Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Kinder Pawel K*****, und Piotr K*****, infolge Revisionsrekurses der Kinder, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie (Bezirk 10), gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 25. August 2009, GZ 44 R 428/09f-27, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom 16. Juli 2009, GZ 2 PU 67/09w-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss unter Einschluss der bereits in Rechtskraft erwachsenen Teile insgesamt zu lauten hat:
„Der Vater Pawel K*****, ist schuldig, seinen beiden Kindern Pawel und Piotr ab 22. 4. 2009 einen vorläufigen Unterhaltsbeitrag in Höhe von monatlich 122,09 EUR je Kind zu Handen ihres Vertreters zu zahlen.
Die bereits fällig gewordenen Beträge sind binnen 14 Tagen, die weiteren Beträge jeweils am 1. eines jeden Monats im Voraus zu zahlen.
Die Rechtswirkungen dieser Entscheidung enden mit rechtskräftiger Entscheidung über das Unterhaltsbegehren der Kinder vom 17. 4. 2009."
Text
Begründung:
Mit ihrem am 22. 4. 2009 beim Erstgericht eingelangten Antrag vom 17. 4. 2009 begehrten die Kinder ab 1. 4. 2009 monatlichen Unterhalt von 255 bzw 225 EUR. Zugleich beantragten sie, den Vater gemäß § 382a EO zu vorläufigem Unterhalt in Höhe von monatlich je 122,09 EUR zu verpflichten. Sie brachten dazu im Wesentlichen vor, der Vater könnte als gelernter Koch wenigstens 1.500 EUR monatlich netto (inklusive Sonderzahlungen) ins Verdienen bringen. Er sei in seiner Arbeits- und Leistungsfähigkeit in keiner Weise eingeschränkt, leiste jedoch den geschuldeten Unterhalt nicht.
Der Vater äußerte sich dahin, dass er derzeit Arbeitslosengeld von monatlich 715 EUR beziehe. Zuletzt habe er ein Einkommen in Höhe von monatlich 1.186 EUR (exklusive Sonderzahlungen) verdient. Ein Einkommen von 1.500 EUR (inklusive Sonderzahlungen) monatlich könne er in seinem Beruf nicht verdienen.
Das Erstgericht erkannte den Vater schuldig, ab 22. 4. 2009 gemäß § 382a EO vorläufige Unterhaltsbeiträge von monatlich 112,70 EUR je Kind zu zahlen, und wies das Mehrbegehren von weiteren 9,39 EUR monatlich ab. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung einstweiligen Unterhalts gemäß § 382a EO lägen vor. Gemäß § 382a Abs 2 EO sei einstweiliger Unterhalt allerdings nur in Höhe der Familienbeihilfe zu gewähren. Diese betrage gemäß § 8 Abs 2 FLAG monatlich 105,40 EUR und erhöhe sich ab der Vollendung des 3. Lebensjahres um monatlich 7,30 EUR.
Das Rekursgericht bestätigte diese lediglich in ihrem abweislichen Teil angefochtene Entscheidung und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig. Entgegen der Auffassung der Kinder sei die „13. Familienbeihilfe" nicht zu berücksichtigen. Der Grundbetrag der Familienbeihilfe sei ebenso im FLAG festgelegt, wie ihre 13. Auszahlung, ohne dass aus diesem Grund der Grundbetrag erhöht worden wäre. Hätte der Gesetzgeber eine Anpassung des vorläufigen Unterhalts an die Familienbeihilfe beabsichtigt, hätte er dies im § 382a EO leicht dadurch ausdrücken können, dass hier ebenfalls eine Verdopplung der Verpflichtung im September oder eine aliquote Erhöhung der vorläufigen monatlichen Unterhaltsverpflichtung angeordnet werde. Eine Erhöhung des vorläufigen Unterhalts um den aliquoten Teil einer „Sonderzahlung" bedeutete ein Abgehen vom klaren Wortlaut des Gesetzes, der keinen Interpretationsspielraum offen lasse. Dass der Gesetzgeber nicht bedacht haben sollte, dass der Begriff des Grundbetrags der Familienbeihilfe auch noch in einem anderen Gesetz als dem FLAG verwendet werde, sei geradezu unvorstellbar.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen erhobene außerordentliche Revisionsrekurs der Kinder, ist zulässig und berechtigt.
