Index
19/05 Menschenrechte;Norm
AVG §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hanslik, über die Beschwerde des 1974 geborenen SD, vertreten durch Dr. Z und Dr. D, Rechtsanwälte in W, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 5. Jänner 1999, Zl. SD 1092/98, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 15.000,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsbürger Jugoslawiens (Republik Serbien), wurde am 2. Jänner 1974 in Österreich geboren. In der Zeit zwischen Juli 1979 und 1. Oktober 1995 waren dem Beschwerdeführer Sichtvermerke erteilt worden. Der letzte dieser Sichtvermerke erstreckte sich von Oktober 1992 bis 1. Oktober 1995. Er wurde im Jahr 1994 in das neue Reisedokument des Beschwerdeführers übertragen.
Am 12. September 1995 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung unter sinngemäßer Anwendung der für die Verlängerung von Bewilligungen geltenden Vorschriften.
Der Beschwerdeführer weist folgende Verurteilungen auf:
1. Durch den Jugendgerichtshof Wien am 23. August 1988 gemäß § 127, § 129 Abs. 1 und 2 sowie § 135 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten, welche bedingt nachgesehen wurde.
2. Durch den Jugendgerichtshof Wien am 16. Dezember 1988 gemäß § 142 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten, von der ein Teil von sechs Monaten bedingt nachgesehen wurde.
3. Durch das Bezirksgericht Floridsdorf am 5. Dezember 1995 gemäß § 83 Abs. 1 und § 91 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Monaten.
4. Durch das Landesgericht Eisenstadt am 16. Jänner 1997 gemäß § 81 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 FrG 1992 zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten, von welcher ein Teil von neun Monaten bedingt nachgesehen wurde.
Am 26. Februar 1997 wurde über den Beschwerdeführer mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien ein unbefristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Der dagegen erhobenen Berufung des Beschwerdeführers gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 4. April 1997 keine Folge.
Das in Rede stehende Aufenthaltsverbot wurde durch Abschiebung des Beschwerdeführers am 16. Mai 1997 durchgesetzt.
Nach Maßgabe eines Aktenvermerkes des Bundesministers für Inneres vom 14. November 1997 wurde daraufhin das in diesem Zeitpunkt in zweiter Instanz anhängige Verfahren über den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vom 12. September 1995 gemäß § 113 Abs. 8 in Verbindung mit § 15 Abs. 3 des Fremdengesetzes 1997 (FrG 1997) eingestellt.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. Jänner 1998 wurde das über den Beschwerdeführer verhängte Aufenthaltsverbot "vom 26. Februar 1997" amtswegig gemäß § 114 Abs. 3 FrG 1997 aufgehoben.
Am 3. Juni 1998 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung, wobei er als Aufenthaltszweck die Familiengemeinschaft mit seinem österreichischen Vater anführte. Ohne die entsprechende Antragsrubrik anzukreuzen, gab er darüber hinaus unter der Rubrik unselbstständige Erwerbstätigkeit als beabsichtigten Beruf "Hilfsarbeiter" an und verwies unter der Rubrik "privat" ebenfalls auf die beabsichtigte Aufnahme einer Familiengemeinschaft mit seinem Vater. Als in Österreich verfügbare eigene Mittel zur Sicherung des Lebensunterhaltes berief sich der Beschwerdeführer auf einen Unterhaltsanspruch gegenüber seinem Vater.