Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** K*****, vertreten durch Dr. Helga Wagner, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei M***** K*****, vertreten durch Dr. Gerhard Ebenbichler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 8. Juli 2009, GZ 23 R 176/09v-29, womit infolge Berufung des Klägers das Urteil des Bezirksgerichts Neulengbach vom 26. Mai 2009, GZ 1 C 73/08k-24, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 742,27 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 123,71 EUR Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Streitteile sind seit 4. 3. 1992 miteinander verheiratet. Ein Scheidungsverfahren ist anhängig. Der Kläger war zum Zeitpunkt der Eheschließung Alleineigentümer einer mit zahlreichen Pfandrechten belasteten Liegenschaft, die er 1993 und 1996 zu je einem Hälfteanteil an die Beklagte verkaufte. Punkt 3. des Notariatsakts vom 19. Juni 1996 lautete auszugsweise wie folgt:
„Die Berichtigung des Kaufpreises erfolgt derart, dass [...] sämtliche von der Käuferin bisher in das Vertragsobjekt getätigten Investitionen, welcher Art auch immer, als verrechnet gelten, somit die Käuferin auf Rückzahlung verzichtet, wobei mit Unterfertigung dieser Vertragsurkunde alle nur denkmöglichen sonstigen wechselseitigen Ansprüche der vertragsschließenden Parteien seit ihrer Eheschließung in Ansehung dieses Vertragsobjekts, aus welchem Titel auch immer, als verrechnet gelten."
Das auf der Liegenschaft stehende Haus diente den Streitteilen jedenfalls ab 1995 als Ehewohnung. Im Jahr 2002 übersiedelte die Beklagte mit den drei gemeinsamen Kindern nach Slowenien. Auch der Kläger lebte teilweise in Slowenien. Die Streitteile trennten sich im Jahr 2007. Seither lebt der Kläger in Österreich. Die Beklagte hat einen Auftrag zur Veräußerung der besagten Liegenschaft erteilt. Das Verfahren über eine von ihr gegen den Kläger eingebrachte Räumungsklage ist derzeit unterbrochen.
Der Kläger erhebt eine Unterlassungsklage nach § 97 ABGB. Er habe in Österreich keine andere Wohnmöglichkeit und sei daher auf das strittige Haus angewiesen.
Die Beklagte bestreitet ein dringendes Wohnbedürfnis des Klägers. Der Beklagte bewohne das Haus gar nicht; es sei zu Frostschäden gekommen. Die Klage sei zudem rechtsmissbräuchlich, weil der Antragsteller schon im Notariatsakt vom 19. Juni 1996 (auch) auf die Nutzung der Liegenschaft aus dem Titel des § 97 ABGB verzichtet habe.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Es nahm als erwiesen an, dass das Haus seit Dezember 2007 „unbewohnbar" sei. Es sei im Winter nicht beheizbar und weise gravierende Frostschäden auf. Der Kläger habe daher im Jahr 2008 höchstens 20 bis 25 mal darin übernachtet. Ansonsten habe er Großteils bei seiner Schwester und in verschiedenen Pensionen gelebt. Aus diesen Gründen sei ein dringendes Wohnbedürfnis zu verneinen.
Das vom Kläger angerufene Berufungsgericht gab dem Klagebegehren statt und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ein dringendes Wohnbedürfnis sei nur dann zu verneinen, wenn dem auf die Wohnmöglichkeit angewiesenen Ehegatten eine ausreichende gleichwertige Unterkunft zur Verfügung stehe. Er müsse in der Lage sein, in eine Ersatzwohnung kraft eigenen Rechts ausweichen zu können. Die Beweislast hiefür treffe den über die Wohnung verfügungsberechtigten Ehegatten. Die Beklagte habe das Bestehen einer anderen Wohnmöglichkeit des Klägers kraft eigenen Rechts weder behauptet noch bescheinigt. Nach den Feststellungen sei der Kläger zwar aufgrund der eingeschränkten Benützbarkeit des Hauses weitgehend auf andere, sein Wohnbedürfnis rechtlich nicht absichernde Nächtigungsmöglichkeiten ausgewichen. Dies beseitige jedoch nicht sein dringendes Wohnbedürfnis an der vorhandenen Wohnung, auf die er grundsätzlich weiterhin angewiesen sei. Aus der Vereinbarung vom 19. Juni 1996 könne nicht auf einen Verzicht des Klägers auf das Wohnrecht geschlossen werden. „Als verrechnet gelten" könnten nur finanzielle Ansprüche (einschließlich allfälliger Aufteilungsansprüche), nicht aber der Anspruch nach § 97 ABGB. Jedenfalls werde durch eine solche Vereinbarung das Bestehen eines dringenden Wohnbedürfnisses nicht ausgeschlossen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zu der über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage, ob es bei der Beurteilung des dringenden Wohnbedürfnisses primär auf die tatsächliche Benützung der Wohnung oder auf das Zurverfügungstehen einer anderen Wohnmöglichkeit kraft eigenen Rechts ankomme, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten ist entgegen dem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.
