TE Vwgh Erkenntnis 2000/12/19 96/19/3564

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Veröffentlicht am 19.12.2000
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §66 Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Besein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des 1970 geborenen S H, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 30. April 1996, Zl. 305.291/2- III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, der zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung vom 1. Dezember 1994 bis 1. Juni 1995 zum Zweck des privaten Aufenthaltes verfügte, beantragte am 28. April 1995 (Einlangen beim Landeshauptmann von Wien) die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz wobei er unter Punkt

"4. Aufenthaltszweck" in der Rubrik "Sonstiger, genau zu beschreibender Aufenthaltszweck" angab: "wegen Militärdienstersuchung". Im Zuge einer niederschriftlichen Einvernahme vor der erstinstanzlichen Behörde am 2. Juni 1995 gab der Beschwerdeführer u.a. an, nach Österreich mit dem Ziel gekommen zu sein, hier überleben zu können, bis die Auseinandersetzung zwischen Serbien und dem Kosovo vorbei sei. Im Jahre 1994 habe ein näher bezeichnetes Unternehmen beim Arbeitsamt

G. einen Antrag (zu ergänzen: auf Erteilung einer ausländerbeschäftigungsrechtlichen Bewilligung) gestellt, der aber abgelehnt worden sei. Dieses Unternehmen würde ihn jederzeit aufnehmen wollen. Vor ca. drei Wochen habe ein anderes Unternehmen einen Antrag beim Arbeitsamt gestellt, dieses Verfahren sei noch im Gange. Dem Beschwerdeführer wurde mitgeteilt, dass eine "Anfrage als Maurer" beim Arbeitsamt gestellt werde. Falls die Anfrage negativ ausfalle, müsse er mit einer Ablehnung rechnen.

In weiterer Folge teilte das Arbeitsmarktservice Wien der erstinstanzlichen Behörde mit Schreiben vom 20. Juni 1995 mit, dass die Unbedenklichkeit für die Berufsgruppe "H 04" nicht bestätigt werden könne.

Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 5. Juli 1995 den Antrag des Beschwerdeführers vom 28. April 1995 "im Hinblick auf § 5 Abs. 2 AufG" ab. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 21. Juli 1995 durch Hinterlegung zugestellt.

Am 16. November 1995 langte beim Landeshauptmann von Wien ein Antrag des nunmehr anwaltlich vertretenen Beschwerdeführers mit folgendem Vorbringen ein:

Er habe am 28. April 1995 um die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung unter Vorlage der hiefür notwendigen Urkunden ersucht. Hierüber sei am 5. Juli 1995 ein antragsabweisender Bescheid erlassen worden, der damit begründet worden sei, dass seitens des zuständigen Arbeitsmarktservice Einwendungen gegen eine vom Beschwerdeführer angeblich angestrebte Berufstätigkeit erhoben worden wären. Dem müsse der Beschwerdeführer entgegenhalten, dass er seinen Antrag ausschließlich auf den Aufenthaltszweck eines privaten Aufenthaltes gestützt gehabt habe. Gemäß § 6 Abs. 1 AufG könne der Antragsteller den bei der Antragstellung angegeben Zweck im Laufe des Verfahrens nicht ändern. An diese Angabe des Aufenthaltszweckes sei allerdings auch die Behörde gebunden. Die zuletzt ergangene Verordnung über die Aufenthaltszwecke (Verordnung der Bundesregierung vom 16. Juni 1995, BGBl. Nr. 395/1995) sehe acht verschiedene Aufenthaltszwecke vor, die in ihren Voraussetzungen völlig unterschiedlicher Art seien. Nach Ansicht des Beschwerdeführers bestünde die Gefahr der Willkür, wenn ein Antrag aus einem anderen als dem angegeben Zweck abgewiesen werden könnte. Da der Aufenthaltszweck einen integrierenden Bestandteil der beantragten Aufenthaltsbewilligung bilde, sei über den vom Beschwerdeführer erhobenen Antrag vom 28. April 1995 noch nicht abgesprochen worden. Der Beschwerdeführer beantrage daher die "Bescheiderlassung im stattgebenden Sinn und Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 1 Abs. 1 Z. 8 der Verordnung der Bundesregierung vom 16. Juni 1995, BGBl. Nr. 395/1995".

Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 9. Juni 1996 den "Antrag des Beschwerdeführers vom 15. November 1995" mangels einer Antragstellung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gemäß § 6 Abs. 2 AufG ab.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung und brachte darin im Wesentlichen vor, er habe mit Schriftsatz vom 5. November 1995 keinen neuen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gestellt. Er habe sich vielmehr in diesem Schriftsatz ausdrücklich auf seinen Antrag vom 28. April 1995 berufen. Der unter Bezugnahme auf diesen Antrag erlassene abweisende Bescheid vom 5. Juli 1995 habe den Antrag jedoch nicht in "verfahrenserledigender" Form erfasst. Der Beschwerdeführer habe am 28. April 1995 eine Aufenthaltsbewilligung ausschließlich zum Zweck des privaten Aufenthaltes in Österreich beantragt. Der abweisende Bescheid vom 5. Juli 1995 sei jedoch ausschließlich darauf gestützt worden, dass arbeitsmarktpolitische Bedenken gegen eine vom Beschwerdeführer angeblich angestrebte Berufstätigkeit obwalteten. Damit habe die Behörde de facto über einen Antrag entschieden, den der Beschwerdeführer selbst gar nicht eingebracht gehabt habe. Sein Antrag auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung zum Zweck des privaten Aufenthaltes sei demgegenüber unerledigt geblieben. Mit diesen Umständen sowie dem darauf bezogenen Vorbringen laut Schriftsatz vom 15. November 1995 habe sich der Bescheid des Landeshauptmannes von Wien mit keinem Wort auseinander gesetzt und stattdessen anscheinend einen weiteren neuen Antrag unterstellt. Damit sei nun weder der Antrag des Beschwerdeführers vom 28. April 1995 noch das darauf bezogene Erledigungsgesuch vom 15. November 1995 einer meritorischen Entscheidung zugeführt worden. Diese seien nach wie vor offen.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. April 1996 wies der Bundesminister für Inneres diese Berufung gemäß § 6 Abs. 2 AufG ab. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe sich zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bundesgebiet aufgehalten. Auf seinem Antrag habe er als Datum den 15. November 1995 und als Aufenthaltsort Wien bei seiner Antragstellung angegeben und dies auch durch seine Unterschrift beurkundet. Somit habe er sich zum Zeitpunkt der Antragstellung eindeutig im Bundesgebiet aufgehalten und dadurch das gesetzliche Erfordernis einer Antragstellung vom Ausland aus nicht erfüllt. Auf Grund dieser Tatsache sei der Antrag daher gemäß § 6 Abs. 2 AufG abzulehnen gewesen. Der Beschwerdeführer befinde sich seit dem 21. Juli 1995 (Rechtskraft des Bescheides vom 5. Juli 1995) ohne gültige Aufenthaltsbewilligung in Österreich.

Zur Feststellung in der Berufung, dass der Antrag vom 15. November 1995 eigentlich eine Berufung sein sollte oder ein Antrag gemäß § 68 Abs. 2 AVG, sei zu sagen, dass der klare Wortlaut "Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung" eindeutig dagegen spreche. Im Übrigen sei zur Zeit der Antragseinbringung der Bescheid vom 5. Juli 1995 bereits rechtskräftig gewesen. Daher habe die Erstbehörde zu Recht diesen Antrag als neuerlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gewertet und am 9. Jänner 1996 einen Bescheid erlassen.

Was die privaten Interessen des Beschwerdeführers betreffe, stelle die belangte Behörde dazu Folgendes fest: Der Beschwerdeführer habe eindeutig gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen, in dem er bewusst längere Zeit ohne gültige Aufenthaltsberechtigung in Österreich aufhältig gewesen und noch immer sei. Die belangte Behörde erwarte gerade von Antragstellern, die "das Wohl der Republik Österreich genießen" wollten, ein den fremdenrechtlichen Bestimmungen adäquates Verhalten; damit sei die Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen natürlich besonders im Fall des Beschwerdeführers gemeint, denn dies sei bedeutend wegen der Beispielswirkung gegenüber anderen Fremden. Gerade die belangte Behörde sei zur Kontrolle und Beachtung dieser fremdenrechtlichen Bestimmungen aufgerufen bzw. verpflichtet, zumal bei deren Nichtbeachtung jegliche fremdenrechtliche Bestimmung überhaupt obsolet wäre. Das heiße, insbesondere im Fall des Beschwerdeführers sei der Eingriff in sein Privat- und Familienleben gerechtfertigt, da die Einhaltung fremdenrechtlicher Bestimmungen höherwertig anzusehen sei als die privaten Interessen des Beschwerdeführers an der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers sei zu sagen, dass nur die dargestellten familiären Beziehungen zu Österreich bestünden. Auch in seiner Berufung habe er keine Gründe vorbringen können, die eine Entscheidung zu seinen Gunsten herbeigeführt hätten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt im Rahmen der von ihm geltend gemachten Beschwerdepunkte unter anderem vor, die belangte Behörde habe "überhaupt einen unrichtigen Verfahrensgang angenommen bzw. hervorgerufen", indem sie den Schriftsatz vom 15. November 1995 als einen neuen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gewertet habe. Tatsächlich habe er bereits am 28. April 1995 einen Antrag auf Erteilung der Aufenthaltsbewilligung gestellt, der jedoch nicht vollständig erledigt worden sei.

Der Vorwurf, die belangte Behörde habe über einen vom Beschwerdeführer gar nicht gestellten (neuerlichen) Antrag (vom 15. November 1995 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung) meritorisch entschieden (und damit das Recht des Beschwerdeführers auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung verletzt) erweist sich als berechtigt.

