TE UVS Steiermark 2012/06/21 26.12-31/2011

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 21.06.2012
beobachten
merken
Spruch

Der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark hat durch das Senatsmitglied Dr. Hütter über die Berufung des Herrn T M, geb. am, vertreten durch W Rechtsanwalt GmbH, Wst, B, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Graz vom 01.04.2010, Zl: 1-1017033/FR/10, betreffend Abweisung eines Antrages auf Aufhebung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, wie folgt entschieden:

 

Gemäß § 66 Abs 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG wird der Berufung nicht Folge gegeben.

Text

1. An Herrn N Tj, den nunmehrigen Berufungswerber, gerichtet und mit dem Betreff: N Tj geb., alias M D, geb. in ihrem Bescheid vom 02.10.2003, der am 23.10.2003 rechtskräftig wurde, erließ die erstinstanzliche Behörde, gestützt auf § 36 Abs 1 i.V.m. Abs 2 Z 1 FrG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot mit dem Ausspruch, dass der Ausgewiesene nach Eintritt der Durchsetzbarkeit des Bescheides aus dem Bundesgebiet unverzüglich auszureisen habe, dies mit folgender Begründung (zusammengefasst): Illegale Einreise am 12.11.2002, Asylantrag am 13.11.2002 unter dem Namen Tj N, geb. am, darüber bisher nicht entschieden; Identität nicht dokumentiert; Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Graz nach den §§ 28 Abs 2 und 3 und 27 Abs 1 Suchtmittelgesetz (SMG) im Verfahren 8 Hv 98/03f am 08.07.2003, rechtskräftig seit 12.07.2003, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren unbedingt; sein weiterer Aufenthalt im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit. Wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität kein Vorrang der privaten und familiären Interessen gegenüber den nach Art. 8 Abs 2 EMRK relevanten öffentlichen Interessen.

 

2. Herr T M, geb. am stellte am 20.10.2009 den mit folgender Begründung an die Bundespolizeidirektion Graz gerichteten Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes: Er wohne seit seiner Enthaftung in Innsbruck, habe am 20.07.2006 Frau Ma Mr To-M geheiratet und lebe mit ihr und deren fünf Kindern in der ehelichen Wohnung, G, I. Die im August 2006 geborene gemeinsame Tochter A sei nach schwerer Krankheit am 30.11.2006 verstorben. Die Ehefrau sei freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürgerin, dem Antragsteller sei am 05.12.2006 vom Stadtmagistrat I eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt, aber mit einem internen Aktenvermerk widerrufen worden, ohne dass er davon in Kenntnis gesetzt worden sei. Von 01.04.2007 bis zur Schließung des Lokales am 31.12.2007 sei er in der Vitaminbar F-J in I beschäftigt, bis Oktober 2008 bei den Kindern zu Hause gewesen, während seine Ehefrau einer Beschäftigung nachgegangen sei und sei von Oktober 2008 bis 27.08.2009 von der Bäckerei R GmbH beschäftigt worden. Vom 20.07.2009 bis Mitte August 2009 Beschäftigung bei der Gebäudereinigungsfirma Ag, vom 24.08.2009 bis 29.09.2009 beim renommierten Gasthof Ri H in I. Untersuchungshaft am 27.01.2009 wegen des Verdachts einer Übertretung des Suchtmittelgesetzes, mittlerweile daraus entlassen. Er unterziehe sich laufend Drogentests, die alle negativ verlaufen seien. Am 29.09.2009 Abnahme der Daueraufenthaltskarte und des Reisepasses und Schubhaftnahme, nach Beschwerde beim UVS Tirol Enthaftung am 07.10.2009. Ohne Daueraufenthaltskarte sei ihm eine Arbeitsaufnahme nicht möglich. Entlassung aus der Strafhaft nach Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Graz zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren am 21.07.2005. Seither habe er sein Leben grundlegend geändert. Er sei Familienangehöriger einer freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgerin und damit begünstigter Drittstaatsangehöriger; mittlerweile gute Deutschkenntnisse, gute Integration in Österreich, wegen Abwesenheit aus Gambia seit 2002 Verlust jeglichen Bezuges zur Heimat. Selbst wenn ein Verfahren gegen ihn nach dem SMG beim Landesgericht Innsbruck anhängig sei, sei anzunehmen, dass das Verfahren mit einer geringen Strafe bzw. Anordnung einer Therapie enden werde. Durch das sonstige Verhalten habe er nachdrücklich gezeigt, dass er sich auch in schwierigen Lebensphasen bewähre und trotz ungünstiger Lebensumstände versuche, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Er habe sich einer Drogentherapie unterzogen und vor vielen Monaten mit dem Eigenkonsum aufgehört. Daher beantrage er das Aufenthaltsverbot aufzuheben.