1. Ist ein Ehegatte über die Wohnung, die der Befriedigung des dringenden Wohnbedürfnisses des anderen Ehegatten dient, verfügungsberechtigt, so hat dieser gemäß § 97 ABGB einen Anspruch darauf, dass der verfügungsberechtigte Ehegatte alles unterlasse und vorkehre, damit der auf die Wohnung angewiesene Ehegatte diese nicht verliere; dies gilt nicht, wenn das Handeln oder Unterlassen des verfügungsberechtigten Ehegatten durch die Umstände erzwungen wird. Der Zweck dieser Bestimmung liegt nach ständiger Rechtsprechung darin, dem betroffenen Ehegatten jene Wohnmöglichkeit zu erhalten, die ihm bisher zur Deckung des den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Bedürfnisses gedient hat und die er weiterhin benötigt (4 Ob 71/09h; RIS-Justiz RS0009570); er soll insofern vor Willkürakten des anderen Ehegatten geschützt werden (4 Ob 71/09h; RIS-Justiz RS0009580).
2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der im Verfahren zur Sicherung des hier strittigen Anspruchs ergangenen Entscheidung 2 Ob 173/09v unter Hinweis auf Vorjudikatur (3 Ob 231/04y = SZ 2004/150; 1 Ob 65/05y; 4 Ob 55/07b) ausgeführt, dass der Anspruch auf Erhaltung einer bestehenden Wohnmöglichkeit von der aktuellen Benützbarkeit der Wohnung unabhängig ist. Solange die Benützung zu Wohnzwecken nicht auf Dauer ausgeschlossen ist, sodass das Objekt den Charakter einer „Wohnung" verlieren würde, bleibt eine solche Wohnung grundsätzlich geeignet, das dringende Wohnbedürfnis des auf die Wohnung angewiesenen Ehegatten zu erfüllen. Das gilt auch dann, wenn dieser (vorübergehend) nicht in der Lage sein sollte, die zur Herstellung der Benützbarkeit der Wohnung erforderlichen Kosten ohne Gefährdung seiner sonstigen Bedürfnisse aus Eigenem zu tragen, und deshalb eine andere Unterkunftsmöglichkeit in Anspruch nimmt.
Für das Vorliegen eines dringenden Wohnbedürfnisses ist somit auch im vorliegenden Fall nur entscheidend, ob dem wohnungsbedürftigen Ehegatten eine ausreichende und gleichwertige Unterkunft zur Verfügung steht (2 Ob 72/05k mwN; RIS-Justiz RS0006012). Dass dies hier nicht zutrifft, hat schon das Berufungsgericht ausführlich dargelegt (ebenso im Sicherungsverfahren 2 Ob 173/09v).
3. Die Auslegung einzelner Bestimmungen eines Kaufvertrags hat im Allgemeinen keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung (vgl RIS-Justiz RS0042776, RS0042936). Das Auslegungsergebnis des Rekursgerichts, wonach die generalklauselartig formulierte Bestimmung des Notariatsakts vom 19. Juni 1996 zwar sämtliche wechselseitigen vermögensrechtlichen Ansprüche der Streitteile erfasse, nicht aber den familienrechtlichen Anspruch nach § 97 ABGB, ist schon aufgrund des Wortlauts der Vertragsbestimmung („verrechnet") vertretbar und bedarf keines korrigierenden Eingreifens durch den Obersten Gerichtshof. Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, begründet keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO (RIS-Justiz RS0042776 [T2]). Auf dieser Grundlage ist nicht weiter zu erörtern, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang vorweg auf einen Anspruch nach § 97 ABGB verzichtet werden kann.
4. Andere erhebliche Rechtsfragen macht die Revision nicht geltend. Sie ist daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Beklagte hat ihm daher die Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen (§§ 41, 50 ZPO).
Textnummer
E92471European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2009:0040OB00150.09A.1119.000Im RIS seit
19.12.2009Zuletzt aktualisiert am
19.09.2012