TE Vfgh Beschluss 1998/6/9 B421/97

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Veröffentlicht am 09.06.1998
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

DSt 1990 §19 Abs3
VfGG §34
ZPO §530 Abs1

Leitsatz

Zurückweisung eines Wiederaufnahmeantrags mangels Vorliegen eines gesetzlichen Wiederaufnahmsgrundes

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit Beschluß des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien vom 7. April 1995 wurde dem Antragsteller als einstweilige Maßnahme gemäß §19 Abs3 Z1 litb DSt 1990 das Vertretungsrecht vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien und allen diesen unterstellten Bezirksgerichten in Strafsachen sowie vor allen diesen genannten Gerichten beigeordneten Anklagebehörden entzogen. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wurde mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 4. Dezember 1995 keine Folge gegeben. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23. September 1996, B902/96-7, als unbegründet abgewiesen.

2. Mit dem vorliegenden Antrag begehrt der Einschreiter die Wiederaufnahme des Beschwerdeverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof. Der Antragsteller bringt im wesentlichen vor, daß das Tatsachenschwergewicht im wiederaufzunehmenden Verfahren darin lag, daß die Darstellung des Geschäftsführers der Mandantschaft des Antragstellers, es handle sich um eine Scheinzession, als unglaubwürdig angesehen wurde. Es seien aber neue Beweismittel und Tatsachen hervorgekommen, die die vom Antragsteller behaupteten Tatsachen endgültig erweislich machten.

Hiezu führt er im wesentlichen aus:

"Die Anzeigerin handelte vorerst völlig im Einklang mit ihrem Kommittenten, ...(Name des Kommittenten: im folgenden: B.), mit dem sie sich über folgendes Thema verständigte:

B. hatte zur Besicherung der 'Kreditlinie', die die Beklagte der Bauträgerin 'Die Wohnstätte' einräumte, dieser eine Wertpapierdeckung verpfändet, deren Wert - dies sei vorausgeschickt - zum 22.3.1996 S 17.340.848,63 betrug. B. vereinbarte mit der beklagten Partei, daß diese sich - zumindestens teilweise - aus dem Prozeßrealisat der Bauträgergesellschaft 'Die Wohnstätte' schadlos halten sollte, welche diese aus einem Rechtsstreit gegenüber der Stadt Wien (Amtshaftungsverfahren) zu erwarten hatte. Sowohl B. als auch die Anzeigerin wußten, daß es sich hiebei um eine Scheinzession handelte, denn die Bauträgergesellschaft 'Die Wohnstätte' hatte nie und nimmer die Absicht, ihr Prozeßrealisat, das sie längst einem Architekten und ihrer Hausbank versprochen hatte, an die beklagte Partei abzutreten.

B. gelang es freilich, dem Geschäftsführer der Bauträgergesellschaft 'Die Wohnstätte' eine Scheinzessionserklärung herauszulocken, indem er vorgab, er benötige eine solche Erklärung, um gegenüber der Abgabenbehörde dartun zu können, daß ein Kredit in beträchtlicher Höhe, nämlich etwa in der Höhe des Prozeßrealisates, eingeräumt wurde. Er meinte nämlich, die Abgabenverwaltung werde die völlig sicherheitslose Einräumung dieses Kredites bezweifeln und vielmehr dahinter vermuten, daß eine Wertpapierdeckung gegeben sei, was - so B. - die Abgabenverwaltung nicht erfahren dürfe.

Da 'Die Wohnstätte' ihrem Rechtsfreund - dem Antragsteller - den Auftrag erteilte, das Prozeßrealisat im Sinne jener Verpflichtungen zu überweisen und die Anzeigerin daher diesen Betrag nicht empfangen konnte, bestimmte B. die Anzeigerin, gegen den Antragsteller eine - völlig unbegründete - Strafanzeige zu erstatten und in der Folge eine Klage u.a. gegen den Antragsteller wegen der Nichtabführung des Prozeßrealisates einzubringen. Da beides nicht zum Erfolg führte, die Anzeigerin also Zahlung vom Antragsteller bis dato nicht erlangen konnte, geriet sie in Panik:

Sie drohte B., also ihrem Sicherheitsgeber, die Realisierung der Sicherheiten an. B. widersprach und drohte mit Klage samt Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Ein daraufhin zwischen der Anzeigerin und B. geführtes Vergleichsgespräch blieb erfolglos. B. klagte daraufhin und die Anzeigerin verwertete daraufhin die Sicherheiten.