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 3. Dezember 1998 wies diese den Antrag des Beschwerdeführers vom 3. Juni 1998 gemäß § 47 Abs. 3 in Verbindung mit § 49 Abs. 1 FrG 1997 ab. Begründend führte die erstinstanzliche Behörde aus, gemäß § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 würde die Stellung des über 21-jährigen Beschwerdeführers als begünstigter Drittstaatsangehöriger eines Österreichers voraussetzen, dass ihm durch seinen Vater Unterhalt gewährt würde. Dem Begriff "Unterhaltsgewährung" sei immanent, dass ein solcher Unterhalt mit den vorhandenen finanziellen Mitteln des Unterhaltspflichtigen auch tatsächlich gewährt werden könne. Dem Vater des Beschwerdeführers sei für den Zeitraum November 1997 bis April 1998 und seit Oktober 1998 im Monatsdurchschnitt weniger als S 10.000,-- an Einkommen zur Verfügung gestanden. Er sei für seine Ehegattin und zwei Kinder unterhaltspflichtig und habe die Obsorge für drei Enkelkinder. Für die von der Familie benutzte Wohnung seien Mietkosten von S 5.670,-- zu bezahlen. An Krankenversicherungskosten würden dem Beschwerdeführer S 3.500,-- monatlich erwachsen. Auch wenn man berücksichtige, dass die Mutter des Beschwerdeführers über eine Arbeitslosenunterstützung in Höhe von S 228,90 täglich verfüge und "Familien- und Familienzuschuss" bezogen werde, reichten die Mittel des Vaters des Beschwerdeführers nicht aus, um dem Beschwerdeführer Unterhalt zu gewähren. Die erstinstanzliche Behörde vertrat in diesem Zusammenhang die Auffassung, sie habe sich bei ihrer Entscheidung am Existenzminimum, bzw. an den Sozialhilferichtsätzen zu orientieren.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Er brachte vor, sein Vater habe monatlich mindestens S 13.000,-- ins Verdienen gebracht, in den Monaten Oktober und November 1998 sogar S 14.000,-
-. Nunmehr sei er mit einem Nettolohn von S 16.772,-- monatlich beschäftigt. Die Mutter des Beschwerdeführers verfüge über Arbeitslosengeld in der Höhe von S 7.000,--, die Großmutter des Beschwerdeführers über eine Nettopension von S 10.000,--, welche zum Familieneinkommen hinzuzurechnen sei. Weiters bestünde für die beiden minderjährigen Kinder des Beschwerdeführers ein Anspruch auf Familienbeihilfe. Die Unterhaltspflicht des Vaters des Beschwerdeführers könne daher jedenfalls wahrgenommen werden.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 5. Jänner 1999 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 47 Abs. 2 in Verbindung mit § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 ab.
Die belangte Behörde vertrat in diesem Zusammenhang die Auffassung, der Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet würde - wie sich aus dem seinen strafrechtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhalten, sowie aus der Begehung des Verwaltungsdeliktes des Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ergebe - die öffentliche Sicherheit im Verständnis des § 47 Abs. 2 bzw. in jenem des § 10 Abs. 2 Z. 3 FrG 1997 gefährden. Die negative Zukunftsprognose ergebe sich insbesondere aus der gewerbsmäßigen Begehung des Vergehens der gerichtlich strafbaren Schlepperei. Der Berufungswerber erfülle daher keinesfalls die Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 zweiter Halbsatz FrG 1997. Es komme der Versagungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 leg. cit. zum Tragen. Angesichts des aufgezeigten Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers, das eine krasse Geringschätzung verschiedenster Rechtsgüter zum Ausdruck bringe, könne ein neuerlicher Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet auch nicht im Rahmen des der Behörde zustehenden Ermessens in Kauf genommen werden. Den maßgeblichen öffentlichen Interessen an der Verhinderung der Eigentumskriminalität und an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens komme ein besonders hoher Stellenwert zu. Vor diesem Hintergrund erübrige es sich aber auch auf die von der Erstbehörde aufgeworfene Frage, ob der Beschwerdeführer als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 47 Abs. 3 FrG 1997 anzusehen sei, näher einzugehen.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 16. Oktober 1999, B 409/99-7, ab und trat sie mit Beschluss vom 9. November 1999, B 409/99-9, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 47 Abs. 2 und 3, § 49 Abs. 1 sowie § 89 Abs. 1 und 2 FrG 1997 lauten (auszugsweise):
"§ 47. ...
