***** war daher ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen.
Anmerkung
E9281814Os137.09tEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0140OS00137.09T.1117.000Zuletzt aktualisiert am
27.01.2010