Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling, Hon.-Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Glawischnig und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei K***** H*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Schöberl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei H***** H*****, vertreten durch Mag. Martin Reihs, Rechtsanwalt in Wien, wegen einstweiligen Unterhalts (§ 382 Abs 1 Z 8a EO), über den Revisionsrekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 1. September 2009, GZ 43 R 579/09d-44, womit über Rekurs der klagenden und gefährdeten Partei der Beschluss des Bezirksgerichts Hietzing vom 24. Juni 2009, GZ 1 C 16/08h-34, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Gemeinsam mit ihrer Klage auf Ehescheidung und Unterhaltszahlung beantragte die klagende und gefährdete Partei (in weiterer Folge: Klägerin), dem Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei (in weiterer Folge: Beklagter) die Zahlung eines vorläufigen Unterhalts in Höhe von 653 EUR monatlich ab 4. 6. 2008 aufzutragen. Der Beklagte sprach sich gegen diesen Antrag aus.
In der Verhandlung vom 18. 2. 2009 schlossen die Streitteile einen (Teil-)Vergleich, mit dem sich der Beklagte verpflichtete, der Klägerin ab 1. 3. 2009 einen einstweiligen Unterhalt von 540 EUR monatlich zu zahlen. Unmittelbar darauf zog die Klägerin den Antrag auf Erlassung der einstweiligen Verfügung zurück (ON 18).
Im weiteren Verfahren teilte die Klägerin zunächst dem Erstgericht mit, dass ihr auch der rückständige einstweilige Unterhalt ab 4. 6. 2008 zustehe. Unter Zugrundelegung eines Unterhaltsbetrags von monatlich 540 EUR ergebe sich für den Zeitraum Juni 2008 bis einschließlich Februar 2009 ein Rückstand an einstweiligem Unterhalt in Höhe von 4.860 EUR. Die Klägerin teilte außerdem mit, dass sie auf diesen rückständigen einstweiligen Unterhalt nicht verzichte. „Sollte diesbezüglich ein fairer Vergleich nicht möglich sein, so wird das Gericht eben den rückständigen einstweiligen Unterhalt gesondert zuzusprechen haben" (ON 22).
In der darauf folgenden Verhandlung am 29. 4. 2009 (ON 27) wurde dazu protokolliert:
„Festgehalten wird, dass KV auf S 107 den Antrag auf einstweilige Verfügung zurückgezogen hat. Die Zurückziehung des Antrags auf E.V. wird insofern wieder zurückgezogen, als sie den einstw. Unterhalt für den Zeitraum Juni 2008 bis Februar 2009 betrifft. Somit wird der Zuspruch des einstweiligen Unterhalts für den genannten Zeitraum beantragt."
Das Erstgericht wies hierauf die „Zurückziehung der Zurückziehung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung" betreffend den rückständigen einstweiligen Unterhalt mit Beschluss zurück. Die Zurückziehung der Zurückziehung des Antrags sei nicht zulässig, weil ein Antrag auf einstweiligen Unterhalt nur für die Zeit ab Einbringung des Antrags, jedoch nicht rückwirkend gestellt werden könne. Durch die Zurückziehung des Antrags auf Erlassung der einstweiligen Verfügung sei der einstweilige Unterhalt für die Vergangenheit prozessual erledigt. Eine inhaltliche Entscheidung über den Zeitraum vor dem 1. 3. 2009 würde den Beklagten prozessual schlechter stellen als ein neuerlicher Antrag auf einstweilige Verfügung.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Klägerin gegen diesen Beschluss keine Folge. Zwar seien Prozesshandlungen in der Regel einseitig durch den Erklärenden widerrufbar. Dies gelte jedoch nur, solange eine Prozesshandlung noch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung geworden sei oder der Gegner daraus Rechte erworben habe. Durch die Zurückziehung des Provisorialantrags habe jedoch der Beklagte unmittelbar Rechte erlangt, sodass der Widerruf dieser Rückziehung nicht zulässig sei.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit einer Zurückziehung der erfolgten Zurückziehung eines auf die Zuerkennung eines vorläufigen Unterhalts gerichteten Provisorialantrags fehle.
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss dahin abzuändern, dass die beantragte einstweilige Verfügung erlassen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist absolut unzulässig.