(2) Sofern die EWR-Bürger zur Niederlassung berechtigt sind, genießen begünstigte Drittstaatsangehörige (Abs. 3) Niederlassungsfreiheit; ihnen ist eine Niederlassungsbewilligung auszustellen, wenn ihr Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. ...
(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind folgende Angehörige eines EWR-Bürgers:
...
2. Verwandte in absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird;
...
§ 49. (1) Angehörige von Österreichern gemäß § 47 Abs. 3, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, genießen Niederlassungsfreiheit; für sie gelten, sofern im Folgenden nicht anderes gesagt wird, die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach dem 1. Abschnitt. ...
...
§ 89. (1) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen trifft der Landeshauptmann. ...
(2) Entscheidungen im Zusammenhang mit Niederlassungsbewilligungen trifft jedoch die Bezirksverwaltungsbehörde, im örtlichen Wirkungsbereich einer Bundespolizeibehörde diese, wenn es sich um den Aufenthaltstitel
1. für einen Drittstaatsangehörigen handelt, der nach dem 4. Hauptstück Niederlassungsfreiheit genießt;"
Art. 298 Abs. 1 und Art. 299 des serbischen Gesetzes über die Ehe und die Familienbeziehungen vom 22. April 1980 idF des Gesetzes vom 30. Mai 1994 (abgedruckt in Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Kindschaftsrecht VI, Jugoslawien, Seite 41 ff (75)) lauten:
"Art. 298. Die Eltern sind verpflichtet, ihre minderjährigen
Kinder zu unterhalten.
...
Art. 299. Ist ein volljähriges Kind wegen Krankheit, körperlicher oder geistiger Mängel arbeitsunfähig, hat es keine notwendigen Mittel zum Unterhalt oder kann es sie aus dem bestehenden Vermögen nicht aufbringen, sind die Eltern verpflichtet, solange dieser Zustand andauert, Unterhalt für es zu leisten."
Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid ausdrücklich die Rechtsauffassung vertreten, es könne dahingestellt bleiben, ob der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger im Verständnis des § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 47 Abs. 3 FrG 1997 sei, oder ob dies - wie die erstinstanzliche Behörde meinte - nicht der Fall sei. Ausgehend von dieser Auffassung hat die belangte Behörde zur Frage der Unterhaltsgewährung an den über 21-jährigen Beschwerdeführer im Verständnis des § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 auch keine Tatsachenfeststellungen getroffen.
Im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde wäre aber die Frage, ob es sich beim Beschwerdeführer um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen im Verständnis des § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 handelt oder nicht, sehr wohl zu klären gewesen:
Aus dem Grunde des § 89 Abs. 2 Z. 1 FrG 1997 wäre die erstinstanzliche Behörde nämlich zur Entscheidung über den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nur dann überhaupt zuständig gewesen, wenn er ein Drittstaatsangehöriger wäre, der nach dem
4. Hauptstück Niederlassungsfreiheit genießt. Mangels anderer Anhaltspunkte würde dies aber wieder seine Stellung als begünstigter Drittstaatsangehöriger eines Österreichers im Verständnis des § 49 Abs. 1 in Verbindung mit § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 voraussetzen. Bei Zutreffen der von der erstinstanzlichen Behörde vertretenen Auffassung, der Beschwerdeführer sei gar nicht begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne der vorzitierten Gesetzesbestimmungen, hätte keine Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörden zur meritorischen Erledigung (Abweisung) des Antrages des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung bestanden. Vielmehr wäre diesfalls die erstinstanzliche Behörde gehalten gewesen, gemäß § 6 AVG den Antrag des Beschwerdeführers an den dann gemäß § 89 Abs. 1 erster Satz FrG 1997 zur Entscheidung zuständigen Landeshauptmann weiterzuleiten.