 

3. Mit dem nun mit Berufung angefochtenen Bescheid vom 01.04.2010 wies die erstinstanzliche Behörde den Antrag vom 20.10.2009 auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes mit folgender Begründung ab: Nach § 65 Abs 1 FPG sei ein Aufenthaltsverbot aufzuheben, wenn die Gründe zu dessen Erlassung weggefallen seien. Ein solcher Antrag könne nur dann zum Erfolg führen, wenn sich seit Erlassung die maßgeblichen Umstände zugunsten des Fremden geändert hätten. Dabei sei auch auf die nach der Erlassung eingetretenen und gegen die Aufhebung der Maßnahme sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen. Die Rechtmäßigkeit des Bescheides, mit dem es erlassen worden sei, dürfe dabei nicht überprüft werden. Nachdem sie ausführlich die Gefahren von Suchtgiftdelikten für die Gesellschaft beschrieben hatte, hielt die erstinstanzliche Behörde an ihrer Ansicht fest, beim Antragsteller handle es sich um einen besonders gefährlichen Rechtsbrecher mit deutlich reduziertem Unrechtsbewusstsein und besonders verwerflichem subjektivem Zugang zu seinem delinquenten Verhalten. Das Aufenthaltsverbot sei eben wegen der vom Antragsteller ausgehenden Gefährlichkeit unbefristet erlassen worden. Nach dem Stand des Strafregisters sei der Tilgungszeitraum nicht errechenbar. Nach Erlassung seines Aufenthaltsverbotes sei der Antragsteller wegen Begehung der Delikte nach § 28 Abs 2 und 3 SMG und § 15 SMG zu einer weiteren unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Monaten rechtskräftig verurteilt worden, zudem mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 20.11.2009 wegen Schlepperei nach § 114 Abs 1 FPG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten. Der Antragsteller sei zudem bisher der Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen, habe offensichtlich die Behörden über einen langen Zeitraum über seine wahre Identität wissentlich getäuscht und sei erst im Zuge der Vorbereitung der Eheschließung mit einer Österreicherin bereit gewesen, seine wahre Identität bekannt zu geben. Weiter ergebe sich aus dem Akt, dass seinem beim Magistrat I eingebrachten Antrag auf Erteilung einer Daueraufenthaltskarte unter seiner nunmehr bekannten Identität ohne Rückfrage bei der zuständigen Fremdenbehörde stattgegeben worden und die Aufenthaltsbehörde nicht in Kenntnis des gültigen Aufenthaltsverbotes gewesen sei. Nach deren Informierung sei ein Verfahren zur Aberkennung des Aufenthaltstitels eingeleitet und mit dem Entzug der Aufenthaltsberechtigung abgeschlossen worden. Seit Erlassung des Verbotes sei nur ein Zeitraum von sechs Jahren und fünf Monaten vergangen. Das jüngste Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 20.11.2009 wegen Schlepperei beruhe auf einem Verhalten des Antragstellers, das die öffentliche Sicherheit gravierend gefährde und elementare Interessen des Staates beeinträchtige. Es könne daher nicht von einem Wohlverhalten gesprochen werden. Da mit gleichem Urteil seine Gattin wegen Verbrechens des Suchtgifthandels verurteilt worden sei, schließe die Behörde daraus, dass der Antragsteller sich auch nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes im Suchtgiftmilieu bewege. Daher könne derzeit keine günstige Zukunftsprognose gestellt werden bzw. gefährde sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit und begründe die Aufrechterhaltung des Verbotes. Eventuelle private Umstände, die während des illegalen Aufenthaltes geschaffen worden seien, seien für die Prüfung der Frage, ob sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährde, nicht wesentlich.

 

4.

Diesen Bescheid bekämpfte Herr T M, geb. am mit Berufung, in der er Folgendes ausführte:

1.)

Mit dem Urteil des Landesgerichtes Graz vom 04.03.2004 sei eine Zusatzstrafe zum Urteil vom 08.07.2003 verhängt worden, aber keine weitere unbedingte Verurteilung nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes erfolgt.

2.)

Er sei der Meinung gewesen, gegen das Aufenthaltsverbot berufen zu haben. Nach Entlassung aus der Haft habe ihm niemand gesagt, dass er Österreich verlassen müsse. Als er seine jetzige Ehefrau kennengelernt habe, sei das Aufenthaltsverbot kein Thema gewesen und er habe beim Standesamt I für die Eheschließung seinen Namen geändert, wobei er angenommen habe, dass dies der Bundespolizeidirektion Graz bzw. Innsbruck bekannt da seine Ehegattin freizügigkeitsberechtigt gewesen sei. Er habe sich vor den österreichischen Behörden nie versteckt, zwar zunächst einen unrichtigen Namen geführt, diesen aber korrigiert. Da seit seiner vermeintlichen Berufung bereits Jahre vergangen gewesen seien, er immer wieder Kontakt mit den Behörden gehabt habe und ihm eine Daueraufenthaltskarte ausgestellt worden sei, habe er zu Recht angenommen, dass er sich legal in Österreich aufhalte.

3.)

Er lebe mit seiner Frau und den Kindern im gemeinsamen Haushalt. Als er bemerkt habe, dass seine Ehefrau mit Cannabis-Produkten hantiere, habe er versucht, sie abzuhalten und sich selbst aus jeglicher Weitergabe von Drogen herausgehalten. Alle Drogentests bis 14.04.2010 seien negativ gewesen. Er befinde sich seit 23.07.2009 beim Verein Bi in psychosozialer Beratung und Betreuung.

4.)

Auch aufgrund seiner Verurteilung nach § 114 Abs 1 FPG ergebe sich nicht, dass er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle, da ihn lediglich ein junger Gambier, der auf dem Weg von Wien in die Schweiz gewesen sei, um Unterstützung ersucht habe. Ohne einen Vorteil zu ziehen, habe er ihm Unterkunft gewährt und die Weiterfahrt nach Feldkirch organisiert, wo sich eine weitere Afrikanerin um ihn gekümmert habe.

5.)

