Index
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;Norm
DP §76 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Germ, Dr. Höß, Dr. Riedinger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Sellner, über die Beschwerde der S in G, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner, Rechtsanwälte in Graz, Grazbachgasse 39/III, gegen den Bescheid des Leiters des beim Vorstand der Österreichischen Post Aktiengesellschaft eingerichteten Personalamtes vom 13. Oktober 1999, Zl. 126173- HC/99, betreffend Zurechnung nach § 9 PG 1965, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird - soweit er die Nichtzurechnung betrifft - wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die 1940 geborene Beschwerdeführerin steht als Kontrollorin i. R. seit 1972 in einem öffentlich-rechtlichen Pensionsverhältnis zum Bund; vor ihrer mit Ablauf des 30. April 1972 erfolgten Versetzung in den zeitlichen Ruhestand gemäß § 76 Abs. 1 der Dienstpragmatik 1914 (= DP) war die Beschwerdeführerin im Bereich der Post- und Telegraphendirektion für die Steiermark in Graz tätig. Ausgehend von einer anrechenbaren Dienstzeit von insgesamt 13 Jahren, 11 Monaten und 14 Tagen sowie einem Gehalt von S 4.176,-- ergab sich für die Beschwerdeführerin ein Ruhegenuss von 58 % der Ruhegenussbemessungsgrundlage, das waren S 1.937,70.
Mit Schreiben vom 30. Jänner 1999 ersuchte die Beschwerdeführerin um ihre Versetzung in den dauernden Ruhestand und um Zurechnung von Jahren gemäß § 9 PG 1965.
Die belangte Behörde entschied mit dem angefochtenen Bescheid wie folgt:
"Ihren Anträgen vom 30. Jänner 1999 auf bescheidmäßige Versetzung in den dauernden Ruhestand und Zurechnung von 10 Jahren zur ruhegenussfähigen Bundesdienstzeit wird gemäß § 14 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979), BGBl. Nr. 333, bzw. gemäß § 9 des Pensionsgesetzes 1965 (PG 1965), BGBl. Nr. 340, nicht stattgegeben."
Zur Begründung wird nach kurzer Darstellung des Verfahrensablaufes und der Rechtslage im Wesentlichen ausgeführt, vor dem Inkrafttreten des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 habe die Beschwerdeführerin keinen Antrag auf Versetzung in den dauernden Ruhestand gemäß § 79 DP gestellt. Das mit 1. Jänner 1980 in Kraft getretene BDG 1979 kenne aber keine Unterscheidung zwischen zeitlichem und dauerndem Ruhestand. Die Beschwerdeführerin befinde sich daher bereits seit 1. Mai 1972, somit seit mehr als 27 Jahren, im Ruhestand. Ihr Antrag auf Versetzung in den dauernden Ruhestand gehe daher von vornherein ins Leere, weil ein bereits im Ruhestand befindlicher Beamter nicht noch einmal in den Ruhestand versetzt werden könne.
Gemäß § 9 PG 1965 (Anm.: in der Stammfassung, vor der mit der 8. PG-Novelle BGBl. Nr. 426/1985 erfolgten Abänderung) in der zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung der Beschwerdeführerin geltenden Fassung sei einem Beamten, der ohne sein vorsätzliches Verschulden infolge Blindheit oder praktischer Blindheit, Geisteskrankheit oder einer anderen schweren Krankheit zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden sei, von seiner obersten Dienstbehörde aus Anlass der Versetzung in den Ruhestand zu seiner ruhegenussfähigen Bundesdienstzeit ein Zeitraum von zehn Jahren zuzurechnen.
Bereits anlässlich der Versetzung der Beschwerdeführerin in den zeitlichen Ruhestand sei vom Anstaltsarzt der Postdirektion für die Steiermark in Graz eine ärztliche Begutachtung vorgenommen worden. In seinem Gutachten vom 5. Juni 1972 habe der Anstaltsarzt folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: Morbus Bechterew, Verkürzungsosteotomie am rechten Oberschenkel sowie Valgisierungsosteotomie und Pfannendachplastik linkes Hüftgelenk. Die Fragen, ob bei der Beschwerdeführerin Blindheit oder praktische Blindheit, Geisteskrankheit oder eine sonstige schwere Krankheit vorlägen, die zu einer Zurechnung von Jahren zu führen habe, habe der Anstaltsarzt auf Grund des bei der Beschwerdeführerin festgestellten Krankheitsbildes verneint. Nach den überzeugenden ärztlichen Aussagen seien bei der Beschwerdeführerin die Voraussetzungen für eine Zurechnung von Zeiten zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung nicht gegeben gewesen; es sei daher keine Zurechnung von Jahren verfügt worden.