Wäre also die Auffassung der erstinstanzlichen Behörde, der Beschwerdeführer sei nicht begünstigter Drittstaatsangehöriger gemäß § 47 Abs. 3 FrG 1997, zutreffend, so hätte die belangte Behörde die gegen die Abweisung seines Antrages durch die unzuständige erstinstanzliche Behörde erhobene Berufung nicht abweisen dürfen, sondern hätte vielmehr den erstinstanzlichen Bescheid infolge Unzuständigkeit ersatzlos zu beheben gehabt. Nur bei Bejahung der Stellung des Beschwerdeführers als begünstigter Drittstaatsangehöriger gemäß § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 hätte eine Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörden zur meritorischen Erledigung des Antrages des Beschwerdeführers bestanden.
Bei der Prüfung, ob der Beschwerdeführer begünstigter Drittstaatsangehöriger gemäß § 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 ist, hätte die belangte Behörde von folgender, vom Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17. März 2000, Zl. 99/19/0214, zum Ausdruck gebrachten Rechtsanschauung auszugehen gehabt:
"Wie aus den ... Materialien zum FrG 1997 hervorgeht, hat sich der Gesetzgeber bei der Umschreibung des Kreises der begünstigten Drittstaatsangehörigen im § 47 Abs. 3 FrG 1997 (auf den § 49 Abs. 1 erster Satz FrG 1997 verweist) an derjenigen des Kreises der begünstigten Angehörigen eines (Wander)Arbeitnehmers in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EWG) 1612/68 (im Folgenden: VO 1612/68) orientiert. Nach Art. 10 Abs. 1 lit. a VO 1612/68 sind Verwandte des Arbeitnehmers in absteigender Linie, die bereits 21 Jahre alt sind, dann begünstigt (d.h. sie dürfen beim Arbeitnehmer Wohnung nehmen), wenn ihnen Unterhalt gewährt wird.
§ 47 Abs. 3 Z. 2 FrG 1997 erfasst denselben Verwandtenkreis mit der Wendung 'darüber hinaus sofern ihnen Unterhalt gewährt wird'.
Nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften setzt die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem im Sinne des Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68 Unterhalt gewährt wird, keinen Unterhaltsanspruch (gegenüber dem Arbeitnehmer) voraus, sie ist auch ungeachtet der Gewährung des Existenzminimums (an den Angehörigen) zu beurteilen. Art. 10 Abs. 1 (und 2) VO 1612/68 ist nach der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften dahin auszulegen, dass sich die Eigenschaft des Familienangehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, aus einer tatsächlichen Situation ergibt. Es handelt sich um einen Familienangehörigen, der vom Arbeitnehmer unterstützt wird, ohne dass es erforderlich wäre, die Gründe für die Inanspruchnahme dieser Unterstützung zu ermitteln und sich zu fragen, ob der Betroffene in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt durch Ausübung einer entgeltlichen Tätigkeit zu bestreiten (siehe das Urteil vom 18. Juni 1987, Rs 316/85, Lebon, Slg. 1987, 2811, Rz 20 ff; vgl. auch Ziekow, Der gemeinschaftsrechtliche Status der Familienangehörigen von Wanderarbeitnehmern, DÖV 1991, 363 (365)). Nach diesem Verständnis des Art. 10 Abs. 1 VO 1612/68 ist die Wohnungnahme eines Angehörigen eines Arbeitnehmers dann zulässig, wenn sie von faktischer Unterhaltsgewährung durch den Arbeitnehmer getragen ist.
Im System des FrG 1997, das an dieses Verständnis anknüpfend für die begünstigten Angehörigen die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vorsieht, ist daher davon auszugehen, dass es sich beim Antragsteller dann um einen Angehörigen, dem Unterhalt gewährt wird, handelt, wenn der angestrebte Aufenthalt in Österreich durch Unterhaltsgewährung des EWR-Bürgers (nach § 47 FrG 1997) bzw. des österreichischen Staatsbürgers (nach § 49 FrG 1997) getragen sein wird. Ist eine Unterhaltsgewährung durch den EWR-Bürger bzw. den österreichischen Staatsbürger (faktisch) nicht möglich, so liegt jedenfalls die Eigenschaft des begünstigten Angehörigen nicht vor."