1. Die Bestimmung des Werts des strittigen Rechts mit dem Dreifachen der Jahresunterhaltsleistung gemäß § 58 Abs 1 JN (RIS-Justiz RS0046543) kann im vorliegenden Fall nicht greifen, weil die einstweilige Verfügung im Ergebnis nur mehr für einen bestimmten Zeitraum, nämlich von Juni 2008 bis Februar 2009 begehrt wird (RIS-Justiz RS0121008). Ungeachtet der Bekanntgabe in ON 22 (ein Antrag wurde nicht gestellt) ergibt sich jedoch im Zweifel, dass die Klägerin die Zuerkennung von einstweiligem Unterhalt in Höhe von 653 EUR monatlich begehrt. Ausgehend davon übersteigt der maßgebliche Entscheidungsgegenstand zweiter Instanz den Betrag von 5.000 EUR (5.877 EUR, § 528 Abs 1 Z 1a ZPO idF BBG 2009, BGBl I 2009/52), sodass der Revisionsrekurs nicht schon wegen § 528 Abs 2 Z 1 ZPO (iVm §§ 78, 402 Abs 4 EO) jedenfalls unzulässig ist.
2. Der Revisionsrekurs ist jedoch gemäß §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO jedenfalls unzulässig, weil bestätigende Beschlüsse der Vorinstanzen vorliegen, nicht aber ein Fall des § 402 Abs 1 EO:
Gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO ist der Revisionsrekurs absolut unzulässig, wenn der angefochtene erstrichterliche Beschluss zur Gänze bestätigt worden ist, es sei denn, dass die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist. Hat das Verfahren gemäß § 402 Abs 1 ZPO einen Rekurs gegen einen Beschluss über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zum Gegenstand, so ist der Revisionsrekurs nicht deshalb unzulässig, weil das Gericht zweiter Instanz den angefochtenen Beschluss zur Gänze bestätigt hat. Dies gilt auch, wenn das Erstgericht einen Sicherungsantrag aus formellen Gründen zurückgewiesen hat (E. Kodek in Angst, EO2 § 402 Rz 17).
Ein Rekurs gegen einen Beschluss über einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist jedoch im konkreten Fall nicht Verfahrensgegenstand. Die Klägerin hat nämlich den Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ausdrücklich zurückgezogen. Bereits in dieser Erklärung liegt jedoch der Widerruf eines Antrags, also der Widerruf einer Prozesshandlung. Ein solcher Widerruf ist grundsätzlich möglich, solange die Prozesshandlung noch nicht Gegenstand einer gerichtlichen Entscheidung geworden ist, der Gegner daraus noch nicht unmittelbar Rechte erlangt hat oder das Gesetz sie nicht ausdrücklich für unwiderruflich erklärt (3 Ob 44/95 mwN; RIS-Justiz RS0037520). Unstrittig und unzweifelhaft war die Klägerin berechtigt, ihren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung zu widerrufen, also zurückzuziehen.
Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass es nicht statthaft ist, „praktisch ad infinitum Widerruf an Widerruf von Prozesshandlungen zu reihen" (1 Ob 418/97w). Durch die Zurückziehung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, also durch ihren Widerruf, war dieser Antrag endgültig beseitigt. Alleine daher ist aber der Widerruf dieser Zurückziehung nicht mehr möglich, weil der Antrag im Zeitpunkt des Widerrufs seiner Zurückziehung gar nicht mehr existierte. Es bedarf daher gar keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob dem Beklagten durch die Zurückziehung des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung unmittelbar Rechte erwachsen sind.
Der Widerruf einer Zurückziehung eines Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist nicht mit dem in § 402 Abs 1 EO genannten Fall des Antrags auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gleichzuhalten. Ein solcher liegt schon deshalb nicht vor, weil wie ausgeführt dieser Antrag durch seine Zurückziehung (die im Exekutionsverfahren ohne weitere Voraussetzungen, also auch ohne Anspruchsverzicht, möglich ist: RIS-Justiz RS0005577 [T4]) endgültig beseitigt war.
Selbst wenn man die Entscheidung des Erstgerichts als eine im weitesten Sinn mit dem Provisorialverfahren im Zusammenhang stehende Beschlussfassung ansehen wollte, so ändert dies nichts daran, dass der Beschluss des Erstgerichts unter keinen der Ausnahmefälle des § 402 Abs 1 EO zu subsumieren ist. So ist § 402 Abs 1 EO etwa auch nicht auf einen Beschluss, mit dem eine einstweilige Verfügung berichtigt wird, anzuwenden (E. Kodek aaO § 402 Rz 14a; 4 Ob 291/01z).
Der Revisionsrekurs war daher gemäß den §§ 78, 402 Abs 4 EO iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO als absolut unzulässig zurückzuweisen.
Textnummer
E92589European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0080OB00139.09P.1119.000Im RIS seit
19.12.2009Zuletzt aktualisiert am
27.07.2010