Die Behörde habe alle Integrationsbemühungen, die auf eine positive Zukunftsprognose hinwiesen, mit Stillschweigen übergangen (es folgt hier eine Aufzählung der verschiedenen Beschäftigungen in den Jahren 2007 bis 2009, wobei eine Reise nach Gambia von 02.01.2008 bis 01.05.2008 erwähnt wird. Besuch zahlreicher Sprachkurse, Sprachdiplom A2 Grundstufe Deutsch II am 17.04.2010 mit Sehr Gut bestanden. Besuch des Deutschkurses Niveau B1, beabsichtigter Aufnahmetest für die HTLinn, Abteilung Maschineningenieurwesen).

6.)

Nach Haftentlassung im Juli 2010 habe er einen neuen Freundeskreis gesucht, habe beim Fc Rn wieder mit dem Fußballspiel begonnen, nachdem er in Gambia zehn Jahre Profifußballer gewesen sei und beabsichtige, ab der Saison 2010/2011 für den Fc Rn in der Gebietsliga West zu spielen. Hätte die Behörde alle diese Umstände berücksichtigt, wäre sie zum Ergebnis gelangt, dass eine positive Zukunftsprognose vorliege und die Gründe für das Aufenthaltsverbot weggefallen seien, das somit hätte aufgehoben werden müssen. Das Vorbringen wurde mit entsprechenden Urkunden belegt und die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung und Aufhebung des unbefristeten Aufenthaltsverbotes beantragt.

 

5.

Nach Anwaltswechsel erstattete der Berufungswerber folgendes ergänzende, hier zusammengefasst wiedergegebene Vorbringen vom 16.12.2011:

1.)

Persönliche Verhältnisse: Aufenthalt der Ehegattin laut Meldebescheinigung vom 01.01.2006 bis 12.10.2006 in S, Deutschland. Der Berufungswerber sei begünstigter Drittstaatsangehöriger einer gewanderten Unionsbürgerin. Maßgebliche Änderung der Sach- und Rechtslage zugunsten des Berufungswerbers seit Erlassung des Aufenthaltsverbotes; maßgebliche Änderung seines Umfeldes, der beruflichen Möglichkeiten und seines Verhaltens; nach Haftentlassung Arbeit in Österreich, Verbesserung der Deutschkurse auf Niveau B1, Aufnahmeprüfung für HTL; Zitate aus zahlreichen hier im Einzelnen nicht wiedergegebenen Referenzschreiben.

2.)

Fehlende Gefährlichkeit: Der Europäische Gerichtshof habe im Urteil Ziebell vom 08.12.2011, C-371/08 unter anderem Folgendes ausgeführt:

82.

Entsprechend können Maßnahmen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt sind, nur getroffen werden, wenn sich nach einer Einzelfallprüfung durch die zuständigen nationalen Behörden herausstellt, dass das individuelle Verhalten der betroffenen Person eine gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Bei dieser Prüfung müssen die Behörden zudem sowohl den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, als auch die Grundrechte des Betroffenen, insbesondere das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, wahren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22.12.2010, Bozkurt Randnrn. 57 bis 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

§ 67 Abs 1 FPG verlange bei Erlassung eines Aufenthaltsverbotes für begünstigte Drittstaatsangehörige, dass das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. § 67 Abs 3 FPG statuiere, dass unbefristete Aufenthaltsverbote gegen begünstigte Drittstaatsangehörige nur bei Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren und aus weiteren Gründen verhängt werden dürfen, die im gegebenen Fall nicht vorliegen. Daher sei das unbefristete Aufenthaltsverbot gegen den Berufungswerber aus dem Jahr 2003 jedenfalls aufzuheben. Die Ehe mit einer gewanderten Österreicherin begründe eine neue Rechtsgrundlage für seine Rechtsstellung. Er sei nun durch das Verbot der Inländerdiskriminierung und durch das Unionsrecht geschützt. Seine hohe soziale Integration ergebe sich daraus, dass er suchtgiftfrei lebe, einen verbindlichen Arbeitsvertrag habe, der seine wirtschaftlichen Verhältnisse sichere und berufsbegleitend eine gehobene Ausbildung an der HTL in Innsbruck weiterführen könne. Eine hohe Wiederholungsgefahr bzw. Rückfallsgefahr sei nur bei drogenabhängigen Personen erwiesen. Er beantrage die Einholung eines psychiatrischen, neurologischen und psychologischen Sachverständigengutachtens zur Persönlichkeit, zur Rückfallsgefahr, zum massiv verbesserten sozialen Umgang und fehlenden Drogenkonsum, der sich auch aus den beigelegten Attesten ergebe. Die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbotes sei jedenfalls unzulässig.

              3.)              Die Vorgaben der Europäischen Höchstgerichte: Der Berufungswerber nimmt hier Bezug auf die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 08.01.2009, Joseph Grant/Uk, BNR 10606/07, vom 07.07.2005 im Fall Dogan, Rs. C-383/03, vom 07.07.2005 im Urteil Aydinlli Rs. C-373/03, das Urteil vom 08.12.2011 Rs. C-371/08 im Fall Ziebell, Art. 27 Abs 2 der RL 2004/38/EG, das Urteil des OLG Graz vom 21.08.2007, 10 Bs 308/07f im Fall S.K., Art. 28 Abs 1 der RL 2004/38/EG, das Urteil Bouchereau vom 27.10.1977 Rs. 30/77 des EuGH, das Urteil des EuGH vom 10.02.2010 im Fall Nazli Rs C-340/97, das Urteil des EGMR vom 11.07.2002 in der Rechtssache Amrollahi Nr. 56811/00 und das Urteil des EGMR vom 22.07.2004 im Falle Radovanovic Nr. 42703/98.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH seien unbefristete Aufenthaltsverbote gegen Angehörige von Österreichern generell unzulässig.