Nach dem Vorgesagten erweist sich die Auffassung der erstinstanzlichen Behörde, bei der Frage, ob Unterhalt gewährt wird, sei eine Orientierung anhand des Existenzminimums bzw. der Sozialhilferichtsätze vorzunehmen, als unzutreffend. Zu prüfen wäre lediglich gewesen, ob die Wohnungsnahme des Beschwerdeführers von faktischer Unterhaltsgewährung durch seinen österreichischen Vater getragen sein wird. Das Bestehen eines Unterhaltsanspruches wäre dafür nicht Voraussetzung. Freilich würde das Bestehen eines Unterhaltsanspruches die folgende faktische Unterhaltsgewährung nahe legen (zur Möglichkeit des Bestehens eines Unterhaltsanspruches auch volljähriger Kinder nach dem maßgeblichen Heimatrecht des Beschwerdeführers im Falle der Zustimmung der Eltern zur Einwanderung des Fremden nach Österreich vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Juli 2000, Zl. 99/19/0011). Allerdings hat die belangte Behörde weder eine Zustimmung des Vaters des Beschwerdeführers zur Einwanderung des Beschwerdeführers noch auch den Willen des Vaters des Beschwerdeführers, diesem im Falle seiner Einwanderung faktisch Unterhalt zu gewähren, festgestellt. Der Beschwerdeführer hat im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bisher auch keine diesbezüglichen Erklärungen seines Vaters vorgelegt. Von der Frage, ob dem Beschwerdeführer im Falle der Erteilung der beantragten Niederlassungsbewilligung aber von seinem Vater faktisch Unterhalt geleistet würde, hing - wie oben ausgeführt - die Zuständigkeit der erstinstanzlichen Behörde ab. Indem die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers abwies, ohne zuvor die Frage zu prüfen, ob die erstinstanzliche Behörde zur Entscheidung überhaupt zuständig war, verletzte sie den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Einhaltung der Behördenzuständigkeit. Diese Rechtsverletzung war nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch ohne ausdrückliche diesbezügliche Geltendmachung als Beschwerdepunkt amtswegig aufzugreifen.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Sollte sich im fortgesetzten Verfahren herausstellen, dass die Voraussetzungen für die Zuständigkeit der Fremdenpolizeibehörden vorliegen, hätte die belangte Behörde jedenfalls davon auszugehen, dass im Hinblick auf die Abschiebung des Beschwerdeführers der vorliegende Antrag als solcher auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zu werten ist. Auch macht die Aufhebung des über den Beschwerdeführer verhängten Aufenthaltsverbotes gemäß § 114 Abs. 3 FrG 1997 eine Prüfung, ob der Beschwerdeführer die Voraussetzungen für die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung erfüllt, nicht obsolet (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 8. September 2000, Zl. 99/19/0119). Daran vermag auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf § 38 Abs. 1 Z. 4 FrG 1997 nichts zu ändern (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 5. Mai 2000, Zl. 99/19/0166).
Freilich wäre, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom heutigen Tage, Zl. 98/19/0304, dargelegt hat, auch bei einer auf § 47 Abs. 2 erster Satz zweiter Halbsatz FrG 1997 gestützten Entscheidung auf die durch Art. 8 MRK geschützten Interessen des Fremden Bedacht zu nehmen. Derartige Interessen sind aus den Verwaltungsakten ersichtlich. Die belangte Behörde hat sich jedoch im angefochtenen Bescheid damit in keiner Weise auseinander gesetzt.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Wien, am 19. Dezember 2000
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung Anspruch auf meritorische Erledigung (siehe auch Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verfahrensrechtliche Entscheidung der Vorinstanz) Inhalt der Berufungsentscheidung Kassation Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen sachliche Zuständigkeit sachliche Zuständigkeit in einzelnen AngelegenheitenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2000:1999190213.X00Im RIS seit
24.01.2002