§ 382a Abs 2 EO bestimmt seit seiner Einführung im Jahr 1987, dass vorläufiger Unterhalt gemäß Abs 1 höchstens bis zum „Grundbetrag der Familienbeihilfe" nach dem Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) bewilligt werden kann. Nach anfänglichen Unklarheiten entspricht es nun gesicherter Judikatur, dass mit dem Begriff des „Grundbetrags der Familienbeihilfe" - der entgegen der Auffassung des Rekursgerichts im FLAG selbst gar nicht verwendet wird - jener Betrag gemeint ist, der einer Person an Familienbeihilfe für ein Kind zusteht und der sich nach dem Alter des Kindes richtet (RIS-Justiz RS0006134); er umfasst aber etwa nicht die Zuschläge aufgrund der Geschwisterstaffelung nach § 8 Abs 3 FLAG (10 Ob 28/04x = SZ 2004/90). Sinn des § 382a EO ist es, der Existenzgefährdung von auf Unterhaltszahlungen angewiesenen minderjährigen Kindern entgegenzuwirken und in einem raschen Verfahren die finanzielle Existenzgrundlage für das Kind zu sichern (RIS-Justiz RS0097430).
Aufgrund eines Initiativantrags mehrerer Abgeordneter zum Nationalrat vom 12. 9. 2008 (900/A 23. GP) wurde dem § 8 FLAG ein neuer Abs 8 angefügt, in dem angeordnet wird, dass der Gesamtbetrag an Familienbeihilfe für September verdoppelt wird (vgl dazu auch Neuhauser, Die Höhe des vorläufigen Unterhalts nach Einführung der 13. Familienbeihilfe, iFamZ 2009, 81 ff). Zur Begründung wurde dabei unter anderem Folgendes ausgeführt:
„Familien mit Kindern sind von der herrschenden Inflation und der dadurch bedingten allgemeinen Teuerung besonders betroffen. Diese verstärkte Belastung erhöht sich für Kinder ab dem Schuleintritt gerade im Monat September, in dem üblicherweise das Schul- bzw Ausbildungsjahr beginnt, betrifft allerdings auch Kinder unter 6 Jahren, bei denen z. B. Kosten für die Betreuung anfallen. Es soll daher die Familienbeihilfe, die einen Beitrag des Staates für noch nicht selbsterhaltungsfähige Kinder darstellt, im Monat September zur gezielten Unterstützung bei den anfallenden Mehrausgaben ein dreizehntes Mal ausgezahlt werden. Die Verdoppelung der Familienbeihilfe für September soll für alle Kinder ausbezahlt werden, wobei die Erhöhung der Geschwisterstaffel alle Kinder, für die Familienbeihilfe bezogen wird, umfasst.
Auch die erhöhte Familienbehilfe von 138,30 EUR monatlich für ein erheblich behindertes Kind soll für September verdoppelt werden, da gerade diese Kinder oft besondere Förderungen, die mit zusätzlichen finanziellen Aufwendungen verbunden sind, benötigen.
Um die Familien auch wirklich rasch noch umfassender unterstützen zu können, soll die 13. Familienbeihilfe rückwirkend bereits für September 2008 ausbezahlt werden."
Fraglich ist nun, ob diese Novellierung des FLAG bei der Ermittlung des „Grundbetrags der Familienbeihilfe" nach § 382a Abs 2 EO zu berücksichtigen ist oder ob dieser „Grundbetrag" weiterhin jene (nunmehr dreizehnmal auszuzahlende) Summe bezeichnen soll, die an Familienbeihilfe für ein Kind einer bestimmten Altersgruppe (monatlich) gebührt.
Davon, dass der verwendete Begriff wegen des klaren Wortlauts des Gesetzes keinen Interpretationsspielraum offen lasse und schon deshalb eine Erhöhung des vorläufigen Unterhalts um den „aliquoten Teil einer Sonderzahlung" ausgeschlossen sei, kann entgegen der Auffassung des Rekursgerichts nicht gesprochen werden, hat doch - wie bereits aufgezeigt wurde - dieser Begriff im FLAG keine Entsprechung. Darüber hinaus ist nach herrschender Judikatur keineswegs bloß der in § 8 Abs 2 Satz 1 FLAG genannte Basisbetrag für jedes Kind von monatlich 105,40 EUR heranzuziehen, sondern schließt der „Grundbetrag der Familienbeihilfe" nach § 382a Abs 2 EO jedenfalls auch die altersabhängigen Erhöhungsbeträge mit ein. Insgesamt soll mit dem verwendeten Begriff daher auf jenen Betrag abgestellt werden, der sich an Familienbehilfe für ein Kind einer bestimmten Altersstufe stets - also etwa unabhängig vom Vorhandensein von Geschwistern - ergibt. Hätte der Gesetzgeber des FLAG nun etwa die in § 8 Abs 2 FLAG genannten Beträge erhöht, könnte kein Zweifel daran bestehen, dass diese Erhöhung auch auf den in § 382a Abs 2 EO genannten Grundbetrag durchschlagen würde.