              4.)              Antrag auf einstweilige Anordnung und Durchsetzungsaufschub: Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH hätten die Gerichte zur Durchsetzung des Unionsrechtes gegebenenfalls einstweilige Anordnungen zu erlassen. Auch Art. 13 Abs 2 der Rückführungsrichtlinie sehe die Möglichkeit vor, die Vollstreckung von Rückführungsentscheidungen einstweilig auszusetzen. Das gegenständliche Verfahren habe eine Rückführungsentscheidung zum Gegenstand und nicht einen Akt positiver Rechtsgestaltung, sondern die Beseitigung einer behördlichen Entscheidung, die in Rechte des Berufungswerbers eingreife. Er stelle den Antrag auf Erlassung folgender einstweiliger Verfügung: Für die Dauer dieses Verfahrens sind auf das Aufenthaltsverbot vom 02.03.2003 der Bundespolizeidirektion Graz gestützte Vollzugs- oder Vollstreckungsmaßnahmen unzulässig.

 

6.) Feststellungen:

 

Der Berufungswerber wurde am in Ba, Gambia, geboren, gehört der Volksgruppe der Wolof an, spricht Englisch, Wolof und Mandingo, besuchte elf Jahre die Schule, schloss die Highschool ab und war in seiner Heimat als Profifußballer tätig. Sein Vater handelte mit Autoteilen, seine Mutter war Hausfrau. Nach seiner Auswanderung stellte der Berufungswerber in Deutschland unter dem Namen D M, geb. am einen erfolglosen Asylantrag, wobei ihm am 06.09.2002 die Fingerabdrücke abgenommen wurden. Anschließend reiste er am 12.11.2002 illegal nach Österreich ein und stellte am 13.11.2002 unter dem Namen Tj N, geb. am einen Asylantrag, der am 23.10.2006 in erster Instanz rechtskräftig abgewiesen wurde. Der Berufungswerber wurde vom Landesgericht für Strafsachen Graz zu 8 Hv 98/2003 f am 08.07.2003 wegen Suchtgifthandels nach § 28 Abs 2 und 3 SMG und Erwerb und Besitz von Suchtgift nach § 27 Abs 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Laut Urteil setzte er von Sommer 2002 bis Februar 2003 große Mengen Heroin und Kokain (die zwei gefährlichsten Suchtgifte) gewerbsmäßig in Verkehr, um damit seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, und konsumierte unbekannte Mengen Marihuana (aber nicht Heroin und Kokain), war aber nach Meinung des Gerichts nicht suchtgiftabhängig und tätigte den Suchtgiftverkauf nicht zur Ermöglichung des Eigenkonsums. Aufgrund dieser Verurteilung erließ die Bundespolizeidirektion Graz mit Bescheid vom 02.10.2003 gegen ihn ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Das genannte Gericht verhängte über ihn am 04.03.2004 zu 12 Hv 11/2004 t noch eine Zusatzstrafe im Sinne der §§ 31 und 40 StGB in der Dauer von zwei Monaten. Der Berufungswerber wurde am 21.07. 2005 bedingt aus der Strafhaft entlassen und heiratete am 20.07.2006 die österreichische Staatsangehörige Frau Ma To, geb. am 22.03.1965, die seit der Eheschließung den Familiennamen To-M führt. Nach der Heirat wohnten der Berufungswerber und seine Ehegattin gemeinsam mit deren fünf Kindern, die sie in die Ehe mitgebracht hatte, in I, G. Von 01.01. bis 12.10.2006 war Frau Ma To-M in S, Deutschland, gemeldet, wo sie als Ernährungsberaterin selbstständig tätig war. Die inzwischen in I verbliebenen Kinder, die dort zur Schule gingen, wurden während der Abwesenheit ihrer Mutter durch den Berufungswerber beaufsichtigt. Der Stadtmagistrat I stellte am 05.12.2006 für T M D.E.S. geb. am, ohne mit der Fremdenpolizei Rücksprache gehalten zu haben, eine Daueraufenthaltskarte aus, aufgrund welcher es dem Berufungswerber möglich war, legal verschiedenen Beschäftigungen nachzugehen. Die Daueraufenthaltskarte wurde zwar schon am 24.05.2007 widerrufen, dem Berufungswerber aber erst am 29.09.2009 abgenommen. Im Laufe des Jahres 2007 lernte dieser Frau Mag. C P kennen, welche seit 2001 beim Land Tirol als Psychologin tätig ist und ging mit ihr im Jahr 2008 eine intime Beziehung ein, wobei bisher kein gemeinsamer Wohnsitz begründet wurde. Der Berufungswerber hielt sich von 02.01.2008 bis 01.05.2008 in Gambia auf und telefoniert alle zwei bis drei Monate mit seinen Eltern und vier Geschwistern, die in Gambia leben.

