Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Kundegraber über die Beschwerde des Dkfm. Mag. Dr. Dr. G Gr, geb. am, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, wie folgt entschieden:
Die Beschwerde wegen der Amtshandlung am 05. Dezember 2011, um ca. 16:00 Uhr, auf der A 9, VKP S, durch ein Organ der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz, wird als unbegründet abgewiesen.
Rechtsgrundlagen:
§§ 2, 88 Sicherheitspolizeigesetz (SPG), §§ 67 a Abs 1 Z 2, 67 c Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), § 2 Abs 1 Passgesetz (PassG), Art. 2 Abs 3 der Durchführung des Übereinkommens von Schengen, BGBl. III Nr. 1997/205 (SDÜ), Art. 20, 21 lit a der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten von Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex).
Gemäß § 79 a AVG in Verbindung mit der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. Nr. 456/2008, hat der Beschwerdeführer die Kosten des Verfahrens dem Bund in der Höhe von ? 426,20 binnen zwei Wochen ab Zustellung des Bescheides bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
I.1. In der Beschwerde vom 06. Dezember 2011 wird behauptet, dass eine unzulässige Personenkontrolle der Behördenorgane im Zuge einer Verkehrskontrolle auf der A 9, VKP S, durchgeführt worden sei. Trotz Protest sei ein Reisedokument gefordert worden, obwohl die Ausweispflicht für Österreicher mit Ablauf des 31.12.55 (!) geendet hatte. Zudem wurde ein Kostenersatz begehrt.
2. Die Bezirkshauptmannschaft Leibnitz erstattete am 21. Dezember 2011 eine Gegenäußerung und verwies im Wesentlichen auf Art. 21 Schengener Grenzkodex. Danach hätten die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, in ihren Rechtsvorschriften die Verpflichtung zum Besitz oder Mitführen von Urkunden und Bescheinigungen vorzusehen (Passpflicht nach dem Passgesetz). Die Aufforderung, den Reisepass vorzuweisen, erfolge im Zuge der Ausgleichsmaßname und diene dem Zweck die ordnungsgemäße Einreise festzustellen. Das Organ hätte auf Grund konkreter Umstände annehmen können, dass der Beschwerdeführer die Binnengrenze im Zuge einer noch andauernden Reisebewegung überschritten habe.
Es wurde beantragt die Beschwerde abzuweisen und dem Bund die Kosten für Vorlage und Schriftsatzaufwand zuzusprechen.
Beigegeben wurde eine Niederschrift vor der Bezirkshauptmannschaft Leibnitz vom 19. Dezember 2011 mit RI M Ma.
II.1. Nach Durchführung von Verhandlungen am 01. März 2012 und 30. März 2012, wobei die Zeugen RI M Ma, AI A K und Dr. R H einvernommen wurden sowie des Akteninhaltes und den Ausführungen in der Beschwerde, ist von nachfolgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt auszugehen:
Am 05. Dezember 2011 wurde eine von mehreren monatlichen Schwerpunktkontrollen auf der A 9, Verkehrskontrollplatz S, durchgeführt. Einsatzleiter war der stellvertretende Fachbereichsleiter beim LPK Steiermark in der Organisation und Einsatzabteilung, Fachbereich für Ausgleichsmaßnahmen und Grenzdienst, AI A K. Der Auftrag war die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen und waren daher Kontrollen nach dem Suchtmittelgesetz, Kfz-Verschiebung, Diebstähle sowie Einhaltung verkehrspolizeilicher und verwaltungspolizeilicher Vorschriften durchzuführen. Der Kontrollpunkt befindet sich ca. 4 km Luftlinie von der Staatsgrenze entfernt. Die Kontrollen wurden stichprobenartig in der Art und Weise durchgeführt, dass der gesamte Verkehr auf der A9 über einen Verkehrskontrollpunkt (Kontrollpunkt der ASFINAG) geleitet wurde und hiebei stichprobenartig Fahrzeuge kontrolliert wurden bzw. ihre Insassen. Es waren acht kontrollierende Beamte im Einsatz.
Das Fahrzeug des Beschwerdeführers bzw. dessen Identität wurde von RI M Ma kontrolliert, die das Fahrzeug zufällig aus der Reihe der vorbeifahrenden Fahrzeuge anhielt. Hiebei wurde das Haltezeichen mit der Stablampe gegeben und trug die Polizistin eine Überwurfjacke mit der Aufschrift Polizei. Im Fahrzeug des Beschwerdeführers war auch noch Dr. R H als Beifahrer. Es wurde eine Fahrzeug- und Lenkerkontrolle durchgeführt, wobei der Beschwerdeführer den Führerschein vorwies. Den Zulassungsschein konnte der Beschwerdeführer nicht vorweisen, sodass die Polizistin eine Anfrage über den mitgeführten Laptop durchführte, wobei sie den Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer des Fahrzeuges verifizieren konnte. Auf den Vorhalt von RI Ma, der Beschwerdeführer habe einen Grenzübertritt vorgenommen - dies auch vom Beschwerdeführer nicht in Abrede gestellt - verlangte sie von beiden Fahrzeuginsassen ein Reisedokument. Der Beschwerdeführer wies sich mit einem Reisedokument aus. Danach teilte der Beschwerdeführer RI Ma mit, dass die Amtshandlung nicht korrekt durchgeführt worden sei, da er sich nicht mit einem Reisedokument ausweisen hätte müssen.