Die erstinstanzliche Behörde hat nach dem eindeutigen Spruch des Bescheides vom 9. Jänner 1996 über den Antrag des Beschwerdeführers vom 15. November 1995 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abgesprochen. Indem die belangte Behörde die Berufung gegen diesen Bescheid gemäß § 66 Abs. 4 AVG abwies, hat sie nach dem insofern ebenfalls eindeutigen Spruch ihres Bescheides einen mit dem erstinstanzlichen Bescheid übereinstimmenden Bescheid erlassen (vgl. die bei Walter-Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rz 543, wiedergegebene Judikatur). Dies geht im Übrigen auch aus der Bescheidbegründung hervor, derzufolge der klare Wortlaut "Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung" eindeutig gegen eine Wertung des Antrages vom 15. November 1995 als Berufung oder Antrag gemäß § 68 Abs. 2 AVG spreche. Im Übrigen - so die belangte Behörde - sei zur Zeit der Antragseinbringung der Bescheid vom 5. Juli 1995 bereits rechtskräftig gewesen, sodass die Erstbehörde "zu Recht" diesen Antrag (vom 15. November 1995) als neuerlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gewertet habe.

Der verfahrensgegenständliche Antrag vom 15. November 1995 zielte seinem Inhalt nach auf Erledigung des Antrages vom 28. April 1995 hinsichtlich des (nach Ansicht des Beschwerdeführers noch unerledigten) Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung zum Zweck des privaten Aufenthaltes.

Bei dem sohin Gegenstand der Entscheidung der belangten Behörde bildenden Antrag des Beschwerdeführers vom 15. November 1995 handelte es sich nach dem Vorgesagten nicht um einen Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltsbewilligung im Sinne des § 113 Abs. 6 FrG 1997. Auch eine Fristversäumnis im Sinne des § 113 Abs. 7 leg. cit. liegt hier nicht vor. Der angefochtene Bescheid blieb daher vom Inkrafttreten des FrG 1997 unberührt.

Für die Beurteilung des Charakters eines Anbringens ist sein wesentlicher Inhalt, der sich aus dem gestellten Antrag erkennen lässt, und die Art des in diesem gestellten Begehrens maßgebend. Es kommt nicht auf Bezeichnungen und zufällige Verbalformen an, sondern auf den Inhalt des Anbringens, das erkennbare oder zu erschließende Ziel eines Parteischrittes. Ist erkennbar, dass ein Antrag entgegen seinem Wortlaut auf etwas anderes abzielt, kommt es auf die erkennbare Absicht des Einschreiters an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. November 2000, Zlen. 96/19/3212, 3213).

Der in dem Antrag vom 15. November 1995 zum Ausdruck gebrachte Wille des Beschwerdeführers war eindeutig darauf gerichtet, eine (behauptetermaßen noch nicht erfolgte) Erledigung seines Antrages vom 28. April 1995 unter Zugrundelegung des von ihm (nach seinem Vorbringen) ausschließlich geltend gemachten Aufenthaltszweckes des privaten Aufenthaltes herbeizuführen. Sein Wille war daher keinesfalls - und insoweit ist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid im Recht - auf die Erhebung einer Berufung oder Stellung eines Antrages gemäß § 68 Abs. 2 AVG (auf Abänderung oder Belassung von Amts wegen) gerichtet.

Der Landeshauptmann von Wien hat demnach bei dem in Rede stehenden, nach dem Vorgesagten zweifelsfrei als Antrag auf (abschließende) Erledigung des Antrages vom 28. April 1995 gerichteten Antrag zu Unrecht einen neuerlichen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung erblickt und, indem er über diesen (nicht gestellten) Antrag entschied, den Bescheid vom 9. Jänner 1996 mit Rechtswidrigkeit belastet. Die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, diese - in der Berufung aufgezeigte - Rechtswidrigkeit aufzugreifen und den Bescheid der Behörde erster Instanz ersatzlos aufzuheben. Indem die belangte Behörde als hiefür zuständige Berufungsbehörde die ersatzlose Aufhebung des erstinstanzlichen Bescheides unterließ, belastete sie ihren eigenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Hiedurch verletzte sie auf einfach gesetzlicher Ebene das Recht des Beschwerdeführers auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung.

Abschließend sei noch auf Folgendes hingewiesen. Der Antrag des Beschwerdeführers vom 28. April 1995 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung hat durch den Bescheid der erstinstanzlichen Behörde vom 5. Juli 1995 eine abschließende Erledigung erfahren. Davon ausgehend war die erstinstanzliche Behörde nicht verpflichtet, die als Urgenz aufzufassende Eingabe des Beschwerdeführers vom 16. November 1995 einer neuerlichen Erledigung zuzuführen.

Aus den dargestellten Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Wien, am 19. Dezember 2000

Schlagworte

Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2000:1996193564.X00

Im RIS seit

08.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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