Nach Auffassung des erkennenden Senats besteht nun keine Veranlassung, die Anordnung einer 13. Auszahlung der Familienbeihilfe (jeweils im September) als Statuierung einer „Sonderzahlung" zu betrachten, die bei der Beurteilung der Frage, in welcher Höhe für jedes Kind einer bestimmten Altersgruppe staatliche Unterstützung in Form der Familienbehilfe zumindest gebühren soll, außer Betracht bleiben könnte. Dies legt insbesondere die Begründung des zur Gesetzesänderung führenden Initiativantrags nahe, in denen in erster Linie darauf hingewiesen wird, dass Familien mit Kindern von der herrschenden Inflation und der dadurch bedingten allgemeinen Teuerung besonders betroffen seien. Nur in zweiter Linie wird auf eine besondere Belastung gerade im Monat September, in dem „üblicherweise das Schul- bzw Ausbildungsjahr beginnt", verwiesen, gleichzeitig jedoch darauf hingewiesen, dass auch Kinder unter 6 Jahren von der allgemeinen Teuerung - etwa im Zusammenhang mit Betreuungskosten - betroffen sind.
Eindeutig im Vordergrund stand somit ersichtlich nicht ein besonderer „Sonderbedarf" eines großen Teils der betroffenen Familien, sondern eine generelle Erhöhung der staatlichen Familienleistungen wegen der allgemeinen Teuerung, die ebenso gut durch eine Erhöhung der im Gesetz vorgesehenen Monatsbeträge um je ein Zwölftel vorgenommen hätte werden können. Jedenfalls kann kein Zweifel daran bestehen, dass es sich dabei um eine Erhöhung der Familienbehilfe handelte, die jedem Kind ohne Rücksicht darauf zugute kommt, ob dieses im September einen Sonderbedarf in Form von Schul-, Ausbildungs- oder Betreuungskosten hat. Gibt der Gesetzgeber des FLAG nun mit der Erhöhung der Familienbeihilfe um insgesamt ein Zwölftel zu erkennen, dass eine entsprechende Unterstützung von Familien deshalb geboten ist, weil sich ihr Geldbedarf vor allem aufgrund der allgemeinen Teuerung gegenüber früheren Perioden erhöht hat, erscheint es naheliegend, diesen „Bedarfsgedanken" auch auf die Ansprüche nach § 382a Abs 2 EO zu übertragen, die ja zweifellos dazu dienen sollen, dem Kind vorläufig eine finanzielle (Mindest-)Existenzgrundlage zu sichern. Soweit die allgemeine Teuerung Anlass dafür war, die jedem Kind einer bestimmten Altersgruppe zukommenden staatlichen Familienleistungen zu erhöhen, muss dies konsequenterweise auch auf die durch § 382a Abs 2 EO angestrebte Unterhaltssicherung übertragen werden.
Auch wenn der Gesetzgeber nach der dargestellten Novellierung des FLAG bedauernswerterweise nicht für eine entsprechende Klarstellung in § 382a Abs 2 EO gesorgt hat - auch die (am 1. 1. 2010 in Kraft tretende) Änderung durch das FamRÄG 2009 ist insoweit unzureichend -, ist es bei einer teleologischen Betrachtungsweise geboten, die durch § 8 Abs 8 FLAG eingeführte Erhöhung der Familienbehilfe - um insgesamt ein Zwölftel - als Erhöhung des „Grundbetrags der Familienbeihilfe" iSd § 382a Abs 2 EO zu qualifizieren, um dem erkennbaren Gesetzeszweck im Rahmen des Zuspruchs vorläufigen Unterhalts zum Durchbruch zu verhelfen.
Angesichts der gebotenen Durchschnittsbetrachtung im Unterhaltsrecht und dem damit verbundenen Zuspruch von (gleichbleibenden) monatlichen Unterhaltsbeiträgen für die Zukunft bestehen keine Bedenken dagegen, die durch § 8 Abs 8 FLAG statuierte Erhöhung der Familienbeihilfe für die Bemessung des monatlichen Unterhaltsanspruchs iSd § 382a Abs 2 EO prozentuell auf ein ganzes Jahr aufzuteilen. Damit sind die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne einer vollständigen Antragsstattgebung abzuändern.
Textnummer
E92691European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0010OB00216.09K.1117.000Im RIS seit
17.12.2009Zuletzt aktualisiert am
19.10.2010