Der Beschwerdeführer wies auf die Unrechtmäßigkeit der Kontrolle hin und wurde daher der Einsatzleiter AI K beigezogen. Nach einer rechtlichen Diskussion und dem Hinweis, dass an Ort und Stelle eine Schengenkontrolle zulässig sei sowie dem Zahlen eines Organmandates in Höhe von ? 20,00 wegen des Nichtmitführens des Zulassungsscheines und Aushändigung der Dienstnummer von RI Ma hat der Beschwerdeführer die Fahrt fortgesetzt.
2. Die getroffenen Feststellungen gründen sich auf den Inhalt der Einvernahmen in der Verhandlung vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark. Grosso modo besteht in der Sachverhaltsdarstellung der Zeugen kein entscheidungsrelevanter Widerspruch. Wenn der Beifahrer Dr. H vermeint, dass alle Fahrzeuge angehalten und somit eine lückenlose Kontrolle durchgeführt worden sei, so ist dem nicht zuzustimmen, vielmehr handelt es sich um stichprobenartige und selektive Kontrollen. Der Eindruck konnte möglicherweise deshalb entstehen, da zum Zeitpunkt der Kontrolle weniger Verkehr war und es somit keinen Rückstau gab. Die Stichprobenartigkeit der Kontrollen wurde von AI K als Leiter der Amtshandlung auch kontrolliert und besteht kein Zweifel daran, dass hier eine stichprobenartige Personenkontrolle durchgeführt wurde. Dass der Beschwerdeführer den Vorhalt, er habe zuvor die Grenze überschritten, unwidersprochen gelassen hat, wird selbst von ihm nicht in Abrede gestellt.
III. Die Rechtsbeurteilung ergibt Folgendes:
1. Gemäß § 67 a Abs 1 Z 2 AVG entscheiden die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes.
Gemäß § 88 Abs 1 SPG erkennen die Unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Menschen, die behaupten durch Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 129 a Abs 1 Z 2 B-VG).
Gemäß Abs 2 leg cit erkennen die Unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Menschen, die behaupten, auf andere Weise durch die Besorgung der Sicherheitsverwaltung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sofern dies nicht in Form eines Bescheides erfolgt ist.
Gemäß Abs 4 leg cit entscheidet der Unabhängige Verwaltungssenat über Beschwerde gemäß Abs 1 oder 2 durch eines seiner Mitglieder. Im Übrigen gelten die §§ 67 c bis 67 g und 79 a AVG.
Gemäß § 2 Abs 1 leg cit obliegt die Sicherheitsverwaltung den Sicherheitsbehörden. Gemäß Abs 2 leg cit besteht die Sicherheitsverwaltung aus der Sicherheitspolizei, dem Pass- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten.
Zutreffender Weise führt die belangte Behörde aus, dass die Kontrolle des Reisedokumentes dem Passwesen im Sinne des § 2 Abs 2, somit der Sicherheitsverwaltung zuzuordnen ist. Ob es sich hiebei um die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des § 88 Abs 1 SPG oder um ein schlichtes Polizeihandeln im Sinne des § 88 Abs 2 SPG (wie die belangte Behörde vermeint) handelt, ist ohne Relevanz, wenn die Verletzung eines subjektiven Rechtes behauptet wird. Die Beschwerde selbst langte beim Unabhängigen Verwaltungssenat für die Steiermark am 06. Dezember 2011 (auf elektronischem Wege) ein, wodurch die sechswöchige Beschwerdefrist gewahrt wurde. Auch ist die örtliche Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark gegeben, da die von der Beamtin in der Polizeiinspektion Sp durchgeführte Amtshandlung in dessen Sprengel durchgeführt wurde.
2. Gemäß Art. 2 Abs 3 SDÜ bleibt die Anwendung der Art. 22 und die Ausübung der Polizeibefugnisse durch die nach Maßgabe des nationalen Rechts zuständigen Behörden einer Vertragsparte in den gesamten Hoheitsgebiet dieser Vertragspartei sowie die im Recht dieser Vertragspartei vorgesehenen Verpflichtungen über den Besitz, das Mitführen und das Vorzeigen von Urkunden und Bescheinigungen von der Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen unberührt.
Gemäß Art. 20 des Schengener Grenzkodex dürfen die Binnengrenzen, unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen, an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden.