Im Zusammenhang mit Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz wurde der Berufungswerber am 27.01.2009 gemeinsam mit seiner Ehegattin in Untersuchungshaft genommen. Während seine Gattin nach dem Suchtmittelgesetz zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe, davon elf Monate bedingt, verurteilt wurde, verhängte das LG Innsbruck über den Berufungswerber mit dem Urteil vom 20.11.2009 zu 39 Hv 157/2009 a wegen Schlepperei, begangen im Zeitraum von Mitte Dezember 2008 bis 05.01.2009, nach § 114 Abs 1 FPG eine Freiheitsstrafe von drei Monaten, wobei das Gericht als mildernd unter anderem dessen eingeschränkte Dispositionsfähigkeit wegen Suchtgiftabhängigkeit wertete. Wie das Gericht im Urteil ausführte, hatte der Berufungswerber im Zug der Tathandlung Frau Mag. C P, die deswegen abgesondert verfolgt wurde, veranlasst, den Fremden mit dem Pkw von I nach Fk zu bringen, um die Weiterreise des Fremden in die Schweiz zu ermöglichen. Für die Monate Jänner, Juli, August, September, Oktober und November 2009 legte der Berufungswerber ebenso wie für April 2010 negative Drogen-Laborbefunde der Universitätsklinik für Psychiatrie I vor. Vom selben Institut stammt auch das zuletzt vorgelegte Attest Beilage./1 vom 19.03.2012 mit gleichem Ergebnis. Von 29.09.2009 bis 07.10.2009 war der Berufungswerber im PAZ I in Schubhaft. Er schloss im Schuljahr 2010/2011 an der HTLinn, höhere technische Bundes- Lehr- und Versuchsanstalt, Ast, I, das erste Semester im Rahmen des Vorbereitungslehrgangs erfolgreich ab. Die HTLinn hat ihm laut Beilage./5 am 20.02.2012 im laufenden Semester bis spätestens 27. März einen Platz in der Schule zugesagt, ersatzweise für September 2012 mit Einschreibung 10.09.2012. Der Berufungswerber ist seit 08.07.2011 von der Innsbrucker Adresse abgemeldet, war aber schon im März 2011 nach Italien ausgereist und hielt sich bis eine Woche vor der Berufungsverhandlung, die am 21.03.2012 stattfand, in Tu bei Freunden oder Bekannten auf. Frau Mag. P besuchte ihn nicht nur monatlich in Tu und hielt telefonisch mit ihm Kontakt, sondern ließ ihm auch Geld zukommen. Aufgrund des Dienstvertrages vom 21.11.2011 hat der Berufungswerber von der O Handels GmbH mit Sitz in Ha in Tirol eine Zusage für eine Stelle als Verkaufshilfe mit einem monatlichen Bruttolohn von ? 900,00. Eine größere Zahl von Personen hat über die Initiative von Frau Mag. P Empfehlungsschreiben für den Berufungswerber verfasst.

 

7. Beweiswürdigung:

 

Den Feststellungen liegen die Urkunden im erstinstanzlichen Akt, die mit der Berufung und deren Ergänzung vorgelegten Urkunden, die vom Unabhängigen Verwaltungssenat beigeschafften Urkunden und die Aussagen des Berufungswerbers und der Zeugin Mag. C P bei der Berufungsverhandlung am 21.03.2012 zugrunde, wobei - vor allem zu divergierenden Beweisergebnissen - Folgendes auszuführen ist: Beide Aussagen stimmen darin überein, dass der Berufungswerber und Mag. P seit dem Jahr 2008 miteinander ein Verhältnis haben.

Hat der Berufungswerber bei der Berufungsverhandlung am 21.03.2012 ausgesagt, die eheliche Gemeinschaft mit Ma To-M habe so lange bestanden, wie er an der Adresse in I polizeilich gemeldet gewesen sei (somit bis 08.07.2011), ergibt sich aus der Aussage der Zeugin Mag. P, die glaubwürdiger erscheint und der der Unabhängige Verwaltungssenat folgt, dass der Berufungswerber schon im März 2011 nach Italien ausgereist ist.

Mit der Berufungsergänzung vom 16.12.2011 wurden mit zahlreichen weiteren Unterlagen kommentarlos mehrere Fotos vorgelegt, die im Beilagenverzeichnis nicht angeführt sind und, wie sich bei der Berufungsverhandlung am 21.03.2012 ergab, den Berufungswerber mit Frau Mag. P zeigen, ohne dass bei Vorlage der Fotos erwähnt wurde, dass es sich bei der weiblichen Person um Frau Mag. P handelt, sodass der Anschein erweckt wurde, dass auf diesen Fotos der Berufungswerber und seine Gattin abgebildet seien.

Der Zeugenladung zur Berufungsverhandlung kam Frau Ma Mr To-M nicht nach, ersuchte aber laut der Erklärung Beilage./3, ihr Fernbleiben zu entschuldigen. Nach dem Vorbringen des Vertreters des Berufungswerbers war sie wegen der Betreuung von zwei schulpflichtigen Kindern verhindert.

Zur Frage, ob er die Ehe mit Ma To-M fortsetzen möchte, gab der Berufungswerber Folgendes an:

 

Meine Ehegattin möchte, dass ich zu ihr zurückkomme. Gefragt, ob ich das auch möchte: Für mich ist das schwierig, ich möchte mit meiner Frau leben. Gefragt, wie die Beziehung mit Frau Mag. P in diesem Fall weitergehen soll: Dies ist schwer zu sagen.