Diese Tatsache kam durch folgende Schriften und Aussagen, die im Akt 23 Cg 93/96 a des Landes- als Handelsgericht Wiener Neustadt enthalten sind, hervor ...

...

Hätte das angerufene Gericht diese neuen Tatsachen und Beweismittel gekannt, dann hätte es den vermeintlichen Tatverdacht endgültig als nicht bestehend erkannt, denn es gibt ja nunmehr selbst die Anzeigerin zu, daß die vermeintliche Zession eine Scheinzession war."

Mit Schriftsatz vom 12. November 1997 legte der Antragsteller zur Unterstützung seines Antrages ein Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 15. September 1997 sowie eine Strafanzeige eines Richters des Landesgerichtes Wiener Neustadt vor.

3. Der Wiederaufnahmeantrag ist unzulässig.

3.1. Zufolge §34 VerfGG kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur in den Fällen der Art137, 143 und 144 B-VG stattfinden. Für die Wiederaufnahme eines Verfahrens in Fällen des Art144 B-VG gelten, da §34 VerfGG eine nähere Regelung nicht enthält, nach §35 VerfGG sinngemäß die Bestimmungen der ZPO (§§530 ff.). Der Verfassungsgerichtshof hat daher bei der Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf die Bestimmung des §538 Abs1 ZPO über das Vorprüfungsverfahren sinngemäß anzuwenden, wonach eine Wiederaufnahmsklage insbesondere dann zurückzuweisen ist, wenn sie nicht auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe (§530 Abs1 Z1 bis 7 ZPO) gestützt ist (vgl. VfSlg. 8983/1980, 11313/1987, 11985/1989, 12872/1991, 12993/1992, 13196/1992, 13969/1994, 14015/1995, 14101/1995 und 14128/1995).

Der vorliegende Antrag stützt sich seinem eigenen Vorbringen zufolge auf die Wiederaufnahmsgründe der Z1, 2 und 7 des §530 Abs1 ZPO.

§530 Abs1 ZPO lautet - auszugsweise - wie folgt:

"§530. (1) Ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, kann auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden;

1. wenn eine Urkunde, auf welche die Entscheidung gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht ist;

2. wenn sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder der Gegner bei seiner Vernehmung einer falschen Beweisaussage (§288 StGB) schuldig gemacht hat und die Entscheidung auf diese Aussage gegründet ist;

...

7. wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung in früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde."

3.2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat seine abweisende Entscheidung B902/96-7 im wesentlichen darauf gestützt, daß der OBDK als belangter Behörde bekannt war, daß gegen den Antragsteller ein gerichtliches Strafverfahren vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien anhängig ist, wobei gegen ihn Vorerhebungen wegen des Verbrechens der Untreue nach §153 Abs1 und 2 StGB geführt werden. Der Gerichtshof hat es in diesem Zusammenhang als evident angesehen, daß schwere Nachteile für das Ansehen des Rechtsanwaltstandes zu besorgen sind, wenn ein Rechtsanwalt bei dem Gericht, bei dem gegen ihn Vorerhebungen wegen des Verdachtes der Begehung eines Verbrechens durchgeführt werden, als Parteienvertreter einschreitet.

