Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 19. November 2009 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Ratz als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kirchbacher und Dr. Lässig, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Fuchs und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Annerl als Schriftführer in der Strafsache gegen Mithat O***** wegen des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Geschworenengericht vom 2. Juli 2009, GZ 39 Hv 70/09z-88, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Dr. Aicher, des Angeklagten und seines Verteidigers zu Recht erkannt:
Spruch
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Sanktionsausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung und der angeordneten vorbeugenden Maßnahme nach § 21 Abs 2 StGB, nicht jedoch im Ausspruch über die privatrechtlichen Ansprüche aufgehoben und in der Sache selbst erkannt:
Mithat O***** wird unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 19. März 2009, GZ 36 Hv 140/08h-16, unter Anwendung der §§ 28 Abs 1, 31, und 39 Abs 1 StGB nach dem ersten Strafsatz des § 201 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von siebzehn Jahren als Zusatzstrafe verurteilt.
Mithat O***** wird in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB eingewiesen.
Die Vorhaftanrechnung wird dem Erstgericht überlassen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen. Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Mithat O***** der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 und Abs 2 erster Fall StGB (1), des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (2) und des Verbrechens des durch Einbruch begangenen Diebstahls nach §§ 127, 129 Z 1 und 2 StGB (3) schuldig erkannt. Danach hat er am 6. Oktober 2008 in Salzburg
(1) Margareta W***** mit Gewalt, indem er sie an den Händen erfasste, in Richtung eines Bettes drängte, auf dieses stieß, ihr den Mund zuhielt, sich auf sie legte und sie mit den Händen an den Schultern niederdrückte, zur Duldung des Beischlafs genötigt, wobei die Tat eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) der vergewaltigten Person, nämlich eine posttraumatische Belastungsstörung, verbunden mit sich aufdrängenden belastenden Erinnerungen, Albträumen, Betäubungsgefühlen, schweren Schlafstörungen, massiver Erschöpfung, Angst, Unruhe und Depression bis hin zum Lebensüberdruss, zur Folge hatte;
(2) mit Gewalt gegen Margareta W*****, indem er sie an den Händen erfasste, in Richtung eines Bettes drängte, auf dieses stieß, ihr den Mund zuhielt, sich auf sie legte und sie mit den Händen an den Schultern niederdrückte, Margareta W***** eine fremde bewegliche Sache, nämlich ca 20 Euro Bargeld und ein Etui aus braunem Leder mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;
(3) fremde bewegliche Sachen, nämlich drei Schlüssel für Zylinderschlösser sowie zwei Magnetchips mit Schlüsselfunktion, Gewahrsamsträgern der „Seniorenresidenz M*****" durch Einbruch und Einsteigen, indem er die Eingangstür aushebelte, die Rückwand eines Einbaukastens durchstieß und durch die entstandene Öffnung in einen Büroraum gelangte, und durch Aufbrechen eines Behältnisses, nämlich mehrerer Schlüsselkästen, mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern.
Rechtliche Beurteilung
Der dagegen - ausschließlich aus dem Grund der Z 13 des § 345 Abs 1 StPO - erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt Berechtigung zu.
Zu Recht macht dieser geltend, dass das Erstgericht durch die Verhängung der Zusatzfreiheitsstrafe von zwanzig Jahren unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 19. März 2009, GZ 36 Hv 140/08h-16, mit welchem über den Beschwerdeführer bereits eine Freiheitsstrafe von sechs Wochen verhängt worden war, seine Strafbefugnis überschritten hat. Die über einen Angeklagten unter Bedachtnahme auf eine andere zeitliche Freiheitsstrafe ausgemessene weitere zeitliche Freiheitsstrafe darf nämlich in Summe (§ 31 Abs 1 dritter Satz StGB) die in § 18 Abs 2 StGB (§ 39 Abs 1 letzter Satz StGB) vorgesehene längste Dauer einer auf bestimmte Zeit verhängten Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren nicht übersteigen (14 Os 136/04; Ratz in WK2 § 31 Rz 10). Der solcherart mit Nichtigkeit im Sinne der Z 13 erster Fall des § 345 Abs 1 StPO behaftete Strafausspruch war daher aufzuheben.
Bei der dadurch erforderlich gewordenen Strafneubemessung wertete der Oberste Gerichtshof als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen mit einem Vergehen (aus dem Vor-Urteil), die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen sowie - zu den Punkten 1 und 2 des Schuldspruchs - das Ausnützen der besonderen Wehr- und Hilflosigkeit des zur Tatzeit 83-jährigen Opfers, als mildernd hingegen das umfassende und reumütige Geständnis, die zur Tatzeit (am 6. Oktober 2008) aufgrund der kombinierten Persönlichkeitsstörung und des Einflusses suchterzeugender Substanzen verminderte Zurechnungsfähigkeit sowie die teilweise Tatprovokation durch das Opfer zum Schuldspruch aus dem Vor-Urteil. Die besonders rücksichtslose und das Opfer Margareta W***** nach der Tat (zu Schuldspruch 1) erniedrigende Vorgangsweise erfordert es, von der Möglichkeit der Strafschärfung nach § 39 Abs 1 StGB Gebrauch zu machen, deren Voraussetzungen aufgrund der Aktenlage (ON 9 S 13) festgestellt werden konnten: So wurde der Angeklagte jeweils vom Landesgericht Salzburg am 18. August 2003, GZ 30 Hv 24/02h-99, und am 22. September 2005, GZ 33 Hv 113/05y-53, wegen auf gleicher schädlicher Neigung beruhender Taten jeweils zu sodann - wenigstens teilweise - verbüßten Freiheitsstrafen verurteilt. Die in diesem (erhöhten) Rahmen ausgemessene Strafe entspricht dem besonderen Unrechtsgehalt der Taten und der Schuld des Angeklagten; den vom Erstgericht zutreffend aufgezählten Milderungsgründen war - im Gegensatz zu diesem - jedoch Gewicht beizumessen.
Darüber hinaus war die - (unbekämpft) bereits vom Geschworenengericht ausgesprochene - Einweisung des Beschwerdeführers in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 2 StGB anzuordnen. Nach Maßgabe der dazu angestellten umfassenden Überlegungen des Geschworenengerichts, an deren Richtigkeit zu zweifeln für den Obersten Gerichtshof kein Anlass besteht, ist davon auszugehen, dass die beim Angeklagten diagnostizierte, kombinierte Persönlichkeitsstörung einer geistigen oder seelischen Abartigkeit von höherem Grad entspricht, unter deren - die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließendem - Einfluss die hier gegenständlichen Taten begangen wurden und nach der Person des Beschwerdeführers, seinem Zustand und der Art der Anlasstaten zu befürchten ist, dieser werde unter dem Einfluss seiner Persönlichkeitsstörung mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Straftaten mit schweren Folgen gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung eines nicht eingrenzbaren Personenkreises begehen.
Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO, der Vorbehalt der Vorhaftanrechnung auf § 400 Abs 1 StPO (Lässig, WK-StPO § 400 Rz 1).
Anmerkung
E9265213Os128.09mEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0130OS00128.09M.1119.000Zuletzt aktualisiert am
21.01.2010