Da sich die Beschwerdeführerin erwiesenermaßen bereits seit 1. Mai 1972 im Ruhestand befinde und unter Zusammenfassung der ärztlichen Aussagen zum Zeitpunkt ihrer Ruhestandsversetzung die gesetzmäßige Voraussetzung für eine Zurechnung von Jahren nicht erfüllt habe, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes bzw. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt wird.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid in ihrem Recht auf Zurechnung von zehn Jahren zur ruhegenussfähigen Bundesdienstzeit gemäß § 9 Abs. 1 PG 1965 sowie auf ordnungsgemäße Sachverhaltsermittlung und auf Parteiengehör verletzt.
In Ausführung dieses Beschwerdepunktes bringt die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, unter Berücksichtigung der im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung schon absehbaren, als Krankenstand zu wertenden jährlichen Kuraufenthalte von mehr als drei Wochen, der dem Befundbericht des LKH Stolzalpe vom 2. Juni 1972 zu entnehmenden deutlichen Progredienz des Morbus Bechterew, der mit der Erkrankung der Beschwerdeführerin ständig verbundenen Schmerzen, der zahlreichen Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte und der laufend erforderlichen Bewegungstherapie (Bechterew-Gymnastik) ergebe sich ein jährlicher "Krankenstand" von mindestens sieben Wochen. Daraus folge, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt ihrer Ruhestandsversetzung, dem 30. April 1972, nicht nur erwerbsunfähig im Sinne des § 9 PG 1965, sondern auch in Bezug auf eine Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt nicht einsetzbar gewesen sei.
Nach Hinweis auf ein diesbezüglich einschlägiges Urteil des OGH vom 6. Februar 1996 führt die Beschwerdeführerin weiters aus, ein jährlicher "Krankenstand", dessen Länge einen Arbeitnehmer vom Erwerb auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausschließe, schließe ihn auch von einem zumutbaren und damit auf seine dienst- und besoldungsrechtliche Stellung eingeschränkten Erwerb aus. Es seien damit im Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung die Voraussetzungen für eine Zurechnung von Jahren sowohl im Hinblick auf den Leidenszustand der Beschwerdeführerin als auch mit Rücksicht auf die zu erwartenden "Krankenstände" gegeben gewesen. Wie durch das von der Beschwerdeführerin beigebrachte fachärztliche Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen vom 18. November 1999 bestätigt werde, wäre auch die belangte Behörde zu diesem für die Beschwerdeführerin günstigeren Ergebnis bei ausreichender Sachverhaltsfeststellung, Wahrung des Parteiengehörs und entsprechender rechtlicher Beurteilung gekommen. Stattdessen erschöpfe sich die Sachverhaltsfeststellung der belangten Behörde in der wörtlichen Wiedergabe des anstaltsärztlichen Gutachtens vom 5. Juni 1972. Aus dieser die Erfordernisse eines Gutachtens in keiner Weise erfüllenden Aufzählung von Krankheitsbezeichnungen in Verbindung mit einer bloßen Verneinung des Vorliegens der Tatbestandsmerkmale des § 9 PG 1965 durch den Anstaltsarzt schließe die belangte Behörde ohne weitere Begründung, dass "auf Grund der überzeugenden ärztlichen Aussagen die Voraussetzungen für eine Zurechnung von Zeiten zum Zeitpunkt der Ruhestandsversetzung nicht gegeben waren". Dies sei erfolgt, obwohl das Vorliegen der Erwerbsunfähigkeit eine durch die Dienstbehörde zu beurteilende Rechtsfrage sei. Es sei weder ein Ermittlungsverfahren zur Feststellung des Sachverhaltes durchgeführt worden, noch sei der Beschwerdeführerin Gelegenheit geboten worden, zu dem der Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhalt in irgendeiner Weise Stellung zu nehmen; dadurch sei die Beschwerdeführerin auch in ihrem Recht auf Parteiengehör verletzt worden.
Die Beschwerde richtet sich demnach ausdrücklich nur gegen die Nichtstattgebung der beantragten Zurechnung.
Da der für die Zuerkennung der Begünstigung nach § 9 Abs. 1 PG 1965 maßgebende Zeitpunkt der der Versetzung der Beschwerdeführerin in den Ruhestand (= 1972) ist, muss der seinerzeit gegebene Sachverhalt nach der damaligen Rechtslage beurteilt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1991, Zl. 90/08/0177).
Nach § 9 Abs. 1 des Pensionsgesetzes 1965, BGBl. Nr. 340, hat die oberste Dienstbehörde einem Beamten, der ohne sein vorsätzliches Verschulden infolge
a)
Blindheit oder praktischer Blindheit,
b)
Geisteskrankheit oder
c)
einer anderen schweren Krankheit
zu einem zumutbaren Erwerb unfähig geworden ist, aus Anlass der Versetzung in den Ruhestand zu seiner ruhegenussfähigen Bundesdienstzeit einen Zeitraum von zehn Jahren zuzurechnen.