Gemäß Art. 21 des Schengener Grenzkodex (Kontrollen innerhalb des Hoheitsgebiets) berührt die Abschaffung der Grenzkontrollen an Binnengrenzen nicht:
lit a: Die Ausübung der polizeilichen Befugnisse durch die zuständigen Behörden der Mitgliedsstaaten nach Maßgabe des nationalen Rechts, sofern die Ausübung solcher Befugnisse nicht die gleiche Wirkung wie Grenzübertrittskontrollen hat; dies gilt auch in Grenzgebieten. Im Sinne von Satz 1 darf die Ausübung der polizeilichen Befugnisse, insbesondere nicht der Durchführung von Grenzübertrittskontrollen gleichgestellt werden, wenn die polizeilichen Maßnahmen
i) keine Grenzkontrollen zum Ziel haben;
ii) auf allgemein polizeilichen Informationen und Erfahrungen im Bezug auf mögliche Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beruhen und insbesondere auf die Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität abzielen;
iii) in einer Weise konzipiert sind und durchgeführt werden, die sich eindeutig von systematischen Personen - Kontrollen an den Außengrenzen unterscheidet;
iv) auf der Grundlage von Stichproben durchgeführt werden.
Gemäß § 2 Abs 1 PassG bedürfen österreichische Staatsbürger (Staatsbürger) zur Ausreise aus dem Bundesgebiet und zur Einreise in dieses eines gültigen Reisedokumentes (Reisepass oder Passersatz), soweit nicht etwas anderes durch zwischenstaatliche Vereinbarungen bestimmt wird oder internationalen Gepflogenheiten entspricht. Einem Staatsbürger, der über kein gültiges Reisedokument verfügt, jedoch seine Staatsbürgerschaft und seine Identität glaubhaft machen kann, darf, unbeschadet seiner Verantwortlichkeit nach § 24 Abs 1, die Einreise nicht versagt werden.
Gemäß § 24 Abs 1 leg cit begeht, sofern die Tat nicht eine gerichtlich strafbare Handlung darstellt, eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu ? 2.180,00 oder einer Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen, zu bestrafen, wer rechtswidrig ein- oder ausreist (§ 2).
Laut Art. 21 des Schengener Grenzkodex wird die Ausübung polizeilicher Befugnisse nach Maßgabe des nationalen Rechts nicht berührt, wenn dies nicht die gleiche Wirkung hat die Grenzübertrittskontrollen. Bei der in concreto durchgeführten Kontrolle handelt es um eine stichprobenartige Schwerpunktkontrolle im Rahmen der Ausgleichsmaßnahmen des Schengener Grenzkodex. Aus dem Sachverhalt ergibt sich die stichprobenartige, auf allgemeine polizeiliche Informationen und Erfahrungen und möglichen Bedrohung der Sicherheit abzielende Kontrolle. Das Fahrzeug des Beschwerdeführers wurde wie andere Fahrzeuge zufällig aus der Reihe geholt und unterscheidet sich daher diese Kontrolle bereits grundlegend von einer systematischen Personenkontrolle an der Außengrenze. Ziel war auch nicht die Grenzkontrolle, sondern die grenzüberschreitende Kriminalität zu bekämpfen sowie Kontrollen nach dem Suchtmittelgesetz, Kfz-Verschiebung, Diebstähle und Einhaltung verkehrspolizeilicher und verwaltungspolizeilicher Vorschriften (siehe Aussage AI K). Es besteht daher kein Grund, wenn auch eine Kontrolle nach dem Passgesetz bezüglich der ordnungsgemäßen Einreise, nämlich des Mitführens eines gültigen Reisedokumentes durchgeführt wird, wenn der Grenzübertritt - wie der Beschwerdeführer selbst zugibt - in einer zeitlichen und auch örtlichen Nahebeziehung steht. Das einschreitende Polizeiorgan hatte somit Anhaltspunkte, dass ein Grenzübertritt stattfand und daher ein Reisedokument gemäß § 2 Abs 1 PassG bei der Einreise in das Bundesgebiet gefordert wird. Grundsätzlich besteht in Österreich keine allgemeine Ausweispflicht für österreichische Staatsangehörige. Auch wenn das SDÜ die Personenkontrollen an den Binnengrenzen abgeschafft hat, bleibt die Verpflichtung nach § 2 Abs 1 PassG bestehen (siehe Art. 2 Abs 3 SDÜ). Zwischenstaatliche Vereinbarungen, die die Passpflicht beschränken oder aufheben können, bestehen zwischen der Republik Slowenien und Österreich nicht.
Somit war die Aufforderung an den Beschwerdeführer, den Reisepass nach erfolgter Einreise auf der A 9, 4 km Luftlinie von der Staatsgrenze entfernt, im Zuge der Ausgleichsmaßnahme gerechtfertigt. Hiebei war zu berücksichtigen, dass gegenüber dem Polizeiorgan der Beschwerdeführer der verbalen Feststellung des erfolgten Grenzübertrittes nicht widersprach und somit die einschreitende Polizistin von einer noch andauernden Reisebewegung ausgehen konnte.
III. Als Kosten wurden gemäß § 79 a AVG in Verbindung mit der UVS-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. Nr. 456/2008, dem Bund (Bundesministerin für Inneres) ein Betrag von ? 426,20 zugesprochen. Der Betrag setzt sich aus ? 57,40 Vorlageaufwand und ? 368,80 Schriftsatzaufwand zusammen.