3.2.2. Der Verfassungsgerichtshof hat im Rahmen seiner Zuständigkeit zur Überprüfung von Bescheiden, mit denen über Rechtsanwälte einstweilige Maßnahmen im Sinne des §19 Abs3 DSt 1990 verhängt werden, nicht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer das ihm im gerichtlichen Verfahren angelastete Vergehen oder Verbrechen tatsächlich begangen hat. Nach der Regelung des §19 Abs1 Z1 DSt 1990 ist es für die Verhängung einer einstweiligen Maßnahme vielmehr ausreichend, daß gegen den Rechtsanwalt ein gerichtliches Strafverfahren anhängig und die einstweilige Maßnahme mit Rücksicht auf die Art und das Gewicht des ihm zur Last gelegten Disziplinarvergehens wegen zu besorgender schwerer Nachteile erforderlich ist. Die Frage, ob der Verdacht, der zur Einleitung des gerichtlichen Verfahrens geführt hat, zu Recht besteht, war demgemäß für das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes B902/96-7 nicht entscheidungserheblich.

Das in Rede stehende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes gründet sich daher weder auf die nach Ansicht des Antragstellers fälschlich angefertigte Zessionsurkunde noch auf die im Rahmen der gerichtlichen Vorerhebungen getätigten Beweisaussagen. Die Berufung des Antragstellers auf die Z1 und 2 des §530 Abs1 ZPO ist daher vom Ansatz her verfehlt.

3.2.3. Soweit sich der Antragsteller auf die Z7 des §530 Abs1 ZPO beruft, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die in dieser Bestimmung angesprochenen Tatsachen oder Beweismittel nur dann einen Wiederaufnahmsgrund darstellen, wenn deren Berücksichtigung im Rahmen der dem Verfassungsgerichtshof zukommenden - beschränkten - Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis (im vorliegenden Fall also unter dem Gesichtspunkt der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte) im verfassungsgerichtlichen Verfahren eine der Partei günstigere Entscheidung möglich erscheinen läßt (vgl. VfSlg. 9126/1981; VfGH 16.6.1997, B807/97). Der Verfassungsgerichtshof hat in einem Beschwerdeverfahren nach Art144 B-VG als Prüfungsmaßstab die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides heranzuziehen (vgl. zB VfSlg. 8704/1979, 8780/1980, 8926/1980, 9763/1983 und 14089/1995). Der Bescheid der OBDK, dessen neuerliche Anfechtung im Wege der Wiederaufnahme des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ermöglicht werden soll, wurde dem Antragsteller nach seinen eigenen (in seiner Beschwerdeschrift zu B902/96 enthaltenen) Angaben am 29. Jänner 1996 zugestellt. Die vom Antragsteller vorgelegten Schreiben, Aussagen und Urteile, die er zur Unterstützung seines Vorbringens vorgelegt hat, sind jedoch ausnahmslos erst nach dem Zeitpunkt der Erlassung des genannten Bescheides entstanden. Es ist daher ausgeschlossen, daß die OBDK im Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides Kenntnis von diesen - erst später entstandenen - neuen Beweismitteln haben konnte. Der Verfassungsgerichtshof ist der Auffassung, daß einer Behörde, die es unterläßt, im Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch gar nicht vorhandene Beweismittel zu berücksichtigen, der Vorwurf der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte nicht gemacht werden kann. Selbst dann, wenn die vom Wiederaufnahmswerber vorgelegten Beweismittel dem Verfassungsgerichtshof bereits im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses B902/96-7 zur Verfügung gestanden wären, hätte die Entscheidung des Gerichtshofes für den Antragsteller somit nicht günstiger ausfallen können. Es ist daher im vorliegenden Fall von vornherein ausgeschlossen, daß die vom Antragsteller vorgelegten Beweismittel, die nach seinem eigenen Vorbringen erst nach dem Zeitpunkt der Erlassung des im wiederaufzunehmenden Verfahren angefochtenen Bescheides entstanden sind, eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes bewirkt hätten.

3.3. Das Beschwerdevorbringen läßt sich daher unter keinen der geltend gemachten Wiederaufnahmsgründe des §530 Abs1 ZPO subsumieren. Der Wiederaufnahmeantrag ist somit gemäß §538 Abs1 iVm §530 Abs1 ZPO und den §§34 f VerfGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Schlagworte

VfGH / Wiederaufnahme, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht (Rechtsanwälte)

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1998:B421.1997

Dokumentnummer

JFT_10019391_97B00421_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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