TE Vfgh Erkenntnis 2012/6/29 B1124/09 ua

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Veröffentlicht am 29.06.2012
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Index

L9 Sozialrecht
L9210 Behindertenhilfe, Chancengleichheit, Rehabilitation

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlassfall

Spruch

              I. Die beschwerdeführenden Parteien sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

              Die Bescheide werden aufgehoben.

              II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, jeder der beschwerdeführenden Parteien zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit jeweils € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

              I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

              1. Die beiden beschwerdeführenden Parteien, alleinstehende Erwachsene, sind Personen mit Beeinträchtigungen. Beiden beschwerdeführenden Parteien wird nach dem (nunmehrigen) Landesgesetz betreffend die Chancengleichheit von Menschen mit Beeinträchtigungen (Oö. ChG), LGBl. für Oberösterreich 41/2008, Hilfe in Form von Beschäftigung in geschützten Werkstätten gewährt. Sie beziehen - neben ihrem monatlichen Nettogrundlohn aus ihrer Tätigkeit im Rahmen der Hilfe zur geschützten Arbeit - eine erhöhte Familienbeihilfe. Die beschwerdeführenden Parteien hatten ursprünglich bei der Bezirkshauptmannschaft Eferding bzw. beim Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz einen auf §16 des Oberösterreichischen Sozialhilfegesetzes 1998 (Oö. SHG 1998), LGBl. für Oberösterreich 82/1998, gestützten Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt gestellt. Diesen Anträgen gaben die genannten Behörden mit Bescheiden vom 9. Oktober 2008 bzw. vom 12. Dezember 2008 zunächst statt, wobei den Beschwerdeführern gemäß §16 Oö. SHG 1998 iVm §1 der Oö. Sozialhilfeverordnung 1998 (Oö. Sozialhilfeverordnung), LGBl. für Oberösterreich 118/1998 - unter Anrechnung ihrer Einkünfte aus der geschützten Arbeit, jedoch ohne Anrechnung der ihnen zustehenden (erhöhten) Familienbeihilfe - Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt worden ist.

              Mit Bescheid vom 11. März 2009 wurde die dem Beschwerdeführer zu B380/10 gewährte Leistung gemäß §27 Abs1 Oö. SHG 1998 mit 1. März 2009 eingestellt. Begründend führte die Behörde aus, dass der Beschwerdeführer im Hinblick auf das zwischenzeitige Inkrafttreten des Oö. ChG nunmehr ausschließlich in den Anwendungsbereich dieses Gesetzes, nicht mehr hingegen in jenen des Oö. SHG 1998 fiele.

              Die Einstellung der ursprünglich gewährten Leistung bzw. das Inkrafttreten des Oö. ChG veranlasste die beschwerdeführenden Parteien, je einen weiteren, nunmehr auf Zuerkennung eines subsidiären Mindesteinkommens gemäß §16 Oö. ChG gerichteten Antrag an die genannten Behörden zu stellen. Auch diesen Anträgen wurde Folge gegeben und den Beschwerdeführern ein subsidiäres Mindesteinkommen gemäß §16 Oö. SHG 1998 gewährt; dies gemäß §4 der - in Durchführung zu §16 Abs6 Oö. ChG ergangenen - Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung, LGBl. für Oberösterreich 78/2008, allerdings unter nunmehriger Anrechnung auch der den Beschwerdeführern gewährten (erhöhten) Familienbeihilfe. Im Ergebnis wurde der Beschwerdeführerin zu B1124/09 dabei ab 1. Oktober 2008 monatlich ein subsidiäres Mindesteinkommen iHv € 10,14 (statt bisher nach dem Oö. SHG 1998 € 301,85) zugesprochen; dem Beschwerdeführer zu B380/10 wurde ab 1. März 2009 ein solches iHv € 375,08 (statt bisher nach dem Oö. SHG 1998 € 663,10) gewährt.

              2. Gegen diese im Instanzenzug ergangenen Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen von den Beschwerdeführern die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, insbesondere in Form des Diskriminierungsverbotes für behinderte Menschen gemäß Art7 Abs1 3. Satz B-VG, sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet wird. Die Beschwerdeführer bringen dabei - im Wesentlichen gleichlautend - vor, dass §16 Oö. ChG iVm §4 der Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung in Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz stünde; außerdem sei §4 Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung von §16 Oö. ChG nicht gedeckt. Schließlich werde nach Ansicht der Beschwerdeführer durch die Berücksichtigung der Familienbeihilfe in §4 Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung auch Art28 der Behindertenkonvention verletzt.

              3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

              II. Erwägungen

              1. Aus Anlass dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §4 Abs1 Z1 der Verordnung der Oberösterreichischen Landesregierung, mit der die Beiträge zu den Leistungen sowie die Richtsätze für das subsidiäre Mindesteinkommen nach dem Oö. ChG festgelegt werden (Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung), LGBl. für Oberösterreich 78/2008 idF LGBl. 39/2009, ein. Mit Erkenntnis vom 29. Juni 2012, V3,4/12, hob er diese Vorschrift als gesetzwidrig auf.

              2. Die Beschwerden sind begründet.

              Die belangte Behörde hat eine gesetzwidrige

Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

              Die Beschwerdeführer wurden also durch die

angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg. 10.303/1984, 10.515/1985).

              Die Bescheide waren daher aufzuheben.

              3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

              4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von jeweils € 400,- enthalten.

Schlagworte

VfGH / Anlassfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2012:B1124.2009

Zuletzt aktualisiert am

22.08.2012
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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