Index
L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlassfallSpruch
I. Die Beschwerdeführerinnen sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Das Land Wien ist schuldig, den Beschwerdeführerinnen zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.860,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Als Bauwerberin stellte die Stadt Wien am 10. April 2008 beim Magistrat der Stadt Wien den Antrag auf baubehördliche Bewilligung der Errichtung eines Bürogebäudes auf dem nordöstlichen, an das Grundstück der Beschwerdeführerinnen angrenzenden Bereich der Liegenschaft Grinzinger Straße 151, 151a und Eisenbahnstraße 55, KG Nußdorf, 1190 Wien. Die Baubehörde erster Instanz führte in der Folge eine mündliche Bauverhandlung durch, im Zuge derer die nunmehrigen Beschwerdeführerinnen Einwendungen gegen das Projekt erhoben.
2. Mit Bescheid vom 19. August 2008 bewilligte der Magistrat der Stadt Wien (MA 37) die Errichtung des geplanten Bürogebäudes.
3. Die dagegen erhobene Berufung wies die Bauoberbehörde für Wien mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 22. September 2009 mit der Begründung ab, dass die Berufungswerberinnen durch das Bauvorhaben in keinem subjektiv-öffentlichen Recht verletzt worden seien. Nach dem geltenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, Plandokument 7674 (PD 7674), sei für den verfahrensgegenständlichen Bauplatz die Widmung Bauland - Gemischtes Baugebiet, Betriebsbaugebiet, Bauklasse II sowie die geschlossene Bauweise festgesetzt, wobei die bebaute Fläche maximal 75 % der Bauplatzfläche betragen dürfe. Die Unterbrechung der geschlossenen Bauweise sei zulässig. Das geplante zweigeschossige Bürogebäude mit Flachdach habe eine gestreckte Form und werde parallel zu der der Liegenschaft der Berufungswerberinnen zugekehrten Bauplatzgrenze gebaut. Da in der der seitlichen Grundgrenze zugekehrten Außenwand Fenster vorgesehen seien, habe das Bauvorhaben gemäß §79 Abs2 Bauordnung für Wien (WBO) einen Abstand von mindestens 2,00 m aufzuweisen.
Entgegen der von den Berufungswerberinnen geäußerten Ansicht gelte der (größere Abstände vorsehende) §79 Abs3 WBO nach seinem eindeutigen Wortlaut ausschließlich für die offene Bauweise und komme daher im vorliegenden Fall nicht zur Anwendung. Eine aus §78 WBO in der maßgeblichen Fassung vor der Novelle LGBl. 24/2008 wegen des eingeschränkten Lichteinfalls sich ergebende Beeinträchtigung der Bebaubarkeit der Liegenschaft der Berufungswerberinnen sei nicht gegeben, "zumal der an den Bezug habenden Bauplatz anschließende Bereich der in ihrem [der Berufungswerberinnen] Eigentum stehenden Liegenschaft auf eine Tiefe von ca. 15,00 m nach den geltenden Bebauungsvorschriften [...] gärtnerisch auszugestalten" sei. Im Übrigen sei selbst ein gesetz- oder verfassungswidriger Flächenwidmungs- und Bebauungsplan von den Verwaltungsbehörden einzuhalten.
4. Gegen diesen Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 22. September 2009 richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Beschwerdeführerinnen die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG), auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) und auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes der Stadt Wien vom 24. Jänner 2006, PD 7674, behaupten und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheids nach Durchführung einer mündlichen öffentlichen Verhandlung beantragen.
5. Die Bauoberbehörde für Wien als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Antrag stellt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die Beschwerdeführerinnen replizierten auf die Gegenschrift.
6. Aus Anlass dieser Beschwerde hat der Verfassungsgerichtshof am 1. Dezember 2011 beschlossen, gemäß Art139 B-VG die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Stadt Wien, Plandokument 7674 (Beschluss des Gemeinderates vom 24. Jänner 2006, kundgemacht im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 8/2006 am 23. Februar 2006), soweit sie für die Grundstücke 82/1, EZ 515, und 82/57, EZ 1090, beide KG Nußdorf mit den Adressen Grinzinger Straße 151, 151a und Eisenbahnstraße 55 gilt, von Amts wegen zu prüfen. Mit Erkenntnis vom 20. Juni 2012, V7/12, hob er die in Prüfung gezogene Verordnung, soweit sie für das Grundstück 82/57, EZ 1090, KG Nußdorf - eingeschränkt auf dieses Grundstück, weil nur dieses präjudiziell ist - mit der Adresse Eisenbahnstraße 55 gilt, als gesetzwidrig auf.
II. Erwägungen
1. Die Beschwerde ist begründet.
Die belangte Behörde hat eine gesetzwidrige
Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerinnen nachteilig war.
Die Beschwerdeführerinnen wurden also durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.303/1984, 10.515/1985).
Der Bescheid war daher aufzuheben.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 200,-, Umsatzsteuer in der Höhe von € 440,- und die Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-
enthalten.
Schlagworte
VfGH / AnlassfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2012:B1370.2009Zuletzt aktualisiert am
21.09.2012