 

Demgegenüber sagte Frau Magistra P aus:

 

Es trifft zu, dass wir heiraten wollen. Der Berufungswerber ist mit seiner Gattin im guten Einvernehmen.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat folgt auch diesbezüglich der Aussage der Zeugin Mag. P, weil sich anders ihr Einsatz für den Berufungswerber (monatliche Fahrten nach Tu, finanzielle Unterstützung des Berufungswerbers, Initiative zum Zustandekommen zahlreicher Empfehlungsschreiben) nicht erklären lässt, während der Berufungswerber offensichtlich nur deswegen behauptete, dass er seine Ehe fortsetzen möchte, weil er glaubt, damit seine privilegierte Rechtsposition zu sichern.

 

8. Rechtliche Beurteilung:

 

8.1. § 2 Abs 4 Z 11 FPG bestimmt:

Im Sinn dieses Bundesgesetzes ist begünstigter Drittstaatsangehöriger: der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21.Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.

 

§ 61 FPG bestimmt:

(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.

die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war;

2.

das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.

die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.

der Grad der Integration;

5.

die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden;

6.

die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.

Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.

die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.

die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung oder Ausweisung ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs.1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

(4) Der Umstand, dass in einem Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung deren Unzulässigkeit gemäß Abs. 3 festgestellt wurde, hindert nicht daran, im Rahmen eines weiteren Verfahrens zur Erlassung einer solchen Entscheidung neuerlich eine Abwägung nach Abs. 1 vorzunehmen, wenn der Fremde in der Zwischenzeit wieder ein Verhalten gesetzt hat, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung oder einer Ausweisung rechtfertigen würde.

 

§ 67 FPG bestimmt:

(1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20.November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1.

der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2.

auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3.

auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4.

der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist beginnt mit Eintritt der Durchsetzbarkeit zu laufen.

(5) § 59 Abs.1 gilt sinngemäß.

 

§ 69 Abs 2 FPG bestimmt:

Eine Ausweisung und ein Aufenthaltsverbot sind auf Antrag oder von Amts wegen aufzuheben, wenn die Gründe, die zu ihrer Erlassung geführt haben, weggefallen sind.

 

§ 125 Abs 16 FPG bestimmt:

Vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 38/2011 erlassene Aufenthaltsverbote gemäß § 60 oder Rückkehrverbote gemäß § 62 bleiben bis zum festgesetzten Zeitpunkt weiterhin gültig.

 

Artikel 32 Abs 1 (Zeitliche Wirkung eines Aufenthaltsverbotes) der Richtlinie 2004/38/EG v. 29.April 2004 (Unionsbürger-Richtlinie) bestimmt:

 

Personen, gegen die aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit ein Aufenthaltsverbot verhängt worden ist, können nach einem entsprechend den Umständen angemessenen Zeitraum, in jedem Fall aber drei Jahre nach Vollstreckung des nach dem Gemeinschaftsrecht ordnungsgemäß erlassenen endgültigen Aufenthaltsverbots einen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbots unter Hinweis darauf einreichen, dass eine materielle Änderung der Umstände eingetreten ist, die das Aufenthaltsverbot gerechtfertigt haben.

 

8.2. Der Berufungswerber hat nach Erlassung des Aufenthaltsverbots eine Österreicherin geheiratet, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hatte und die Stellung eines begünstigten Drittstaatsangehörigen im Sinn des § 2 Abs 4 Z 11 FPG erlangt. Bei der Gefährlichkeitsprognose ist daher zu beachten, dass die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots nur im Grund des § 67 Abs 1 1. bis 4. Satz FPG zulässig ist (VwGH 29.11.2006, 2006/18/0314). Da diese Rechtsposition dem Berufungswerber zukommt, solange die Ehe nicht geschieden ist, hat der Umstand, dass er seit geraumer Zeit von seiner Ehegattin getrennt lebt, keine Bedeutung. Die Gefährlichkeitsprognose nach § 67 Abs 1 1. bis 4. Satz FPG verlangt, dass vom Berufungswerber nach wie vor eine tatsächliche, erhebliche und gegenwärtige Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft ausgeht. Im Vergleich zum Gefährdungsmaßstab, der bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes anzulegen war (nach § 36 Abs 1 FRG genügte jegliche, somit schon eine geringe, Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit), ist nun zur Beurteilung der vom Verhalten des Berufungswerbers ausgehenden Gefahr ein - aus dessen Sicht - milderer Maßstab anzulegen.

Dabei ist für den gegenwärtigen Zeitpunkt zu beurteilen, ob die Voraussetzungen für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes wegen einer Änderung der Umstände zu Gunsten des Fremden weggefallen sind (VwGH 03.04.2009, 2008722/0598).

8.3. Das Vorbringen auf Seite 14, letzter Absatz, der Berufungsergänzung vom 16.12.2011, wonach unbefristete Aufenthaltsverbote gegen Angehörige von Österreich generell unzulässig seien, ist unzutreffend: Auf Seite 25 des Schriftsatzes vom 16.12.2011 behauptet der Berufungswerber, die Richtlinie 2004/38/EG vom 29.4.2004 halte in der Erwägungsbegründung 27 ausdrücklich fest, dass angesichts der ständigen EuGH-Rechtsprechung kein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit gegen die Begünstigten dieser Richtlinie verhängt werden dürfe.