Im Beschwerdefall ist weiters rechtlich entscheidend, dass die Beschwerdeführerin gemäß § 76 Abs. 1 DP mit Bescheid vom 5. April 1972 in den zeitlichen Ruhestand versetzt wurde. Nach der Aktenlage befand sich die Beschwerdeführerin damals seit 29. März 1971 im "Krankenstand" und war weiterhin unfähig, ihren Dienstposten ordnungsgemäß zu versehen. Die im Beschwerdefall maßgebende Regelung des § 76 Abs. 1 DP, in der Fassung der DP-Novelle 1969, BGBl. Nr. 148, sah vor, dass ein Beamter von Amts wegen in den zeitlichen Ruhestand zu versetzen war, wenn er infolge Krankheit länger als ein Jahr vom Dienst abwesend ist, sofern nicht die Voraussetzungen für die Versetzung in den dauernden Ruhestand vorliegen. Ausgehend vom letzten Halbsatz dieser Bestimmung läge der Schluss nahe, dass bereits auf Grund des Abspruches des Ruhestandsversetzungsbescheides die Beschwerdeführerin nicht dauernd dienstunfähig und die Wiedererlangung ihrer Dienstfähigkeit nicht ausgeschlossen gewesen sei, weil sie ansonsten nach § 79 Abs. 1 DP in den dauernden Ruhestand zu versetzen gewesen wäre. Ausgehend davon erschiene die Anwendung der Begünstigung nach § 9 Abs. 1 PG 1965 wegen Erwerbsunfähigkeit nicht geboten. Diese Betrachtung ist aber im Hinblick auf § 45j des Gehaltsüberleitungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1947, nicht aufrecht zu erhalten, weil nach dieser Bestimmung Bundesbeamte, die das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, wegen Dienstunfähigkeit nur in den zeitlichen Ruhestand im Sinne der §§ 75 bis 78 DP versetzt werden durften.
Es ist daher im Beschwerdefall zu prüfen, ob bei der Beschwerdeführerin im Zeitpunkt ihrer Ruhestandsversetzung die Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 1 PG 1965 (Stammfassung) gegeben waren oder nicht. Praktisch kommt hiefür nur als Einstiegsvoraussetzung der Tatbestand nach lit. c, nämlich eine andere schwere Krankheit, in Frage.
Die belangte Behörde stützt sich im angefochtenen Bescheid auf ein Gutachten des Anstaltsarztes vom 5. Juni 1972, in dem er das Vorliegen einer schweren Krankheit verneint und sogar von einer Wiedererlangung der Dienstfähigkeit bei der Beschwerdeführerin ausgeht. Dieses Gutachten wurde der Beschwerdeführerin aber offensichtlich weder seinerzeit noch im laufenden Verwaltungsverfahren zur Kenntnis gebracht.
Die Beschwerdeführerin weist in ihrer Beschwerde auf die Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs hin und legt das Gutachten eines gerichtlich beeideten Sachverständigen und Facharztes für Orthopädie vom 18. November 1999 vor, der auf Grund der Aktenunterlagen zu dem Ergebnis gelangte, dass es der Beschwerdeführerin auf Grund ihrer schweren Erkrankung (im Wesentlichen eine angeborene Hüftdysplasie, Morbus Bechterew, Arthrosen und Spondylose) bereits seinerzeit unmöglich gewesen sei, (irgendeine) geregelte Arbeit über einen ganzen Arbeitstag sowohl im Gehen, Stehen als auch im Sitzen zu verrichten. Arbeiten in gebückter Körperhaltung oder anderen Zwangshaltungen seien der Beschwerdeführerin ebenso wenig zumutbar wie Arbeiten an Maschinen oder Computern.
Die Nichtgewährung des Parteiengehörs, das einen fundamentalen Grundsatz jedes geordneten Verwaltungsverfahrens darstellt, stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom 24. Juni 1970, Slg. N. F. Nr. 7826/A, u.v.a.).
Zutreffend weist die Beschwerdeführerin - unter Vorlage des vorgenannten fachärztlichen Gutachtens zur Untermauerung ihres Standpunktes - darauf hin, dass ihr nicht Gelegenheit zur Stellungnahme zum Ermittlungsergebnis gegeben worden sei. Ungeachtet dessen, dass die Hauptargumentationslinie der Beschwerdeführerin auf die Frage ihrer Erwerbsunfähigkeit bezogen ist, kann - ausgehend von dem vorgenannten wesentlichen Verfahrensmangel - nicht ausgeschlossen werden, dass bei der Sachlage auch eine Wertung des Krankheitsbildes der Beschwerdeführerin im Sinne des § 9 Abs. 1 lit. c PG 1965 in Frage kommt. Da demnach ein für die Beschwerdeführerin günstigeres Ergebnis in der im Beschwerdefall maßgebenden Frage des Vorliegens einer anderen schweren Krankheit nach § 9 Abs. 1 lit. c PG 1965 in dem im Spruch bezeichneten Umfang bei der vorliegenden Sachlage nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, war der angefochtene Bescheid und der daraus möglicherweise folgenden Unfähigkeit zu einem zumutbaren Erwerb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Pauschalierungsverordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 19. Dezember 2000
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999120309.X00Im RIS seit
13.12.2001