Das vollständige Zitat lautet:

(27) Im Sinn der Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach die Mitgliedstaaten gegen die Begünstigten dieser Richtlinie kein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit verhängen dürfen, sollte bestätigt werden, dass ein Unionsbürger oder einer seiner Familienangehörigen, gegen den ein Mitgliedstaat ein Aufenthaltsverbot verhängt hat, nach einem angemessenen Zeitraum, in jedem Fall aber nach Ablauf von drei Jahren nach Vollstreckung des endgültigen Aufenthaltsverbots, einen neuen Antrag auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes stellen kann.

Der Europäische Gerichtshof hat z. B. im Urteil v. 19.01.1999, Strafverfahren gegen Do Ca, ausgesprochen, dass (unter anderem) Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates v. 25. Februar 1964 einer Regelung entgegensteht, die dem nationalen Gericht vorschreibt, Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten, die für schuldig befunden wurden, Straftaten der Beschaffung und des Besitzes von ausschließlich zum Eigenverbrauch bestimmten Betäubungsmitteln begangen zu haben, auf Lebenszeit auszuweisen.

Im Urteil v. 17. Juni 1997, The Queen gegen Secretary of State for the Home Department, ex parte Singh Shingara (C-65/95), Rz 40, hat der Europäische Gerichtshof Folgendes ausgeführt: Entscheidungen, mit denen dem Angehörigen eines Mitgliedstaats die Einreise in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats verboten wird, stellen eine Ausnahme vom Grundprinzip der Freizügigkeit dar. Daher kann eine solche Entscheidung nicht auf unbegrenzte Zeit gelten. Ein Gemeinschaftsangehöriger, gegen den ein solches Verbot ergangen ist, hat daher das Recht, eine erneute Prüfung seines Falles zu verlangen, wenn die Umstände, die das Einreisverbot gerechtfertigt hatten, seines Erachtens entfallen sind.

Zunächst ist dem Berufungsvorbringen entgegen zu halten, dass gegen den Berufungswerber kein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit, sondern ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen wurde. Ob ein Aufenthaltsverbot auf Lebenszeit dasselbe ist wie ein unbefristetes Aufenthaltsverbot, kann auf sich beruhen, da die Unionsbürger-Richtlinie sich nicht zur Fristsetzung bei Erlassung eines Aufenthaltsverbots äußert, sondern lediglich demjenigen, gegen den ein Aufenthaltsverbot erlassen wurde, das Recht einräumt, nach Art. 32 der Rl. dessen Aufhebung zu beantragen, wenn eine materielle Änderung der Umstände eingetreten ist.

8.4. Nach § 67 Abs 2 FPG in der geltenden Fassung hätte gegen den Berufungswerber ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von höchstens zehn Jahren verhängt werden dürfen, da die Voraussetzungen nach § 53 Abs 3 Z 5 bis 8 FPG, die eine unbefristete Verhängung rechtfertigen, nicht vorliegen. Selbst wenn der Berufungswerber nicht begünstigter Drittstaatsangehöriger wäre, dürfte gegen ihn wegen der Verurteilung im Jahr 2003 bzw. wegen der sonstigen Verurteilungen kein unbefristetes Einreiseverbot verhängt werden. Es erscheint nicht von vornherein klar, welche Konsequenzen sich daraus für den Berufungsfall ergeben, nämlich ob die unbefristete Dauer aufgrund der Bestimmung des § 125 Abs 16 FPG unverändert weiter gelten soll oder ob die erstinstanzliche Behörde befugt ist, die Dauer des Aufenthaltsverbots, sei es von Amts wegen, sei es auf Antrag, der nunmehr geltenden Befristung anzupassen und statt der unbefristeten Dauer des Verbotes eine Frist bis zu zehn Jahren festzusetzen. Der Berufungsbehörde steht es nicht zu, in einem Verfahren, das zur Aufhebung des Aufenthaltsverbots angestrengt wurde, bloß dessen Dauer zu verkürzen (VwGH 18.06.2009, 2008/22/0605).

8.5. Da § 69 Abs 2 FPG i.d.g.F. im Wesentlichen mit § 65 Abs 1 FPG in der Fassung vor 01.07.2011 übereinstimmt, kann die dazu ergangene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes herangezogen werden. Dieser hat unter anderem Folgendes ausgesprochen:

An der Gefahr eines Fremden für die öffentliche Ordnung und Sicherheit, die wegen der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinne des § 86 Abs 1 zweiter Satz FPG berührt, können selbst die Gründung einer Familie, sowie die berufliche und soziale Integration des Fremden nichts ändern, da diese Umstände für sich genommen keinen ausreichenden Anlass dafür bilden, von einem Wegfall der Gründe auszugehen, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbotes geführt haben. Der Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu prüfen, ob und wie lange er sich in Freiheit wohlverhalten hat (24.02.2011, 2009/21/0387).

Diesbezüglich ergibt sich, dass das Verbrechen, das Anlass für die Verhängung des Verbots war, rund neun Jahre zurückliegt. Zwar hat der Berufungswerber seither keine weitere Verletzung des SMG begangen, da der Umstand, dass er im Jahr 2004 nach dem SMG verurteilt wurde, außer Betracht zu bleiben hat, weil es sich dabei um eine Zusatzstrafe für eine vor Erlassung des ersten Urteils ergangene Straftat handelte. Da er am 21.07.2005 aus der Haft entlassen wurde, aber im Jahr 2009 von 27. Jänner bis 3. Juli, somit ca. fünf Monate wieder in Haft war, dauerte der für die Beurteilung des Wohlverhaltens des Berufungswerbers in Freiheit maßgebliche Zeitraum nur ca. sechseinhalb Jahre, und ist damit hinsichtlich Verbrechen nach dem SMG relativ kurz. Dies umso mehr, als der Berufungswerber, wie sich aus der Urteilsbegründung ergibt, um die Jahreswende 2008/2009 bei Tatbegehung, die zur Verurteilung wegen Schlepperei führte, noch suchtgiftabhängig war und nach den vorgelegten Attesten erst seit Jänner 2009 nicht mehr süchtig ist. Hält man sich vor Augen, dass das Aufenthaltsverbot nach der geltenden Rechtslage zwar mit höchstens 10 Jahren zu befristen gewesen wäre und diese Frist noch nicht abgelaufen ist, die Zeit des Wohlverhaltens durch eine weitere Haft von fünf Monaten unterbrochen war und insgesamt nur etwa sechseinhalb Jahre beträgt, ist die vom Verhalten des Berufungswerbers ausgehende Gefahr im Sinn des § 69 Abs 2 FPG noch nicht weggefallen.

Das auch dann, wenn man die im Jahr 2009 wegen Schlepperei erfolgte Verurteilung des Berufungswerber in die Überlegung einbezieht:

Wird ein Fremder trotz Erlassung eines Aufenthaltsverbots neuerlich straffällig, ist das nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ein besonders starkes Indiz, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet (19.02.2009, 2006/18/0164). Da außer Zweifel steht, dass mit straffällig gemeint ist, dass der Fremde nach Erlassung des Aufenthaltsverbots weiter gerichtlich strafbare Handlungen begangen hat, ergibt sich hinsichtlich der Verurteilung des Berufungswerbers im Jahr 2009 wegen Schlepperei zwar, dass die wissentliche Förderung der Einreise oder Durchreise eines Fremden, die nach § 114 Abs 1 FPG in der bis 31.12.2009 in Kraft gestandenen Fassung den gerichtlich strafbaren Tatbestand der Schlepperei bildete, seit 01.01.2010 nach § 120 FPG nur noch als Verwaltungsübertretung zu bestrafen ist und als fremdenrechtliches Fehlverhalten, wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, bei Unionsbürgern für sich genommen kein Grundinteresse der Gesellschaft berühren kann (19.04.2012, 2010/21/0110). Da es aber der Einbeziehung der betreffenden Tat in die Gefahrenprognose, wie ausgeführt, gar nicht bedarf, um anzunehmen, dass die für die Verhängung des Aufenthaltsverbotes maßgebliche Gefahr nicht weggefallen ist, hat es keine Bedeutung, dass der seinerzeitige gerichtlich strafbare Tatbestand nur mehr eine Verwaltungsübertretung bildet.

8.6. Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Sinne des § 61 FPG, soweit die einzelnen Kriterien sachverhaltsbezogen in Frage kommen, ist Folgendes auszuführen: Der Berufungswerber hat nach Erlassung des Aufenthaltsverbotes eine österreichische Staatsangehörige geheiratet, von der er getrennt lebt. Er ist zwar eine Beziehung mit Mag. C P eingegangen, hatte aber mit ihr nie einen gemeinsamen Wohnsitz und machte nicht geltend, mit ihr eine Lebensgemeinschaft zu haben. Entgegen dem Berufungsvorbringen hat er daher kein schützenswertes Familienleben, wohl aber ist seine Beziehung mit Mag. P im Rahmen des von Art. 8 EMRK geschützten Privatlebens zu berücksichtigen, zu dem, wie die zahlreichen Empfehlungsschreiben, die der Initiative von Fr. Mag. P zuzuschreiben sind, zeigen, auch ein großer Bekanntenkreis gehört. Im Sinne des § 61 Abs 2 Z 8 FPG bedeutet die Ausstellung der Daueraufenthaltskarte am 05.12.2006 und deren Abnahme am 29.09.2009 nicht, dass der Berufungswerber bis zum zuletzt genannten Zeitpunkt mit gutem Grund hätte glauben können, dass sein Aufenthalt rechtmäßig sei, weil bei Ausstellung der Daueraufenthaltskarte auf seinen richtigen Namen für die Behörde nicht erkennbar war, dass gegen ihn - unter einem falschen Namen - ein Aufenthaltsverbot erlassen worden war. Das Ende seiner letzten Beschäftigung fällt ungefähr mit dem Zeitpunkt zusammen, als ihm die Daueraufenthaltskarte abgenommen wurde. Der Berufungswerber kann für sich ins Treffen führen, dass er gute Deutschkenntnisse besitzt, ihm von der HTLinn ein Schulplatz zugesagt wurde und eine Beschäftigungszusage der O Handels GmbH vorliegt und er insoweit einer künftigen Integration den Weg gebahnt hat. Wie seine Reise nach Gambia und seine Telefonate mit seiner Familie beweisen, hat er nach wie vor eine starke Bindung zum Heimatstaat. Strafgerichtliche Unbescholtenheit ist nicht gegeben.

Die angeführten Integrationsmerkmale und das Interesse am Schutz seines Privatlebens machen angesichts der übrigen angeführten Kriterien die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots nicht unzulässig.

 

Der Berufung ist daher nicht Folge zu geben.

Schlagworte
Fremder; Aufenthaltsverbot; Gefährlichkeit; Suchtgiftkriminalität; Wohlverhalten; Dauer
Zuletzt aktualisiert am
18.09.2012
Quelle: Unabhängige Verwaltungssenate UVS, http://www.wien.gv.at/uvs/index.html
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten